Leitsatz
[1] Jedenfalls dann, wenn das sich einer Datenverarbeitungsanlage bedienende Verfahren in den Ablauf einer technischen Einrichtung eingebettet ist (wie etwa bei der Einstellung der Bildauflösung eines Computertomografen), entscheidet über die Patentierung nicht das Ergebnis einer Gewichtung technischer und nichttechnischer Elemente. Maßgebend ist vielmehr, ob die Lehre bei der gebotenen Gesamtbetrachtung der Lösung eines über die Datenverarbeitung hinausgehenden konkreten technischen Problems dient.
Gesetze: PatG § 1; PatG § 1 Abs. 3; PatG § 1 Abs. 4
Instanzenzug: BPatG, 17 W pat 6/04 vom
Gründe
I.
Die Anmelderin hat beim Deutschen Patent- und Markenamt ein Patent mit der Bezeichnung "Verfahren zur Verarbeitung medizinisch relevanter Daten" eingereicht; das Amt hat die Anmeldung zurückgewiesen. Mit der Beschwerde hat die Anmelderin vor dem Bundespatentgericht - soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren von Interesse - beantragt,
das Patent mit einem wie folgt lautenden Patentanspruch 1 zu erteilen, an den sich 14 weitere Ansprüche anschließen sollen (2. Hilfsantrag):
"Verfahren zur Verarbeitung medizinisch relevanter Daten im Rahmen einer durchzuführenden Untersuchung eines Patienten, dadurch gekennzeichnet, dass ein in einer Datenverarbeitungseinrichtung abgelegtes Programmmittel anhand von eingegebenen symptomspezifischen und/oder diagnosespezifischen Informationen unter Verwendung einer symptom- und/oder diagnosebasierten Datenbank eine oder mehrere zur Untersuchung des Patienten durchzuführende Untersuchungsmodalitäten auswählt, die an eine Wiedergabeeinrichtung ausgegeben werden, wobei zu einer bestimmten Untersuchungsmodalität ein oder mehrere die Untersuchung definierende Untersuchungs- oder Messprotokolle durch die Datenbank ausgewählt und ausgegeben werden und wobei die Untersuchungs- oder Messprotokolle von der Datenverarbeitungseinrichtung an eine Datenverarbeitungs- und/oder Steuerungseinrichtung einer ausgewählten Untersuchungsmodalität, die zur Untersuchung des Patienten verwendet wird, übertragen werden, wo sie gegebenenfalls bei Bedarf wiedergegeben und/oder zur Steuerung der Untersuchungsmodalität verwendet werden."
Der weitere Hilfsantrag 3 unterscheidet sich vom vorangegangenen lediglich in der abweichenden Fassung des letzten Halbsatzes von Patentanspruch 1, welcher lautet:
"... wo sie wiedergegeben und zur Steuerung der Untersuchungsmodalität verwendet werden."
Das Bundespatentgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde beantragt die Anmelderin diese Entscheidung aufzuheben, soweit die Anmeldung mit den Patentansprüchen 1 bis 15 gemäß Hilfsantrag 2 bzw. Hilfsantrag 3 zurückgewiesen worden ist.
II.
Die kraft Zulassung statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Bundespatentgericht.
1.
Das Bundespatentgericht hat die Ansicht vertreten, die Anmeldung habe keine auf technischem Gebiet liegende Erfindung i.S. von § 1 PatG zum Gegenstand. Soweit es die richtige Auswahl von Untersuchungsmodalitäten (z.B. Röntgenuntersuchung, Computertomografie, Magnetresonanz) und gegebenenfalls die zweckmäßige Reihenfolge ihrer Anwendung bei einem Patienten durch ein Programmmittel unter Einsatz einer symptom- und/oder diagnosebasierten Datenbank betreffe, unterfalle das angemeldete Verfahren dem Ausschluss vom Patentschutz nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 PatG. Auch der Anweisung, dass für jede bestimmte Untersuchungsmodalität ein oder mehrere Untersuchungs- oder Messprotokolle ausgewählt und ausgegeben werden sollen, liege keine konkrete technische Problemstellung zugrunde. Diese Anweisung sei, wie die Auswahl der Untersuchungsmodalitäten, von der Absicht bestimmt, bisher vom Arzt getroffene abwägende gedankliche Entscheidungen zu automatisieren. Das Verfahren sei nicht aufgrund dieser Anweisung patentierbar.
Neben diesen nichttechnischen Gesichtspunkten weise das Verfahren nach Anspruch 1 in der Fassung von Hilfsantrag 2 allerdings auch technische Gesichtspunkte auf, und zwar jedenfalls insofern, als die von dem Programmmittel in der Datenverarbeitungseinrichtung ausgewählten Protokolle an die Untersuchungsmodalitäten übertragen und dort fallweise zur direkten Ansteuerung der Untersuchungsmodalität verwendet werden. Dieser Schritt diene zwar der Lösung einer konkreten technischen Problemstellung, gereiche der Anmeldung jedoch ebenfalls nicht zur Patentfähigkeit. Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs "Anbieten interaktiver Hilfe" greife der Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 3 und 4 PatG zwar schon dann nicht, wenn wenigstens einem Teil der Lehre ein konkretes technisches Problem zugrunde liege. Nach anderen Entscheidungen sei aber eine Gesamtbetrachtung darüber anzustellen, was nach der beanspruchten Lehre im Vordergrund stehe. Das sei bei dem beanspruchten Verfahren der vom Programmmittel ausgeführte Abfrage- und Entscheidungsprozess. Entfielen diese auf Fachwissen zurückgreifenden und abwägende gedankliche Gesichtspunkte einbeziehenden Abläufe, könne weder die von der Anmelderin nach den Anmeldungsunterlagen angestrebte Unterstützung des Arztes bei der Auswahl der Untersuchungsmodalitäten und -protokolle, noch die Einstellung von geeigneten Geräteparametern an den Modalitäten realisiert werden. Die Übertragung der Protokolle an die Datenverarbeitungseinrichtungen der Untersuchungsmodalitäten sei demgegenüber eine ergänzende Maßnahme von untergeordneter Bedeutung. Das Verfahren nach dem Hauptanspruch in der Fassung des Hilfsantrags 2 könne daher nicht als Erfindung i.S. von § 1 Abs. 1 PatG anerkannt werden.
2.
Gegen diese Beurteilung wendet sich die Rechtsbeschwerde mit Erfolg. Mit der vom Patentgericht gegebenen Begründung lässt sich die Zurückweisung der Anmeldung nicht rechtfertigen.
a)
Der Gegenstand der Anmeldung weist nach den vom Patentgericht getroffenen Feststellungen in der Fassung der Hilfsanträge 2 und 3 die für die Patentfähigkeit eines Computerprogramms oder eines in Verfahrensansprüche gekleideten Gegenstands der datenverarbeitungsmäßigen Abarbeitung von Verfahrensschritten erforderliche Technizität ( § 1 Abs. 1 PatG) schon deshalb auf, weil er der Verarbeitung, Speicherung und Übermittlung von Daten mittels eines technischen Geräts dient.
Etwas anderes ergibt sich für den Standpunkt des Bundespatentgerichts auch nicht aus der Senatsentscheidung "Logikverifikation" (BGHZ 143, 255 ). Ziel der dort angesprochenen Gesamtbetrachtung (aaO, S. 262 f.) ist allein, ob - was vorliegend außer Streit steht - das Programm oder Verfahren in einer Weise in einen technischen Ablauf eingebettet ist, die das Merkmal der Technizität überhaupt als erfüllt erscheinen lässt. Daraus ergibt sich aber nicht, wie das Patentgericht zu meinen scheint, dass Technizität bei einem Nebeneinander technischer und nichttechnischer Elemente als Ergebnis einer Gewichtung negiert werden dürfe.
Unerheblich für das Technizitätserfordernis ist, ob der Gegenstand einer Anmeldung, wie es nach den getroffenen Feststellungen hier der Fall ist, neben technischen Merkmalen auch nichttechnische aufweist. Die auf der sogenannten Kerntheorie beruhende Rechtsprechung zur Abgrenzung nicht schutzfähiger Kombinationen, auf die sich das Patentgericht für seinen gegenteiligen Ansatz berufen hat (Sen. Urt. v. - X ZR 65/85, GRUR 1986, 531 - Flugkostenminimierung), ist mit der Entscheidung "Tauchcomputer" vom (BGHZ 117, 144 ) aufgegeben worden (vgl. Benkard/Bacher/Melullis, PatG, 10. Aufl., § 1 PatG Rdn. 45b; Busse/Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl. § 1 Rdn. 34). Ob Kombinationen von technischen und nichttechnischen bzw. vom Patentschutz ausgeschlossenen Merkmalen im Einzelfall patentfähig sind, hängt insoweit - abgesehen von etwa einschlägigen Ausschlusstatbeständen des § 1 Abs. 3 PatG - allein davon ab, ob sie auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen (vgl. Benkard/Bacher/Melullis, aaO).
b)
Nach der Rechtsprechung des Senats muss eine Anmeldung, die ein Computerprogramm oder ein durch Software realisiertes Verfahren zum Gegenstand hat, über die für die Patentfähigkeit unabdingbare Technizität hinaus verfahrensbestimmende Anweisungen enthalten, welche die Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln zum Gegenstand haben. Wegen des Patentierungsausschlusses von Computerprogrammen als solchen ( § 1 Abs. 3 Nr. 3 PatG) vermögen regelmäßig erst solche Anweisungen die Patentfähigkeit eines Verfahrens zu begründen, welche eine Problemlösung mit solchen Mitteln zum Gegenstand hat. Nicht der Einsatz eines Computerprogramms selbst, sondern die Lösung eines solchen Problems mit Hilfe eines (programmierten) Computers kann vor dem Hintergrund des Patentierungsverbotes eine Patentfähigkeit zur Folge haben. Das hat zur Folge, dass bei der Prüfung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit diese Problemlösung in den Blick zu nehmen ist. Außerhalb der Technik liegende Anweisungen genügen in diesem Zusammenhang grundsätzlich nicht; sie sind nur in dem Umfang von Bedeutung, in dem sie auf die Lösung des technischen Problems mit technischen Mitteln Einfluss nehmen (Sen., BGHZ 149, 68 - Suche fehlerhafter Zeichenketten; 159, 197 - elektronischer Zahlungsverkehr). Schutzfähig ist eine solche Lehre vielmehr erst dann, wenn die Lösung des konkreten technischen Problems neu und erfinderisch ist.
Jedenfalls soweit das hier angemeldete Verfahren nach Auswahl von Untersuchungsmodalität und Untersuchungs- bzw. Messprotokollen auch den Einsatz der jeweiligen Untersuchungsmodalität steuert (beispielsweise die Einstellung der Bildauflösung bei Computertomografien), löst es ein in diesem Sinne konkretes technisches Problem. Die programmgesteuerte Einstellung solcher Geräteparameter führt, an die Stelle der manuellen Einstellung durch das Bedienungspersonal tretend, einen technischen Erfolg herbei, der einem Anwendungsprogramm zur Überwachung und Regelung des Ablaufs einer technischen Einrichtung (Sen. Beschl. v. - X ZB 19/78 - Antiblockiersystem) oder zur Aufarbeitung von Messergebnissen (Sen., BGHZ 117, 144 - Tauchcomputer) vergleichbar ist (vgl. zur Schutzfähigkeit einer von einem Ablaufprogramm gesteuerten Röntgeneinrichtung zur Erzielung optimaler Belichtung bei hinreichender Überlastungssicherheit der Röntgenröhren auch EPA GRUR Int. 1988, 585).
3.
Die Schutzfähigkeit der angemeldeten Erfindung ist hier nach allem keine Frage der Technizität oder des Patentierungsausschlusses, sondern der erfinderischen Tätigkeit, die das Bundespatentgericht nunmehr zu prüfen haben wird. Dabei könnte auch auf die bisher nicht behandelte Frage einzugehen sein, ob die Anmeldung über die außertechnischen Vorgänge der Sammlung, Speicherung, Auswertung und Verwendung von Daten hinaus für deren Umsetzung eine dem Patentschutz zugängliche technische Lehre offenbart und, falls das der Fall sein sollte, ob deren Auffindung die Entfaltung erfinderischer Tätigkeit erforderte, oder ob diese Umsetzung dem Fachwissen des Anwenders überlassen bleibt.
Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht für erforderlich erachtet.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
LAAAD-14068
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: nein