BGH Beschluss v. - IX ZB 215/08

Leitsatz

[1] Der geschäftsführende Mehrheitsgesellschafter einer GmbH übt auch dann eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Vorschriften über das Verbraucherinsolvenzverfahren aus, wenn die GmbH persönlich haftende Gesellschafterin einer GmbH & Co. KG ist.

Gesetze: InsO § 304 Abs. 1; InsO § 305 Abs. 5

Instanzenzug: LG Erfurt, 1 T 355/08 vom AG Erfurt, 172 IN 630/07 vom

Gründe

I.

Am beantragte der Schuldner die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen. Dem Antrag waren ausgefüllte Vordrucke nach § 305 Abs. 5 InsO beigefügt. Am stellte auch die Sparkasse Insolvenzantrag gegen den Schuldner. Dieser Antrag ist Gegenstand eines gesonderten Insolvenzeröffnungs- und Rechtsbeschwerdeverfahrens (IX ZB 216/08), in welchem der Schuldner vorsorglich ebenfalls Insolvenzantrag gestellt hat.

Im vorliegenden Eröffnungsverfahren entschied das Insolvenzgericht am , das Regelinsolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners zu eröffnen. Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners, der die Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens anstrebte, wurde der Eröffnungsbeschluss aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Insolvenzgericht zurückverwiesen. In der Begründung der ersten Beschwerdeentscheidung heißt es, der Antrag auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens binde das Insolvenzgericht, das nunmehr entweder das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnen oder den Eröffnungsantrag als unzulässig abzuweisen habe; gegebenenfalls sei dem Schuldner Gelegenheit zu geben, seinen Antrag umzustellen. Nach der Zurückverweisung hat das Insolvenzgericht den Eröffnungsantrag des Schuldners mit Beschluss vom als unzulässig abgewiesen. Die sofortige Beschwerde des Schuldners, mit welcher dieser die Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens erreichen wollte, ist erfolglos geblieben. Mit seiner Rechtsbeschwerde begehrt der Schuldner weiterhin die Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens. Hilfsweise beantragt er die Eröffnung des Regelinsolvenzverfahrens.

II.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 ZPO). Die von der Rechtsbeschwerdebegründung aufgeworfenen Rechtsfragen sind durchweg geklärt oder lassen sich aus dem Gesetz beantworten, ohne dass eine höchstrichterliche Klarstellung erforderlich wäre.

1.

Das Beschwerdegericht hat eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit (§ 304 Abs. 1 Satz 1 InsO) des Schuldners angenommen, weil dieser im Zeitpunkt der Antragstellung mit einem Anteil von 96 % Mehrheitsgesellschafter sowie Geschäftsführer der M. GmbH gewesen sei. Die Rechtsbeschwerde verweist demgegenüber darauf, dass sämtliche Gesellschaftsbeteiligen, die der Schuldner gehalten habe, noch vor der Entscheidung des Insolvenzgerichts am verwertet worden seien. Ihrer Ansicht nach ist auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den Eröffnungsantrag abzustellen. Ob diese Ansicht zutrifft, ist jedoch unerheblich. § 304 Abs. 1 Satz 1 InsO spricht ausdrücklich von einer natürlichen Person, die keine selbständige Tätigkeit ausübt "oder ausgeübt hat". Der Gesetzgeber hat diese Formulierung bewusst gewählt, um deutlich zu machen, dass es auf die aktuell ausgeübte Tätigkeit nicht ankomme (BT-Drucks. 14/5680, S. 30).

2.

Die Rechtsbeschwerde meint weiter, entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts könne die Senatsrechtsprechung dazu, dass der alleinige Gesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH eine selbständige berufliche Tätigkeit ausübe (, NZI 2005, 676 f), nicht auf den Schuldner angewandt werden, der nur 96 % der Anteile gehalten habe, dessen GmbH lediglich als Komplementärin einer GmbH & Co. fungiert habe, an welcher der Schuldner selbst nicht beteiligt gewesen sei, und der seine Geschäftsanteile überdies verpfändet gehabt habe. Einen wesentlichen Unterschied zwischen einem Alleingesellschafter und einem zu 96 % beteiligten Gesellschafter vermag der Senat jedoch nicht zu erkennen (ebenso etwa AG Duisburg ZVI 2008, 114, 115; FK-InsO/Kohte, 5. Aufl. § 304 Rn 18 ff; Graf-Schlicker/Sabel, InsO § 304 Rn. 9; Uhlenbruck/Vallender, InsO 12. Aufl. § 304 Rn. 13; Braun/Buck, InsO 3. Aufl. § 304 Rn. 17; HmbKomm-InsO/Streck, 2. Aufl. § 304 Rn. 5; HK-InsO/Landfermann, 5. Aufl. § 304 Rn. 6; Wenzel in Kübler/Prütting/Bork, InsO § 304 Rn. 25; Häsemeyer, Insolvenzrecht 3. Aufl. Rn. 29.14). Die zitierte Senatsentscheidung vom ist vereinzelt kritisiert worden (vgl. etwa Heinze DZWiR 2006, 83 f ). Dass sie ausschließlich Allein-, nicht jedoch Mehrheitsgesellschafter betreffe, wird - soweit ersichtlich - nirgends vertreten. Auf den Geschäftsgegenstand der GmbH kommt es ebenfalls nicht an. Ob ein Verbraucher- oder ein Regelinsolvenzverfahren einzuleiten ist, muss anhand klarer und einfacher Abgrenzungskriterien zu entscheiden sein. Korrekturen erfolgen gegebenenfalls nach § 304 Abs. 1 Satz 2 InsO. Entspricht die Verschuldungsstruktur des Mehrheitsgesellschafters und Geschäftsführers einer Komplementär-GmbH nicht derjenigen eines Selbständigen, gibt es insbesondere nicht mehr als 20 Gläubiger und bestehen keine Forderungen aus Arbeitsverhältnissen, finden die Regelungen des Verbraucherinsolvenzverfahrens Anwendung (§ 304 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 InsO).

3.

Das Beschwerdegericht hat die Vermögensverhältnisse des Schuldners für unüberschaubar im Sinne von § 304 Abs. 1 Satz 2 InsO gehalten. Zwar gebe es weniger als 20 Gläubiger. Es seien jedoch Anfechtungsansprüche zu prüfen und gegebenenfalls durchzusetzen. Das Insolvenzgericht, auf dessen Entscheidung das Beschwerdegericht Bezug genommen hat, hat ergänzend auf die verschiedenen vom Schuldner gehaltenen Gesellschaftsanteile, deren Verpfändung sowie die Abtretung von Gehalts- und Versicherungsansprüchen verwiesen. Die Rechtsbeschwerde hält demgegenüber die Rechtsfrage für grundsätzlich, ob einer Überschaubarkeit der Vermögensverhältnisse des Schuldners bereits entgegensteht, dass streitige Forderungen vorhanden sind und/oder Anfechtungssachverhalte auftreten können, oder ob hierfür ein Bezug zwischen der Vermögensstruktur und den Aussichten auf einen erfolgreichen Abschluss des Schuldenbereinigungsplans erforderlich ist. Auch diese Frage lässt sich jedoch unmittelbar aus dem Gesetz beantworten. § 304 InsO verlangt keine detailierte Prüfung der Frage, ob im jeweils zu entscheidenden Fall ein konkreter Schuldenbereinigungsplan Aussicht auf Erfolg verspricht. Die Vorschrift arbeitet vielmehr mit typisierten Annahmen (die Zahl der Gläubiger, die Existenz von Forderungen aus Arbeitsverhältnissen), welche das Verbraucherinsolvenzverfahren ermöglichen oder ausschließen. Dadurch wollte der Gesetzgeber Rechtssicherheit schaffen und die Arbeit des Insolvenzgerichts erleichtern (BT-Drucks. 14/5680, S. 30). Im vorliegenden Fall geht es darüber hinaus nicht allein um die Schulden, sondern um die gesamten Vermögensverhältnisse des Schuldners. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs soll auch dann, wenn bei einem ehemals unternehmerisch tätigen Schuldner weniger als 20 Gläubiger anzutreffen sind, das Regelinsolvenzverfahren eröffnet werden können, "wenn zahlreiche streitige Forderungen in nicht unbeträchtlicher Höhe involviert sind oder komplexe Anfechtungssachverhalte auftreten können". Genau das kennzeichnet den vorliegenden Fall. Im Zweifel sind die Vorschriften des Regelinsolvenzverfahrens anzuwenden (, ZInsO 2008, 1324, 1325 Rn. 6).

4.

Die Vorinstanzen haben den auf die Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens gerichteten Antrag des Schuldners für unzulässig gehalten. Die Rechtsbeschwerde beanstandet nunmehr unter Hinweis auf die Entscheidung BGHZ 164, 166, 172 f , dass der Schuldner keine Gelegenheit erhalten habe, seinen Antrag umzustellen. Ein entsprechender Hinweis der Vorinstanzen sei jedenfalls nicht aktenkundig. Diese Rüge ist unverständlich. Im Eröffnungsbeschluss vom hat das Insolvenzgericht hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es die Voraussetzungen eines Verbraucherinsolvenzverfahrens nicht für gegeben erachtete. Der aufhebende enthielt klare Hinweise für das nunmehr einzuschlagende Verfahren. Der Antrag auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens sei zu prüfen und dann, wenn die Voraussetzungen nicht gegeben seien, als unzulässig abzuweisen. Spätestens jetzt hätte der - anwaltlich vertretene - Schuldner Veranlassung gehabt, mindestens hilfsweise die Eröffnung des Regelinsolvenzverfahrens zu beantragen, wenn er erreichen wollte, dass das Insolvenzverfahren über sein Vermögen in jedem Fall, also unabhängig von der Verfahrensart, eröffnet wurde. Einen entsprechenden Antrag hat er jedoch weder nach der Zurückverweisung an das Insolvenzgericht noch im zweiten Beschwerdeverfahren gestellt.

5.

Die Prüfung der weiteren von der Rechtsbeschwerde aufgeworfenen Rechtsfrage, ob ein ausdrücklich auf Eröffnung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens gerichteter Antrag eines Schuldners als Minus den Antrag auf Eröffnung eines Regelinsolvenzverfahrens enthalte und das Insolvenzgericht nach einem entsprechenden Hinweis mit Fristsetzung das Insolvenzverfahrens zumindest als Regelinsolvenzverfahren eröffnen könne, ist dem Senat wegen der Bindungswirkung der ersten Beschwerdeentscheidung vom verwehrt.

a)

Hebt das Beschwerdegericht einen mit der sofortigen Beschwerde angefochtenen Beschluss auf und verweist die Sache zur erneuten Entscheidung an das Ausgangsgericht zurück, ist dieses an die vom Beschwerdegericht vertretene Rechtsansicht, welche der Aufhebung zugrunde lag, gebunden (§ 563 Abs. 2, § 577 Abs. 4 Satz 4 ZPO analog). Mittelbar gilt diese Bindungswirkung auch für ein zweites Beschwerde- und ein sich etwa anschließendes Rechtsbeschwerdeverfahren (sog. Rückbindung). Entscheidet das Ausgangsgericht entsprechend, ist seine Entscheidung (insoweit) rechtmäßig. Das Beschwerdegericht kann seiner zweiten Entscheidung deshalb nicht eine andere Rechtsauffassung zugrunde legen als die, auf der sein zurückverweisender Beschluss beruhte (BGHZ 159, 122, 127) . In dem Umfang, in welchem das Beschwerdegericht an seine aufhebende Entscheidung gebunden ist, ist auch das Rechtsbeschwerdegericht gebunden. Hält sich das Beschwerdegericht an die Bindung, die durch seinen früheren (zurückverweisenden) Beschluss entstanden ist, kann darin keine Rechtsverletzung liegen. Der frühere Beschluss steht nicht zur Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht. Eine Rechtsbeschwerde kann also nicht darauf gestützt werden, dass die dem zurückverweisenden und damit auch dem zweiten Beschluss des Beschwerdegerichts zugrunde liegende Rechtsauffassung unrichtig sei.

b)

Das Beschwerdegericht hatte den Eröffnungsbeschluss des Insolvenzgerichts vom aufgehoben, weil ein Antrag auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens nicht zur Eröffnung des Regelinsolvenzverfahrens führen könne. An diese Rechtsauffassung war das Insolvenzgericht entsprechend § 563 Abs. 2, § 577 Abs. 4 Satz 4 ZPO gebunden (vgl. BGHZ 159, 122, 127 zu § 565 Abs. 2 ZPO a.F.).

6.

Soweit die Rechtsbeschwerde erstmals die Eröffnung des Regelinsolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners beantragt, ist sie unzulässig. Beantragt ein Schuldner ausschließlich die Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens, ist er dadurch, dass das Insolvenzgericht von einer Überführung in das Regelinsolvenzverfahren abgesehen hat, nicht beschwert ( aaO Rn. 9).

Fundstelle(n):
DStR 2009 S. 1968 Nr. 38
GmbHR 2009 S. 547 Nr. 10
NWB-Eilnachricht Nr. 21/2009 S. 1568
WM 2009 S. 712 Nr. 15
KAAAD-15960

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja