BFH Urteil v. - I R 28/07

Geschäftsbeziehung i.S. des § 1 AStG

Leitsatz

Die unentgeltliche Garantieerklärung einer inländischen Muttergesellschaft zugunsten ihrer ausländischen Tochtergesellschaft wird nicht im Rahmen einer Geschäftsbeziehung i. S. des § 1 AStG in der für 1995 geltenden Fassung abgegeben, wenn die unterkapitalisierte Tochtergesellschaft dadurch in die Lage versetzt wird, die ihr zugewiesene Funktion als Konzern-Finanzierungsgesellschaft zu erfüllen.

Gesetze: AStG § 1, AStG § 21

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Beteiligten streiten über die Anwendung des § 1 des Gesetzes über die Besteuerung bei Auslandsbeziehungen (Außensteuergesetz) in der für das Jahr 1995 geltenden Fassung (AStG a.F.).

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH mit Sitz und Geschäftsleitung in Deutschland. Sie hatte im Streitjahr (1995) mehrere Tochtergesellschaften im In- und Ausland. Im Januar 1994 hatte sie in den Niederlanden die R-BV gegründet, eine niederländische Kapitalgesellschaft, deren einzige Gesellschafterin die Klägerin war. Die R-BV sollte im Wesentlichen als Konzern-Finanzierungsgesellschaft fungieren; ihr autorisiertes Kapital belief sich auf 200 000 Gulden.

Die R-BV nahm im Februar 1994 eine Anleihe in Höhe von 250 Mio. DM auf und zeichnete entsprechende Schuldverschreibungen. Die Klägerin übernahm eine unbedingte und unwiderrufliche Garantie für die ordnungsgemäße Bedienung der sich aus den Schuldverschreibungen ergebenden Verbindlichkeiten. Im April 1994 gewährte die R-BV der Klägerin ein Darlehen in Höhe des Anleihebetrags. Die Darlehensbedingungen waren nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) fremdüblich.

Für die Übernahme der Garantie berechnete die Klägerin der R-BV kein Entgelt. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) nahm indessen an, dass für diese Leistung zwischen fremden Dritten ein Entgelt vereinbart worden wäre. Er erließ deshalb für das Streitjahr Steuerbescheide, in denen er von den Steuererklärungen der Klägerin in der Weise abwich, dass er um 312 500 DM (0,125 % von 250 Mio. DM) erhöhte Einkünfte ansetzte. Die gegen diese Bescheide gerichtete Klage hatte Erfolg; das ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2007, 1314 abgedruckt.

Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA eine Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten. Es hat sich in der Sache dem FA angeschlossen, aber keinen Antrag gestellt.

II. Die Revision ist unbegründet und daher gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Einkünfte der Klägerin nicht gemäß § 1 Abs. 1 AStG a.F. um den Betrag von 312 500 DM berichtigt werden dürfen. Denn die Übernahme der Garantie durch die Klägerin ist nicht im Rahmen einer Geschäftsbeziehung zu der R-BV erfolgt:

1. Nach § 1 Abs. 1 AStG a.F. sind, wenn ein Steuerpflichtiger Geschäftsbeziehungen zum Ausland unterhält, seine Einkünfte unter bestimmten Voraussetzungen abweichend von der tatsächlich angefallenen Höhe anzusetzen. Voraussetzung für die von der Vorschrift angeordnete Berichtigung der Einkünfte ist mithin, dass es um ein Verhältnis zwischen einem Steuerpflichtigen und einer ihm nahestehenden Person geht, das als „Geschäftsbeziehung” qualifiziert werden kann (Senatsurteil vom I R 85/99, BFHE 194, 53, BStBl II 2002, 720, m.w.N.). Dazu hat der Senat zu der im Jahr 1985 geltenden Rechtslage entschieden, dass die Garantieerklärung einer Konzern-Obergesellschaft zugunsten eines anderen konzernangehörigen Unternehmens nicht im Rahmen einer Geschäftsbeziehung zwischen den beiden Unternehmen abgegeben wird, wenn die begünstigte Gesellschaft mangels ausreichender Eigenkapitalausstattung ohne sie ihre konzerninterne Funktion nicht erfüllen könnte (Senatsurteil in BFHE 194, 53, BStBl II 2002, 720). Daran hält er auch für die im Streitjahr geltende Rechtslage fest.

a) Die seinerzeit getroffene Entscheidung geht von der Überlegung aus, dass die Zuführung von Eigenkapital keine „Geschäftsbeziehung” i.S. des § 1 Abs. 1 AStG a.F. begründet (ebenso schon Senatsurteil vom I R 97/88, BFHE 160, 567, BStBl II 1990, 875). Das wird von den Beteiligten nicht in Frage gestellt und bedarf deshalb keiner näheren Erörterung. Auf dieser Basis hat der Senat sodann angenommen, dass es unter bestimmten Umständen geboten sein kann, eigenkapitalersetzende Finanzierungsmaßnahmen im Hinblick auf die Anwendung des § 1 AStG a.F. der Zuführung von Eigenkapital gleichzustellen. Solche Umstände hat er für gegeben erachtet, wenn eine Muttergesellschaft ihre unterkapitalisierte Tochtergesellschaft durch die unentgeltliche Abgabe einer Garantieerklärung in die Lage versetzt, die ihr im Konzern zugewiesene Funktion zu erfüllen. In einem solchen Fall ersetzt die Garantieerklärung eine funktionsgerechte Kapitalausstattung der Tochtergesellschaft, was in gleicher Weise originär dem Gesellschaftsverhältnis zuzuordnen ist wie die Zuführung von Eigenkapital. Es wäre nicht sachgerecht, letztere aus dem Anwendungsbereich des § 1 AStG a.F. auszuklammern, einen funktional gleichwertigen Ersatztatbestand aber in ihn einzubeziehen: das ist der Gedanke, der die Aussage trägt, dass in der genannten Situation eine „Geschäftsbeziehung” i.S. des § 1 Abs. 1 AStG a.F. nicht vorliegt.

Vor diesem Hintergrund geht der Hinweis des FA und des BMF fehl, dass nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) eigenkapitalersetzende Darlehen steuerrechtlich nicht dem Eigenkapital, sondern dem Fremdkapital des Darlehensnehmers zuzuordnen seien (, BFHE 195, 351, BStBl II 2002, 436; , BFHE 197, 483, BStBl II 2002, 733; Blümich/ Schreiber, § 5 EStG Rz 920 „Eigenkapitalersetzende Darlehen”, m.w.N.). Dasselbe gilt für die Argumentation des BMF, es entspreche gerade der Zielrichtung des § 1 AStG a.F., durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasste Gestaltungen zu erfassen (vgl. dazu auch BStBl I 2002, 1025). Denn es geht nicht darum, entweder alle durch das Gesellschaftsverhältnis begründeten oder beeinflussten Beziehungen oder jedenfalls alle eigenkapitalersetzenden Maßnahmen generell einer Korrektur nach § 1 AStG a.F. zu entziehen (ebenso FW, Internationales Steuerrecht —IStR— 2001, 319). Vielmehr geht es darum, dass im Einzelfall eine solche Maßnahme der Zuführung von Eigenkapital in einer Weise nahestehen kann, die eine steuerrechtliche Gleichbehandlung beider Vorgänge gebietet. Aus vergleichbaren Erwägungen heraus hat der BFH in anderen Zusammenhängen ebenfalls entschieden, dass die Gewährung eines eigenkapitalersetzenden Darlehens dieselben Rechtsfolgen wie die Zuführung von Eigenkapital auslösen kann (z.B. , BFHE 209, 353, BStBl II 2005, 598). Eine ähnliche wertende Betrachtung liegt der Auslegung des Begriffs „Geschäftsbeziehung” i.S. des § 1 AStG a.F. zu Grunde. Daher greift auch der Einwand des FA, jene Auslegung beinhalte einen Wertungswiderspruch zu anderer Rechtsprechung des Senats (Urteil vom I R 127/90, BFHE 166, 356, BStBl II 1992, 532), nicht durch.

Im Ergebnis sind die Überlegungen des FA und des BMF mithin nicht geeignet, das vom Senat entwickelte Verständnis des Begriffs „Geschäftsbeziehungen” i.S. des § 1 AStG a.F. in Frage zu stellen. Zudem hat jene Deutung in Rechtsprechung und Schrifttum überwiegend Zustimmung gefunden (z.B. , EFG 2002, 381; , EFG 2007, 92; Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/ Baumhoff, Außensteuerrecht, § 1 AStG Rz 893; Herlinghaus, EFG 2002, 383; ebenso im Ergebnis Baumhoff in Flick/Wassermeyer/ Baumhoff, a.a.O., § 1 AStG Rz 764). Daher besteht kein Anlass, von ihr abzurücken.

b) Das Senatsurteil in BFHE 194, 53, BStBl II 2002, 720 betrifft zwar unmittelbar nur die im Jahr 1985 geltende Gesetzeslage. Von dieser unterscheidet sich die im Streitfall maßgebliche dadurch, dass durch das Steueränderungsgesetz 1992 (StÄndG 1992) vom (BGBl I 1992, 297, BStBl I 1992, 146) § 1 AStG um einen Absatz 4 ergänzt worden ist. Die Änderung gilt mit Wirkung zum (§ 21 Abs. 4 Satz 2 AStG i.d.F. des Standortsicherungsgesetzes vom , BGBl I 1993, 1569, BStBl I 1993, 774) und daher auch für das Streitjahr. Sie wirkt sich aber auf die Beantwortung der hier maßgeblichen Frage nicht aus:

Nach § 1 Abs. 4 AStG i.d.F. des StÄndG 1992 liegen Geschäftsbeziehungen i.S. des § 1 Abs. 1 und 2 AStG vor, wenn die den Einkünften zu Grunde liegende Beziehung entweder beim Steuerpflichtigen oder bei der nahestehenden Person Teil einer Tätigkeit ist, auf die die §§ 13, 15, 18 oder 21 EStG anzuwenden sind oder wären, wenn die Tätigkeit im Inland vorgenommen würde. Diese Vorschrift enthält schon nach ihrem Wortlaut keine Regelung dazu, ob und unter welchen Voraussetzungen ein einem Gesellschaftsverhältnis zuzuordnender Vorgang „Geschäftsbeziehung” ist. Sie betrifft aber auch nach ihrer historischen Zielsetzung diese Frage nicht. Vielmehr ging es dem Gesetzgeber seinerzeit darum, auf eine Rechtsprechung des BFH zu reagieren, nach der § 1 AStG zuvor nur bei Gewinneinkünften anwendbar war (, BFHE 163, 90, BStBl II 1991, 287; vom I R 28/90, BFH/NV 1991, 654). Durch die Ergänzung des § 1 AStG sollte klargestellt werden, dass eine Korrektur nach dieser Vorschrift auch bei Überschusseinkünften in Betracht kommt (Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, BTDrucks 12/1108, sowie Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 12/1368, jeweils Begründung zu Art. 13 Nr. 1). Dieses —und nur dieses— Ziel spiegelt sich denn auch im Wortlaut des seinerzeit beschlossenen § 1 Abs. 4 AStG a.F. wider; ein weiteres wurde hingegen nicht verfolgt. Angesichts dessen geht die in Rechtsprechung und Schrifttum ganz vorherrschende Ansicht zu Recht davon aus, dass die Rechtsgrundsätze des Senatsurteils in BFHE 194, 53, BStBl II 2002, 720 durch das erstmalige Inkrafttreten des § 1 Abs. 4 AStG a.F. nicht berührt worden sind (so z.B. FG Baden-Württemberg in EFG 2002, 381; FG Münster in EFG 2007, 92; Wassermeyer, IStR 2001, 319, 320; -sch, Deutsches Steuerrecht 2001, 739, 740; Ammelung, IStR 2003, 250, 252). Diese Grundsätze greifen daher auch im Streitfall durch.

c) Der Streitfall bietet keinen Anlass, der von den Beteiligten angesprochenen Frage nachzugehen, ob nach der Neufassung des § 1 Abs. 4 AStG durch das Steuervergünstigungsabbaugesetz (StVergAbG) vom (BGBl I 2003, 660, BStBl I 2003, 321) Vorgänge der hier in Rede stehenden Art in den Bereich der „Geschäftsbeziehungen” i.S. des § 1 Abs. 1 AStG a.F. einzuordnen sind. Denn jene Fassung ist erstmals mit Wirkung zum Veranlagungszeitraum 2003 anzuwenden (§ 21 Abs. 11 Satz 1 AStG i.d.F. des StVergAbG) und greift daher im Streitfall nicht ein. Der vom FA vertretenen Ansicht, sie sei nur klarstellender Natur und deshalb auch für die Beurteilung von Vorgängen heranzuziehen, die vor ihrem Inkrafttreten verwirklicht worden seien, schließt sich der Senat nicht an.

Zwar wird in der Gesetzesbegründung zum StVergAbG die Änderung des § 1 Abs. 4 AStG als „klarstellende” Maßnahme bezeichnet (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 15/119, S. 53). Daraus allein kann aber eine Rückbeziehung der neuen Fassung auf Veranlagungszeiträume vor 2003 nicht abgeleitet werden. Denn indem das Gesetz den Veranlagungszeitraum 2003 als denjenigen der erstmaligen Anwendung benennt, bringt es klar zum Ausdruck, dass die Neuregelung Veranlagungen für frühere Zeiträume gerade nicht erfassen soll. Jene Veranlagungen sind daher weiterhin ausschließlich nach der vor der Neufassung bestehenden Gesetzeslage zu beurteilen (ebenso z.B. Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, a.a.O., § 1 AStG Rz 222.1; Schaumburg, Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht 2003/ 2004, S. 130, S. 132; Günkel/Lieber, IStR 2004, 229, 230; Herlinghaus, EFG 2007, 93, 94). Das gilt auch für den Streitfall.

2. Im Streitfall liegen diejenigen Voraussetzungen, unter denen hiernach eine eigenkapitalersetzende Finanzierungsmaßnahme keine „Geschäftsbeziehung” i.S. des § 1 Abs. 1 AStG a.F. begründet, in tatsächlicher Hinsicht vor. Das FG hat dazu festgestellt, dass die R-BV als Konzernfinanzierungsgesellschaft fungieren sollte, dass eine erste Finanzierungsmaßnahme die Aufnahme einer Anleihe in Höhe von 250 Mio. DM erforderte und dass die R-BV über ein autorisiertes Kapital (Eigenkapital) von 200 000 Gulden verfügte. Es handelte sich bei ihr mithin um eine Gesellschaft, deren Eigenkapitalausstattung so gering war, dass sie ohne die Garantieerklärung seitens der Klägerin die ihr zugedachte Funktion nicht hätte erfüllen können. Unter diesen Umständen steht die Abgabe der Garantieerklärung der Zuführung von Eigenkapital in einer Weise gleich, die eine Korrektur der Einkünfte nach § 1 Abs. 1 AStG a.F. ausschließt. Die von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob § 1 AStG a.F. mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, muss angesichts dessen nicht hier erörtert werden.

3. Schließlich kann auch die vom FA angestellte Überlegung, dass die R-BV möglicherweise nur aus steuerlichen Gründen in die von der Klägerin angestrebte Kapitalaufnahme eingeschaltet worden ist, der Revision nicht zum Erfolg verhelfen. Das FA will damit augenscheinlich andeuten, dass sich die von der Klägerin gewählte Gestaltung als missbräuchlich i.S. des § 42 der Abgabenordnung darstellen könnte. Jedoch hat das FG einen Gestaltungsmissbrauch nicht für gegeben erachtet. Allein die spekulative Erwägung, dass ein solcher vorliegen könnte, kann diese tatrichterliche Würdigung nicht erschüttern.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 123 Nr. 2
HFR 2009 S. 347 Nr. 4
GAAAC-97784