BFH Urteil v. - XI R 53/07

Vorsteuerabzug bei Errichtung eines gemischt genutzten Gebäudes; Zurechnung der Vorsteuerbeträge

Leitsatz

Bei Anschaffung oder Herstellung eines Gebäudes, das "gemischt" für steuerfreie und steuerpflichtige Umsätze verwendet werden soll, kann für den Vorsteuerabzug gem. § 15 UStG nicht darauf abgestellt werden, welche Aufwendungen in bestimmte Teile des Gebäudes eingehen (z. B. Wohnungsteil oder Gewerbeteil). Für die Zurechnung der Vorsteuerbeträge ist die "prozentuale" Verwendung des gesamten Gebäudes zu steuerfreien und steuerpflichtigen Umsätzen maßgeblich. Daraus folgt regelmäßig eine Ermittlung der nicht abziehbaren Vorsteuerbeträge gem. § 15 Abs. 4 UStG im Wege einer sachgerechten Schätzung. Ein sachgerechter Aufteilungsmaßstab kann auch der sog. Umsatzschlüssel sein. § 15 Abs. 4 UStG ist bei der Herstellung eines für eine gemischte Verwendung vorgesehenen Gebäudes auch dann anwendbar, wenn zuvor eine unmittelbare und wirtschaftliche Zuordnung der einzelnen Eingangsumsätze zu den zum Vorsteuerabzug berechtigenden und den nicht zum Vorsteuerabzug berechtigenden Umsätzen möglich sind. Der gemeinschaftsrechtliche Grundsatz der steuerlichen Neutralität gestattet keine unterschiedliche Behandlung bei der Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugsrechts je nachdem, ob der Steuerpflichtige einen Generalunternehmer oder mehrere Handwerker mit der Herstellung eines Gebäudes beauftragt.

Gesetze: UStG § 15 Abs. 1, UStG § 15 Abs. 4

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ließ im Streitjahr 2000 u.a. ein gemischtgenutztes Gebäude in der A-Straße in X. errichten. Im Erdgeschoss des Gebäudes befinden sich zwei Ladenlokale, die mittlerweile umsatzsteuerpflichtig vermietet sind. Im Ober- und Dachgeschoss sind steuerfrei vermietete Privatwohnungen. Die Mieter können ihre Wohnungen über ein Treppenhaus und einen sich dort befindenden Fahrstuhl erreichen. Das Treppenhaus hat eine eigene Eingangstür; von den beiden Ladenlokalen im Erdgeschoss besteht kein eigener Zugang zum Treppenhaus.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) gelangte im Anschluss an Umsatzsteuer-Sonderprüfungen für die Zeiträume III/00 und IV/00 zu der Auffassung, dass die geltend gemachten Vorsteuerbeträge aufzuteilen seien, da das Objekt sowohl zu steuerpflichtigen (gewerbliche Vermietung) als auch zu steuerfreien Umsätzen (Vermietung von Wohnungen an Privatpersonen) verwendet werde. Die Vorsteuern seien nur insoweit abzugsfähig, als diese mit der steuerpflichtigen Vermietung in Zusammenhang stünden. Soweit eine direkte Zuordnung der Vorsteuern zu den einzelnen Gebäudeteilen möglich sei, müsse diese vorab vorgenommen werden. Die nicht unmittelbar zuzuordnenden Vorsteuern seien nach dem Verhältnis der tatsächlichen Nutzflächen aufzuteilen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Berichte über die Umsatzsteuer-Sonderprüfungen verwiesen.

Während des Einspruchsverfahrens gegen die entsprechend geänderten Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide reichte der Kläger seine Umsatzsteuerjahreserklärung 2000 ein, in der er Vorsteuern von insgesamt 88 899,45 DM geltend machte. Davon entfielen auf das Objekt „A-Straße” ein geltend gemachter Betrag von 87 511,71 DM und auf das Objekt „B” ein Betrag von 1 387,74 DM. Die auf das Objekt „A-Straße” entfallenden Vorsteuerbeträge von insgesamt 120 473,18 DM hatte der Kläger einheitlich den steuerpflichtig vermieteten Ladenlokalen einerseits und der für steuerfreie Umsätze verwendeten Wohnungen andererseits entsprechend dem —unstreitigen— Umsatzschlüssel von 72,64 % (steuerpflichtiger Anteil) zu 27,36 % (steuerfreier Anteil) zugeordnet. Am erließ das FA einen Umsatzsteuer-Jahresbescheid 2000, mit dem abweichend von der Steuererklärung nur noch Vorsteuern in Höhe von 64 122,09 DM berücksichtigt wurden. Der Bescheid wurde zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens (§ 365 Abs. 3 der Abgabenordnung). Der Einspruch des Klägers blieb ohne Erfolg.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) haben sich der Kläger und das FA darauf „verständigt”, dass für das Objekt „B” Vorsteuern in Höhe von 1 387,74 DM zu berücksichtigen seien. Sie haben sich darüber hinaus darauf „geeinigt”, dass der Gesamtvorsteuerbetrag für das Objekt „A-Straße” den Betrag von 120 473,18 DM umfasst und dieser Betrag weitgehend auf der Grundlage des (unstreitigen) Umsatzschlüssels in einen abziehbaren und einen nicht abziehbaren Teil aufzuteilen ist. Streitig waren danach nur noch die Beträge lt. Tz. 10 Buchst. c des Berichts vom ... Juni 2001 i.H. von 4 408,14 DM und Tz. 12 Buchst. a des Berichts vom ... Juli 2001 i.H. von 4 250,86 DM, die wegen der Errichtung des Treppenhauses und der Installation der Fahrstuhlanlage angefallen sind.

Das FG gab der Klage im Umfang der „Verständigung” der Beteiligten statt. Hinsichtlich der Vorsteuerbeträge, die der Kläger im Zusammenhang mit der Errichtung des Treppenhauses und der Installation der Fahrstuhlanlage geltend machte, wies es die Klage ab. Insoweit sei unstreitig, dass die entsprechenden Eingangsleistungen räumlich ausschließlich den für steuerfreie Ausgangsumsätze verwendeten Wohnteil des Gebäudes beträfen. Diese Eingangsleistungen seien damit auch wirtschaftlich ausschließlich diesen Umsätzen zuzuordnen. Daher sei der Anwendungsbereich von § 15 Abs. 4 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) nicht eröffnet. Vielmehr scheide hier ein Vorsteuerabzug bereits nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG aus. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1203 veröffentlicht.

Mit der Begründung der Revision beruft sich der Kläger auf die Verletzung materiellen Rechts.

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei für den Fall der Herstellung eines Gebäudes, das gemischt für steuerfreie und steuerpflichtige Umsätze verwendet werden solle, für die Vorsteueraufteilung nicht darauf abzustellen, welche Aufwendungen in bestimmte Teile des Gebäudes eingingen. Maßgebend sei vielmehr die prozentuale Aufteilung der Verwendung des gesamten Gebäudes zu steuerfreien und steuerpflichtigen Umsätzen (, BFH/NV 2006, 1525, und vom V R 43/03, BFHE 215, 335, BStBl II 2007, 417; , BFH/NV 2004, 234). Hierbei sei es unerheblich, ob —in Herstellungsfällen— das Gebäude durch Einzelbezug von Bauleistungen durch den Bauherrn oder einen Generalunternehmer erstellt worden sei. Hierauf verweise der BFH eindeutig (BFH-Urteil in BFHE 215, 335, BStBl II 2007, 417, unter II.2.aa). Nur bei Umbaumaßnahmen und Erhaltungsaufwand mache er einen Unterschied.

In der gemeinschaftsrechtlichen Vorgabe des Art. 17 Abs. 5 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) werde nicht auf die einzelnen Eingangsleistungen abgestellt, sondern auf den Gegenstand, mit dem Umsätze erzielt würden. Somit sei es folgerichtig, dass die Summe aller Leistungsbeziehungen, die in das gesamte Gebäude einfließen, nach einem einheitlichen Schlüssel aufzuteilen sei. Dies entspreche im Übrigen auch Praktikabilitätsgesichtspunkten.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben, soweit das FG die Klage abgewiesen hat, und den Umsatzsteuerbescheid 2000 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer unter Berücksichtigung weiterer Vorsteuern von

6 289,89 DM auf ... DM festgesetzt wird.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Es hält das FG-Urteil für zutreffend, das im Übrigen auch mit der Verwaltungsauffassung im Einklang stehe (vgl. IV A 5 –S 7306– 4/04, BStBl I 2004, 1125).

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung in dem Umfang, in welchem das FG die Klage abgewiesen hat, und zur Klagestattgabe in vollem Umfang (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

Das FG hat zu Unrecht den begehrten anteiligen Vorsteuerabzug für die Fahrstuhlanlage und das Treppenhaus versagt.

1. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG kann der Unternehmer die Vorsteuerbeträge für Lieferungen und Leistungen abziehen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

2. Ausgeschlossen ist nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG der Vorsteuerabzug für Lieferungen, die der Unternehmer zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet. Verwendet der Unternehmer eine für sein Unternehmen bezogene Leistung (Lieferung oder sonstige Leistung) nur zum Teil zur Ausführung von Umsätzen, die den Vorsteuerabzug ausschließen, so ist nach § 15 Abs. 4 Satz 1 UStG der Teil der jeweiligen Vorsteuerbeträge nicht abziehbar, der den zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führenden Umsätzen wirtschaftlich zuzurechnen ist. Nach Satz 2 der Vorschrift kann der Unternehmer die nicht abziehbaren Teilbeträge im Wege einer sachgerechten Schätzung ermitteln.

§ 15 UStG beruht auf Art. 17 der Richtlinie 77/388/EWG. Nach Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG ist der Steuerpflichtige zum Vorsteuerabzug befugt, „soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden”. Soweit Gegenstände und Dienstleistungen von einem Steuerpflichtigen sowohl für Umsätze verwendet werden, für die ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, als auch für Umsätze, für die dieses Recht nicht besteht, ist der Vorsteuerabzug nach Art. 17 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG nur für den Teil der Mehrwertsteuer zulässig, der auf den Betrag der erstgenannten Umsätze entfällt.

a) Der BFH hat bereits mehrfach unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) entschieden, dass zwischen der Verwendung des Gegenstands selbst und der Verwendung von Gegenständen und Dienstleistungen zur Erhaltung oder zum Gebrauch des Gegenstands (bzw. für seine Nutzung und Wartung) zu unterscheiden ist. Bei Anschaffung oder Herstellung eines Gegenstands „als solchem” sind die Vorsteuerbeträge auf die Aufwendungen für den Gegenstand abziehbar, „soweit der Gegenstand” für Zwecke besteuerter Umsätze verwendet wird. Vorsteuerbeträge auf Leistungsbezüge (Gegenstände oder sonstige Leistungen), die Nutzung, Gebrauch oder Erhaltung des Gegenstands betreffen, sind gesondert zu beurteilen (BFH-Urteile in BFHE 215, 335, BStBl II 2007, 417, unter II.2.b, und vom V R 43/06, BFH/NV 2008, 513, unter II.2.b, jeweils m.w.N.).

Wird z.B. ein Gebäude (als Gegenstand) angeschafft oder hergestellt, welches „gemischt” für steuerfreie und steuerpflichtige Umsätze verwendet werden soll, kann nicht darauf abgestellt werden, welche Aufwendungen in bestimmte Teile des Gebäudes eingehen (z.B. Wohnungsteil oder Gewerbeteil). Für die Zurechnung der Vorsteuerbeträge ist die „prozentuale” Verwendung des gesamten Gebäudes zu steuerfreien und steuerpflichtigen Umsätzen maßgeblich (vgl. —Armbrecht—, Slg. 1995, I-2775, Randnr. 21). Daraus folgt regelmäßig eine Ermittlung der nicht abziehbaren Vorsteuerbeträge gemäß § 15 Abs. 4 UStG im Wege einer sachgerechten Schätzung. Ein sachgerechter Aufteilungsmaßstab kann auch der im Streitfall von den Beteiligten übereinstimmend gewählte sog. Umsatzschlüssel sein (BFH-Urteil in BFHE 215, 335, BStBl II 2007, 417, unter II.2.b aa, und BFH-Urteil in BFH/NV 2008, 513, unter II.2.a; vgl. zur Rechtslage ab dem auch § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG n.F., sowie —Securenta—, BFH/NV 2008, Beilage 3, 207, Randnr. 38).

b) Im Streitfall steht die vollständige Versagung des Vorsteuerabzugs aus den Herstellungskosten des Treppenhauses und der Fahrstuhlanlage durch das FA nicht im Einklang mit den vorgenannten Grundsätzen. Denn da es sich um Herstellungskosten des gesamten für eine gemischte Verwendung vorgesehenen Gebäudes (als Gegenstand) handelt, sind die darauf entfallenden Vorsteuerbeträge nach dem sog. Umsatzschlüssel prozentual aufzuteilen.

Der Senat folgt nicht der Auffassung der Finanzverwaltung, wonach § 15 Abs. 4 UStG bei der Herstellung eines für eine gemischte Verwendung vorgesehenen Gebäudes nicht anwendbar sein soll, wenn zuvor eine unmittelbare und wirtschaftliche Zuordnung der einzelnen Eingangsumsätze zu den zum Vorsteuerabzug berechtigenden und den nicht zum Vorsteuerabzug berechtigenden Umsätzen möglich ist ( IV A 5 –S 7306/07/0003, BStBl I 2007, 482, unter Hinweis auf das BMF-Schreiben in BStBl I 2004, 1125). Insoweit schliesst sich der Senat in vollem Umfang den Ausführungen des V. Senats in seinem Urteil in BFH/NV 2008, 513, unter II.2.b an, worauf zur Vermeidung von Wiederholungen im Einzelnen verwiesen wird.

Schließlich lässt sich dieser Beurteilung auch nicht entgegenhalten, bei den vom BFH bereits entschiedenen Sachverhalten in den Urteilen in BFHE 215, 335, BStBl II 2007, 417 und in BFH/NV 2008, 513 habe es sich um die Beauftragung eines Generalunternehmers gehandelt, während der Kläger die Gewerke im Streitfall an einzelne Handwerker vergeben habe, was eine Einzelzuordnung der Eingangsleistungen und damit die Anwendung von § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG ermögliche. Denn der gemeinschaftsrechtliche Grundsatz der steuerlichen Neutralität verbietet es, dass Wirtschaftsteilnehmer, die gleichartige Umsätze bewirken, bei der Mehrwertsteuererhebung unterschiedlich behandelt werden. Dieser Grundsatz gestattet auch keine unterschiedliche Behandlung bei der Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugsrechts (vgl. EuGH-Urteil in BFH/NV 2008, Beilage 3, 207, Randnrn. 25 und 36) je nachdem, ob der Steuerpflichtige einen Generalunternehmer oder mehrere Handwerker mit der Herstellung eines Gebäudes beauftragt.

3. Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Das FG-Urteil ist daher in dem Umfang aufzuheben, in dem es die Klage abgewiesen hat. Die Sache ist spruchreif. Der Klage ist in vollem Umfang stattzugeben. Die Umsatzsteuer 2000 ist entsprechend dem Klageantrag unter Berücksichtigung weiterer Vorsteuern von 6 289,89 DM auf ... DM festzusetzen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 228 Nr. 2
DStR 2008 S. 2262 Nr. 47
DStRE 2008 S. 1536 Nr. 24
HFR 2009 S. 291 Nr. 3
BAAAC-97777