BVerwG Urteil v. - 8 C 20.07

Leitsatz

Der Grundsatz der Chancengleichheit verbietet es, kommunale Wählergruppen bei der Aufstellung von Reservelisten für die Landschaftsversammlung eines nordrheinwestfälischen Landschaftsverbandes gegenüber politischen Parteien wegen eines organisationsspezifischen Merkmals zu benachteiligen. Ein Zusammenschluss örtlicher Wählergruppen in Form eines Verbändeverbandes kann deshalb eine Wählergruppe im Sinne der Landschaftsverbandsordnung sein.

Für die mittelbar gewählten Mitglieder einer Landschaftsversammlung ist die unmittelbare demokratische Legitimation der sie wählenden Ratsmitglieder der Mitgliedskörperschaften des Landschaftsverbandes als demokratische Legitimation ausreichend.

Es verstößt nicht gegen Bundesrecht, wenn Landesrecht einem Landesverband örtlicher Wählergemeinschaften die Beteiligung an der Aufstellung von Reservelisten für die Landschaftsversammlung mit der Begründung verweigert, dass in diesem Verband auf örtlicher Ebene konkurrierende Wählergruppen Mitglieder sein können.

Gesetze: GG Art. 20 Abs. 2; GG Art. 28 Abs. 1; GG Art. 28 Abs. 2; LVerbO NRW § 7b

Instanzenzug: VG Münster, VG 1 K 3656/04 vom OVG NRW, OVG 15 A 1860/06 vom Fachpresse: ja BVerwGE: nein

Gründe

I

Der Kläger, ein eingetragener Verein, ist ein Zusammenschluss verschiedener kommunaler nordrhein-westfälischer Wählergruppen. Er macht geltend, der Direktor des Beklagten habe zu Unrecht die Zulassung seiner Reserveliste für die Bildung der 12. Landschaftsversammlung Westfalen-Lippe abgelehnt. Deshalb verlangt er eine teilweise Wiederholung der Wahl unter Einbeziehung seiner Liste.

Die Landschaftsversammlung Westfalen-Lippe ist das Hauptorgan des Beklagten. Mitglieder dieses körperschaftlich organisierten Kommunalverbandes sind die nordrhein-westfälischen Kreise und kreisfreien Städte der Regierungsbezirke Detmold, Münster und Arnsberg. Die Landschaftsversammlung bestimmt die allgemeinen Grundsätze der Verbandsverwaltung, wählt die weiteren Organe, erlässt die Satzung des Verbandes und trifft die haushaltsrechtlichen Entscheidungen.

Die Mitglieder der Landschaftsversammlung werden von den Vertretungen der Mitgliedskörperschaften nach deren Wahl und für deren Wahlperiode gewählt. Jeder Mitgliedskörperschaft steht bis zu einer Einwohnerzahl von 100 000 ein Sitz zu, und je ein weiterer Sitz für jede weiteren 100 000 Einwohner bzw. für eine Resteinwohnerzahl von mehr als 50 000. Bei der Wahl hat jedes Ratsmitglied einer Mitgliedskörperschaft 2 Stimmen. Mit der Erststimme wählt es die auf diese Mitgliedskörperschaft entfallenden Mitglieder der Landschaftsversammlung und die jeweiligen Ersatzmitglieder. Mit der Zweitstimme wird eine für das Gebiet des gesamten Landschaftsverbandes aufgestellte Reserveliste einer Partei oder Wählergruppe oder ein bestimmter Bewerber einer dieser Listen gewählt. Die Zweitstimme hat keinen Einfluss auf den politischen Proporz. Er ist gesetzlich auf die Mehrheitsverhältnisse der Parteien und Wählergruppen nach dem Ergebnis der letzten allgemeinen Kommunalwahlen festgelegt. Entspricht das Ergebnis der Erststimmenwahl dem nicht, wird ein Verhältnisausgleich mit Hilfe der Reservelisten durchgeführt.

Das Recht, Reservelisten einzureichen, haben nach § 7b Abs. 5 Satz 1 LVerbO die für das Gebiet des Landschaftsverbandes "zuständigen Landesleitungen der Parteien und Wählergruppen, die in mindestens einer der Vertretungen der Mitgliedskörperschaften vertreten sind". Die Zulassung der Reservelisten obliegt dem Direktor des Landschaftsverbandes. Parteien oder Wählergruppen, für die keine Reserveliste eingereicht wird, nehmen am Verhältnisausgleich nicht teil.

Der Kläger reichte für die Bildung der 12. Landschaftsversammlung eine Reserveliste ein. Mit formlosem Schreiben vom teilte der Direktor des Beklagten dem Kläger mit, er habe in seiner Funktion als Wahlleiter entschieden, dessen Reserveliste nicht zuzulassen. Ein Eilantrag des Klägers gegen den Beklagten mit dem Ziel, diesen zur Zulassung der Reserveliste zu verpflichten, blieb ohne Erfolg.

In der Zeit vom 21. Oktober bis fand in den Vertretungen der Mitgliedskörperschaften des Beklagten die Wahl der Mitglieder der 12. Landschaftsversammlung Westfalen-Lippe statt. Dabei errang ein Kandidat eines Mitgliedsverbandes des Klägers eines der 86 Erststimmenmandate. Bei Zulassung der Reserveliste des Klägers hätte sich nach einer Modellrechnung des Beklagten im Rahmen des Verhältnisausgleichs die Gesamtzahl der Sitze von 100 auf 103 erhöht, und der Kläger außer dem Erststimmenmandat noch 2 Reservelistenmandate erhalten.

Nachdem die 12. Landschaftsversammlung am einstimmig die Gültigkeit ihrer Bildung festgestellt hatte, hat der Kläger am vor dem Verwaltungsgericht Münster Klage erhoben und beantragt, den Beklagten zur Zulassung seiner Reserveliste für die Bildung der 12. Landschaftsversammlung Westfalen-Lippe zu verpflichten. Die Nichtzulassung der Reserveliste diskriminiere ihn gegenüber Parteien. Für den Zulassungsanspruch genüge, dass er die Vorschriften über die Aufstellung von Reservelisten eingehalten habe. Parteiähnliche Strukturen dürften von ihm nicht verlangt werden. Die basisdemokratische Struktur der satzungsgemäßen Willensbildung und die Unabhängigkeit der einzelnen Wählergemeinschaften seien Kennzeichen seines politischen Programms. Die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft und die Eigenverantwortlichkeit der Mitgliedsverbände stünden einer Einordnung des Klägers als Wählergruppe nicht entgegen. Gleiches gelte für den Umstand, dass seine Mitglieder nicht Wahlberechtigte, sondern ihrerseits Wählergruppen seien. Selbst eine Mitgliedschaft mehrerer lokal konkurrierender Gruppen sei unproblematisch, da diese nicht auf der Verbandsebene des Klägers in Wettbewerb träten.

Mit Urteil vom hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat der Kläger sinngemäß beantragt, den Beklagten zu verpflichten, in den Vertretungen der Mitgliedskörperschaften die Zweitstimmen-Wahl zur 12. Landschaftsversammlung unter Einbeziehung der Reserveliste des Klägers wiederholen zu lassen und den Verhältnisausgleich entsprechend neu vorzunehmen.

Mit Urteil vom hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung zurückgewiesen. Mangels spezieller Wahlprüfungsregelungen sei eine allgemeine Leistungsklage auf teilweise Wahlwiederholung statthaft. Sie sei jedoch nicht begründet. Der Kläger erfülle weder die gesetzlichen Merkmale einer in entsprechender Anwendung des § 15 Abs. 1 Satz 2 KWahlG als Gruppe von Wahlberechtigten zu verstehenden Wählergruppe noch habe er sich selbst an den allgemeinen Kommunalwahlen beteiligt und deshalb auch nicht einen Vertreter in mindestens eine der Vertretungen der Mitgliedskörperschaften entsandt. Soweit deren Ratsmitglieder seinen Mitgliedsverbänden angehörten, seien sie allein für diese und nicht für den Kläger angetreten und gewählt worden. Der Grundsatz der Chancengleichheit, die Selbstverwaltungsgarantie und die Wahlrechtsgleichheit verlangten nicht, § 7b Abs. 5 LVerbO zu Gunsten des Klägers erweiternd auszulegen. Verfassungsrechtlich bedenklich wäre nur, wenn die Mitglieder der Wählergruppen keine Möglichkeit erhielten, als überörtliche Zusammenschlüsse Reservelisten aufzustellen und am Verhältnisausgleich teilzunehmen. Diese Option eröffne ihnen aber schon das geltende Recht. Die Mitglieder der auf Kreisebene bestehenden Wählergruppen könnten einen überörtlichen Verband gründen, der zum Einreichen von Reservelisten berechtigt sei. Satzungsrechtlich lasse sich die Doppelmitgliedschaft der Wahlberechtigten im örtlichen sowie überörtlichen Verband als Folge eines einzigen Beitrittsakts regeln. Das nach § 7b Abs. 5 Satz 1 LVerbO erforderliche Mandat in mindestens einer Mitgliedskörperschaftsvertretung könne der überörtliche Verband erzielen, indem die Kandidaten der örtlichen Wählergruppe bei den allgemeinen Kommunalwahlen zugleich für den überörtlichen Verband antreten. Voraussetzung sei nur die Offenlegung der gleichzeitigen Kandidatur für beide Gruppen, weil die demokratische Legitimation davon abhänge, dass die Stimmenzurechnung für den Wähler erkennbar sei. Allerdings könnten Mitglieder örtlich konkurrierender Wählergruppen nicht demselben überörtlichen Verband angehören.

Der Kläger hat die vom Senat zugelassene Revision eingelegt. Zur Begründung stützt er sich insbesondere darauf, dass Wählergruppe im Sinne des Gesetzes auch ein Verbändeverband sein müsse. Nur er selbst komme als Landesleitung der Wählergruppen im Sinne des § 7b Abs. 5 Satz 1 LVerbO in Betracht. Den Wählergruppen dürfe eine parteiähnliche Organisationsstruktur nicht aufgezwungen werden. Das verletzte die Vereinigungsfreiheit und den Grundsatz der freien Wahl. Außerdem verliere er damit ein Unterscheidungskriterium gegenüber den Parteien, das für seinen politischen Erfolg wesentlich sei.

Der Kläger beantragt,

1. die Urteile des Verwaltungsgerichts Münster vom und des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom aufzuheben,

2. den Beklagten zu verurteilen, zur teilweisen Neuwahl der 12. Landschaftsversammlung in den Mitgliedskörperschaften Wahlen in den Vertretungen zur Abgabe der Zweitstimmen für die Reservelisten unter Einbeziehung der Reserveliste des Klägers durchführen zu lassen und einen neuen Verhältnisausgleich aus den Reservelisten unter Einbeziehung der Reserveliste des Klägers vorzunehmen.

Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und hält die Reserveliste des Klägers für eine unzulässige Listenverbindung verschiedener Parteien.

Die Beigeladenen stellen keine Anträge.

II

Die Revision ist unbegründet. Das Urteil des Berufungsgerichts verletzt zwar Bundesrecht, die Entscheidung stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO).

I. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist das Berufungsgericht zu Recht von der Klagebefugnis des Klägers (§ 42 Abs. 2 VwGO analog) ausgegangen. Eine Verletzung eigener Rechte des Klägers ist nicht ausgeschlossen, da die Möglichkeit besteht, dass der Kläger ein Recht auf Einreichung einer Reserveliste gemäß § 7b Abs. 5 Satz 1 LVerbO hat.

II. Im Ergebnis richtig hat das Berufungsgericht auch angenommen, dass die Klage unbegründet ist, weil der Kläger kein Recht auf Einreichung einer Reserveliste gemäß § 7b Abs. 5 Satz 1 LVerbO hat. Nach dieser Norm sind die Reservelisten von den für das Gebiet der Landschaftsverbände zuständigen Landesleitungen der Parteien und Wählergruppen, die mindestens in einer der Vertretungen der Mitgliedskörperschaften vertreten sind, bis zum 22. Tag nach dem Wahltag der allgemeinen Kommunalwahlen dem Direktor des Landschaftsverbandes einzureichen.

1) Das Urteil des Berufungsgerichts verletzt aber Bundesrecht, wenn es davon ausgeht, dass der Kläger deshalb keine Wählergruppe ist, weil nicht Wahlberechtigte, sondern Wählergruppen seine Mitglieder sind. Es macht damit die Beteiligung einer überörtlich organisierten Wählergruppe an der Einreichung von Reservelisten davon abhängig, dass sie mitgliedschaftlich organisiert ist, und schließt die Beteiligung eines Verbändeverbandes aus.

Die Feststellung des Berufungsgerichts, dass wegen der Koppelung der Wahlen für die Landschaftsversammlung nach § 7b Abs. 4 LVerbO an die Kommunalwahlen auf der Ebene der Kreise und kreisfreien Städte der Begriff "Wählergruppe" in § 7b Abs. 5 Satz 1 LVerbO nur im Sinne der entsprechenden Anwendung des § 15 Abs. 1 Satz 2 KWahlG verstanden werden könne, betrifft die Auslegung von Landesrecht und ist nicht revisibel (§ 137 Abs. 1 VwGO). Das Revisionsgericht kann deshalb nur prüfen, ob diese Auslegung des Landesrechts mit Bundesrecht in Einklang steht. Dies ist nicht der Fall. Sie verstößt gegen das Gebot der Chancengleichheit der Wählergruppen.

Auch wenn für den Kläger als Gemeindeverband im Sinne des Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG das Homogenitätsgebot des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG nicht unmittelbar gilt, so ist das Gebot der Chancengleichheit doch als wesentliches Element des Demokratieprinzips nicht nur für die Teilnahme an der Wahl, sondern auch bei der Wahlvorbereitung und der Zulassung zur Wahl anzuwenden. Dies folgt aus der in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG verfassungsmäßig garantierten kommunalen Selbstverwaltung (vgl. BVerfGE 11, 266 <267> und 351 <361 ff.>). Soweit sich der Grundsatz der Chancengleichheit allgemein auf den politischen Wettbewerb bezieht, wird er auch aus Art. 3 Abs. 1 GG hergeleitet ( - juris Rn. 51).

Das Recht auf Chancengleichheit gewährleistet keine gleiche Erfolgsverwirklichung, sondern ist als Wettbewerbsgleichheit oder Anspruch auf gleiche Ausgangsbedingungen zu verstehen. Es verlangt nicht den Ausgleich bestehender tatsächlicher Ungleichheiten, verbietet aber, die vorgefundene Wettbewerbslage zu verfälschen (vgl. BVerfGE 41, 399 <413 f.>). Im kommunalen Bereich garantiert es ein gleiches Wahlvorschlagsrecht für Parteien und Wählergruppen. Es fordert eine strenge und formale Gleichbehandlung und erlaubt Differenzierungen nur aus zwingendem Grund (vgl. BVerfGE 11, 266 <272, 276>; 11, 351 <364, 366>; 12, 10 <25 ff.>; 13, 1 <16>; 82, 322 <327 f.>; BVerwG 7 C 41.68 -, BVerwGE 35, 344 <347 f., 350> = Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 49). Die streng formale Gleichbehandlung verlangt eine rechtliche Gleichbehandlung trotz bestehender organisatorischer Unterschiede zwischen Parteien und Wählergruppen. Rechtfertigungsbedürftig sind deshalb Differenzierungen, die an die spezifische Organisationsform der einen oder anderen Art der Vereinigung anknüpfen ( a.a.O. S. 348). Ungleichbehandlungen können sich auch daraus ergeben, dass die chancengleiche Wahlteilnahme von Bedingungen abhängig gemacht wird, die nach ihrer jeweiligen Struktur nur die Parteien, aber nicht die Wählergruppen erfüllen können. Insoweit folgt aus der Gewährleistung der Chancengleichheit ein Verbot, Differenzierungen der wahlrechtlichen Stellung an die strukturellen Unterscheidungsmerkmale von Parteien und Wählergruppen anzuknüpfen.

Damit hat das Recht auf Chancengleichheit auch Konsequenzen für die Konkretisierung des Begriffs der Wählergruppe selbst. Weil es gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle mit den Parteien in Wettbewerb tretenden Gruppen und Bewerber gewährleisten soll, darf sein Geltungsbereich nicht durch eine restriktive Definition der Wählergruppe verkürzt werden.

Unzulässig ist es damit, die Anerkennung einer Gruppe als Wählergruppe von ihrer parteigleichen Organisationsform abhängig zu machen. Schon das Verlangen nach einer bestimmten Rechtsform der Organisation geht zu weit. Für Wählergruppen als politische Zusammenschlüsse außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 21 GG ist die grundrechtliche Vereinigungsfreiheit nach Art. 9 GG einschlägig (vgl. BVerfGE 99, 69 <77 f.>). Sie gewährleistet der Vereinigung auch die Freiheit der Rechtsformwahl. Ebenso wie für Parteien, in denen juristische Personen grundsätzlich nicht Mitglied sein können (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 ParteienG), unbestritten ist, dass der Aufbau einer Gesamtpartei aus Gebietsverbänden verschiedener Stufen bestehen kann, müssen deshalb auch Wählergruppen auf regionaler Ebene sich als Verbändeverband örtlicher Wählergruppen organisieren können. Anderenfalls wären die kommunalen Wählergruppen im Anwendungsbereich des § 7b Abs. 5 Satz 1 LVerbO gegenüber den politischen Parteien wegen eines organisationsspezifischen Merkmals benachteiligt.

Die Wählergruppen unterscheiden sich von den Parteien begrifflich gerade durch ihre stets dezentrale Organisation. Sie ist Konsequenz ihrer Beschränkung auf die kommunalpolitische Betätigung (vgl. BVerfGE 6, 367 <372 f.>). Zur Ausdehnung ihrer Mitwirkung auf die politische Willensbildung im Bereich regionaler Selbstverwaltung können örtliche Wählergruppen sich deshalb nur als Zusammenschluss in Form eines Verbändeverbandes organisieren. Die vom Berufungsgericht vorgeschlagene Gründung einer regionalen Personenvereinigung bietet keine funktional und rechtlich gleichwertige Alternative. Denn die Personenvereinigung könnte nicht von den Wählergruppen als solchen, sondern nur von deren Mitgliedern errichtet werden. Die Wählergruppen selbst könnten einen Personenzusammenschluss allenfalls anregen, nicht aber selbst herbeiführen, und keinen rechtlich gesicherten Einfluss auf seine Tätigkeit nehmen.

Die Verbandsstruktur muss danach als Rechtsform einer regionalen Wählergruppe akzeptiert werden, wenn der Gesetzgeber die kommunale Selbstverwaltung durch Errichten von Gemeindeverbänden auf die regionale Ebene ausdehnt und das Einreichen regionaler Wahlvorschläge zum Vertretungsorgan des Gemeindeverbandes vorsieht. Auch auf der regionalen Ebene müssen kommunale Wählergruppen gleichberechtigten Zugang zum politischen Wettbewerb erhalten, ohne ihre rechtliche Selbständigkeit, die sie prägende dezentrale Struktur und die durch Art. 9 GG verbürgte freie Wahl ihrer Rechtsform aufzugeben. Zwingende Gründe im Sinne der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, die rechtfertigen könnten, Gesamtverbände örtlicher Wählergruppen vom Wahlvorschlagsrecht zur Landschaftsversammlung auszuschließen, sind nicht erkennbar.

2) Auch die Forderung des Berufungsgerichts, dass bereits auf dem Stimmzettel für die allgemeine Kommunalwahl gegenüber dem Wähler offengelegt werden müsse, dass der Kandidat einer Wählergruppe auch für einen überörtlichen Zusammenschluss antritt und deshalb dieser überörtliche Zusammenschluss auf dem Stimmzettel mit angegeben sein müsse, damit die demokratische Legitimation für die Zusammensetzung der Landschaftsversammlung gesichert sei, verstößt gegen Bundesrecht, weil sie mit dem Demokratieprinzip nicht vereinbar ist.

Das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 GG verlangt, dass alle Organe und Amtswalter, die mit der Wahrnehmung staatlicher Aufgaben betraut sind, ihre Bestellung auf eine ununterbrochene Legitimationskette zurückführen können. Nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG gilt das auch für kommunale Organe, die, wie die Landschaftsversammlung, in ihrem gesetzlichen Zuständigkeitsbereich durch intern oder unmittelbar nach außen verbindliche Entscheidungen an der hoheitlichen Aufgabenerledigung mitwirken (vgl. BVerfGE 47, 253 <272 f., 275>; 83, 60 <71 f., 76>). Ist die Bildung des zu wählenden Organs durch Wahl vorgeschrieben, liegt eine ununterbrochene Legitimationskette vor, wenn der Wahlakt insgesamt dem die Legitimation vermittelnden Organ zurechenbar ist (BVerfGE 83, 60 <75 f.>).

Die Kandidaten der Reserveliste werden nicht unmittelbar durch die wahlberechtigten Bürger, sondern mittelbar durch die Ratsmitglieder der Mitgliedskörperschaften des Beklagten gewählt. Damit ist die Legitimationskette in ausreichendem Maße gesichert. Der Wähler der allgemeinen Kommunalwahl weiß, dass er mit seiner Stimme nur die Ratsmitglieder der für ihn zuständigen kommunalen Körperschaft bestimmt und dass diese die Mitglieder der Landschaftsversammlung des Beklagten wählen. Eine Offenlegung, dass die Wählergruppe, für die der mittelbar Wählende in seine Gebietskörperschaft gewählt wurde, einer Landesvereinigung angehört, die auch mit einer Reserveliste für die Landschaftsversammlung kandidiert, ist dabei nicht gefordert. Die die Landschaftsversammlung wählenden Ratsmitglieder sind nicht verpflichtet, ihre eigene Gruppierung zu wählen. Deshalb muss dem Wähler der allgemeinen Kommunalwahl nicht ausdrücklich vor Augen geführt werden, dass er mit seiner Stimme für einen Kandidaten einer Wählergruppe auch einen Kandidaten für eine Landesvereinigung der Wählergruppen für die Reserveliste der Landschaftsversammlung wählt. Da die Reservelisten bei der Kommunalwahl nicht zur Abstimmung gestellt werden, kann die Offenlegung auch keine demokratische "Zusatzlegitimation" vermitteln. Ausreichend ist, dass das Mitglied der kommunalen Vertretung direkt legitimiert ist. Dass dieser auf Grund seiner demokratischen Legitimation Vertreter anderer Gremien wählt, ist die Konsequenz einer mittelbaren Wahl, wie sie der Gesetzgeber hier vorgesehen hat.

3) Mit Bundesverfassungsrecht vereinbar ist demgegenüber die Auffassung des Berufungsgerichts, Landesrecht fordere nicht, dass überörtliche Zusammenschlüsse von Wählergemeinschaften spezifische höhere programmatische Anforderungen erfüllen müssten. Das Berufungsgericht hält es insoweit trotz der Forderung des § 15 Abs. 2 Satz 2 KWahlG, dass sowohl Parteien als auch Wählergruppen für die Kommunalwahl ein Programm vorweisen müssen, für ausreichend, dass die Mitglieder des Klägers, die alle Wählergruppen sind, für die Wahl in den Mitgliedskörperschaften Wahlvorschläge für die von ihnen vertretenen Programme einreichen. Darüber hinausgehende programmatische Anforderungen für überörtliche Wählergruppen ergeben sich nicht aus Verfassungsrecht. Die programmatischen Anforderungen an einen Landesverband beschränken sich auf Mindeststandards, für die es bereits ausreicht, wenn sich der Landesverband für bürgerschaftliches Engagement oder für kommunalpolitische Betätigung außerhalb der etablierten Parteien einsetzt. Das Oberverwaltungsgericht hat es insoweit für ausreichend gehalten, dass dem Landesverband das Programm über seine Mitglieder vermittelt wird. Dagegen ist aus bundesrechtlicher Sicht nichts zu erinnern.

4) Trotz dieser Verstöße gegen Bundesrecht stellt sich die Entscheidung aus anderen Gründen als richtig dar. Denn der Kläger kann nicht als Wählergruppe im Sinne des § 7b Abs. 5 Satz 1 LVerbO angesehen werden, weil nach der Auslegung des Landesrechts durch das Berufungsgericht die Kandidatur für einen überörtlichen Verband voraussetzt, dass die Mitglieder von in den Kreisen und kreisfreien Städten des Landschaftsverbands konkurrierenden Wählergruppen nicht gemeinsam in demselben Verband Mitglied sein können. Diese Auslegung des Landesrechts durch das Oberverwaltungsgericht verletzt das bundesverfassungsrechtliche Gebot der Chancengleichheit von Parteien und Wählergruppen nicht.

Das angefochtene Urteil beruht zwar nicht auf der Feststellung, dass diese Konkurrentenfreiheit beim Kläger nicht gegeben ist, weil das Berufungsgericht die Eigenschaft des Klägers als Wählergruppe bereits daran hat scheitern lassen, dass er ein Verband von Wählergruppen und nicht von Wahlberechtigten ist. Das Berufungsgericht hat aber insoweit Landesrecht ausgelegt. Landesrecht kann deshalb auch in dieser Auslegung im Revisionsverfahren verwertet werden. Das Revisionsgericht ist an die Auslegung gebunden und kann die Subsumtion selbst vornehmen.

Dabei ist die Forderung nach Konkurrentenfreiheit innerhalb des Landesverbandes formal zu bestimmen. Es kommt nicht darauf an, ob im konkreten Fall im Bereich des Beklagten in den Mitgliedskörperschaften des Beklagten Mitglieder des Klägers tatsächlich gegeneinander konkurrierend zur allgemeinen Kommunalwahl angetreten sind. Es reicht aus, dass in der Satzung des Klägers diese Möglichkeit nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern ausdrücklich zugelassen wird. Nach Art. 3 Abs. 2 seiner Satzung können mehrere Wählergemeinschaften aus einer Gemeinde oder Stadt dem Kläger angehören. Das gleiche gilt nach Art. 3 Abs. 2 Satz 2 seiner Satzung auch für den Kreis. Diese sich aus der Aktenlage ergebende Feststellung kann der Senat in eigener Zuständigkeit treffen.

5) Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 15 000 € festgesetzt.

Fundstelle(n):
GAAAD-02277