BGH Beschluss v. - VI ZB 43/08

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: ZPO § 233; ZPO § 234

Instanzenzug: AG Fulda, 34 C 196/07 vom LG Fulda, 1 S 15/08 vom

Gründe

I.

Der Kläger nimmt die Beklagten auf Ersatz materieller Schäden nach einem Verkehrsunfall vom in Anspruch. Das Amtsgericht Fulda hat die Klage zum Teil abgewiesen. Dieses Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am zugestellt worden. Am haben diese für den Kläger Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom , der am selben Tag beim Amtsgericht Fulda eingegangen ist, haben sie um Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufung gebeten. Der Antrag ist am , die Berufungsbegründung am beim Landgericht Fulda eingegangen. Den Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung hat das zurückgewiesen. Dem Kläger sei ein Verschulden seines Anwalts zuzurechnen. Dieser habe bemerkt, dass der Antrag an das Amtsgericht und damit an das falsche Gericht gerichtet gewesen sei. Bei seiner Einzelanweisung an die Anwaltsgehilfin zur Beseitigung dieses Fehlers habe er sich nicht darauf verlassen dürfen, dass diese die Akten zur erneuten Kontrolle vorlegen werde. Er habe sich vielmehr persönlich vergewissern müssen, dass der Schriftsatz an das richtige Gericht gesendet worden sei.

Gegen diesen am zugestellten Beschluss hat der Kläger am Rechtsbeschwerde eingelegt. Auf seinen Antrag ist die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde bis verlängert worden. Am hat er Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gestellt und zugleich die Begründung der Rechtsbeschwerde vorgelegt.

Zur Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung trägt er vor, die für die Fristenkontrolle zuständige Bürovorsteherin S., die bislang fehlerlos gearbeitet habe, habe aus Versehen die Frist wie bei einer Nichtzulassungsbeschwerde auf den errechnet und im Fristenbuch eingetragen. Entsprechend allgemeiner Weisung habe sie die Verlängerungsverfügung zur Fristenprüfung durch den Anwalt vorgelegt. Dieser habe das Versehen bemerkt und nach Rücksprache mit der zuständigen Geschäftsstelle des Bundesgerichtshofs die Fachangestellte S. angewiesen, den als richtige Begründungsfrist zu notieren und den zu streichen. Das sei jedoch aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen unterblieben. Am habe der Verfahrensbevollmächtigte des Klägers die Gerichtsakten mit dem nach Abgleich mit der fehlerhaften Eintragung im Fristenbuch angebrachten Vermerk "F: 1.9." vorgelegt erhalten. Bei der sofortigen Bearbeitung des Falles habe er keine erneute Fristenberechnung vorgenommen, weil er noch in Erinnerung gehabt habe, dass er eine Einzelanweisung zur Fehlerbeseitigung erteilt habe. Auch habe er eine hierauf durchgeführte Kanzleibesprechung am über die Fristberechnung in dieser Sache, nicht aber das fehlerhafte Datum als solches in Erinnerung gehabt. Die Begründung der Rechtsbeschwerde habe er dann - nach Rücksprache mit dem Instanzanwalt und nach Hinweis auf die Fristversäumung durch den Bundesgerichtshof am - am zusammen mit dem Wiedereinsetzungsantrag eingereicht. Die Richtigkeit dieses Vortrags hat er an Eides Statt versichert.

II.

Dem Kläger ist auf seinen rechtzeitig und formgerecht gestellten Antrag (§§ 236, 575 ZPO) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde zu gewähren. Dem Kläger und seinem Anwalt (§ 85 Abs. 2 ZPO) fällt kein Verschulden an der Versäumung der Frist zur Last. Durch Vorlage der eidesstattlichen Versicherungen der Rechtsanwälte Dr. W. und Prof. Dr. R. sowie der Fachangestellten S. ist glaubhaft gemacht, dass Dr. W. die ursprünglich fehlerhafte Fristennotierung rechtzeitig bemerkt und Anweisung erteilt hat, sofort die auf den berechnete Frist einzutragen und die fehlerhaft auf notierte Frist zu streichen. Dieser eindeutigen und ausreichenden Anweisung ist die Angestellte S. aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen nicht gefolgt; die Änderung des Fristeneintrags ist deshalb aus Gründen unterblieben, die nicht im Verantwortungsbereich des Verfahrensbevollmächtigten liegen.

Die Befolgung der mündlichen Anweisung musste der Anwalt im konkreten Fall nicht überprüfen. Ein Anwalt darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat - wovon nach den eidesstattlichen Versicherungen der Anwälte hier auszugehen ist -, eine konkrete Einzelanweisung befolgt. Er ist im Allgemeinen nicht verpflichtet, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern (vgl. Senat, Urteil vom - VI ZR 43/87 - VersR 1988, 185 f.; Beschlüsse vom - VI ZB 38/02 - VersR 2003, 1462 f.; vom - VI ZB 26/03 - VersR 2005, 138; vom - VI ZB 29/07 - juris). Hätte Frau S. die Anweisung befolgt, hätte der Anwalt die schon zuvor gefertigte Begründung rechtzeitig eingereicht.

Zwar gilt der Grundsatz, dass ein Rechtsanwalt nicht verpflichtet ist, die Ausführung einer Einzelanweisung zu kontrollieren, nicht ausnahmslos. Betrifft die Anweisung z.B. einen so wichtigen Vorgang wie die Eintragung einer Rechtsmittelfrist und wird sie nur mündlich erteilt, müssen in der Kanzlei ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, dass die Anweisung in Vergessenheit gerät und die Fristeneintragung unterbleibt (vgl. Senat, Beschlüsse vom - VI ZR 399/01 - NJW 2003, 435, 436; vom - VI ZB 50/03 - NJW 2004, 688, 689; vom - VI ZB 10/04 - VersR 2005, 383, 384; vom - VI ZB 76/06 - juris Rn. 8; von Pentz, NJW 2003, 858, 863 f.). Der Anwalt hatte hier jedoch alles ihm Zumutbare getan und veranlasst und durfte darauf vertrauen, dass die weitere (zur Aufdeckung des Fehlers geeignete) Kontrollanweisung befolgt werden würde. Er hatte nämlich, nachdem er die fehlerhafte Berechnung der Begründungsfrist erkannt und ihre Berichtigung in eindeutiger Weise angeordnet hatte, zusätzlich die Fristberechnung bei Rechtsbeschwerden und deren Bearbeitung im Hinblick auf den Streitfall am nächsten Tag in einer Kanzleibesprechung mit allen Mitarbeitern, auch der Angestellten S., erneut ausführlich erörtert. Zudem erhielt die Angestellte S. in dieser Besprechung vorsorglich die Anweisung, alle in der Kanzlei anhängigen Rechtsbeschwerden, die noch nicht begründet worden waren, herauszusuchen und die Berechnung der Begründungsfristen zu überprüfen. Dem kam die Angestellte S. nach, jedoch mit Ausnahme der vorliegenden Sache, bei der es sich um eine vermeintlich richtig gestellte Fristberechnung handelte.

III.

1. Die nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtzeitig begründete Rechtsbeschwerde des Klägers ist auch im Übrigen statthaft (§§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO) und zulässig. Eine Entscheidung des Senats ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Zwar hat der Kläger die Berufungsbegründungsfrist versäumt. Auf seinen form- und fristgerechten Antrag ist ihm jedoch gemäß §§ 233, 234 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung zu bewilligen. Damit wird der die Berufung als unzulässig verwerfende Beschluss des Berufungsgerichts gegenstandslos.

a) Der angefochtene Beschluss verletzt den Kläger in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (vgl. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Dieser verbietet es, einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund von Anforderungen zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen sie auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen musste (vgl. BVerfG, BVerfGE 79, 372, 376 f.; NJW-RR 2002, 1004, 1005).

b) Das Berufungsgericht hat die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, der Kläger sei nicht ohne Verschulden gehindert gewesen, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der Instanz habe sich davon überzeugen müssen, dass der Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist entsprechend seiner Anweisung an das Landgericht gefaxt worden sei. Das habe er schuldhaft unterlassen, was sich der Kläger zurechnen lassen müsse (§ 85 Abs. 2 ZPO). Diese Ausführungen beanstandet die Rechtsbeschwerde mit Erfolg.

Wie bereits erwähnt, darf sich ein Anwalt grundsätzlich darauf verlassen, dass eine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat - wovon nach den eidesstattlichen Versicherungen des zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten und der Angestellten T. hier auszugehen ist und was auch das Beschwerdegericht nicht bezweifelt hat -, eine konkrete Einzelanweisung befolgt. Er ist im Allgemeinen nicht verpflichtet, sich über die anschließende Ausführung seiner Anweisung zu vergewissern (vgl. Senat, Urteil vom - VI ZR 43/87 - aaO; Beschlüsse vom - VI ZB 38/02 - aaO; vom - VI ZB 26/03 - aaO; vom - VI ZB 29/07 - aaO). Hätte Frau T. die Anweisung befolgt, wäre der Antrag auf Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufung rechtzeitig beim zuständigen Gericht eingekommen. Es ist nicht ersichtlich, dass einer antragsgemäßen erstmaligen Verlängerung Gründe entgegengestanden hätten.

Wie oben dargelegt, gilt der Grundsatz, dass ein Anwalt nicht verpflichtet ist, die Ausführung seiner Anweisung zu kontrollieren, nicht ausnahmslos. Betrifft die Anweisung z.B. einen wichtigen Vorgang wie die Einreichung eines Antrags auf Verlängerung einer Rechtsmittelbegründungsfrist und wird sie nur mündlich erteilt, müssen in der Kanzlei ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen werden, dass die Anweisung in Vergessenheit gerät und die rechtzeitige Einreichung beim zuständigen Gericht durch fehlerhafte Adressierung unterbleibt (vgl. Senat, Beschlüsse vom - VI ZR 399/01 - aaO; vom - VI ZB 50/03 - aaO; vom - VI ZB 10/04 - aaO; vom - VI ZB 76/06 - aaO). Hier hat Rechtsanwalt H. bei Unterschrift des Antrags die fehlerhafte Adressierung bemerkt und deshalb die Fachangestellte T. angewiesen, ihm den Fristverlängerungsantrag im Original zur Prüfung der Anschrift erneut vorzulegen. Damit hatte er seiner Kontrollpflicht genügt. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist ein Anwalt nicht verpflichtet, die ordnungsgemäße Ausführung einer angeordneten Korrektur zu überprüfen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - VIII ZB 76/81 - VersR 1982, 471; vom - III ZB 82/02 - NJW-RR 2003, 934, 935). Die gegenteilige Ansicht des Berufungsgerichts überspannt die an die Sorgfaltspflicht eines Anwalts zu stellenden Anforderungen.

aa) Der Anwalt trägt zwar die Verantwortung dafür, dass eine Rechtsmittelschrift rechtzeitig bei dem zuständigen Gericht eingeht. Er muss sich bei deren Unterzeichnung davon überzeugen, dass sie zutreffend adressiert ist (vgl. - VersR 1981, 63). Das ist im hier zu entscheidenden Fall nicht versäumt worden. Rechtsanwalt H. hatte nach erfolgter Unterschriftsleistung festgestellt, dass der Antrag an das hierfür nicht zuständige Amtsgericht gerichtet war und deshalb die Anweisung erteilt.

bb) Die Prozessbevollmächtigten des Klägers trifft auch nicht deshalb ein Verschulden, weil Rechtsanwalt H. den Verlängerungsantrag vor der von ihm für erforderlich gehaltenen Korrektur unterzeichnet hatte. Es lässt sich nicht immer vermeiden, dass ein bereits unterzeichneter Schriftsatz korrigiert werden muss, weil der Rechtsanwalt erst nach der Unterzeichnung erkennt, dass der Schriftsatz in einem Punkt der Änderung bedarf.

cc) In einem solchen Fall genügt es nach höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass der Anwalt einer zuverlässigen Angestellten die Anweisung erteilt, einen zur Fristwahrung bestimmten Schriftsatz nach einer etwaigen Korrektur nochmals zur Prüfung vorzulegen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - IV ZB 142/57 - VersR 1957, 680, 681; vom - VIII ZB 59 und 60/81 - n.v.; vom - VIII ZB 76/81 - aaO). Besondere Umstände, die ein Vertrauen der Anwälte des Klägers auf die Ausführung der eindeutigen Weisungen im konkreten Fall ausnahmsweise nicht erlaubt hätten, sind nicht ersichtlich und vom Berufungsgericht nicht aufgezeigt.

3. Der angefochtene Beschluss war mithin aufzuheben, dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde und des Wiedereinsetzungsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
IAAAD-01287

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein