Leitsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: SGB XI § 72; SGB XI § 75; SGB XI § 85; InsO § 96 Abs 1 Nr 3
Instanzenzug: LSG Nordrhein-Westfalen, L 6 P 92/05 vom SG Köln, S 23 P 53/02 vom
Gründe
I
Streitig ist, ob die beklagte Pflegekasse mit offenen Beitragsschulden eines in Insolvenz geratenen Leistungserbringers gegen Vergütungsansprüche für Pflegeleistungen aufrechnen kann, die dieser an pflegebedürftige Versicherte der Beklagten erbracht hat.
Der Kläger ist Verwalter über das Vermögen der R. GmbH (nachfolgend: Gemeinschuldnerin), die als Trägerin von Pflegeeinrichtungen im Frühjahr 2001 in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet. In deren Folge wurde im Juni 2001 die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet und am das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Gemeinschuldnerin erbrachte noch im Juli 2001 Pflegeleistungen für Versicherte der beklagten Pflegekasse und verlangte dafür - nunmehr durch den Kläger - die von der Beklagten zu entrichtende Pflegevergütung. Dagegen hat diese mit dem von ihr beanspruchten Anteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag aufgerechnet, der von der Gemeinschuldnerin seit April 2001 nicht mehr bezahlt worden und bis zum zu einem offenen Gesamtbetrag von 1.253.232,19 DM aufgelaufen war. Daraus hat die Beklagte den Anteil für die Pflegeversicherung mit 49.939,28 DM ermittelt und diesen zuzüglich Säumniszuschlägen in Höhe von 700,07 DM zur Aufrechnung gestellt (Aufrechnungsbescheid vom ).
Der Kläger sieht die Aufrechnungserklärung gemäß § 96 Abs 1 Nr 3 Insolvenzordnung (InsO) als unwirksam an und hat die Zahlung des im Juli fällig gewordenen Entgelts bis zum verlangt. Die Beklagte hat darin einen Widerspruch gegen ihren Aufrechnungsbescheid gesehen, den sie bis auf einen Teilbetrag von 5.000 DM wegen einer anderweitigen Abtretung zurückgewiesen hat (Änderungsbescheid vom ). Die Aufrechnung sei weiter wirksam, da es an einer anfechtbaren Rechtshandlung iS von § 96 Abs 1 Nr 3 InsO fehle (Widerspruchsbescheid vom ).
Mit seiner Klage hat der Kläger das restliche Entgelt für die im Juli 2001 erbrachten Pflegeleistungen in Höhe von 22.128,06 Euro nebst Zinsen verlangt. Das Sozialgericht (SG) hat die Bescheide vom und in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom aufgehoben, weil es an einer für ein Handeln durch Verwaltungsakt notwendigen hoheitlichen Maßnahme fehle, und die Klage im Übrigen abgewiesen (Urteil vom ). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom ): Diese sei zwar zulässig, denn es müsse davon ausgegangen werden, dass der Kläger erstmals am von dem ohne mündliche Verhandlung ergangenen Urteil des SG Kenntnis erlangt habe. Jedoch sei der Vergütungsanspruch der Gemeinschuldnerin durch die Aufrechnung erloschen. Ihr liege keine anfechtbare Rechtshandlung iS von §§ 96 Abs 1 Nr 3, 130 InsO zugrunde. Die Beklagte habe selbst keine Pflegeleistungen entgegengenommen und müsse sich die Entgegennahme durch die Heimbewohner nicht als eigene zurechnen lassen.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Die Aufrechnung sei nach § 96 Abs 1 Nr 3 InsO unwirksam. Anfechtbar sei die Werthaltigmachung eines zuvor bestehenden Anspruchs, hier auf Pflegeleistungen durch die Gemeinschuldnerin. Dafür komme es nicht darauf an, ob die Beklagte selbst eine relevante Rechtshandlung vorgenommen habe. Maßgeblich sei nur, dass das Vermögen des Gemeinschuldners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändert werde. Das Insolvenzrecht verhindere, dass ein Gläubiger - hier die Beklagte - durch Aufrechnung mit einer wertlosen Insolvenzforderung gegenüber anderen Gläubigern einen Sondervorteil erlange.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom sowie des Sozialgerichts Köln vom zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn als Insolvenzverwalter der R. GmbH den Betrag von 22.128,06 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem zu zahlen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision des Klägers ist begründet. Zu Unrecht hat das LSG entschieden, dass der Entgeltanspruch der Gemeinschuldnerin durch Aufrechnung erloschen und die Zahlungsklage des Klägers deshalb unbegründet ist. Die Beklagte war bereits beitragsrechtlich nicht zur Aufrechnung mit Beitragsansprüchen befugt, weshalb es auf die Frage der insolvenzrechtlichen Wirksamkeit der Aufrechnung nicht ankommt.
1. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor. Insbesondere war die am eingelegte Berufung gegen das nicht wegen Versäumung der Berufungsfrist unzulässig (§ 151 SGG). Lässt sich nach den Akten mangels Zustellungsnachweises urkundlich nicht nachweisen, ob die Berufung rechtzeitig eingelegt worden ist, so gilt sie als rechtzeitig eingelegt, wenn sich aus dem verbliebenen Akteninhalt kein hinreichender Anhalt für das Gegenteil ergibt (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 64 RdNr 6a unter Verweis auf BSG SozR Nr 13 zu § 151 SGG und BGH NJW 81, 1673, 1674). So liegt es hier. Weder den Gerichtsakten noch anderen Umständen kann entnommen werden, dass dem Kläger das ohne mündliche Verhandlung ergangene Urteil vor seiner Akteneinsicht am bekannt geworden sein könnte.
2. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist ausschließlich der mit Berufung und Revision weiterverfolgte Anspruch der Gemeinschuldnerin auf das anteilige Entgelt für die im Juli 2001 erbrachten Pflegeleistungen, soweit dafür die Beklagte aufzukommen und noch keine Zahlung geleistet hat. Dagegen ist über den Bestand des Aufrechnungsbescheides vom und die Folgebescheide nicht mehr zu befinden. Sie sind durch das Urteil des SG aufgehoben worden, ohne dass die Beklagte Berufung oder Anschlussberufung eingelegt hätte. Insoweit ist das Urteil des SG in Rechtskraft erwachsen und auch für das Revisionsverfahren bindend.
3. Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs der Gemeinschuldnerin sind die für ihre Pflegeeinrichtungen mit den Landesverbänden der Pflegekassen im Einvernehmen mit dem Landschaftsverband Rheinland geschlossenen Versorgungsverträge nach § 72 SGB XI iVm dem Rahmenvertrag nach § 75 SGB XI ua zwischen den Landesverbänden der Pflegekassen in Nordrhein-Westfalen und den Vereinigungen der Träger der ambulanten oder stationären Pflegeeinrichtungen vom sowie den Pflegesatzvereinbarungen nach § 85 SGB XI. Wie der Senat bereits entschieden hat, steht den Heimträgern für die vollstationäre Heimpflege der Versicherten auf dieser Rechtsgrundlage bis zu den Höchstbeträgen des § 43 Abs 5 SGB XI ein unmittelbarer vertraglicher Zahlungsanspruch gegen die Pflegekassen zu (vgl BSGE 95, 102, 105 = SozR 4-3300 § 43 Nr 1 RdNr 18); dem entspricht nunmehr die zum Zeitpunkt der Leistungserbringung noch nicht in Kraft getretene Regelung des § 87a Abs 3 Satz 1 SGB XI, dass die den Heimbewohnern zustehenden Leistungsbeträge von der Pflegekasse mit befreiender Wirkung unmittelbar an das Pflegeheim zu zahlen sind. Die Pflegeeinrichtungen werden insoweit gemäß ihren Verpflichtungen aus dem Versorgungsvertrag und der Pflegesatzvereinbarung tätig und erfüllen die den Pflegekassen gegenüber den Versicherten bestehende Sachleistungspflicht (§§ 4 Abs 1, 43 Abs 1 SGB XI). Die Beträge nach § 43 Abs 5 SGB XI stehen den Versicherten nicht als Geldleistung der sozialen Pflegeversicherung zu, wie es beim Pflegegeld für selbst beschaffte Pflegehilfen (§ 37 SGB XI) der Fall ist, sondern den Heimträgern als Entgelt der Pflegekassen für erbrachte Sachleistungen.
4. Der Vergütungsanspruch der Gemeinschuldnerin ist nicht durch Aufrechnung erloschen. Die Beklagte und ihr folgend die Vorinstanzen haben verkannt, dass aufgrund der Einbeziehung der Beiträge zur Pflegeversicherung in den Gesamtsozialversicherungsbeitrag (§ 28d Satz 2 SGB IV) das für die Wirksamkeit der Aufrechnung analog § 387 BGB vorausgesetzte Verhältnis der Gegenseitigkeit von Forderung und Gegenforderung nicht bestanden hat und die Aufrechnung deshalb unwirksam war.
a) Die Aufrechnung mit Beitragsansprüchen gegen den Vergütungsanspruch - dieser stellt keine Geldleistung iS von § 51 SGB I dar - ist in entsprechender Anwendung der §§ 387, 389 BGB (vgl § 61 Satz 2 SGB X) nur wirksam, wenn zwischen den zur Aufrechnung gestellten Forderungen ein Gegenseitigkeitsverhältnis gemäß § 387 BGB besteht. Eine zur Aufrechnung berechtigende Aufrechnungslage liegt danach nur vor, wenn zwei Personen "einander" Leistungen schulden, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, der Gläubiger der Hauptforderung also zugleich Schuldner der Gegenforderung und der Schuldner der Hauptforderung zugleich Gläubiger der Gegenforderung ist (vgl etwa Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Aufl 2008, § 387 RdNr 5; Schlüter in MünchKomm, BGB, 5. Aufl 2007, § 387 RdNr 17). Eine solche Aufrechnungslage hat vorliegend nicht bestanden. Denn während die Beklagte zwar den streitigen Vergütungsanspruch zu erfüllen hat, ist der Anspruch auf Beiträge zur Pflegeversicherung in den Gesamtsozialversicherungsbeitrag einbezogen und steht deshalb allein der Einzugsstelle zu (dazu b und c). Eine im Außenverhältnis eigenständig durchsetzbare Forderungsberechtigung der Beklagten besteht deshalb nicht (dazu d und e), weshalb es auch an der Grundlage für eine Aufrechnung fehlt (dazu f).
b) Die Einziehung und Verwaltung der Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung liegt im Beitragseinzugsverfahren nach §§ 28d ff SGB IV in der ausschließlichen Zuständigkeit der Einzugsstellen. Wie die Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung sind auch die Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung - bezogen auf die in der Krankenversicherung kraft Gesetzes versicherten Beschäftigten - als Teil des einheitlichen Gesamtsozialversicherungsbeitrags an die zuständige Krankenkasse als Einzugsstelle "zu zahlen" (§§ 28d Satz 1 und 2, 28h Abs 1 Satz 1 SGB IV) und von dieser an die jeweiligen Versicherungsträger weiterzuleiten (§ 28k Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB IV). Das Gesetz trägt mit dieser Zuständigkeitszuweisung dem Umstand Rechnung, dass die Versicherungspflicht in den genannten Versicherungszweigen mit der Anknüpfung an die abhängige Beschäftigung weithin gleichen Grundsätzen folgt, und ordnet deshalb an, dass die Beiträge für alle Versicherungszweige einheitlich berechnet und als Gesamtsozialversicherungsbeitrag abgeführt werden. Dazu sind den Einzugsstellen umfassende Verwaltungszuständigkeiten übertragen. Bei ihnen konzentriert ist die Entscheidung über die Versicherungspflicht und die Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung sowie die Prüfung, ob die Arbeitsentgeltgrenzen bei geringfügiger Beschäftigung nach den §§ 8 und 8a SGB IV eingehalten sind (vgl § 28h Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB IV). Ebenso obliegen die Überwachung der Einreichung des Beitragsnachweises und der Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags (§ 28h Abs 1 Satz 2 SGB IV) sowie die Entscheidungen über Stundung, Niederschlagung und Erlass von Beitragsansprüchen den Einzugsstellen (§ 76 Abs 3 SGB IV). Schließlich sind auch nicht rechtzeitig erfüllte Beitragsansprüche von den Einzugsstellen "geltend zu machen" (§ 28h Abs 1 Satz 3 SGB IV).
c) Die Wahrnehmung der Rechte an den einzuziehenden Beiträgen obliegt bis zur Verteilung der Mittel im Außenverhältnis zu den Beitragsschuldnern ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zufolge ausschließlich den Einzugsstellen. Insoweit ist geklärt, dass die Rechtsbeziehungen zwischen der Einzugsstelle und dem beteiligten Träger als Treuhandverhältnis ausgestaltet sind - und zwar so, dass die Einzugsstelle Inhaberin der Beitragsforderung gegenüber den Beitragsschuldnern ist, die Beitragsforderung jedoch im Innenverhältnis zum Versicherungsträger ein für die Einzugsstelle fremdes Recht bleibt. Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise stehen deshalb die Beiträge ausschließlich den betroffenen Versicherungsträgern zu, weshalb zB für die Weiterleitung der eingegangenen Beiträge ein besonderes Verfahren normiert ist und die Einzugsstellen ua zum Schadensersatz bei Verstößen gegen die Pflicht zur vollständigen Beitragserhebung sowie zur Herausgabe von Zinsen verpflichtet sein können, soweit solche durch die Anlage von Versicherungsbeiträgen vor deren ordnungsgemäßer Weiterleitung erzielt worden sind (vgl BSGE 15, 118, 122 f = SozR Nr 2 zu § 1399 RVO; BSGE 51, 247, 249 f = SozR 2200 § 1399 Nr 14; BSGE 56, 255, 256 f = SozR 2200 § 1433 Nr 1; BSGE 73, 106, 110 = SozR 3-2200 § 1436 Nr 1; BSG SozR 3-2400 § 28r Nr 2 S 2 ff; BSG SozR 3-2400 § 28l Nr 1 S 2 ff; BSG SozR 3-2400 § 28r Nr 4 S 10 ff). Im Außenverhältnis tritt jedoch nur die Einzugsstelle als Beitragsgläubigerin auf. Insoweit hat das BSG in ständiger Rechtsprechung herausgestellt, dass die gesetzliche Übertragung von Gläubigerrechten in den §§ 28d ff SGB IV der zivilrechtlichen Abtretung zum Zwecke der Einziehung ähnelt, wobei der Zessionar die Forderung für Rechnung des Zedenten einzieht und das, was er erhält, an den Zedenten abzuliefern hat. Er kann dementsprechend über die Forderung verfügen, er erhält also die volle Gläubigerstellung (vgl BSGE 15, 118, 122 f = SozR Nr 2 zu § 1399 RVO; BSGE 56, 255, 257 = SozR 2200 § 1433 Nr 1). Demgemäß hat das BSG die Stellung der Einzugsstelle als die eines "Prozessstandschafters" für den beteiligten Versicherungsträger qualifiziert (vgl BSGE 55, 297, 298 = SozR 5375 § 2 Nr 1), bei der wie bei einer "Inkassoermächtigung" die Einzugsstelle im Außenverhältnis als Inhaberin der Forderung aufzutreten hat (vgl BSGE 51, 247, 249 f = SozR 2200 § 1399 Nr 14 mit Anm Tannen, DRV 1981, 546; ebenso BSGE 15, 118, 123 = SozR Nr 2 zu § 1399 RVO; BSGE 56, 255, 257 = SozR 2200 § 1433 Nr 1; BSGE 73, 106, 110 = SozR 3-2200 § 1436 Nr 1).
d) Die Verteilung der Befugnisse und Kompetenzen im Beitragseinzugsverfahren erlaubt es nicht, dass ein am Einzugsverfahren nur wirtschaftlich beteiligter Versicherungsträger im Außenverhältnis zum Beitragsschuldner zusätzlich neben der Einzugsstelle auftritt und Zahlung der ihm gebührenden Beiträge an sich selbst verlangt. Eine solche Rechtsposition steht den einzelnen in § 28d SGB IV genannten Versicherungsträgern nicht zu; dies würde auch dem Sinn des Einzugsstellenverfahrens widersprechen, dass alle gesetzlich vorgesehenen Sozialversicherungsbeiträge für Arbeitnehmer gesammelt und einheitlich abzuführen sind. Die Entscheidung über die Versicherungspflicht und die Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung trifft gemäß § 28h Abs 2 Satz 1 SGB IV allein die Einzugsstelle; diese Kompetenz ist ausschließlich. Sie hat zur Folge, dass über Beitragspflicht und Beitragsschuld nur im Verhältnis zwischen Einzugsstelle und Beitragsschuldner entschieden wird (vgl zuletzt eingehend BSG SozR 4-2400 § 28h Nr 1 RdNr 7 ff). Nur diese Beschränkung auf eine zur Alleinentscheidung berufene Stelle gewährleistet, dass im Verhältnis zum Beitragsschuldner die Förmlichkeiten des Verwaltungsverfahrens einschließlich der Vorschriften über die Bestandskraft von Verwaltungsakten (§§ 39 ff SGB X) eingehalten und divergierende Entscheidungen vermieden werden. Damit dient das Einzugsstellenverfahren nicht zuletzt auch den Interessen der Beitragsschuldner an einer für alle Versicherungszweige einheitlichen Beitragserhebung (vgl zur Fürsorgepflicht der Einzugsstelle den Arbeitgebern gegenüber BSGE 55, 297, 299 = SozR 5375 § 2 Nr 1). Damit wäre es unvereinbar, wenn ein Versicherungsträger - wie hier die Beklagte - für sich in Anspruch nehmen würde, im Verhältnis zum Beitragsschuldner neben der Einzugsstelle selbst nach Grund und Höhe über den geschuldeten Beitrag entscheiden zu können.
e) Da die Beklagte im Verhältnis zum Beitragsschuldner keine verbindlichen Entscheidungen über Grund und Höhe des sie betreffenden Versicherungsbeitrags treffen kann, fehlt ihr auch die Befugnis zur Aufrechnung. Dies ist die zwingende Konsequenz aus der Tatsache, dass im Außenverhältnis allein die Einzugsstelle als Gläubigerin - fiduziarisch - auftritt und nicht der wirtschaftlich begünstigte einzelne Versicherungsträger. Wie bei einer Beitragsfestsetzung durch Verwaltungsakt beansprucht die Aufrechnung die Kompetenz, Grund und Höhe des Beitragsanspruchs im Verhältnis zum Schuldner verbindlich bestimmen zu können. Insoweit ist der Beitragseinzug durch Aufrechnung wirtschaftlich nur eine andere Form der Beitragserhebung; für den Adressaten allerdings mit dem zusätzlichen Nachteil, dass ihm - könnte die Entscheidung durch bloße rechtsgeschäftliche Aufrechnungserklärung getroffen werden, wie das SG meint - wesentliche Schutzrechte des förmlichen Verwaltungsverfahrens verloren gehen. Demgemäß kann der Beitrag zur Sozialversicherung als eine aufrechnungsrechtlich "eigene" Forderung des aufrechnenden Versicherungsträgers nicht angesehen werden, solange ihm nicht auch die Kompetenz zusteht, den von ihm beanspruchten Betrag (auch) der Höhe nach zu bestimmen. Daran fehlt es hier.
Dieses Ergebnis findet seine Stütze zudem nicht nur in § 28h Abs 1 Satz 3 SGB IV, sondern auch in § 76 Abs 2 und 3 SGB IV: Danach darf für Ansprüche auf den Gesamtsozialversicherungsbeitrag allein die zuständige Einzugsstelle Entscheidungen über Stundung, Niederschlagung und Erlass treffen, jedoch nicht der einzelne Versicherungsträger. Eine Beteiligung des zuständigen Versicherungsträgers ist lediglich in den Fällen des § 76 Abs 3 Satz 3 SGB IV vorgesehen. Ähnliches gilt für einen Vergleich über rückständige Beitragsansprüche; auch die Abschlusskompetenz hierfür obliegt allein der Einzugsstelle (§ 76 Abs 4 Satz 1 SGB IV). Es ist kein Grund ersichtlich, die Frage der Aufrechnungsbefugnis hiervon abweichend zu beurteilen.
5. Mangels rechtswirksamer Aufrechnung ist die - der Höhe nach zwischen den Beteiligten nicht im Streit stehende - Zahlungsklage des Klägers einschließlich des geltend gemachten Zinsanspruchs (§ 288 Abs 1 BGB) begründet.
6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG iVm § 154 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1 und § 47 Abs 1 Gerichtskostengesetz.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
EAAAD-02791