BFH Beschluss v. - VIII B 146/07

Differenzierung zwischen materiellen und formellen Verwertungsverbot; Vorliegen einer Überraschungsentscheidung

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2, AO § 30a

Instanzenzug:

Gründe

Der Senat kann offenlassen, ob die Beschwerdebegründung den Anforderungen an die Darlegung von Zulassungsgründen i.S. von § 115 Abs. 2 i.V.m. § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entspricht, denn jedenfalls ist die Beschwerde unbegründet. Weder liegen die von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) behaupteten Verfahrensmängel vor noch ist eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung erforderlich.

a) Ein Verstoß des Finanzgerichts (FG) gegen den Schutzbereich des § 30a der Abgabenordnung (AO) ist nicht erkennbar. Das FG hat sich in der Urteilsbegründung ausführlich mit der Frage eines Verwertungsverbots befasst und in diesem Zusammenhang auch auf die Rechtsprechung des BFH Bezug genommen. Zwar hat das FG den (BFHE 194, 26, BStBl II 2001, 306) nicht zitiert. Daraus kann indessen nicht gefolgert werden, das FG habe gegen § 30a AO verstoßen. Die Kläger verkennen insoweit, dass sich diese Entscheidung vornehmlich mit der Frage befasst, ob der Finanzrechtsweg zu beschreiten ist, wenn sich ein Kreditinstitut gegen Maßnahmen der Steuerfahndung wendet, die auf eine Durchsuchung des Kreditinstituts gerichtet sind. Für die Frage eines Verwertungsverbots in Fällen wie dem hier gelagerten kann daraus nichts abgeleitet werden. Im Übrigen beruft sich das FG zu Recht darauf, dass die Kläger in der mündlichen Verhandlung vom den Transfer von Wertpapieren im Nennwert von 414 000 DM nach Luxemburg eingeräumt haben, so dass für diesen Umstand auf die von der Steuerfahndung überlassenen Unterlagen nicht zurückgegriffen werden musste. Unabhängig davon lassen die Kläger aber auch außer Acht, dass nach ständiger BFH-Rechtsprechung zwischen einem formellen und einem materiell-rechtlichen Verwertungsverbot zu differenzieren ist, und dass im Besteuerungsverfahren ein allgemeines gesetzliches Verwertungsverbot für Tatsachen, die unter Verletzung von Verfahrensvorschriften ermittelt wurden, nicht besteht (, BFHE 198, 7, BStBl II 2002, 328; vom VIII R 4/94, BFHE 184, 255, BStBl II 1998, 461, jeweils m.w.N.). Mit dieser Problematik setzt sich die Beschwerdeschrift nicht auseinander; ebenso wenig geht die Beschwerde auf die Senatsentscheidung vom VIII R 6/98 (BFHE 187, 302, BStBl II 1999, 138) ein, in der der Senat die einschränkende Auslegung des § 30a AO nochmals betont hat. Im Ergebnis rügt die Beschwerde vielmehr fehlerhafte Rechtsanwendung des FG. Diese führt aber grundsätzlich nicht zur Zulassung der Revision (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom VIII B 260/02, BFH/NV 2003, 1336; vom IX B 119/02, BFH/NV 2003, 1289). Denn die Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen (vgl. , BFH/NV 2000, 874).

b) Dass die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert (vgl. dazu , BFHE 196, 30, BStBl II 2001, 837; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 54, m.w.N.), haben die Kläger nicht ausreichend dargelegt. Der BFH hat in der Entscheidung in BFHE 194, 26, BStBl II 2001, 306 u.a. zwar ausgeführt, dass Geld- oder Kapitalanlagen im Ausland, die von den Anlegern über ein deutsches Kreditinstitut in banküblicher Weise abgewickelt werden, in Anbetracht der Gewährleistung der Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten nicht geeignet sind, einen steuerstrafrechtlichen Anfangsverdacht zu begründen. Einen davon abweichenden Rechtssatz hat das FG indes nicht aufgestellt. Es ist vielmehr unter Würdigung der Gesamtumstände des Streitfalls zu der Schlussfolgerung gekommen, dass der Kläger inländische wie ausländische Zinserträge dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) in Kenntnis der Steuerpflicht dieser Zinseinnahmen vorsätzlich verschwiegen und damit den objektiven und subjektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung verwirklicht hat. Die von den Klägern behauptete Abweichung des FG von der Rechtsprechung des BFH ist daher nicht gegeben. Letztlich rügen die Kläger auch hier eine fehlerhafte Rechtsanwendung des FG. Wie vorstehend bereits erörtert, kann das die Zulassung der Revision grundsätzlich nicht rechtfertigen (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2003, 1336, und in BFH/NV 2003, 1289).

Eine unrichtige Rechtsanwendung im Einzelfall kann allenfalls dann zur Zulassung der Revision führen, wenn dieser Fehler von erheblichem Gewicht und zudem geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen, d.h. wenn die Entscheidung des FG objektiv willkürlich ist (vgl. Lange in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, § 115 FGO Rz 200 f., 204 f.; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 55 und 68). Dafür bestehen jedoch keine Anhaltspunkte.

c) Die Rüge, das FG habe seine Sachaufklärungspflicht verletzt, ist nicht zulässig erhoben. Denn bei einer Rüge der Verletzung der von Amts wegen gebotenen Sachaufklärungspflicht (§ 76 FGO) gehören nach ständiger Rechtsprechung (vgl. Senatsbeschluss vom VIII B 54/97, BFH/NV 1999, 802, m.w.N.; BFH-Beschlüsse vom VII B 115/92, BFH/NV 1994, 37, und vom X B 142/98, BFH/NV 1999, 1236) zu einem schlüssigen Sachvortrag u.a. Ausführungen dazu, welche Tatsachen das FG hätte aufklären oder welche Beweise es hätte erheben müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärung oder Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können.

Substantiierten Vortrag in diesem Sinne enthält die Beschwerdeschrift nicht im Ansatz. Vielmehr wenden sich die Kläger auch hier inhaltlich gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des FG. Darin liegt jedoch nicht die Geltendmachung eines Verfahrensfehlers, sondern falscher materieller Rechtsanwendung, die nicht zur Zulassung der Revision führt.

d) Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch eine Überraschungsentscheidung des FG haben die Kläger ebenfalls nicht substantiiert dargelegt. Eine Überraschungsentscheidung ist nach der Rechtsprechung des BFH anzunehmen, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der auch ein kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht rechnen musste (, BVerfGE 84, 188; , BFHE 186, 29, BStBl II 1998, 505; BFH-Beschlüsse vom IV B 152/97, BFH/NV 1998, 1511; vom I B 127/98, BFH/NV 1999, 1609; Senatsurteil vom VIII R 80/98, BFH/NV 2000, 978). Davon kann hier keine Rede sein. Eine Überraschungsentscheidung ist bereits deshalb zu verneinen, weil das FG ausweislich der Sitzungsniederschrift vom die Streitsache mit den Beteiligten tatsächlich und rechtlich erörtert hat und gerade der Problemkreis „Steuerhinterziehung” einschließlich der vom Kläger erhobenen Einwendungen ausweislich der Urteilsgründe in der mündlichen Verhandlung zwischen den Beteiligten ausführlich zur Sprache gekommen ist. Anhaltspunkte dafür, dass die Sitzungsniederschrift vom den Verlauf der mündlichen Verhandlung nicht zutreffend wiedergibt, sind nicht ersichtlich; dafür spricht auch, dass die Kläger keinen Antrag auf eine etwaige Berichtigung der Sitzungsniederschrift gestellt haben. Des Weiteren verkennen die Kläger, dass das FG nach ständiger BFH-Rechtsprechung nicht verpflichtet ist, die für seine Entscheidung erheblichen Gesichtspunkte im Voraus anzudeuten, vielmehr müssen die Beteiligten alle vertretbaren Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen (Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz 10a, m.w.N.).

e) Unbegründet ist auch die Rüge, das FG habe sich nicht in der gebotenen Weise mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Zinsbesteuerung befasst, zumal der BFH die Zinsbesteuerung im Urteil vom VIII R 90/04 (BFHE 211, 183, BStBl II 2006, 61) für die Jahre 1987 bis 1993 für verfassungswidrig gehalten habe. Die Kläger verkennen, dass der Senat in jener Entscheidung nur Aussagen zur Verfassungsmäßigkeit der Zinsbesteuerung in den Veranlagungszeiträumen ab 1993 getroffen und die Verfassungsmäßigkeit der Zinsbesteuerung insoweit bejaht hat. Sollten die Ausführungen der Kläger sich aber auf das sog. Zinsurteil des (BStBl II 1991, 654) beziehen, so lassen sie außer Acht, dass das BVerfG in jener Entscheidung zwar ein strukturelles Erhebungsdefizit für die Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen festgestellt hat. Gleichzeitig hat es aber darauf hingewiesen, die bestehende Rechtslage müsse für eine Übergangszeit bis spätestens zum noch hingenommen werden.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
KAAAD-09882