Leitsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: SGB V § 106; SGB V § 106 Abs 2 Satz 4; SGB V § 106 Abs 3 Satz 2 ff; SGB X § 20
Instanzenzug: SG Frankfurt am Main, S 5 KA 4418/01 vom
Gründe
I
Der Kläger wendet sich gegen Regresse wegen unwirtschaftlicher Verordnung von physikalisch-therapeutischen Leistungen.
Der Kläger ist als Arzt seit 1989 zur kassen- bzw vertragsärztlichen Versorgung im Bezirk der zu 1. beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) zugelassen. Sein Verordnungsaufwand je Behandlungsfall lag bei physikalisch-therapeutischen Maßnahmen in den Quartalen I bis III/1998 jeweils um 176 %, 155 % bzw 188 % über dem Durchschnitt der Fachgruppe der Allgemein- und Praktischen Ärzte.
Auf Antrag der Krankenkassen befasste sich der Prüfungsausschuss mit der Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise des Klägers. Der Kläger nahm Einsicht in die Verordnungsunterlagen der Quartale II und III/1998. Der Prüfungsausschuss lehnte die Festsetzung eines Regresses für das Quartal I/1998 ab, weil die Prüfung insoweit nicht fristgerecht beantragt worden sei. Für die Quartale II und III/1998 setzte er Regresse von 6.781,32 DM und 9.503,60 DM fest, deren Berechnung Rückforderungsbeträge von 7 DM je Fall im Quartal II/1998 und von 10 DM je Fall im Quartal III/1998 zugrunde lagen.
4
Der Kläger erhob Widerspruch wegen der Regresse für seinen Verordnungsaufwand in den Quartalen II und III/1998, die Krankenkassen legten Widerspruch ein wegen der Ablehnung eines Regresses für das Quartal I/1998. Der beklagte Beschwerdeausschuss zog Behandlungsscheine und Verordnungsblätter von den Krankenkassen bei - nach seinen Angaben entsprechend der Vorgabe von § 12 Abs 8 Prüfvereinbarung (PrüfV) mindestens ein Drittel. Außerdem lag ihm eine Verordnungsübersicht vor, aus der lediglich die Fallwerte der Heilmittelverordnungen des geprüften Arztes je Versichertengruppe (Mitglieder/Familienangehörige/Rentner) im Vergleich zu den Fallwerten der Fachgruppe ersichtlich waren; die sog erweiterte Heilmitteldatei war in den Akten nicht enthalten. Der Beklagte setzte für das Quartal I/1998 einen Regress fest, ausgehend von einem Rückforderungsbetrag von 7,75 DM je Fall, und hielt an den Regressen für die Quartale II und III/1998 im Wesentlichen fest (mit nur geringer Reduzierung bezogen auf das Quartal II/1998 und den Bereich der Familienangehörigen wegen der hier nur marginalen Durchschnittsüberschreitungen), woraus sich eine Regressgesamtsumme von 11.919,17 Euro ergab. Entgegen der Annahme des Prüfungsausschusses sei die Antragsfrist für die Prüfung des Quartals I/1998 nicht verstrichen gewesen. Für keines der Quartale könnten Praxisbesonderheiten oder kompensierende Einsparungen anerkannt werden (Bescheid vom ).
Der Kläger hat Klage beim Sozialgericht (SG) erhoben. Dieses hat den Beklagten zur erneuten Entscheidung über die Regresse für die Quartale I bis III/1998 verpflichtet (Urteil vom ). Zwar habe der Beklagte auf der Grundlage der von ihm beigezogenen Unterlagen und der sich daraus ergebenden Verordnungsweise zutreffend Unwirtschaftlichkeit angenommen; der Kläger habe mit seinen Überschreitungswerten die Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis deutlich überschritten, weder kompensierende Einsparungen noch Praxisbesonderheiten könnten anerkannt werden. Die der Annahme der Unwirtschaftlichkeit zugrunde liegende Datengrundlage sei aber nicht ausreichend. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger seine bisher nicht substantiierten Einwendungen gegen die Richtigkeit der den Regressen zugrunde gelegten Verordnungskosten in rechtlich erheblicher Weise ergänzen könne, wenn er einen entsprechenden Hinweis erhalte oder ihm weitere Unterlagen zugänglich gemacht würden. Daher müsse der Beklagte weitere Unterlagen beziehen und dem Kläger dann Gelegenheit zur Akteneinsicht geben, damit er sein Vorbringen konkretisieren könne.
Der Beklagte hat Berufung eingelegt. In diesem Verfahren hat er den Regress für das Quartal I/1998 reduziert - auf einen Rückforderungsbetrag von 6 DM je Fall -, im Übrigen aber an seinen Regressbescheiden festgehalten. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom ). Zwar müssten nicht sämtliche Originalverordnungsblätter bzw die davon angefertigten Printimages beigezogen werden; denn einen Anspruch darauf habe derjenige nicht, der nur pauschal und ohne konkrete Darlegungen die Richtigkeit der zugrunde gelegten Verordnungsdaten bestreite, wie dies hier noch nicht einmal geschehen sei. Die Prüfgremien müssten aber, um dem Kläger Gelegenheit zur Konkretisierung seines Vorbringens zu geben, weitere Unterlagen beiziehen, nämlich die von allen Krankenkassen zu erstellenden erweiterten Heilmitteldateien, und diese dem geprüften Arzt - von Amts wegen - zugänglich machen. Es reiche nicht aus, dass dem Arzt lediglich bereits zusammengefasste Verordnungsübersichten - ohne Einzeldaten und nur Fallwerte bestimmter Verordnungen je Versichertengruppe im Vergleich zur Fachgruppe - vorlägen bzw zugänglich gemacht würden. Die Beiziehung der erweiterten Heilmitteldateien sei nicht etwa deshalb entbehrlich, weil der Beklagte eine ergänzende Einzelfallprüfung mit anschließender Hochrechnung vorgenommen habe. Damit der Beklagte die erweiterten Heilmitteldateien noch beiziehen und dem Kläger zugänglich machen könne, seien die Prüfgremien zur Neubescheidung zu verpflichten.
Mit seiner Revision macht der Beklagte geltend, die Aufhebung seines Bescheides durch das LSG verletze Bundesrecht. Die von den Vorinstanzen geforderte Beiziehung der erweiterten Heilmitteldateien lasse sich weder aus § 106 SGB V noch aus § 20 SGB X rechtfertigen, und sie lasse sich auch nicht aus dem (BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11) ableiten. Da der Kläger die Richtigkeit der ihm elektronisch zugeordneten Verordnungskosten allenfalls unsubstantiiert bestritten habe, sei der Anscheinsbeweis, den die von den Krankenkassen elektronisch erfassten Verordnungskosten begründeten, nicht erschüttert. Eine Pflicht der Prüfgremien zur Beiziehung der erweiterten Heilmitteldateien könne auch nicht aus der PrüfV abgeleitet werden. Die Hessische PrüfV enthalte keine Bestimmung über eine solche Beiziehung. Darin sei lediglich - wie dies gemäß § 106 Abs 2 Satz 4 und Abs 3 Satz 2 ff SGB V vorgesehen werden könne - festgelegt, dass die Krankenkassen mindestens ein Drittel der Behandlungsausweise und Verordnungsblätter ihrem Antrag beifügen und einander zuordnen müssten, wie dies im Prüfverfahren betreffend den Kläger auch erfolgt sei. Die von den Vorinstanzen angenommene Pflicht zur Beiziehung weiterer Unterlagen könne ferner nicht auf den Vertrag über den Datenaustausch auf Datenträgern (Datenaustauschvertrag) gestützt werden. Denn dieser Vertrag lege zwar fest, dass erweiterte Heilmitteldateien zu erstellen seien, sehe aber keine Beiziehung oä vor. Im Übrigen entfalte dieser Vertrag Wirkung allein im Verhältnis zwischen den Vertragspartnern (den Spitzenverbänden der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung) und begründe keine Beiziehungs- und/oder Vorlagepflicht der Prüfgremien gegenüber den geprüften Ärzten.
Der Beklagte und die Beigeladene zu 1., die sich den Ausführungen des Beklagten anschließt
und diese vertieft, beantragen,
die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom und des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Beklagte beantragt außerdem
hilfsweise, das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die Entscheidungen der Vorinstanzen für zutreffend. Diese hätten den Beklagten zu Recht als verpflichtet angesehen, über seinen Widerspruch erneut zu entscheiden. Weil im Verfahren der Prüfgremien der Untersuchungsgrundsatz gelte, müssten diese von Amts wegen wichtige Erkenntnisquellen wie die erweiterten Heilmitteldateien heranziehen. Die Beiziehungspflicht gelte umso mehr dann, wenn er gegenüber den Prüfgremien Unvollständigkeiten der eingesehenen Verordnungsauflistungen und hohe Diskrepanzen bei den Verordnungskosten gerügt habe, dies aber nicht mehr zuverlässig habe belegen können, weil ihm die Daten in seinem Praxiscomputer verloren gegangen seien. Verordnungsübersichten mit bloßen Zusammenfassungen von Gesamtwerten je Vertragsarzt reichten nicht aus. Im Übrigen halte er daran fest, dass hinsichtlich des Quartals I/1998 die zwölfmonatige Prüfantragsfrist nicht eingehalten worden sei; darauf habe er vertraut; daher dürfe ihm nicht vorgehalten werden, insoweit keine Akteneinsicht genommen zu haben. Schließlich mache er weiterhin geltend, dass er durch seine Schwerpunktpraxis für Krebskranke erhebliche kompensierende Einsparungen (insbesondere Arznei- und Krankenhausbereich) und zugleich eine Praxisbesonderheit aufzuweisen habe.
Die Beigeladenen zu 2. bis 9. haben sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.
II
Die Revision des Beklagten ist begründet. Die vorinstanzlichen Urteile sind zu ändern und die Klage gegen den Regressbescheid des Beklagten ist abzuweisen. Der Regressbescheid ist rechtmäßig. Die Feststellung einer unwirtschaftlichen Verordnungsweise des Klägers beruht auf einer statistischen Vergleichsprüfung nach Durchschnittswerten, die weder von der Rechtsgrundlage her noch von der Art und Weise der Durchführung her zu beanstanden ist.
Rechtsgrundlage des Verordnungsregresses ist - wie bereits im angefochtenen Bescheid vom angegeben - § 106 Abs 2 SGB V (hier zugrunde zu legen in der Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes vom , BGBl I 2266). Danach wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung durch arztbezogene Prüfungen ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerten oder anhand von Richtgrößen (aaO Satz 1 Nr 1) und/oder auf der Grundlage von Stichproben (aaO Satz 1 Nr 2) geprüft. Über diese Prüfungsarten hinaus können die Landesverbände der Krankenkassen mit den KÄVen gemäß § 106 Abs 2 Satz 4 SGB V andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren (s zusammenfassend - SozR 4-2500 § 106 Nr 17 RdNr 12 f mwN). Die Auswahl unter den verschiedenen Prüfmethoden liegt grundsätzlich im Ermessen der Prüfgremien. Dabei war nach der im maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Rechtslage davon auszugehen, dass die Prüfung nach Durchschnittswerten wegen ihres hohen Erkenntniswerts bei verhältnismäßig geringem Verwaltungsaufwand die Regelprüfmethode darstellt (vgl BSG, aaO, RdNr 13; ebenso - SozR 4-1500 § 141 Nr 1 RdNr 19). Bei dieser Prüfmethode wird der Aufwand des geprüften Arztes je Fall mit dem durchschnittlichen Aufwand der Arztgruppe, der der Arzt angehört, verglichen. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass die Vergleichsgruppe im Durchschnitt insgesamt wirtschaftlich handelt (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 55 S 307 f; SozR 4-2500 § 106 Nr 2 RdNr 14, 15; Nr 3 RdNr 14). Ergibt die Prüfung, dass der Behandlungs- oder Verordnungsaufwand des Arztes in offensichtlichem Missverhältnis zum durchschnittlichen Aufwand der Vergleichsgruppe steht, ihn nämlich in einem Ausmaß überschreitet, das sich im Regelfall nicht mehr durch Unterschiede in der Praxisstruktur und in den Behandlungsnotwendigkeiten erklären lässt, so hat dies die Wirkung eines Anscheinsbeweises der Unwirtschaftlichkeit (stRspr, s dazu zB BSG SozR 4-1500 § 141 Nr 1 RdNr 19). Dies gilt ebenso, wenn es sich - wie dies im vorliegenden Fall in Rede steht - um Überschreitungen nur im Bereich der sog Übergangszone handelt, die Annahme der Unwirtschaftlichkeit aber durch eine ergänzende Einzelfallprüfung - evtl mit anschließender Hochrechnung - gestützt wird (s hierzu BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 50 S 267 f; vgl auch BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 9 RdNr 8). Der Anscheinsbeweis der Unwirtschaftlichkeit wird allerdings entkräftet, wenn der Arzt darlegt - und sich dies als zutreffend erweist -, dass bei ihm besondere, einen höheren Behandlungsaufwand rechtfertigende Umstände vorliegen, die für die zum Vergleich herangezogenen Ärzte untypisch sind (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 54 S 298 f mwN). Eine solche Entkräftung des Anscheinsbeweises kann sich zum einen aus Praxisbesonderheiten und zum anderen aus sog kompensierenden Einsparungen ergeben (stRspr, vgl zB BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 57 S 319).
Auf dieser Grundlage ist das SG, gestützt auf die vom Beklagten bei seiner Entscheidung ausgewerteten Verordnungsdaten des Klägers, zu der Beurteilung gelangt, dass die Verordnungsweise des Klägers teilweise unwirtschaftlich war. Das SG hat in seinem Urteil ausgeführt, dass der Kläger mit seinem Verordnungsaufwand die Grenze zum sog offensichtlichen Missverhältnis deutlich überschritten habe und weder Praxisbesonderheiten noch kompensierende Einsparungen anerkannt werden könnten. Gegen dieses Urteil des SG hat allein der Beklagte Berufung eingelegt. Der Kläger hat die Feststellungen und Bewertungen des SG weder mittels Einlegung einer Berufung bzw Anschlussberufung noch mittels Erhebung von sog Gegenrügen im Berufungsverfahren angegriffen, sodass diese Grundlagen im weiteren Verfahren für die Beteiligten bindend feststehen (zu dieser Bindungswirkung s - SozR 4-1500 § 141 Nr 1, insbesondere RdNr 23). Dementsprechend hat das LSG diese Feststellungen und Bewertungen in seinem Urteil nicht mehr überprüft, und ebenso wenig besteht im Revisionsverfahren eine Möglichkeit, sie zu überprüfen.
Der Überprüfung im Revisionsverfahren zugänglich sind allein die Feststellungen und Bewertungen, die Gegenstand des Berufungsverfahrens vor dem LSG gewesen und durch die Revision des Beklagten nunmehr auch Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden sind. Mithin ist vom Revisionsgericht nur zu überprüfen, ob der Beklagte die Verordnungsdaten, von denen er in seinem Regressbescheid ausgegangen ist, so zugrunde legen durfte oder ob die Vorinstanzen zu Recht den Bescheid aufgehoben und den Beklagten zur Neubescheidung verpflichtet haben.
Diese Überprüfung führt zu dem Ergebnis, dass die Verurteilung zur Neubescheidung nicht berechtigt gewesen ist. Dies ergibt sich aus den nachfolgend dargestellten Grundsätzen, die der Senat in seinen Urteilen vom und vom herausgearbeitet hat (BSGE 94, 273 = SozR 4-2500 § 106 Nr 9 und BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11) und die hier weiterentwickelt werden.
Nach der Rechtsprechung des Senats - sowohl zur sog pauschalen statistischen Vergleichsprüfung anhand von Durchschnittswerten als auch zur Richtgrößen-Prüfung (s vorgenannte BSG-Urteile) - ist zunächst von der Richtigkeit der elektronisch ermittelten Verordnungsvolumina auszugehen. Dies folgt aus der Konzeption der §§ 284 ff iVm §§ 296, 297 SGB V, wonach die elektronische Erfassung und Verarbeitung der verordnungsbezogenen Daten die Grundlage für die Verordnungsprüfung bilden sollen (BSGE 94, 273 = SozR 4-2500 § 106 Nr 9, jeweils RdNr 12 ff; BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11, jeweils RdNr 26 ff). Die auf den Verordnungsblättern enthaltenen Informationen werden im Wege elektronischer Datenverarbeitung eingelesen, den einzelnen Ärzten über die angegebene Arztnummer zugeordnet und dann weiterverarbeitet. Hierdurch wird nicht nur die rationelle Bewältigung der massenhaft im gesamten Bundesgebiet anfallenden Datenmengen ermöglicht, sondern zugleich auch gewährleistet, dass möglicherweise sensible Gesundheitsdaten ohne unmittelbaren Versichertenbezug übermittelt und für Zwecke der Wirtschaftlichkeitsprüfung ausgewertet werden. Die im Rahmen einer solchen elektronischen Datenverarbeitung möglichen Fehlerquellen sind dabei qualitativ nicht grundsätzlich anders als Fehlerfassungen, wie sie bei der Zusammenführung, Sortierung und Saldierung von in Papierform vorliegenden Verordnungsblättern auftreten können. Deshalb ist nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber als Basis für die Wirtschaftlichkeitsprüfung der Verordnungsweise die aufgrund elektronischer Übermittlung und IT-gesteuerter Zusammenfassung gewonnenen Verordnungsdaten des jeweiligen Arztes und seiner Arztgruppe vorgegeben hat.
Ergibt sich allerdings für die Prüfgremien der Verdacht von Fehlern bei der Berechnung des dem geprüften Arzt zugeordneten Verordnungsvolumens oder macht der geprüfte Arzt substantiierte Zweifel geltend - dh konkrete und plausible Angaben, die die Richtigkeit der elektronisch ermittelten Ergebnisse zweifelhaft erscheinen lassen -, so müssen die Prüfgremien dem nachgehen und erforderlichenfalls weitergehende Ermittlungen anstellen (BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11, jeweils RdNr 31 iVm RdNr 33). Führt dies zur Feststellung von Fehlern, so sind in dementsprechendem Umfang Verordnungsbeträge in Abzug zu bringen. Dies gilt auch dann, wenn sich die substantiiert geltend gemachten Zweifel nicht aufklären lassen, weil die davon betroffenen Verordnungsblätter bzw Printimages nicht mehr vorgelegt werden können (BSG, aaO, RdNr 33).
Betrifft der Korrekturbedarf ein erhebliches Verordnungsvolumen - dh mindestens 5 % der Verordnungskosten -, so ist der Anscheinsbeweis der Vermutung der Richtigkeit, den die elektronisch erfassten und verarbeiteten Verordnungsdaten begründen, erschüttert. Dann müssen sämtliche einzelnen Verordnungsblätter bzw Printimages des Arztes herangezogen werden, und die vom Arzt tatsächlich veranlassten Verordnungskosten sind durch individuelle Auswertung sämtlicher noch vorhandener Verordnungsblätter bzw Printimages zu ermitteln. Soweit die vollständige Beiziehung der Verordnungsblätter bzw Printimages nicht gelingt, haben die Prüfgremien einen entsprechenden Sicherheitsabschlag von dem ggf festzusetzenden Regress vorzunehmen (BSG, aaO, RdNr 33).
In Fortführung dieser Grundsätze ist die im vorliegenden Verfahren im Vordergrund stehende Frage, ob bzw unter welchen Voraussetzungen die Prüfgremien sich von den Krankenkassen die sog erweiterten Arznei- bzw Heilmitteldateien vorlegen lassen und sie dem geprüften Arzt zur Einsicht zur Verfügung stellen müssen, dahingehend zu beantworten, dass die Prüfgremien hierzu - entgegen der Auffassung des LSG - nicht in jedem Fall von Amts wegen verpflichtet sind. Dies ist vielmehr nur dann im Sinne des § 21 Abs 1 Satz 1 SGB X erforderlich, wenn die Prüfvereinbarung dies vorschreibt (was im streitgegenständlichen Zeitraum in Hessen anders als in anderen KÄV-Bezirken nicht der Fall war) oder aber der geprüfte Arzt substantiierte Zweifel gegenüber dem elektronisch ermittelten Verordnungsvolumen vorbringt und zur weiteren Aufklärung die Heranziehung der erweiterten Arznei- bzw Heilmitteldateien verlangt. Dabei brauchen die Zweifel allerdings nicht ein erhebliches Verordnungsvolumen von mindestens 5 % der Verordnungskosten zu betreffen, sondern es reicht aus, wenn sie sich nur auf einzelne Verordnungsbeträge beziehen und zur Behebung der Zweifel die Heranziehung der erweiterten Arznei- bzw Heilmitteldateien möglicherweise hilfreich sein kann. Die Anforderungen daran, von welchen Voraussetzungen die Heranziehung der erweiterten Arznei- bzw Hilfsmitteldateien abhängig gemacht wird, dürfen nicht überspannt werden. Denn diesen Statistiken kann - vergleichbar den Häufigkeitsstatistiken im Honorarbereich - im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung erhebliche Bedeutung zukommen. Ihre Erstellung ist gemäß § 295 Abs 3 SGB V iVm den dazu getroffenen näheren Vereinbarungen vorgesehen, und sie enthalten eine für die Prüfpraxis ggf aufschlussreiche Zusammenstellung zahlreicher Daten (vgl dazu § 295 Abs 3 SGB V und BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11, jeweils RdNr 32 f).
Soweit die Prüfgremien auf entsprechende Darlegungen des Arztes hin verpflichtet gewesen wären, sich von den Krankenkassen die erweiterten Arznei- bzw Heilmitteldateien vorlegen zu lassen und sie dem Arzt zur Einsicht zur Verfügung zu stellen, stellt ihre Nichteinbeziehung zur Sachverhaltsaufklärung einen Verfahrensfehler dar, der grundsätzlich zur Aufhebung des Bescheides des Beschwerdeausschusses führt. Die ergänzende Beiziehung von Unterlagen mit anschließender Feststellung der daraus zu entnehmenden Tatsachen und deren Bewertung sind im Rahmen von Wirtschaftlichkeitsprüfungen grundsätzlich den Prüfgremien vorbehalten, weil diese bei der Entscheidung über die Wirtschaftlichkeit oder Unwirtschaftlichkeit einen Beurteilungsspielraum haben, es sei denn, es wären lediglich rechnerische oä Fragen betroffen (vgl dazu umfassend BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11, jeweils RdNr 36 mwN). Erübrigen würde sich die an sich erforderliche Beiziehung weiterer Unterlagen - und dementsprechend die gerichtliche Aufhebung des angefochtenen Bescheides - nur dann, falls es im Sinne des § 42 Satz 1 SGB X offensichtlich wäre, dass der Fehler die Entscheidung des Beschwerdeausschusses in der Sache nicht beeinflusste. Dies könnte etwa dann in Betracht kommen, wenn im Gerichtsverfahren die erweiterten Arznei- bzw Heilmitteldateien vorgelegt worden sind und anhand dieser Unterlagen vom Beklagten bzw von den Krankenkassen nachvollziehbar dargestellt wird, dass die vom geprüften Arzt erhobenen Einwendungen gegen die Richtigkeit des ihm elektronisch zugeordneten Verordnungsvolumens nicht durchgreifen. Ohne solche Darlegungen kann jedoch nicht angenommen werden, es sei offensichtlich, dass das Fehlen dieser Dateien die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst habe (zum notwendig engen Verständnis des Merkmals der Offensichtlichkeit vgl zB Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl 2008, § 46 RdNr 78 ff; s auch Steinwedel in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, SGB X, Stand Mai 2006, § 42 RdNr 8 ff).
Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, dass der Beklagte davon absehen durfte, die erweiterten Heilmitteldateien beizuziehen. Es fehlt an ausreichenden Anhaltspunkten, um entgegen der Bewertung des LSG davon auszugehen, der Kläger habe substantiierte Zweifel an der Richtigkeit der elektronisch erfassten Verordnungskosten geltend gemacht. Die Beurteilung des LSG, die vom Kläger dagegen erhobenen Einwendungen könnten nicht einmal als pauschales und unkonkretes Bestreiten angesehen werden, ist nicht erschüttert. Zwar hat er im Revisionsverfahren geltend gemacht, er habe schon früher die Richtigkeit der Verordnungsdaten bestritten, nämlich Unvollständigkeiten der eingesehenen Verordnungsauflistungen und hohe Diskrepanzen bei den Verordnungskosten gerügt. Dieses Vorbringen vermag aber nicht Tatsachenbewertungen, die im Berufungsurteil enthalten sind, ohne entsprechende Verfahrensrüge oä zu erschüttern. Zudem ist zu beachten, dass ein substantiiertes Infragestellen sich auf Verordnungen gerade für das Quartal, auf das sich der angefochtene Regress bezieht, bezogen haben müsste (zum Erfordernis gesonderter Beurteilung jeden Quartals s zB -, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, und LSG Baden-Württemberg MedR 1996, 139, 142 unter 4.a).
Eine andere Beurteilung kann sich nicht aus dem Vorbringen des Klägers ergeben, ihm seien die Daten in seinem Praxiscomputer verloren gegangen ("Absturz des Praxiscomputers"), sodass er zu substantiierten Einwendungen gegen die von den Prüfgremien angeführten Verordnungsdaten nicht in der Lage gewesen sei. Darauf kann sich der Kläger nicht berufen, weil es eine Obliegenheit jeden Arztes ist, für den Fall von Datenverlust Sicherungskopien anzulegen (vgl § 42 Abs 6 Bundesmantelvertrag-Ärzte idF vom , DÄ 1995, C-395, 407). Derjenige, der dies unterlässt, muss die Folgen davon tragen. Ihm können Erleichterungen bei den Anforderungen an eine substantiierte Darlegung - sei es im Rahmen von Praxisbesonderheiten oder im Rahmen von Einwendungen gegen zugrunde gelegte Verordnungsdaten - nicht gewährt werden.
Nach alledem sind die vorinstanzlichen Entscheidungen auf die Revision des Beklagten hin zu ändern und die Klage gegen die Verordnungsregresse für die Quartale I bis III/1998 ist abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und Abs 4 SGG in der bis zum geltenden und hier im Hinblick auf die Klageerhebung vor diesem Stichtag maßgeblichen Fassung (vgl BSG SozR 3-2500 § 116 Nr 4 S 115 ff).
Die Festsetzung des Gegenstandswerts auf 23.312 DM = 11.919 Euro erfolgt auf der Rechtsgrundlage des § 33 Abs 1 iVm § 23 Abs 3 Satz 2 Halbsatz 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (zu dieser Rechtsgrundlage in Fällen, in denen die Klage vor dem anhängig geworden, die Revisionsinstanz aber erst nach dem angerufen worden ist, s BSG SozR 4-1935 § 33 Nr 1 = NZS 2005, 557 und zuletzt -). Dessen Bemessung erfolgt nach denselben Grundsätzen, wie sie der Senat in ständiger Rechtsprechung zur Festsetzung nach dem Gerichtskostengesetz entwickelt hat. Dementsprechend ist für den Gegenstandswert im Falle von Honorarkürzungen oder Regressen der volle Betrag zugrunde zu legen, wie dieser in dem angefochtenen Bescheid ausgewiesen bzw im Instanzenzug noch streitbefangen ist (so auch Wenner/Bernard, NZS 2001, 57, 64; 2003, 568, 572; 2006, 1, 7; jeweils unter IV. 2.). Die vom LSG vorgenommene Halbierung, wie sie von den Verwaltungsgerichten bei Verpflichtungs-Neubescheidungen praktiziert wird, passt nicht auf Neubescheidungen, die - wie vorliegend - im Rahmen der Anfechtung eines belastenden Verwaltungsakts begehrt und ausgesprochen werden. Bei Anfechtungsklagen wird - auch von den Verwaltungsgerichten - anerkannt, dass der mit dem Verwaltungsakt angeforderte Betrag stets in voller Höhe als Streitwert zugrunde zu legen ist. Dabei ist unerheblich, dass nach der Rechtsprechungspraxis des BSG in Angelegenheiten der Wirtschaftlichkeitsprüfung verfahrenstechnisch im Rahmen von Anfechtungsklagen Neubescheidungsurteile ergehen und dementsprechend auch die Sachanträge der Beteiligten typischerweise nur auf eine Neubescheidung gerichtet sind (s hierzu insbesondere Wenner/Bernard NZS 2001, 57, 64).
Fundstelle(n):
JAAAD-02801