Leitsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: SGG § 160 Abs 2 Nr 3; SGG § 160a Abs 2 Satz 3; ZPO § 411 Abs 3
Instanzenzug: LSG Baden-Württemberg, L 2 U 5223/03 vom SG Konstanz, S 4 U 334/01
Gründe
I
In dem Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt der Kläger insbesondere eine Verletzung seines Rechts, sachdienliche Fragen an die Sachverständigen stellen sowie deren Ladung zur mündlichen Verhandlung veranlassen zu können.
In der Hauptsache ist streitig, ob bei dem Kläger infolge des als Arbeitsunfall anerkannten Ereignisses vom Gesundheitsschäden entstanden und von der Beklagten zu entschädigen sind. Der Kläger war auf dem Weg von seiner Wohnung zu einem Kunden in eine Kollision mit vier Fahrzeugen verwickelt; sein Fahrzeug befand sich an zweiter Stelle. Die Beklagte erkannte als Folge dieses Arbeitsunfalls eine leichteste Distorsion der Halswirbelsäule (HWS) ohne funktionelle Relevanz an. Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und psychoreaktive Störungen seien keine Unfallfolgen (Bescheid vom ). Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom ).
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage auf der Grundlage eines Gutachtens des Oberarztes Dr. P. (Dr. P.), Neurologische Klinik des Klinikums A., insoweit stattgegeben, als es die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte zur Zahlung einer Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 vH verurteilt hat. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) von Amts wegen den Sachverständigen Prof. Dr. C. (Prof. Dr. C.) und auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) den Sachverständigen Prof. Dr. W. (Prof. Dr. W.) gehört. Prof. Dr. C. hat in seinem Gutachten eine schwere HWS- und Lendenwirbelsäulen-Distorsion als Erstdiagnose angeführt und die Kernspintomographie der HWS vom sowie die Computertomographie vom ausgewertet. Auf dieser Grundlage ist er zu der Beurteilung gelangt, die krankhaften Veränderungen der Wirbelsäule seien nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis vom zurückzuführen. Zum Unfallzeitpunkt hätten schon erhebliche, die altersgemäße Norm deutlich überschreitende degenerative Veränderungen vorgelegen. Eine Schädigung von Organen, Organsystemen oder anatomischen Strukturen durch die unterhalb der Harmlosigkeitsgrenze liegende Unfalleinwirkung sei nicht zu erheben. Die zu erwartenden Residuen von Begleitverletzungen der entsprechenden Knochen oder Weichteile, die sich sehr sensibel in der Kernspintomographie nachweisen ließen, seien beim Kläger nicht erkennbar.
Der nach § 109 SGG gehörte Sachverständige Prof. Dr. W. hat ausgeführt, beim Kläger hätten schon vor dem Unfall erhebliche degenerative Veränderungen im Bereich der mittleren HWS bestanden. Zwar zeigten die Röntgenuntersuchungen keine höhergradige Instabilität der HWS, es sei aber dennoch sicher anzunehmen, dass der Unfall zu einer Verschlimmerung des Schmerzniveaus geführt habe. Prof. Dr. W. hat gesehen, dass Prof. Dr. C. angenommen habe, dass Veränderungen der HWS einschließlich der sie umgebenden Weichteile in der Kernspintomographie "zu 100 % darstellbar" seien. Ohne hierauf einzugehen kommt er aber zu der Beurteilung, der erstinstanzlich gehörte Dr. P. habe eine Kausalkette auf der Annahme einfacher Wahrscheinlichkeit, nicht absoluter Sicherheit skizziert. Letztlich spreche mehr dafür als dagegen, dass der Unfall vom zu bleibenden organischen Verschlechterungen geführt habe. Die MdE sei mit 40 vH anzunehmen.
Der Kläger hat im Berufungsverfahren beantragt, den Sachverständigen Prof. Dr. C. und den in erster Instanz gehörten Dr. P. zu befragen. Es sei zu klären, ob die Annahme einer Harmlosigkeitsgrenze und die Forderung einer substantiellen Schädigung berechtigt sei. Nach Vorlage des Gutachtens des Prof. Dr. W. hat er weiter auf die Klärung dieser Punkte gedrungen und auch Fragen an Prof. Dr. W. formuliert. In der mündlichen Verhandlung hat er den Antrag wiederholt, Prof. Dr. C., Prof. Dr. W. und Dr. P. zu laden, um die von ihm im Einzelnen bezeichneten Fragen erläutern zu lassen. Dabei sei auch zu hinterfragen, ob Prof. Dr. C. fachlich in der Lage sei, sich mit Erkenntnissen der Schmerzforschung auseinanderzusetzen. Mit Schriftsatz vom hat er die Anhörung des Prof. Dr. W. beantragt, um dessen fachliche Kompetenz gegen Angriffe der Beklagten verteidigen zu können.
Das das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat sich im Wesentlichen auf das Gutachten des Prof. Dr. C. gestützt. Dagegen könne den Gutachten des Dr. P. und des Prof. Dr. W. nicht gefolgt werden. Den Hilfsanträgen des Klägers sei nicht nachzukommen. Von der Ladung der Sachverständigen sei abzusehen, da der medizinische Sachverhalt hinreichend geklärt sei. Die Klärung des vom Kläger formulierten Fragenkatalogs sei nicht geboten. Die an Prof. Dr. C. zu richtenden Fragen seien nicht entscheidungserheblich. Dies gelte auch für die Frage zur Harmlosigkeitsgrenze, weil der Sachverständige seine Beurteilung nicht maßgeblich hierauf, sondern unabhängig von der Erheblichkeit der Einwirkung auf medizinische Gründe gestützt habe. Die an Prof. Dr. C. zu stellende Frage nach der Substanzschädigung sei nicht nachvollziehbar, da der Sachverständige nicht davon ausgegangen sei, dass er den Nachweis substantieller Schädigung "nicht" für erforderlich halte. Die Fragen an Prof. Dr. W. seien schon deshalb nicht entscheidungserheblich, weil dem Gutachten aus anderen als den von der Beklagten dargelegten Gründen nicht zu folgen sei.
Der Kläger hat Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG erhoben. Er rügt Verfahrensfehler, auf denen die Entscheidung des LSG beruhe (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Er habe mit Schriftsätzen vom , und sowohl die Ladung der Sachverständigen zum Termin beantragt als auch sachdienliche Fragen zur Erläuterung ihrer Gutachten gestellt. Er habe aufgezeigt, zu welchem Fragenkomplex die Sachverständigen Stellung nehmen sollten. Die vor dem Termin gestellten Anträge habe er in der mündlichen Verhandlung wiederholt. Da das LSG die Sachverständigen weder ergänzend befragt noch zur mündlichen Verhandlung geladen habe, liege ein Verfahrensmangel vor. Der Kläger macht auch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Diese misst er den Fragen bei,
ob § 200 Abs 2 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) eine datenschutzrechtliche Norm sei und daran anknüpfend,
ob die von den Unfallversicherungsträgern intern ohne die Wahrung des Verfahrens nach § 200 Abs 2 SGB VII und ohne Schweigepflichtentbindung vom Versicherten zur Entscheidungsvorbereitung eingeholten Gutachten und beratenden Stellungnahmen als Gutachten im Sinne des § 200 Abs 2 SGB VII zu bewerten und deshalb beweisrechtlich nicht verwertbar seien.
II
Die fristgerecht erhobene und begründete Beschwerde ist zulässig. Insbesondere hat der Kläger die Verletzung des Fragerechts nach § 116 Abs 2, § 118 Abs 2 Satz 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 Zivilprozessordnung (ZPO) und damit seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 Grundgesetz) sowie die Rüge der Verletzung des Rechts auf Ladung des Sachverständigen zum Termin (§ 411 Abs 3 ZPO) hinreichend bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
Die Beschwerde ist auch begründet, da jedenfalls einer der gerügten Verfahrensfehler vorliegt und die Entscheidung des LSG hierauf beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
Unabhängig von der nach § 411 Abs 3 ZPO im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts liegenden Möglichkeit, das Erscheinen des Sachverständigen zum Termin von Amts wegen anzuordnen, steht jedem Beteiligten gemäß § 116 Satz 2 SGG, § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO jedenfalls das Recht zu, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die er zur Aufklärung der Sache für dienlich erachtet (BVerfG [Kammer] vom - 1 BvR 909/94 - NJW 1998, 2273 = Juris RdNr 11; - Juris RdNr 7; B 5a/5 R 60/07 B - SozR 4-1500 § 116 Nr 1). Das Fragerecht besteht allerdings im Grundsatz nur innerhalb des Rechtszuges, in dem das Gutachten eingeholt worden ist (). Die dem Sachverständigen zu stellenden Fragen müssen nicht formuliert, die erläuterungsbedürftigen Punkte aber hinreichend konkret bezeichnet werden. Auch sind die Fragen dem Gericht rechtzeitig mitzuteilen (§ 411 Abs 4 ZPO). Schließlich müssen die von dem Sachverständigen zu erläuternden Punkte auch objektiv sachdienlich sein (vgl , , Juris-Dok RdNr 7).
Nach diesen Maßstäben hat das LSG das Fragerecht des Klägers in einzelnen Punkten verletzt.
Das LSG hat das Fragerecht des Klägers aber nicht dadurch verletzt, dass dieser an den erstinstanzlich gehörten Sachverständigen Dr. P. keine Fragen stellen konnte. Das Fragerecht besteht nur innerhalb des Rechtszuges, in dem das Gutachten eingeholt worden ist. Die von der Rechtsprechung hierzu entwickelten Ausnahmen, zB Übergehen des Fragerechts in der Vorinstanz (vgl BSG, Beschlüsse vom - B 9 VJ 1/98 B - SGb 2000, 269 und vom - B 13 R 427/06 B - Juris), liegen hier nicht vor.
Auch liegt eine Verletzung des Fragerechts nicht in Bezug auf alle vom Kläger als klärungsbedürftig bezeichneten Punkte vor. Ein Fragerecht besteht nur, soweit die Klärung der als erläuterungsbedürftig bezeichneten Punkte sachdienlich ist. Sachdienlich ist nur die Klärung solcher Fragen, die sich auf die Klärung des geltend gemachten prozessualen Anspruchs selbst beziehen. Unzulässig sind Fragen, die nicht auf die Klärung des geltend gemachten Anspruchs, sondern auf die Beeinflussung der Beweiswürdigung durch das LSG zielen (vgl Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Aufl 2008, III. Kapitel, RdNr 70). Deshalb darf die Befragung der Sachverständigen regelmäßig nicht dazu dienen, deren Fachkompetenz zu erkunden, um sie sodann ggf in Zweifel ziehen zu können. Die Fragen des Klägers an Prof. Dr. C., die der Klärung von dessen Fachkompetenz oder besser den Nachweis ihres Fehlens gerichtet sind, sind deshalb weder sachdienlich noch zulässig. Auch die Fragen des Klägers, die das Ziel verfolgen, die Kompetenz eines anderen Sachverständigen als überlegen herauszustellen (Fragen an Prof. Dr. W.), haben keinen Sachbezug, sondern zielen auf die Beeinflussung der Beweiswürdigung durch das LSG. Nicht sachdienlich sind auch Fragen, die von unzutreffenden Tatsachen ausgehen. Das ist vorliegend die Frage nach der angeblich fehlenden Beachtung der Erstdiagnose durch Prof. Dr. C., da sich aus dem Gutachten das Gegenteil ergibt. Auch allgemeine Fragen zum Stand der (Schmerz-)Forschung oder zu den Folgen offenbar nicht vorliegender Erkrankungen sind der Klärung des zu entscheidenden Falles nicht förderlich und daher nicht sachdienlich.
Allerdings hat der Kläger auch Fragen aufgeworfen, die für die Entscheidung der Sache erheblich und daher sachdienlich sind. Dazu gehört die Frage, ob beim Kläger eine Gesundheitsschädigung als Folge des Unfalls zu belegen ist. Insoweit hat der Kläger es als klärungsbedürftig bezeichnet, ob ein Gesundheitsschaden auch angenommen werden kann, ohne dass eine substantielle Schädigung anatomischer Strukturen objektivierbar ist. Zwar hat der Kläger die Frage insoweit fehlerhaft formuliert, als der Sachverständige den Nachweis einer substantiellen Schädigung für erforderlich gehalten hat, während die Frage das Gegenteil unterstellt. Es wird aber deutlich, dass es dem Kläger im Kern darum geht, klären zu lassen, ob der Nachweis einer substantiellen Schädigung notwendig ist und (nur) durch Kernspintomographie geführt werden kann oder ob eine Gesundheitsschädigung - wie von Prof. Dr. W. angenommen - trotz Vorliegens eines radiologischen Befundes unabhängig von diesem möglich erscheint. Auch wenn diese Frage - aus Sicht des LSG - durch das Gutachten des Prof. Dr. C. beantwortet schien, hat der Kläger das Recht, zu diesem zentralen Punkt nachzufragen. Seine Frage hält sich im Rahmen des Beweisthemas (Vorliegen von Gesundheitsschäden, Unfallzusammenhang), ist nicht abwegig und auf Grund des Widerspruchs in den erhobenen Gutachten auch nicht bereits eindeutig beantwortet.
Missbrauch ist dem Kläger nicht vorzuwerfen. Er hat die Befragung des Sachverständigen nicht schuldhaft verspätet beantragt; insbesondere hat er keine vom Gericht gesetzte Frist versäumt. Zwar hat das LSG zutreffend angenommen, dass es auch das Interesse der Allgemeinheit und der übrigen Prozessbeteiligten an einer Verfahrensbeschleunigung und zügigen Erledigung eines entscheidungsreifen Rechtsstreits zu beachten hat. Dieser Aspekt gewinnt gegenüber dem Interesse des Klägers an einem möglichst umfassenden Rechtsschutz zunehmend an Bedeutung (vgl - SozR 4-1750 § 227 Nr 1). Im vorliegenden Verfahren besteht aber für die Annahme eines missbräuchlichen Verhaltens des Klägers oder des ihn seit September 2006 vertretenden Bevollmächtigten kein Anhaltspunkt, da die an die Sachverständigen zu richtenden Fragen alsbald nach Vorlage der Gutachten bzw nach Abschluss der Ermittlungen gestellt worden sind.
Die Entscheidung des LSG kann auf dem aufgezeigten Verfahrensmangel beruhen. Es ist nicht auszuschließen, dass das LSG das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. C. nach dessen Anhörung zu den vom Kläger gestellten Fragen anders gewürdigt oder weitere Sachaufklärung für notwendig gehalten hätte und dadurch zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis gekommen wäre.
Nach § 160a Abs 5 SGG kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen. Davon macht der Senat hier Gebrauch, weil aus den eben genannten Gründen auch ein Revisionsverfahren zur Zurückverweisung führen müsste und grundsätzlich bedeutsame Fragen dort voraussichtlich nicht - mehr - zu klären wären.
Selbst wenn die Beklagte - was hier fraglich sein dürfte - während des gerichtlichen Verfahrens ein Gutachten eingeholt und in das Verfahren eingeführt hätte, ist die Klärungsbedürftigkeit der in der Beschwerdebegründung aufgeworfenen Grundsatzfrage entfallen. Durch das Urteil des Senats vom (B 2 U 10/07 R; zur Veröffentlichung vorgesehen) ist geklärt, dass Gutachten, die die Beklagte im Rahmen eines Rechtsstreits einholt, gerichtlich nicht verwertbar sind, wenn dabei die Vorgaben des § 200 Abs 2 SGB VII nicht beachtet werden.
Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
DAAAD-14023