Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StGB § 21; StGB § 49 Abs. 1
Instanzenzug: LG Cottbus, vom
Gründe
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Totschlags jeweils zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihren wirksam auf den Strafausspruch beschränkten, zuungunsten der Angeklagten eingelegten Revisionen. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel haben Erfolg.
1. Der Angeklagte S. trank seit dem Jugendalter Alkohol. Alkoholmissbrauch betrieb er seit 1983; er ist alkoholabhängig. Nach schweren Ausfallerscheinungen im März 2005 trank er bis zum keinen Alkohol. Er ist wiederholt, vor allem wegen Verkehrsdelikten, darunter auch Trunkenheit im Verkehr, vorbestraft. Der Angeklagte T. verprügelte einmal unter erheblichem Alkoholeinfluss seine Ehefrau. Um eine solche Reaktion zukünftig zu vermeiden, trank er außer in Gesellschaft kaum noch Alkohol. Er ist mehrfach - wegen Vermögensdelikten und Beleidigung, aber auch wegen Körperverletzung - vorbestraft.
Die nach gemeinsamem Strafvollzug befreundeten Angeklagten hielten auch in den Tagen nach ihrer Haftentlassung engen Kontakt. So war der Angeklagte T. anwesend, als der Sohn des Angeklagten S. diesem am berichtete, er sei von dem 55 Jahre alten Obdachlosen R. sexuell belästigt worden. Die Mutter des Jungen erzählte zudem, dass sie von R. wegen der von ihr erstatteten Strafanzeige mit dem Tode bedroht worden sei. Die Angeklagten kamen daraufhin überein, dass R. eine "Ansage" brauche. Nachdem sie ihn im Obdachlosenheim ausfindig gemacht hatten, verabredeten sie sich mit ihm unter dem Vorwand, gemeinsam Alkohol trinken zu wollen, für den nächsten Morgen. Der Angeklagte S. , der im Laufe dieses Tages bereits erheblich dem Alkohol zugesprochen hatte, hatte noch in der Nacht einem Trinkkumpanen gegenüber angedroht, dass R. "bluten" müsse und dass er ihn umbringen werde. Jedoch verschlief er das Treffen zunächst, wurde aber von dem Angeklagten T. geweckt und an das gemeinsame Vorhaben - R. sollte eine "Abreibung" erhalten - erinnert. Gemeinsam holten sie R. ab und fuhren in die Wohnung des Angeklagten S. . Dort tranken sie gemeinsam Alkohol. Die Angeklagten spielten R. ein harmloses Trinkgelage vor, bis sie die Frage des sexuellen Missbrauchs geklärt hatten. Hierzu fotografierte der Angeklagte T. den R. und traf sich mit dem Sohn S. s, um sich bestätigen zu lassen, dass dies der Täter gewesen sei. Danach gab der Angeklagte S. an, er fühle sich in sexueller Hinsicht zu Kindern hingezogen. R. , enthemmt durch die Atmosphäre und den Alkohol, berichtete jetzt freimütig über seine Vorliebe zu Jungen und erklärte nach Vorhalt eines Bildes, auch den Sohn des S. zu kennen.
Der Angeklagte T. , der wusste, dass R. ein Messer mit sich führte, bewegte ihn dazu, dieses vorzuzeigen, um eine mögliche Gegenwehr damit zu verhindern. Der Angeklagte S. schrie R. an, dass der Junge auf dem Bild sein Sohn sei, worüber R. lachte. S. versetzte diesem gegen 12.00 Uhr mit einem Feuerzeug einen Schlag gegen den Kopf, aufgrund dessen R. kurz darauf das Bewusstsein verlor. Jetzt schnitt ihm S. ein Ohr ab, während T. die Misshandlungen detailliert fotografierte. Spätestens jetzt entschlossen sich die Angeklagten, R. zu töten. Sie versetzten ihm Messerstiche in den Bauch, in die Beine und in die linke Brustseite; zudem brachten sie ihm einen tiefgreifenden Halsschnitt bei. Welcher der beiden Angeklagten dem Opfer die todesursächlichen Verletzungen unmittelbar beibrachte, blieb ungeklärt. Der jeweils andere fotografierte das Geschehen.
R. verstarb zwischen den Bruststichen und der Beibringung des Halsschnittes. Die Angeklagten bemerkten dies. Der Angeklagte T. nahm die Ringe und eine Uhr des Toten an sich. Sodann schnitten die Angeklagten ihrem Opfer dessen Geschlechtsteil ab. Nach etwa einer Stunde Pause - zweieinhalb Stunden nach Beginn der Gewalttätigkeiten - versuchten sie, ihm das Herz aus der Brust herauszuschneiden, was jedoch scheiterte, da das hierzu verwendete Messer zerbrach. Während des gesamten Geschehensablaufs waren die Angeklagten in erheblichem Maße alkoholisiert.
Das gesamte Geschehen hatten die Angeklagten, wie es von vornherein geplant war, in den jeweiligen Sequenzen fotografiert. Dazu hatten sie auch Positionen arrangiert. So entkleideten sie ihr Opfer und legten ihm das abgeschnittene Geschlechtsteil auf den Bauch. Mit der so entstandenen Bilddokumentation wollten sie beweisen, dass sie an R. "Rache genommen haben", zudem sollten die Bilder in das Internet gestellt werden, um eine abschreckende Wirkung auf Sexualtäter zu erzielen.
2. Das Landgericht hat sachverständig beraten aufgrund der Alkoholisierung der Angeklagten eine erhebliche Verminderung ihrer Steuerungsfähigkeit bei der Fassung des Tatentschlusses und für die eigentliche Tatausführung angenommen. Es hat bei beiden Angeklagten den Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB verschoben.
Während die Annahme erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit rechtsfehlerfrei ist, hält die nicht begründete - und von der Staatsanwaltschaft beanstandete - Strafrahmenverschiebung revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand. Über die fakultative Strafrahmenverschiebung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB entscheidet der Tatrichter nach seinem pflichtgemäßen Ermessen aufgrund einer Gesamtabwägung aller schuldrelevanten Umstände. Beruht die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit auf zu verantwortender Trunkenheit, spricht dies in der Regel gegen eine Strafrahmenverschiebung, wenn sich aufgrund der persönlichen Verhältnisse des Täters (etwa Neigung zu Aggressionen oder Gewalttätigkeiten unter Alkoholeinfluss) oder der Tatsituation (etwa Trinken in gewaltbereiten Gruppen oder gewaltgeneigten Situationen) das Risiko der Begehung von Straftaten vorhersehbar signifikant infolge der Alkoholisierung erhöht hat. Ob dies der Fall ist, hat der Tatrichter in wertender Betrachtung zu bestimmen (BGHSt 49, 239, 245 f.; BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 59).
Diesen Grundsätzen genügt das angefochtene Urteil nicht. Denn das Landgericht hat sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob der grundsätzlich schuldmindernde Umstand der erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit durch andere, die Schuld steigernde Umstände ausgeglichen wird. Anlass zu der Erörterung eines solchen Ausgleichs hätte insbesondere im Hinblick darauf bestanden, dass sich die Angeklagten - planvoll alkoholisiert - bewusst in eine gewaltgeneigte Situation begeben haben. Das von ihnen arrangierte Treffen mit dem späteren Opfer diente allein dem Zweck, ihm eine "Abreibung" zu verpassen. Dieser Situation wohnte das vorhersehbare Risiko erheblicher Gewalttaten inne. Dabei hat der Angeklagte T. die mit dem Alkoholgenuss verbundene Enthemmung in Kauf genommen. Hinzu tritt, dass ihm seine Neigung zu Gewalttätigkeiten unter Alkoholeinfluss bewusst war. Dass dies nicht zu einer strafrechtlichen Vorverurteilung geführt hat, ist unbeachtlich; denn das Wissen des Täters um seine Gefährlichkeit hängt nicht von der Warnfunktion einer früheren Verurteilung ab (BGHSt 49, 239, 243). Auch der Angeklagte S. hat in Kauf genommen, durch die Alkoholisierung besonders enthemmt zu sein und dies durch weiteren Alkoholkonsum noch zu verstärken. Seine Alkoholabhängigkeit wiegt diesen schulderhöhenden Fahrlässigkeitsvorwurf nicht ohne weiteres auf. Auch demjenigen, der weitgehend durch Alkohol beherrscht wird, kann vorgeworfen werden, dass er sich trotz Vorhersehbarkeit - zumal weiterer - alkoholischer Enthemmung bewusst in eine gewaltträchtige Situation begeben hat (BGHSt 49, 239, 254).
Eine Ausnahme von der unter diesen Umständen in Erwägung zu ziehenden Ablehnung einer Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB käme nur bei einer hier nicht gegebenen absoluten Androhung lebenslanger Freiheitsstrafe in Betracht (BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 59; BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 40).
Es ist nicht auszuschließen, dass der jeweilige Strafausspruch auf den möglicherweise unzutreffend gewährten Strafrahmenverschiebungen beruht. Das neue Tatgericht wird die Strafen neu zuzumessen haben. Dies kann bei dem hier vorliegenden Erörterungsmangel auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen geschehen, die freilich um solche ergänzt werden dürfen, die den bisher getroffenen nicht widersprechen. Indes wird darauf zu achten sein, dass angesichts der ungeklärten Frage, durch wessen Handlungen unmittelbar die todesursächlichen Verletzungen verursacht worden sind, missverständliche Erwägungen zur Strafschärfung aufgrund der eingesetzten Kraft und der wuchtig geführten Stiche zu vermeiden sein werden.
Die - zudem im Ergebnis rechtsfehlerfreie - Ablehnung einer Maßregel nach § 64 StGB gegenüber beiden Angeklagten ist von der Anfechtung und der allein auf die Bemessung der Strafe bezogenen Tatausführung nicht betroffen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
QAAAC-96239
1Nachschlagewerk: nein