Leitsatz
[1] Bei einer Pauschalreise stellt die Verspätung eines Zubringerfluges um mindestens fünf Stunden nicht schon für sich eine erhebliche Beeinträchtigung dar, die eine Kündigung des Reisevertrages ermöglicht. Ob bei einer solchen Verspätung ein Kündigungsgrund gegeben ist, ist vielmehr aufgrund einer an Zweck und konkreter Ausgestaltung der Reise sowie der Art und Dauer der Beeinträchtigung orientierten Gesamtwürdigung zu beurteilen.
Gesetze: BGB § 651e Abs. 1 Satz 1; VO (EG) 261/2004 Art. 6 lit. c; VO (EG) 261/2004 Art. 6 lit. iii; VO (EG) 261/2004 Art. 8 Abs. 1 lit. a; VO (EG) 261/2004 Art. 8 Abs. 2
Instanzenzug: AG München, 275 C 10632/07 vom LG München I, 13 S 15198/07 vom
Tatbestand
Der Kläger buchte bei der Beklagten eine vierzehntägige Studienreise nach Island einschließlich Fluges von Düsseldorf über Amsterdam nach Reykjavik zum Gesamtpreis von 4.390 €. Wegen eines technischen Defekts konnte das für den Weiterflug von Amsterdam nach Reykjavik vorgesehene Flugzeug nicht planmäßig am vorgesehenen Reisetag um 14:00 Uhr starten. Um 20:00 Uhr trat der Kläger zum Preis von 311 € den Rückflug von Amsterdam nach Düsseldorf an. Das ihm am nächsten Tag von der Beklagten zweimal unterbreitete Angebot, doch noch nach Reykjavik zu fliegen und sich der Reisegruppe anzuschließen, lehnte der Kläger ab. Die Beklagte erstattete ihm 2.200 €.
Der Kläger hat geltend gemacht, er sei zum Abbruch des Fluges und der Kündigung des Reisevertrages berechtigt gewesen. Nachdem auf der Anzeigetafel für den Flug nach Reykjavik 22:30 Uhr als Abflugszeitpunkt angegeben worden sei, habe er vergeblich versucht, mit der den Flug durchführenden Linie ... in Kontakt zu treten. Es sei nicht absehbar gewesen, ob der Anschlussflug überhaupt stattfinden werde. Von der Fluggesellschaft sei niemand zu erreichen gewesen. Selbst wenn die Maschine noch um 23:15 Uhr von Amsterdam abgeflogen wäre, wäre er aufgrund der verkürzten Nachtruhe nicht mehr in der Lage gewesen, die Leistungen des ersten Tages der Rundreise in Anspruch zu nehmen.
Mit seiner Klage hat der Kläger die Erstattung des restlichen Reisepreises und der Kosten des Rückfluges verlangt. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Gründe
Die zulässige Revision hat keinen Erfolg.
I. Das Berufungsurteil ist entgegen der Auffassung der Revision nicht deshalb aufzuheben, weil es die im Berufungsrechtszug von den Parteien gestellten Anträge nicht enthält. § 540 Abs. 1 ZPO entbindet das Berufungsgericht zwar nicht von der Aufnahme der Berufungsanträge in das Urteil. Das muss aber nicht durch wörtliche Wiedergabe geschehen, sondern es kann genügen, dass aus den Ausführungen des Berufungsgerichts sinngemäß deutlich wird, was der Berufungskläger mit seinem Rechtsmittel und was der Berufungsbeklagte im Berufungsverfahren erstrebt hat (BGHZ 154, 99; Sen.Urt. v. - X ZR 133/03, NJW 2005, 422). Diesen Anforderungen genügt das Berufungsurteil. Darin verneint das Berufungsgericht einen Anspruch auf Rückzahlung des gesamten Reisepreises. Daraus ergibt sich, dass der Kläger diesen in voller Höhe weiterverfolgt hat. Soweit das Urteil keine zusätzlichen Ausführungen zum Anspruch auf Begleichung der Kosten für den Rückflug enthält, ist darin schon deshalb kein Hinweis auf eine Beschränkung der Berufung zu sehen, weil im tatbestandlichen Teil der Gründe mitgeteilt wird, das Amtsgericht habe die Klage auf Erstattung des restlichen Reisepreises und der Rückflugkosten abgewiesen und der Kläger dagegen Berufung eingelegt. Dem ist mangels gegenteiliger Anhaltspunkte nur zu entnehmen, dass der Kläger sein Rechtsmittel nicht beschränkt hat (vgl. Senat NJW 2005, 422).
Auch der Inhalt des vom Beklagten gestellten Berufungsantrags erschließt sich aus dem Urteil. Daraus, dass das Berufungsgericht ein streitiges Urteil, also kein Anerkenntnis- oder Versäumnisurteil erlassen hat, ergibt sich, dass die Beklagte die Zurückweisung der klägerischen Berufung beantragt hat.
II. Das Berufungsgericht hat über die von der Beklagten vorprozessual geleisteten Zahlungen hinausgehende Ansprüche des Klägers verneint. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Ein Anspruch auf Rückzahlung des gesamten Reisepreises aus Art. 8 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 2, Art. 6 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen (im Folgenden auch: Verordnung) bestehe nicht, weil die Verordnung nur das Rechtsverhältnis zwischen den Fluggästen und dem ausführenden Luftfahrtunternehmen regele.
Ein Anspruch auf Rückzahlung des gesamten Reisepreises stehe dem Kläger nicht aus § 651e BGB zu. Die Verspätung des Zubringerfluges stelle keinen zur Kündigung des Reisevertrages berechtigenden Mangel der Reise dar. Der Kläger hätte von der anschließenden zweiwöchigen Rundreise selbst bei einer längeren als der vom Amtsgericht angenommenen Verspätung der Reise nur einen oder maximal zwei Tage versäumt. Damit hätte der in der mehrstündigen Verspätung liegende Reisemangel nicht, wie für die Kündigung nach § 651e Abs. 1 BGB erforderlich, zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Reise geführt.
Die Vorschrift des § 651e BGB sei auch nicht im Lichte der Verordnung dahin auszulegen, dass die Verspätung eines Zubringerfluges nach nationalem Recht zur Kündigung des Reisevertrags berechtige. Für Ansprüche gegen den Reiseveranstalter sei allein das die Richtlinie des Rates vom über Pauschalreisen 90/314/EWG umsetzende Reisevertragsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches einschlägig, und zwar selbst dann, wenn nach der Verordnung gegen ein Luftfahrtunternehmen Ansprüche wegen Flugverspätung bestünden. Richtigerweise hätte der Kläger aufgrund der Verspätung des Zubringerfluges und der dadurch verursachten Beeinträchtigung des Reisegenusses den Reisepreis nach §§ 651d, 638 BGB mindern können. Die Beklagte sei ihm allerdings bereits überobligatorisch entgegengekommen, weshalb hierauf ein weiterer Zahlungsanspruch nicht gestützt werden könne.
III. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision bleiben im Ergebnis ohne Erfolg.
1. Auf die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 kann der Reisende Ansprüche gegen den Reiseveranstalter nicht stützen. Aus der Verordnung lassen sich lediglich Rechte gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen herleiten (Sen.Beschl. v. - X ZR 49/07, NJW 2008, 2119; Führich, Sonderbeilage, MDR 7/2007, S. 4; ders., Reiserecht, 5. Aufl., § 45 Rdn. 959; Schmid, NJW 2007, 261, 267; Staudinger/Schmidt-Bendun, NJW 2004, 1897; Lienhard, GPR 2003-04, 259, 262; Niehuus, Reiserecht, 3. Aufl., § 16 Rdn. 15; AG Oberhausen RRa 2007, 91, 92; vgl. auch Palandt/Sprau, 67. Aufl., Einf. v. § 631 Rdn. 17b). Das gilt entgegen den von der Revision angemeldeten Zweifeln auch für Art. 8 Abs. 2 der Verordnung. Nach dieser Bestimmung gilt Art. 8 Abs. 1 lit. a auch für Fluggäste, deren Flüge Bestandteil einer Pauschalreise sind, mit Ausnahme des Anspruchs auf Erstattung, sofern sich dieser aus der Richtlinie 90/314/EWG ergibt. Aus dieser Einschränkung lässt sich eine Beschränkung der Haftung des Luftfahrtunternehmens, nicht jedoch das Bestehen von Ansprüchen gegen den Reiseveranstalter aus der Verordnung (EG) 261/2004 herleiten.
2. Ein Anspruch auf Rückzahlung des gesamten Reisepreises nach Abbruch der Reise aus § 651e Abs. 1 Satz 1 BGB steht dem Kläger nicht zu.
a) Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Voraussetzungen für eine Kündigung nach § 651e Abs. 1 Satz 1 BGB nicht vorliegen.
aa) Das Kündigungsrecht setzt voraus, dass die Reise infolge eines Mangels der in § 651c BGB bezeichneten Art erheblich beeinträchtigt wird. In welchem Maße ein Mangel die Reise beeinträchtigt, ist aufgrund einer an Zweck und konkreter Ausgestaltung der Reise sowie Art und Dauer der Beeinträchtigung orientierten Gesamtwürdigung zu beurteilen (vgl. dazu OLG Frankfurt RRa 2006, 259, 261; NJW-RR 2005, 132, 133; Palandt/Sprau, aaO, § 651e Rdn. 2). Diese Gesamtwürdigung hat das Berufungsgericht vorgenommen. Das Vorbringen des Klägers, es habe sich um eine vierzehntägige Rundreise mit entsprechend wechselndem täglichem Programm gehandelt, bei der ein verspätet zur Reisegruppe stoßender Teilnehmer die bis dahin absolvierten Programmpunkte unwiederholbar versäumt habe, hat das Berufungsgericht dabei entgegen den Vorwürfen der Revision nicht übergangen, sondern bei seiner Entscheidung berücksichtigt. Dass ihm dabei Rechtsfehler unterlaufen wären, vermag die Revision nicht aufzuzeigen. Es besteht kein Erfahrungssatz dahin, dass eine vierzehntägige Reise der hier in Rede stehenden Art allein dadurch, dass ein Teilnehmer ein oder maximal zwei Tage verpasst, so erheblich beeinträchtigt ist, dass eine Kündigung nach § 651e Abs. 1 Satz 1 BGB gerechtfertigt erscheint. Ob dies nach den jeweiligen Umständen im Einzelfall doch zu bejahen sein könnte, etwa wenn herausragend attraktive Programmpunkte versäumt wurden, kann dahinstehen. Das Berufungsgericht hat solche Umstände nicht festgestellt und Verfahrensrügen sind insoweit nicht erhoben.
bb) Ein für die Kündigung nach § 651e Abs. 1 Satz 1 BGB erforderlicher erheblicher Mangel lässt sich nicht mit dem Erfordernis einer kohärenten Auslegung der Tatbestände der Art. 4 bis 6 der Verordnung und der nationalen Bestimmungen zur Umsetzung der Richtlinie 90/314/EWG begründen.
Eine solche Auslegung wird zum Teil in der Fachliteratur mit Blick darauf befürwortet, dass der dem Pauschalreisenden gegen das Luftfahrtunternehmen zustehende Anspruch auf Erstattung der Flugscheinkosten nach Art. 6 Abs. 1 lit. c, iii, Art. 8 Abs. 1 lit. a, Abs. 2 der Verordnung bei einer Verspätung, wie sie im Streitfall gegeben ist, leerlaufe, wenn der Reisende im Verhältnis zum Reiseveranstalter nicht zur Kündigung des Reisevertrages berechtigt sei (Tonner, in: Gebauer/Wiedmann Zivilrecht unter europäischem Einfluss, Kap. 13a Rdn. 82; ders., Reisevertrag, 5. Aufl. Rdn. 49; vgl. auch Wagner, VuR 2006, 337, 338).
Dem kann nicht beigetreten werden. Art. 8 Abs. 2 der Verordnung regelt, dass der Erstattungsanspruch aus Art. 8 Abs. 1 lit. a Pauschalreisenden gegen das Luftfahrtunternehmen nicht zusteht, sofern sich ein Erstattungsanspruch (gegen den Reiseveranstalter) aus der Richtlinie 90/314/EWG ergibt. Nach der vorstehend erwähnten Literaturauffassung bestünde ein Erstattungsanspruch gegen den Reiseveranstalter reflexartig immer dann, wenn die Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 1 lit. a der Verordnung vorliegen. Ein Anspruch gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen nach dieser Bestimmung wäre dann nie gegeben, weil stets ein Erstattungsanspruch gegen den Reiseveranstalter zu bejahen wäre. Das stünde nicht nur in Widerspruch dazu, dass die Verordnung, wie ausgeführt, Ansprüche gerade nur gegen ausführende Luftfahrtunternehmen gewährt. Vor allem berücksichtigte dies nicht hinreichend die Unterschiede zwischen einer reinen Luftbeförderung und einer Pauschalreise, bei der das Reiseunternehmen typischerweise ein komplexes Bündel von Leistungen erbringt, zu denen die Beförderung neben Unterbringung und verschiedenen touristischen Dienstleistungen gehören kann (vgl. Richtlinie 90/314/EWG Art. 1 Nr. 1). Die Leistungsstörung einer Flugverspätung hat im Rahmen einer Pauschalreise nicht zwangsläufig das gleiche Gewicht wie in einem Vertragsverhältnis, das allein die Beförderung auf dem Luftwege an einen bestimmten Zielort zum Gegenstand hat.
cc) Eine abweichende Sicht ist nicht durch Art. 15 der Verordnung veranlasst. Danach dürfen die Verpflichtungen gegenüber Fluggästen nicht - insbesondere nicht durch abweichende oder restriktive Bestimmungen im Beförderungsvertrag - eingeschränkt oder ausgeschlossen werden. Damit ist nicht das Verständnis der Regelungen der Verordnung selbst gemeint.
dd) Die vom Kläger befürwortete automatische Bejahung eines Kündigungsrechts bei Vorliegen einer die Unterstützungsleistung aus Art. 8 Abs. 1 lit. a der Verordnung auslösenden Verspätung folgt auch nicht aus Erwägungsgrund 16 der Verordnung. Darin ist lediglich klargestellt, dass die Verordnung für Fälle, in denen eine Pauschalreise aus anderen Gründen als der Annullierung des Fluges annulliert wird, nicht gelten sollte. Dem liegt ersichtlich lediglich das Anliegen zugrunde, die Haftungssphären des ausführenden Flugunternehmens auf der einen und des Reiseunternehmens auf der anderen Seite deutlich zu trennen.
ee) Die Beklagte muss sich ein Recht des Klägers auf Abbruch der Reise nach Art. 8 Abs. 1 lit. a, Abs. 2 der Verordnung entgegen der Ansicht der Revision nicht unter dem Gesichtspunkt der Haftung für Erfüllungsgehilfen entgegenhalten lassen. Abgesehen davon, dass dieses Recht, wie ausgeführt, nur besteht, wenn ein erheblicher Reisemangel vorliegt, was nach dem vorstehend Ausgeführten nicht der Fall ist, setzt die Haftung für das Verhalten von Erfüllungsgehilfen deren Verschulden voraus. Ein Verschulden des ausführenden Luftfahrtunternehmens hat das Berufungsgericht nicht festgestellt; Verfahrensrügen sind auch insoweit nicht erhoben.
ff) Der Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften bedarf es nicht. Die Vorlage nach Art. 234 EG ist entbehrlich, wenn die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass keinerlei Raum für vernünftige Zweifel an der Entscheidung der aufgekommenen Frage bleibt ( 283/81, Slg. 182, 3415 Rdn. 16 = NJW 1983, 1257 - CILFIT). So verhält es sich hier.
b) Ohne Erfolg macht die Revision geltend, die Reise sei dem Kläger wegen des Mangels nicht zuzumuten gewesen (§ 651e Abs. 1 Satz 2 BGB). Dieser Kündigungsgrund stellt nicht auf die objektive Erheblichkeit der Beeinträchtigung ab, sondern darauf, ob der Antritt oder die Fortsetzung der Reise gerade dem betreffenden Reisenden wegen eines in seiner Person liegenden Umstandes unzumutbar ist (Palandt/Sprau, aaO, § 651e Rdn. 3). Entsprechende Feststellungen hat das Berufungsgericht ebenfalls und von der Revision unbeanstandet nicht getroffen.
3. Das Berufungsgericht hat einen weitergehenden Zahlungsanspruch des Klägers unter dem Gesichtspunkt der Minderung des Reisepreises wegen der Verspätung des Anschlussfluges gemäß §§ 651d Abs. 1, 651c Abs. 1, 638 Abs. 3 BGB verneint. Das lässt Rechtsfehler nicht erkennen und wird von der Revision auch nicht angegriffen.
4. Der Kläger kann auch keine Erstattung seiner für seinen Ruckflug von Amsterdam nach Düsseldorf aufgewendeten Kosten verlangen. Dieser Anspruch bestünde nach Lage des Sachverhalts nur, wenn auch ein Kündigungsgrund zu bejahen wäre, was nach dem vorstehend Ausgeführten (III 2 a) aber nicht der Fall ist.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2009 S. 287 Nr. 5
NWB-Eilnachricht Nr. 43/2008 S. 3993
RIW 2009 S. 84 Nr. 1
EAAAD-00192
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein