Leitsatz
[1] 1. Es gibt keinen Rechtsgrundsatz, wonach über eine Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach § 78a ArbGG möglichst die selben Richter entscheiden sollen, die auch an der angegriffenen Entscheidung mitgewirkt haben.
2. § 9 Abs. 5 ArbGG verpflichtet nicht dazu, über die Voraussetzungen einer Nichtzulassungsbeschwerde oder einer Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zu belehren. Verfassungsrechtliche Bedenken dagegen bestehen nicht.
Gesetze: GG Art. 20 Abs. 3; ArbGG § 9 Abs. 5; ArbGG § 72a; ArbGG § 78a
Instanzenzug: BAG, 9 AZN 797/07 vom
Gründe
I. Die Parteien haben über einen Anspruch der Klägerin auf teilweise Rückzahlung geleisteter Übergangsversorgung gestritten. Das Arbeitsgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Es hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen hat sich der Beklagte mit einer auf grundsätzliche Bedeutung gestützten Nichtzulassungsbeschwerde gewandt. Diese hat der Neunte Senat des - zurückgewiesen. Der Beschluss wurde dem Beklagten zu Händen seines Prozessbevollmächtigten am zugestellt. Die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht durch Beschluss seiner Dritten Kammer vom - 1 BvR 151/08 - nicht zur Entscheidung angenommen. Dies hat es ua. darauf gestützt, der Beschwerdeführer hätte die von ihm gerügte Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG durch das Landesarbeitsgericht zunächst im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren geltend machen müssen.
Mit seiner am beim Bundesarbeitsgericht eingegangenen Gehörsrüge rügt der Beklagte die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör durch das Landesarbeitsgericht und den ablehnenden Beschluss des Bundesarbeitsgerichts über die Nichtzulassungsbeschwerde.
II. Die Rüge ist nicht innerhalb der gesetzlichen Frist erhoben und deshalb vom erkennenden Dritten Senat ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen (§ 78a Abs. 4 Satz 1 und 2, Abs. 6 Satz 2 ArbGG).
1. Der Senat ist zur Entscheidung berufen, obwohl der mit der Gehörsrüge angegriffene Beschluss des Bundesarbeitsgerichts durch den Neunten Senat und damit durch andere Berufsrichter erlassen wurde.
a) Für die ursprüngliche Nichtzulassungsbeschwerde, die eine sonstige Rechtsstreitigkeit betraf, für die kein anderer Senat zuständig ist, war nach dem im Jahre 2007 geltenden Geschäftsverteilungsplan der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts zuständig (Nr. 9.3). Durch eine Änderung der Geschäftsverteilung ist nach dem für das Jahr 2008 geltenden Geschäftsverteilungsplan nunmehr der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts zuständig (Nr. 3.4). Nach Nr. 5 der Vorbemerkungen zum Geschäftsverteilungsplan 2008 bleibt bei einer Änderung der Geschäftsverteilung in bestimmten, insbesondere bereits terminierten Sachen die alte Zuständigkeit erhalten. Das bedeutet, dass im Übrigen - auch im vorliegenden Fall - die alte Zuständigkeit nicht erhalten bleibt, sondern die Sachen dem Senat zuzuteilen sind, der nach der Änderung zuständig ist. Das ist nunmehr der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts.
b) Auch aus dem Gesetz ergibt sich keine Regelung dahingehend, dass etwa - möglichst - die Richter, deren Entscheidung mit der Gehörsrüge angegriffen ist, über die Gehörsrüge entscheiden.
aa) § 78a Abs. 6 ArbGG enthält keine dahingehende Wertung. Vielmehr trifft diese Bestimmung nur eine Aussage darüber, inwieweit die ehrenamtlichen Richter hinzuzuziehen sind. Dass damit die ehrenamtlichen Richter abstrakt und nicht die konkret an der vorangegangenen Entscheidung beteiligten ehrenamtlichen Richter gemeint sind, ergibt sich aus dem Sprachgebrauch des ArbGG. Das folgt insbesondere aus § 53 Abs. 2 ArbGG, der für das erstinstanzliche Verfahren eine allgemeine Aussage über die Abgrenzung der Befugnisse zwischen dem Vorsitzenden als Berufsrichter und den ehrenamtlichen Richtern trifft. Dort ist von den Befugnissen "des Vorsitzenden" und denen "der ehrenamtlichen Richter" die Rede.
bb) Etwas anderes folgt (entgegen der Auffassung des -) auch nicht aus einem "Prinzip der Selbstkontrolle". Ein dahingehender allgemeiner Rechtsgrundsatz kann insbesondere nicht der Regelung über die Berichtigung des Tatbestandes in § 320 ZPO entnommen werden. Allerdings wirken insoweit bei der Entscheidung nur diejenigen Richter mit, die auch am Urteil mitgewirkt haben (§ 320 Abs. 4 Satz 2 ZPO). Das ergibt sich aber aus der Funktion des Tatbestandes: Nach § 313 Abs. 2 ZPO sollen dort die erhobenen Ansprüche sowie die vorgebrachten Angriffs- und Verteidigungsmittel unter Hervorhebung der gestellten Anträge ihrem wesentlichen Inhalt nach knapp dargestellt, in diesem Maße also der Prozessverlauf beurkundet werden. Da grundsätzlich das Prinzip der Mündlichkeit gilt und Schriftsätze für den Prozessverlauf nur insofern von Bedeutung sind, als sie in der mündlichen Verhandlung in Bezug genommen wurden, also grundsätzlich nur vorbereitenden Charakter haben (§ 128 Abs. 1, § 129 Abs. 1, § 137 Abs. 2 und 3 ZPO), kann die Richtigkeit des Tatbestandes am besten durch die Richter beurteilt werden, die auch an der mündlichen Verhandlung teilgenommen haben. Diesen Gesichtspunkt überträgt das Gesetz aber nicht auf andere Entscheidungen, die innerhalb der Instanz bezogen auf vorangegangene Entscheidungen getroffen werden. Er gilt beispielsweise nicht für die Berichtigung des Urteils wegen offensichtlicher Unrichtigkeit nach § 319 ZPO (vgl. zB - BGHZ 78, 22, zu A 1 a der Gründe).
Damit verbietet sich ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung auch eine Übertragung dieses Grundsatzes auf die Gehörsrüge nach § 78a ArbGG. Es kommt hinzu, dass auch das ArbGG die Beurteilung von Gehörsverstößen nicht als eine Angelegenheit ansieht, die nur von den Richtern beurteilt werden kann, die an der anzufechtenden Entscheidung beteiligt waren. Das folgt aus § 72a Abs. 1 iVm. § 72 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG. Nach diesen Vorschriften obliegt die Beurteilung, ob dem Landesarbeitsgericht in einem Urteil ein Gehörsverstoß unterlaufen ist, der Entscheidung durch das Bundesarbeitsgericht im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren, also anderen Richtern.
cc) Schließlich kann auch die Entstehungsgeschichte des Gesetzes nicht für ein anderes Ergebnis herangezogen werden. Die Begründung zum Anhörungsrügengesetz, mit dem § 78a ArbGG in das Gesetz eingefügt wurde (Gesetz vom Art. 7 Nr. 8; BGBl. I S. 3220), ergibt nichts Gegenteiliges.
Allerdings heißt es dort (BT-Drucks. 15/3706 S. 21), durch § 78a Abs. 6 ArbGG werde "deutlich gemacht, dass über die Rüge grundsätzlich in gleicher geschäftsplanmäßiger Besetzung zu entscheiden ist wie in der Hauptsache". Dies ist jedoch in den nachfolgenden Sätzen dahingehend erläutert, dass bei Zurückweisung einer Rüge als unbegründet die Kammer oder der Senat unter Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter zu entscheiden hat, wenn die zugrunde liegende Entscheidung vom gesamten Spruchkörper getroffen wurde. Dies gilt, so die Begründung weiter, allerdings nicht, wenn die der Rüge zugrunde liegende Entscheidung vom Vorsitzenden oder von hauptamtlichen Richtern allein getroffen wurde oder die Rüge als unzulässig verworfen wird. In diesen Fällen würden, so heißt es dort im Folgenden, die Vorsitzenden oder die hauptamtlichen Richter allein entscheiden.
Die Begründung des Gesetzes bringt daher nichts anderes zum Ausdruck, als dass die betroffenen Spruchkörper in der durch das Gesetz vorgegebenen Zusammensetzung, also entweder mit oder ohne ehrenamtliche Richter, in der geschäftsplanmäßigen Besetzung entscheiden, also in der Besetzung, die für derartige Entscheidungen durch den Geschäftsverteilungsplan vorgesehen ist (im Ergebnis wie hier BeckOK RGKU/Klose Arbeitsrecht Stand 2008 § 78a ArbGG Rn. 13; BCF/Creutzfeldt ArbGG 4. Aufl. § 78a Rn. 22; GK-ArbGG/Dörner § 78a Rn. 39; Prütting in Germelmann/Matthes/Prütting/ Müller-Glöge ArbGG 6. Aufl. § 78a Rn. 23; Treber in Düwell/Lipke ArbGG 2. Aufl. § 78a Rn. 51; Natter JbArbR Bd. 42 95, 103; Schwab/Weth/Schwab ArbGG 2. Aufl. § 78a Rn. 54; sowie für das zivilgerichtliche Verfahren - NJW-RR 2006, 63, zu II 1 der Gründe; aA Hauck in Hauck/Helml ArbGG 3. Aufl. § 78a Rn. 12; Bepler RdA 2005, 65, 68; Düwell FA 2005, 75, 76).
c) Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter über die unzulässige Anhörungsrüge zu entscheiden hat.
2. Die Unzulässigkeit ergibt sich daraus, dass der Beklagte die in § 78a Abs. 2 Satz 1 ArbGG geregelte Frist nicht eingehalten hat.
a) Nach dieser Vorschrift ist die Rüge innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben. Die - vom Beklagten behaupteten - Gehörsverstöße waren ihm aber jedenfalls wesentlich länger als zwei Wochen vor Eingang der Gehörsrüge beim Bundesarbeitsgericht bekannt, wie sich daraus ergibt, dass ihm der angegriffene Beschluss seit langem zugestellt ist und er zwischenzeitlich gestützt auf eine angebliche Verletzung seines Grundrechtes aus Art. 103 Abs. 1 GG ein Verfassungsbeschwerdeverfahren durchgeführt hat.
b) Entgegen der Ansicht des Beklagten ist die Frist auch nicht deshalb unanwendbar, weil weder das Landesarbeitsgericht ihn auf die Möglichkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde gerade gestützt auf eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör hingewiesen hat, noch das Bundesarbeitsgericht in der angegriffenen Entscheidung ihm die Möglichkeit einer Gehörsrüge erläutert hat. Das ergibt sich aus Folgendem:
aa) Bei der Nichtzulassungsbeschwerde handelt es sich um einen Rechtsbehelf, kein Rechtsmittel. Die Belehrungspflicht in § 9 Abs. 5 ArbGG bezieht sich aber nur auf Rechtsmittel (vgl. - AP ArbGG 1979 § 72a Nr. 49 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 96). Da auch die Anhörungsrüge einen Rechtsbehelf und kein Rechtsmittel darstellt (vgl. nur Treber in Düwell/Lipke § 78a Rn. 6), ist auch insofern keine Rechtsmittelbelehrung vorgeschrieben.
bb) Entgegen der Ansicht des Beklagten sind verfassungsrechtliche Bedenken dagegen nicht zu erheben.
Der verfassungsrechtliche Anspruch auf einen wirkungsvollen Rechtsschutz, der für den Bereich des Zivilprozesses durch Art. 2 Abs. 1 GG iVm. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) gewährleistet ist, gebietet eine Rechtsmittelbelehrung nur dann, wenn diese erforderlich ist, um unzumutbare Schwierigkeiten des Rechtsweges auszugleichen, die die Ausgestaltung eines Rechtsmittels anderenfalls mit sich brächte. Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die Formerfordernisse des Rechtsmittels zu kompliziert und so schwer zu erfassen sind, dass nicht erwartet werden kann, der Rechtsuchende werde sich in zumutbarer Weise darüber rechtzeitig Aufklärung verschaffen können. Dies kann insbesondere in Verfahren zutreffen, in denen kein Anwaltszwang besteht (vgl. - BVerfGE 93, 99, zu C I 1 der Gründe).
Ein derartiger Fall liegt hier nicht vor. Möglichkeiten und Voraussetzungen einer Nichtzulassungsbeschwerde wegen Verstoßes gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör können ohne Weiteres dem Gesetz, nämlich § 72a Abs. 1 ArbGG und § 72 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG entnommen werden. Gleiches gilt für die in § 78a ArbGG umfassend geregelte Gehörsrüge. Zudem besteht sowohl vor dem Landesarbeitsgericht als auch vor dem Bundesarbeitsgericht Vertretungszwang (§ 11 Abs. 4 ArbGG, früher § 11 Abs. 2 ArbGG).
Für die Entscheidung unerheblich ist die vom Beklagten aufgeworfene Problematik, dass von der Möglichkeit der Durchführung von Rechtsmitteln und Rechtsbehelfen auch die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde unter dem Gesichtspunkt des Subsidiaritätsprinzips (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) abhängt. Dies ist allein eine Frage der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde, hinsichtlich derer die Entscheidungskompetenz beim Bundesverfassungsgericht liegt.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung von § 97 ZPO.
Fundstelle(n):
NJW 2009 S. 541 Nr. 8
XAAAD-02228
1Für die amtliche Sammlung: ja; Für die Fachpresse: nein