Örtliche Zuständigkeit in Insolvenz- und Liquidationsfällen
1. Insolvenz und Liquidation
Durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder den Beginn einer Liquidation ergeben sich im Hinblick auf die örtliche Zuständigkeit grundsätzlich keine Besonderheiten. Ein Wechsel in der örtlichen Zuständigkeit kann jedoch dann eintreten, wenn der Insolvenzverwalter oder Liquidator die Geschäftsführung im Zuständigkeitsbereich eines anderen Finanzamts ausübt.
Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sowie durch die Bestellung eines vorläufigen „starken” Verwalters gem. § 22 Abs. 1 InsO geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über dieses zu verfügen, auf den vom zuständigen Insolvenzgericht bestellten Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO).
Bei einer (vorläufigen) Liquidation obliegt es den mit der Abwicklung betrauten Liquidatoren, die laufenden Geschäfte zu beenden, die Verpflichtungen der aufgelösten Gesellschaft zu erfüllen, die Forderungen derselben einzuziehen und das Vermögen der Gesellschaft in Geld umzusetzen; sie haben die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten (§ 70 Satz 1 GmbHG, §§ 268, 269 AktG, §§ 149, 161 Abs. 2 HGB).
In beiden Fällen werden die tatsächlichen und rechtsgeschäftlichen Handlungen, die die gewöhnliche Tagespolitik einer Gesellschaft mit sich bringen, dauernd durch den Insolvenzverwalter bzw. Liquidator ausgeübt, sodass diese die Geschäftsleitung i. S. d. § 10 AO innehaben. Führt der Insolvenzverwalter oder Liquidator die Tagesgeschäfte der Gesellschaft an einem Ort – z. B. seinem eigenen Büro –, der nicht im Zuständigkeitsbereich des Finanzamtes liegt, weiches bisher für die Besteuerung der Gesellschaft zuständig war, tritt grundsätzlich ein Wechsel in der örtlichen Zuständigkeit nach § 26 Satz 1 AO ein.
Es ist bei der Insolvenz oder Liquidation von Gesellschaften jedoch nicht zweckmäßig, kurz vor dem Erlöschen der Steuerpflicht noch ein anderes Finanzamt mit der Bearbeitung eines ggf. komplizierten Steuerfalles zu befassen. Zudem kann die Aktenüberweisung, deren Abwicklung sich nach der allgemeinen Erfahrung häufig über einen längeren Zeitraum hinzieht, zum Versäumen wichtiger Fristen oder Termine (z. B. § 28 Abs. 1, § 194 Abs. 1 InsO) und damit zu Steuerausfällen führen.
In diesen Fällen hatte in der Vergangenheit regelmäßig das bisher für die Besteuerung zuständige Finanzamt das Verwaltungsverfahren fortzuführen und zu beenden. Die Zuständigkeit war in derartigen Fällen auf § 26 Satz 2 AO zu stützen.
Durch das Jahressteuergesetz 2008 [1]wurde § 26 AO durch einen dritten Satz ergänzt. Nach der neu angefügten Bestimmung tritt ein Zuständigkeitswechsel solange nicht ein, wie
über einen Insolvenzantrag noch nicht entschieden wurde,
ein eröffnetes Insolvenzverfahren noch nicht aufgehoben wurde oder
sich eine Personengesellschaft oder eine juristische Person in Liquidation befindet.
Damit ist gesetzlich geregelt, dass die Zuständigkeit in Insolvenz- bzw. Liquidationsfällen bei der bisher zuständigen Finanzbehörde verbleibt. Hierdurch wurde auch eine Forderung des Bundesrechnungshofs umgesetzt.
§ 26 Satz 3 AO gilt sowohl für das Regelinsolvenzverfahren (§§ 11 ff InsO), als auch für das Verbraucherinsolvenzverfahren (§§ 304 ff InsO).
Die Besteuerung des Insolvenzschuldners während einer etwaigen Wohlverhaltensphase (§ 287 Abs. 2 Satz 1 InsO) nach einem Wechsel des Wohnsitzes in einen anderen Finanzamtsbezirk ist demgegenüber von dem dann neu zuständig gewordenen Finanzamt durchzuführen, weil die Wohlverhaltensphase erst an das bereits eingestellte oder aufgehobene Insolvenzverfahren anschließt.
In den Fällen, in denen eine natürliche Person nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens in einem anderen Finanzamtsbezirk eine (neue) gewerbliche oder selbständige (unternehmerische) Tätigkeit i. S. d. § 35 Abs. 2 InsO aufnimmt [2](ggf. verbunden mit einer Wohnsitzverlegung), gilt Folgendes:
Ist der Steuerpflichtige bereits bisher ertrag- und betriebsteuerlich [3]geführt worden, verbleibt es für diese Steuerarten gem. § 26 Satz 3 AO bei der bisherigen Zuständigkeit.
Handelt es sich hingegen um die erstmalige Aufnahme einer unternehmerischen Tätigkeit, wird hinsichtlich der Betriebssteuern erstmals eine Zuständigkeit begründet und mithin mangels eines Zuständigkeitswechsels nicht von § 26 Satz 3 AO erfasst. Die örtliche Zuständigkeit für die Betriebssteuern liegt damit bei dem Finanzamt, von dessen Bezirk der Unternehmer das Unternehmen ganz oder vorwiegend betreibt.
Unabhängig davon bleibt die Möglichkeit, mit Zustimmung des Betroffenen eine Zuständigkeitsvereinbarung (§ 27 AO) zu treffen, um den gesamten Steuerfall bei einem Finanzamt zu konzentrieren.
Dabei ist unerheblich, ob die neue Tätigkeit insolvenzfrei ist oder nicht.
In den Fällen der vom Insolvenzgericht angeordneten Eigenverwaltung (§§ 270 ff. InsO) ist der Schuldner berechtigt, unter der Aufsicht eines Sachwalters die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen. Die Tätigkeit des Sachwalters beschränkt sich in diesen Fällen grundsätzlich auf eine Überwachung des Schuldners. Da in diesen Fällen der Schuldner die Tagesgeschäfte der Gesellschaft führt, ergeben sich hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit keine Besonderheiten.
2. Firmenaufkäufer (sog. Firmenbestatter)
Sog. „Firmenbestatter” kaufen insolvente oder insolvenzgefährdete Unternehmen (zumeist GmbHs) auf. Gegen die Entrichtung einer „Übernahmegebühr” oder eines „Entsorgungsentgeltes” sagen sie den ehemaligen Geschäftsführern die volle Schuldenübernahme zu. Im Anschluss an die Übernahme sämtlicher Geschäftsanteile beantragen sie regelmäßig eine Umfirmierung sowie die Sitzverlegung des Unternehmens, i. d. R. ins Ausland.
Firmenaufkäufe, die erkennbar nur zum Zweck der Liquidation erfolgen, sollen entsprechend der Grundsätze unter Nr. 1 nicht zu einem Zuständigkeitswechsel führen. Soweit nicht bereits § 26 Satz 3 AO einschlägig ist, ist die Zuständigkeit auf § 26 Satz 2 AO zu stützen.
Das Gleiche gilt in Fällen, in denen eine zentrale Zuständigkeit nach der UStZustVO [4] in Betracht käme.
Über bekannt gewordene „Firmenbestatter” ist der Oberfinanzdirektion unter Angabe von Namen, Anschrift (soweit bekannt) und Gewerbekennzahl/Gewerbezweig umgehend zu berichten. [5]
3. „Formlose” Beendigung der werbenden Tätigkeit einer GmbH
Es kommen immer wieder Fälle vor, in denen eine GmbH ohne Durchführung eines Insolvenzverfahrens bzw. ohne förmliche Liquidation (§§ 60 ff. GmbHG) ihre aktive Beteiligung am Wirtschaftsverkehr einstellt. Der zur Vertretung der GmbH befugte Geschäftsführer ist vielfach nicht mehr auffindbar. Die nach § 137 AO vorgesehene Anzeige wird regelmäßig nicht erstattet.
Da sich in diesen Fällen der gem. § 20 Abs. 1 AO für die örtliche Zuständigkeit maßgebliche Ort der Geschäftsleitung regelmäßig nicht mehr feststellen lässt, kommt es zu einem Zuständigkeitswechsel, wenn sich der nunmehr gem. § 20 Abs. 2 AO maßgebliche Sitz der GmbH nicht im Bezirk des gem. § 20 Abs. 1 AO zuständig gewesenen Finanzamts befindet.
Auch in diesen Fällen sollte gem. § 26 Satz 2 AO regelmäßig das bisher für die Besteuerung zuständige Finanzamt das Verwaltungsverfahren fortführen und beenden.
OFD Hannover v. - S 0127 - 36 - StO 142
Fundstelle(n):
StBW 2009 S. 9 Nr. 4
SAAAD-03780