Leitsatz
[1] Verfügt der Schuldner nach Aussetzung der Vollziehung einer Pfändungs- und Einziehungsverfügung der Finanzverwaltung über das gepfändete Konto, werden die Insolvenzgläubiger dadurch benachteiligt.
Gesetze: InsO § 129; InsO § 143; InsO § 131 Abs. 1 Nr. 1
Instanzenzug: AG Hamburg-St. Georg, 915 C 612/05 vom LG Hamburg, 303 S 8/06 vom
Tatbestand
Der Kläger ist Verwalter in dem am beantragten und am eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der A. GmbH (fortan: Schuldnerin). Er verlangt von der beklagten Sozialversicherungsträgerin Rückgewähr von insgesamt 4.001,99 € nach Anfechtung einer Scheckzahlung.
Mit Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom pfändete das Zentralfinanzamt M. die Ansprüche der Schuldnerin gegen die ...bank M. (fortan: Bank) aus dem dort geführten Geschäftskonto. Diese Pfändungs- und Einziehungsverfügung setzte es am gegen Zahlung von 16.000 € bis auf weiteres aus. Am ließ sich der Vollstreckungsbeamte der Beklagten von der Schuldnerin einen Scheck aushändigen, den die Beklagte sodann bei der Bank zur Einlösung einreichte. Zu dieser Zeit standen gegen die Schuldnerin gerichteten Forderungen in Höhe von insgesamt 132.940,20 € liquide Mittel in Höhe von 2.605,50 € gegenüber. Nachdem auf dem Konto der Schuldnerin ein Zahlungseingang in Höhe von 39.797 € erfolgt war, zahlte die Bank am den Betrag von 4.001,99 € an die für Zwangsvollstreckungsmaßnahmen der Beklagten zuständige Stelle aus.
Die Klage auf Rückgewähr der 4.001,99 € hatte in beiden Vorinstanzen Erfolg. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision will die Beklagte die Abweisung der Klage erreichen.
Gründe
Die Revision bleibt ohne Erfolg.
1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Kläger habe einen Anspruch auf Rückgewähr aus §§ 143, 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Die Belastung des Geschäftskontos der Schuldnerin am habe deren Gläubiger benachteiligt. Das Pfändungspfandrecht des Zentralfinanzamts M. stehe der Benachteiligung nicht entgegen. Durch die Aussetzung sei eine Einschränkung des Zahlungsverbotes nach § 309 Abs. 1 Satz 1 AO eingetreten, in deren Folge das Kontoguthaben wieder für Verfügungen der Schuldnerin und dem Zugriff der Gläubiger offen gestanden habe.
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung stand.
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückgewähr von 4.001,99 € aus §§ 129, 131 Abs. 1 Nr. 1, § 143 Abs. 1 InsO.
a) Die Belastung des Geschäftskontos der Schuldnerin am hat die Gläubiger der Schuldnerin benachteiligt. Die Zahlung ist ungeachtet des Bestehenbleibens des Pfandrechts des Zentralfinanzamts M. aus dem Vermögen der Schuldnerin erfolgt.
Eine Gläubigerbenachteiligung im Sinne des § 129 InsO liegt vor, wenn eine Rechtshandlung entweder die Schuldenmasse vermehrt oder die Aktivmasse verkürzt und dadurch der Zugriff auf das Schuldnervermögen vereitelt oder verzögert, d.h. wenn sich die Befriedigungsmöglichkeiten der Insolvenzgläubiger ohne die Handlung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise günstiger gestaltet hätten (BGHZ 124, 76, 78 f; , ZIP 2001, 1641, 1643; Urt. v. - IX ZR 144/05, ZIP 2008, 1435, 1437 Rn. 26; HK-InsO/Kreft, 4. Aufl. § 129 Rn. 36).
Von einer solchen Benachteiligung ist auszugehen. Die Aussetzung der Vollziehung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung (§ 361 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 AO) hat bewirkt, dass der materielle Regelungsinhalt der Pfändungsverfügung bis auf weiteres nicht mehr verwirklicht werden konnte und rechtliche und tatsächliche Folgerungen aus der Pfändungsverfügung nicht mehr gezogen werden durften (Hübschmann/Hepp/Spitaler/Beermann, AO 10. Aufl. § 309 Rn. 104; vgl. auch BFHE 178, 11, 15). Für die Dauer der Aussetzung der Vollziehung der Pfändungsverfügung waren das Zahlungsverbot für den Drittschuldner und das Verfügungsverbot für den Vollstreckungsschuldner unbeachtlich (Hübschmann/Hepp/Spitaler/Beermann, aaO; vgl. auch Klein/Brockmeyer, AO 9. Aufl. § 361 Rn. 19). Solange die Aussetzung der Vollziehung wirkte, konnte die Schuldnerin - auch gegenüber dem Pfändungsgläubiger - wieder über das Kontoguthaben verfügen. Auch hatten die Gläubiger Zugriff auf das Konto. Zwar war das Pfändungspfandrecht als solches nicht entfallen (vgl. BGHZ 162, 143, 156; OLG Düsseldorf InVo 1999, 57, 58; Klein/Brockmeyer, aaO). Indes hatte die Pfandgläubigerin durch die Aussetzung der Vollziehung das Konto - wenn auch nur vorübergehend - "freigegeben". Es war ihr unbenommen, durch Einwilligung oder Genehmigung einer bestimmten ihr nachteiligen Verfügung - oder bis zur Beendigung der Aussetzung allen Verfügungen - zuzustimmen. Von einer solchen Zustimmung ist hier auszugehen. Nur aufgrund dieser "Freigabe" konnte die Schuldnerin wirksam an die Beklagte zahlen. Dass das Finanzamt die Zahlung über das gepfändete Konto - wegen der nach wie vor bestehenden Verstrickung - nicht gegen sich habe gelten lassen wollen, ist nicht vorgetragen.
Die von der Beklagten für ihre gegenteilige Auffassung herangezogene Entscheidung des Senats vom (BGHZ 162, 143) steht dem nicht entgegen. Gegenstand dieser Entscheidung war weder eine Verfügung des Schuldners noch der Zugriff eines Gläubigers auf das gepfändete Konto nach Aussetzung der Vollziehung. Vielmehr ist dort eine Zahlung an den Pfandgläubiger angefochten worden, von deren Erhalt dieser die Aussetzung der Vollziehung der Pfändungs- und Überweisungsverfügung abhängig gemacht hatte. Dazu hat der Senat ausgeführt, die Zahlung sei durch das Pfandrecht gedeckt gewesen; sie sei auf dieses Pfandrecht - auf dessen Bestand die Aussetzung der Vollziehung keinen Einfluss gehabt habe - aus der gepfändeten Forderung geleistet worden (aaO S. 156 f). Im Fall des Urteils vom wurde die Aussetzung der Vollziehung erst mit dem Zahlungseingang wirksam. Deshalb konnte der Zahlungseingang nicht unter Hinweis auf die Aussetzung der Vollziehung angefochten werden. Dritte, die vom Pfändungsschuldner nach Aussetzung der Vollziehung eine Leistung erhalten, können daraus nichts für sich herleiten. Insbesondere enthält jene Entscheidung keine Aussage zu der Frage, ob und inwieweit der Schuldner nach Aussetzung der Vollziehung über das Konto wieder frei verfügen darf und inwieweit es dem Zugriff anderer Gläubiger offen steht.
b) Auch die sonstigen Voraussetzungen einer inkongruenten Deckung - dies wird von der Revision auch nicht in Zweifel gezogen - liegen vor.
Leistungen im Sinne des § 131 Abs. 1 InsO, die innerhalb des Dreimonatszeitraums auf hoheitlichem Zwang beruhen, hat der Bundesgerichtshof regelmäßig auch dann als inkongruent angesehen, wenn die Zwangsvollstreckung im verfahrensrechtlichen Sinne noch nicht begonnen hatte, sondern lediglich unmittelbar bevorstand (vgl. , ZIP 2002, 1159, 1161; v. - IX ZR 194/02, WM 2003, 1278 f; v. - IX ZR 182/01, ZInsO 2006, 94, 95). Die Schuldnerin hat den Scheck über 4.001,99 € dem Vollstreckungsbeamten der Klägerin am ausweislich des Protokolls zur Abwendung der Zwangsvollstreckung übergeben. Eine Leistung, die unter hoheitlichem Zwang erfolgt ist, liegt vor.
3. Auf die von der Revisionsbegründung weiter für grundsätzlich gehaltene Frage, ob die Rückschlagsperre des § 88 InsO auch bei einer öffentlich-rechtlichen Verstrickung eingreift, kommt es nicht an. Das Kontoguthaben gehörte auch ohne diese Sperre zum Vermögen des Schuldners, solange die Aussetzung der Vollziehung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung nicht beendet war.
4. Die Vorschrift des § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches des Sozialgesetzbuchs und anderer Gesetze vom (BGBl. I S. 3024) greift nicht ein. Der Senat hat bereits entschieden, dass diese Regelung keine Anwendung auf Fälle findet, in denen das Insolvenzverfahren vor dem eröffnet worden ist (, ZIP 2008, 747, 748 Rn. 7 ff). Auf die dortige Begründung wird Bezug genommen. Anlass von dieser Entscheidung abzuweichen besteht nicht.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 542 Nr. 3
DB 2009 S. 274 Nr. 6
NJW-RR 2009 S. 482 Nr. 7
WM 2009 S. 129 Nr. 3
ZIP 2009 S. 83 Nr. 2
TAAAD-02306
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja