Arbeitnehmer mit Bereitschaftsdiensten als Grenzgänger zur Schweiz
Leitsatz
1. Muss ein in Deutschland ansässiger Arbeitnehmer über mehrere Tage hinweg ohne Unterbrechung in der Schweiz tätig werden, so ist bei der Anwendung der Grenzgängerregelung in Art. 15a DBA-Schweiz 1971/1992 nicht jeder dieser Tage als ein Tag zu zählen, an dem der Arbeitnehmer aus beruflichen Gründen nicht an seinen Wohnsitz zurückkehrt (Bestätigung des Senatsurteils vom I R 100/00, BFHE 195, 341, BStBl II 2001, 633; Abgrenzung zum Senatsurteil vom I R 67/03, BFHE 207, 452).
2. Dieser Grundsatz greift auch dann ein, wenn sich an eine Tagesschicht in der Schweiz ein Pikettdienst (Bereitschaftsdienst) und an diesen erneut eine Tagesschicht anschließen und das maßgebliche Arbeitsrecht den Pikettdienst zur Arbeitszeit zählt.
Gesetze: DBA Schweiz 1971/1992 Art. 15a Abs. 1 und 2
Instanzenzug: FG Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, vom 3 K 21/07 (Verfahrensverlauf),
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) im Streitjahr (2001) Grenzgängerin i.S. des Art. 15a des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom (BGBl II 1972, 1022, BStBl I 1972, 519) i.d.F. des Protokolls vom (BGBl II 1993, 1888, BStBl I 1993, 928) —DBA-Schweiz 1971/1992— war.
Die Klägerin ist Heilerziehungshelferin und wohnte im Streitjahr im Inland. Sie arbeitete in einem Internat für cerebral Gelähmte in der Schweiz. Nach ihrem Arbeitsvertrag musste sie neben ihrer Arbeit im Internat (Kernarbeitszeiten 6 Uhr bis 10 Uhr und 15.30 Uhr bis 22 Uhr) nächtliche Pikettdienste (Bereitschaftsdienste) leisten, die darin bestanden, dass sie am Ort übernachtete und bei Bedarf zur Betreuung der dort untergebrachten Personen zur Verfügung stand. Für jeden dieser Dienste erhielt die Klägerin 25 Schweizer Franken; eine Entlohnung nach den allgemeinen Bestimmungen des Arbeitsvertrages erfolgte nur dann, wenn sie während eines Pikettdienstes tatsächlich mehr als eine Stunde arbeiten musste. Im Streitjahr hat die Klägerin insgesamt 73 Pikettdienste geleistet.
Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) endete die normal bezahlte Arbeitszeit der Klägerin vor Antritt der Pikettdienste stets um 22 Uhr; der nächste Arbeitstag begann jeweils um 6 Uhr. Die Arbeitszeit des jeweiligen Vortags begann zumeist in den Morgenstunden (7 Uhr, 8 Uhr oder 9 Uhr), zum Teil aber auch um die Mittagszeit (13 Uhr, 14 Uhr oder 15 Uhr); bei Arbeitsbeginn am Morgen gab es Mittagspausen von zumeist vier, selten fünf und in einem Fall sechs Stunden. Die Arbeit am Folgetag endete zumeist mittags (12 Uhr, 13 Uhr oder 14 Uhr) und an insgesamt 25 Tagen des Streitjahres erst abends (18 bis 22 Uhr); in den zuletzt genannten Fällen gab es wiederum zumeist Mittagspausen von in der Regel vier oder fünf Stunden. Die Entfernung zwischen Wohnort und Arbeitsort betrug 90 km; für die einfache Fahrt benötigte die Klägerin eine Zeit von durchschnittlich eineinhalb Stunden.
In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr ging die Klägerin davon aus, dass ihr Arbeitslohn nicht der deutschen Besteuerung unterliege. Demgegenüber bezog der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) den Arbeitslohn in die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer ein. Der deshalb erhobenen Klage hat das FG stattgegeben (FG Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, Urteil vom 3 K 21/07).
Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA eine Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) und das Finanzministerium Baden-Württemberg sind gemäß § 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dem Revisionsverfahren beigetreten. Sie unterstützen die Rechtsansicht des FA, haben aber keine Anträge gestellt.
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Das FA hat die Einkünfte der Klägerin aus deren Tätigkeit in der Schweiz zu Recht in die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer einbezogen. Art. 15a DBA-Schweiz 1971/1992 steht dieser Sachbehandlung nicht entgegen.
1. Die Klägerin hatte in den Streitjahren in Deutschland einen Wohnsitz. Sie war daher gemäß § 1 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes unbeschränkt steuerpflichtig. Ferner kann nach den Feststellungen des FG davon ausgegangen werden, dass sie aus abkommensrechtlicher Sicht in Deutschland ansässig war (Art. 4 DBA-Schweiz 1971/1992).
2. Nach Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1971/1992 werden bei einer in Deutschland ansässigen Person Vergütungen für eine in der Schweiz ausgeübte Tätigkeit i.S. des Art. 15 DBA-Schweiz 1971/1992 von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer ausgenommen, soweit sie nach dem DBA-Schweiz 1971/1992 in der Schweiz besteuert werden können. Diese Vorschrift hat das FG für im Streitfall einschlägig erachtet. Es ist davon ausgegangen, dass es um Vergütungen für eine in der Schweiz ausgeübte unselbständige Tätigkeit der Klägerin gehe, die nach Art. 15 Abs. 1 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/1992 in der Schweiz besteuert werden könnten und deshalb nach Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1971/1992 in Deutschland steuerfrei seien. Dem stehe Art. 15a DBA-Schweiz 1971/1992 nicht entgegen, da die Klägerin nicht Grenzgängerin im Sinne dieser Vorschrift gewesen sei. Diese Beurteilung greift die Revision zu Recht an.
a) Nach Art. 15a Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/1992 können ungeachtet des Art. 15 DBA-Schweiz 1971/1992 Einkünfte eines Grenzgängers aus unselbständiger Arbeit in dem Vertragstaat besteuert werden, in dem der Grenzgänger ansässig ist. Grenzgänger ist nach Art. 15a Abs. 2 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/1992 jede in einem Vertragstaat ansässige Person, die im anderen Vertragstaat ihren Arbeitsort hat und von dort regelmäßig an ihren Wohnsitz zurückkehrt. Kehrt diese Person nicht jeweils nach Arbeitsende an ihren Wohnsitz zurück, so entfällt ihre Grenzgängereigenschaft nur dann, wenn sie bei einer Beschäftigung während des gesamten Kalenderjahrs an mehr als 60 Arbeitstagen auf Grund ihrer Arbeitsausübung nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt (Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/1992). Ergänzend dazu heißt es in Nr. II.1. des Verhandlungsprotokolls zum Änderungsprotokoll vom (BStBl I 1993, 929), die Annahme einer regelmäßigen Rückkehr an den Wohnsitz i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/1992 werde nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich die Arbeitsausübung bedingt durch betriebliche Umstände —wie z.B. bei Schichtarbeitern oder Krankenhauspersonal mit Bereitschaftsdienst— über mehrere Tage erstreckt. Diese Bestimmung enthält eine verbindliche Vorgabe für die Auslegung des Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz 1971/1992 (, BFHE 195, 341, BStBl II 2001, 633; vom I R 67/03, BFHE 207, 452; vom I R 31/04, BFH/NV 2005, 840, m.w.N.).
b) Im Streitfall hat das FG festgestellt, dass die arbeitsvertragliche Verpflichtung der Klägerin dahin ging, während der Tagesstunden in der Schweiz tätig zu werden. Darüber hinaus musste die Klägerin während der Nachtstunden Pikettdienste leisten, die jeweils unmittelbar an eine Tagesschicht anschlossen und nach deren Ende —erneut im unmittelbaren Anschluss— eine weitere Tagesschicht folgte. Während der Pikettdienste musste sie an ihrem Arbeitsplatz anwesend sein. Diese Feststellungen sind nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen worden und deshalb im Revisionsverfahren bindend (§ 118 Abs. 2 FGO). Schließlich hat das FG das Schweizer Arbeitsrecht mit bindender Wirkung dahin gewürdigt, dass danach ein im Betrieb zu leistender Pikettdienst zur Arbeitszeit zählt. Im Ergebnis hat sich mithin an den Tagen mit Pikettdienst die Arbeitszeit der Klägerin von den Morgen- oder Mittagsstunden eines Tages bis zu den Mittagsstunden des Folgetages erstreckt.
c) Das FA hat unter Berufung auf das zitierte Verhandlungsprotokoll angenommen, dass bei einem solchen Sachverhalt die Tätigkeit am ersten Tag, der daran anschließende Pikettdienst und die auf diesen folgende Tätigkeit am Folgetag in ihrer Gesamtheit als einheitlicher Arbeitseinsatz anzusehen und dass bei einer solchen Gestaltung für Zwecke der Anwendung des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/1992 nicht jeder Einsatztag als „Arbeitstag” zu zählen sei; vielmehr könne aus abkommensrechtlicher Sicht allenfalls der letzte Einsatztag ein solcher sein, an dem der Arbeitnehmer aus beruflichen Gründen nicht an seinen Wohnsitz zurückkehrt. Dem ist im Ergebnis zuzustimmen.
aa) Der Senat hat dem Verhandlungsprotokoll ursprünglich entnommen, dass bei einer sich über mehrere Tage erstreckenden Arbeitsausübung eine „regelmäßige” Rückkehr i.S. von Art. 15a Abs. 2 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/1992 unterstellt und damit eine zwischenzeitliche Rückkehr an den Wohnsitz fingiert werde (Senatsurteil in BFHE 195, 341, 342, BStBl II 2001, 633, 634). Das entscheidende Abgrenzungskriterium zwischen den Fällen der hiernach „fingierten” Rückkehr und der beruflich bedingten Nichtrückkehr hat er darin gesehen, ob der Arbeitnehmer über die Tagesgrenze hinaus seiner Arbeit nachgeht oder ob er —aus beruflichen Gründen— nach getaner Arbeit außerhalb des Ansässigkeitsstaates verbleibt. Diese Unterscheidung hat er in der Folge dahin modifiziert, dass es für die Anwendung des Art. 15a DBA-Schweiz 1971/1992 nicht darauf ankomme, ob das Ende der Arbeitszeit oder der Zeitpunkt der Ankunft am Wohnort auf den Tag des Arbeitsantritts oder auf einen nachfolgenden Tag fällt; deshalb könne ein „Nichtrückkehrtag” i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/1992 auch dann vorliegen, wenn der Arbeitnehmer über die Tagesgrenze hinaus seiner Tätigkeit nachgeht und erst nach Mitternacht seine Arbeitsstätte verlässt (Senatsurteile in BFHE 207, 452, und in BFH/NV 2005, 840). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.
bb) Im Streitfall geht es nicht um einen Sachverhalt, in dem der Arbeitnehmer nur geringfügig über die Tagesgrenze hinaus tätig war. Vielmehr hat sich die Arbeitszeit der Klägerin an dem jeweiligen zweiten Arbeitstag über mehrere Stunden erstreckt. Unter Einschluss des Pikettdienstes war die Klägerin an jenen Tagen aus arbeitsrechtlicher Sicht mindestens von 0.00 Uhr bis 10.00 Uhr, also zehn Stunden lang ununterbrochen im Einsatz; an einer Vielzahl von Tagen dauerte ihre Tätigkeit bis zur Mittagspause oder bis zum Arbeitsende sogar noch länger. Bei einer solchen Gestaltung kann nicht davon gesprochen werden, dass am zweiten Tag lediglich der Einsatz am ersten abgeschlossen worden sei und dass diese Phase deshalb abkommensrechtlich dem Vortag zugeordnet werden müsse. Vielmehr handelt es sich hier um einen mehrtägigen Einsatz am Arbeitsort. Ein solcher ist nach Nr. II.1. des Verhandlungsprotokolls als Einheit zu behandeln mit der Folge, dass ein „Nichtrückkehrtag” nur dann vorliegen kann, wenn der Arbeitnehmer nach dem Abschluss dieser Einheit aus beruflichen Gründen am Tätigkeitsort verbleibt. Das ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
aaa) Nr. II.1. des Verhandlungsprotokolls betrifft die Frage der „regelmäßigen Rückkehr” i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/1992. Er regelt insoweit, dass die regelmäßige Rückkehr bei einer mehrtägigen Arbeitsausübung „nicht ausgeschlossen” ist. Das soll erkennbar bedeuten, dass der Fall der mehrtägigen Arbeitsausübung eine Sonderbehandlung erfahren soll, bei der die Regelmäßigkeit der Rückkehr abweichend von den tatsächlichen Gegebenheiten bestimmt wird. Dabei nimmt das Verhandlungsprotokoll namentlich auf die Situation des Krankenhauspersonals mit Bereitschaftsdienst Bezug, das erfahrungsgemäß nicht selten über mehr als zwei Tagesgrenzen hinaus im Einsatz ist. Angesichts dessen muss die Protokollregelung bei verständiger Würdigung dahin gedeutet werden, dass in jenen Fällen das Fehlen einer arbeitstäglichen Rückkehr die Grenzgängereigenschaft nicht berühren soll. Vielmehr sollen hier als „Nichtrückkehrtage” nur diejenigen Tage gezählt werden, an denen der Arbeitnehmer im Anschluss an die mehrtägige Tätigkeit nicht an seinen Wohnort zurückkehrt; das entspricht insoweit dem Wortlaut des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/1992, als dieser auf die Regelmäßigkeit der Rückkehr „nach Arbeitsende” abstellt. Im Ergebnis läuft die Protokollbestimmung mithin darauf hinaus, dass ein mehrtägiger ununterbrochener Arbeitseinsatz nicht zu mehreren, sondern allenfalls zu einem einzigen „Nichtrückkehrtag” i.S. des Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz 1971/1992 führen kann (ebenso FG Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, Beschluss vom 2 V 3/97, Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 1997, 625, und Urteil vom 2 K 89/96, EFG 1998, 483).
bbb) Diese Deutung entspricht zudem dem historischen Hintergrund der Protokollregelung. Dazu haben das FA und das Finanzministerium Baden-Württemberg vorgetragen, dass Ausgangspunkt jener Regelung ein Streit über die Besteuerung von in Deutschland ansässigen Assistenzärzten gewesen sei, bei denen Bereitschaftsdienste zur Nichtrückkehr geführt hätten. Nach dem insoweit maßgeblichen Schweizer Arbeitsrecht sei für Bereitschaftsdienste grundsätzlich Zeitausgleich zu gewähren, der nur nachrangig durch eine Bezahlung abgegolten werden dürfe. Die Vertragstaaten seien davon ausgegangen, dass der Zeitausgleich sich regelmäßig im Ansässigkeitsstaat vollziehe und der Bereitschaftsdienst daher keinen gesteigerten Bezug des Arbeitnehmers zum Tätigkeitsstaat („Verwurzelung”) nach sich ziehe; deshalb sei man zu dem Ergebnis gelangt, dass die Ableistung von Bereitschaftsdienst die Grenzgängereigenschaft nicht entfallen lassen solle. Auf dieser Überlegung beruhe die in Nr. II.1. des Verhandlungsprotokolls getroffene Regelung. Die Klägerin hat die genannte Darstellung zwar bestritten; die Erläuterung seitens der Finanzbehörden ist aber plausibel und daher jedenfalls geeignet, ein aus Wortlaut und Systematik der einschlägigen Vorschriften abzuleitendes Verständnis der Protokollregelung zusätzlich zu stützen. In diesem Sinne kann es daher bei der revisionsgerichtlichen Entscheidung verwertet werden.
ccc) Schließlich kann nicht unbeachtet bleiben, dass nach dem übereinstimmenden Vortrag des BMF und des Finanzministeriums Baden-Württemberg die Finanzbehörden der Vertragstaaten die Protokollregelung bisher in dem vorstehend beschriebenen Sinne verstanden haben. Die einschlägige Vertragspraxis spiegelt sich u.a. in einem (BStBl I 1994, 683) wider, das ausweislich seines Einleitungssatzes auf einer Verständigungsvereinbarung gemäß Art. 15a Abs. 4 DBA-Schweiz 1971/1992 beruht. Danach ist ein „Nichtrückkehrtag” nicht schon deshalb anzunehmen, weil sich die Arbeitszeit am Arbeitsort entweder bedingt durch die Anfangszeiten oder durch die Dauer der Arbeitszeit über mehr als einen Kalendertag erstreckt (Tz. 12 des Schreibens); ergänzend wird dort erneut auf den Fall des Krankenhauspersonals mit Bereitschaftsdiensten verwiesen. Diese Regelung soll ersichtlich zwei unterschiedliche Grundsachverhalte betreffen: Der klassische Fall der Schichtarbeit —Arbeitsbeginn gegen Ende eines Tages und Arbeitsende am Folgetag— wird durch die Formulierung „bedingt durch die Anfangszeiten” abgedeckt, während die in der Vereinbarung enthaltene Anknüpfung an die „Dauer der Arbeitszeit” den Fall des mehrtägigen Arbeitseinsatzes im Blick hat, der mithin ebenfalls die Zahl der „Nichtrückkehrtage” nicht erhöhen soll. In diesem Sinne sind nach dem Vortrag der beteiligten Finanzbehörden denn auch einzelfallbezogene Verständigungsverfahren in der Vergangenheit stets abgeschlossen worden.
Der Streitfall bietet keine Veranlassung, die in der mündlichen Verhandlung vom BMF aufgeworfene Frage zu erörtern, ob die genannte Vereinbarung und die ihr folgende Verwaltungspraxis die Auslegung des Abkommens und des Verhandlungsprotokolls durch die Gerichte binden können (vgl. dazu auch Senatsurteil vom I R 5/06, BFHE 219, 518, m.w.N.). Denn unabhängig davon kann ein übereinstimmendes Verständnis seitens der Vertragstaaten für die gerichtliche Entscheidung zumindest insoweit bedeutsam sein, als sie ein aus anderen Umständen abgeleitetes Auslegungsergebnis bestätigen kann (vgl. dazu schon Senatsurteil in BFHE 207, 452, 455). Diese Wirkung kommt der zitierten Vereinbarung und der ihr folgenden tatsächlichen Übung im Streitfall zu.
cc) Das FG hat darauf abgestellt, dass es im Zusammenhang mit Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/1992 darauf ankomme, ob der Arbeitnehmer nach Beendigung seiner „aktiven Tätigkeit” an seinen Wohnsitz zurückkehre oder nicht. Der von der Klägerin geleistete Pikettdienst sei jedoch keine „aktive Tätigkeit” in diesem Sinne. Vielmehr sei er lediglich ein berufsbedingter Grund dafür, dass die Klägerin nach der Beendigung jener Tätigkeit nicht nach Hause habe zurückkehren können. Dem ist nicht beizupflichten.
Denn die Unterscheidung zwischen einer „aktiven” und einer „nicht aktiven” Tätigkeit kann zwar aus abkommensrechtlicher Sicht insoweit bedeutsam sein, als der Übergang von der „aktiven” zur „nicht aktiven” Phase als „Arbeitsende” i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/1992 zu werten ist und deshalb eine beruflich bedingte Nichtrückkehr i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/1992 auslösen kann (vgl. dazu Senatsurteil in BFHE 207, 452, 456). Sie kann aber inhaltlich nur an der jeweiligen arbeitsrechtlichen Regelungslage orientiert werden; für eine davon abweichende autonome Abgrenzung zwischen beiden Tätigkeitsformen bietet das Abkommensrecht keine Grundlage. Entscheidend muss mithin sein, ob das im Einzelfall einschlägige Arbeitsrecht die betreffende Tätigkeitsphase der Arbeitszeit zuordnet; ist dies der Fall, so handelt es sich um Arbeitsausübung und um eine in diesem Sinne „aktive” Tätigkeit. Diese Voraussetzung liegt im Streitfall hinsichtlich der von der Klägerin geleisteten Pikettdienste vor, da diese nach den Feststellungen des FG zu der nach Schweizer Recht zu bestimmenden Arbeitszeit zählten. Der Vortrag der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, auf das Schweizer Arbeitsrecht dürfe nicht abgestellt werden, geht fehl. Ebenso ist angesichts der vom FG getroffenen Feststellungen ohne Bedeutung, dass der Arbeitgeber der Klägerin ausweislich einer von ihm erteilten Auskunft die Pikettdienste nicht zur Arbeitszeit gerechnet und demzufolge nicht entsprechend vergütet hat.
3. Im Ergebnis sind daher diejenigen Tage, an deren Ende die Klägerin Pikettdienste verrichtet hat, für Zwecke des Art. 15a DBA-Schweiz 1971/1992 nicht als Tage der berufsbedingten Nichtrückkehr der Klägerin an ihren Wohnsitz anzusehen. Unter Berücksichtigung dieses Umstands überstieg die Zahl der „Nichtrückkehrtage” im Streitjahr nicht die in Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/1992 bestimmte Grenze; das ist zwischen den Beteiligten unstreitig und bedarf keiner näheren Erläuterung. Daher hat die Klägerin die in Rede stehenden Einkünfte als Grenzgängerin erzielt, weshalb jene Einkünfte nach Art. 15a Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/1992 in Deutschland besteuert werden dürfen. Dem entspricht der angefochtene Bescheid, der deshalb rechtmäßig ist.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2009 II Seite 97
BFH/NV 2008 S. 2126 Nr. 12
BFH/PR 2009 S. 37 Nr. 1
BStBl II 2009 S. 97 Nr. 3
DB 2008 S. 2687 Nr. 49
DStRE 2008 S. 1509 Nr. 24
EStB 2009 S. 17 Nr. 1
FR 2009 S. 344 Nr. 7
GStB 2009 S. 3 Nr. 1
HFR 2009 S. 14 Nr. 1
IStR 2008 S. 852 Nr. 23
KÖSDI 2008 S. 16285 Nr. 12
NWB-Eilnachricht Nr. 47/2008 S. 4378
RIW 2008 S. 891 Nr. 12
StB 2009 S. 11 Nr. 1
StBW 2008 S. 5 Nr. 24
StC 2009 S. 11 Nr. 1
StuB-Bilanzreport Nr. 24/2008 S. 973
VAAAC-95796