Leitsatz
[1] Der Einwand des Schuldners, aus einem gegen ihn ergangenen Urteil könne wegen Erteilung der Restschuldbefreiung nicht mehr vollstreckt werden, kann nur im Wege der Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO verfolgt werden.
Gesetze: InsO § 301; ZPO § 766; ZPO § 767; ZPO § 775
Instanzenzug: AG Meißen, 1 M 1025/06 vom OLG Dresden, 3 W 1221/06 vom
Gründe
I.
Der Schuldner, der seinen Wohnsitz schon seit längeren Jahren in London hat, ist angestellter Rechtsanwalt einer in R. ansässigen Kanzlei. Mit Versäumnisurteil vom verurteilte ihn das Landgericht Dresden wegen rückständiger Mietschulden einen Betrag von 46.019,51 € zuzüglich Zinsen an die Gläubigerin zu zahlen. Am eröffnete der High Court of Justice in London das Insolvenzverfahren über sein Vermögen. Auf Antrag der Gläubigerin erließ das Amtsgericht Meißen am einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, mit dem die Gehaltsansprüche des Schuldners gegen die Rechtsanwälte, bei denen er angestellt war, gepfändet wurden.
Auf die Erinnerung des Schuldners hat das Amtsgericht Meißen am im Wege der Abhilfe den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss aufgehoben. Auf die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Gläubigerin hat das Oberlandesgericht die Abhilfeentscheidung des Amtsgerichts aufgehoben und die Erinnerung des Schuldners zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die - zugelassene - Rechtsbeschwerde des Schuldners, dessen Insolvenzverfahren in Großbritannien nach einem Beschluss des High Court of Justice in London vom am geendet hat.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) und zulässig (§§ 766, 793, 574 Abs. 3 ZPO). Sie hat aber keinen Erfolg.
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, die Vollstreckungserinnerung des Schuldners sei entweder unzulässig oder unbegründet gewesen. Falls die Gehaltsansprüche des Schuldners zur Insolvenzmasse des in Großbritannien eröffneten Insolvenzverfahrens gehört hätten, sei der Schuldner nicht erinnerungsbefugt gewesen, weil das Verbot der Einzelzwangsvollstreckung während des Insolvenzverfahrens die Gesamtheit der Gläubiger und nicht den Schuldner schütze. Hätten die Ansprüche nicht in die Masse des in Großbritannien geführten Insolvenzverfahrens gehört, sei die Erinnerung unbegründet, weil der Schuldner lediglich den Einwand erhoben habe, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens stehe der Pfändung und Überweisung der Ansprüche durch die Gläubigerin entgegen. Soweit der Schuldner seinen Rechtsbehelf hilfsweise auf die Sittenwidrigkeit der Zwangsvollstreckung gestützt habe, handele es sich um einen materiell-rechtlichen Einwand, der nur im Rahmen des § 826 BGB, nicht aber im Erinnerungsverfahren nach § 766 ZPO geltend gemacht werden könne.
2. Diese Ausführungen halten im Ergebnis rechtlicher Überprüfung stand. Die Erinnerung des Schuldners ist unzulässig.
a) Bei der Entscheidung ist zu berücksichtigen, dass das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners seit dem beendet ist.
Zwar ist der Beschluss des High Court of Justice in London vom erst nach Abschluss der Beschwerdeinstanz in das Verfahren eingeführt worden. Der Senat hat die Aufhebung des Insolvenzverfahrens in Großbritannien aber gleichwohl als neue Tatsache bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen. Gemäß § 577 Abs. 2 Satz 4 ZPO gilt im Rechtsbeschwerdeverfahren § 559 ZPO entsprechend. Nach dieser Vorschrift ist neues tatsächliches Vorbringen in der Revision zwar grundsätzlich nicht zulässig. Aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit ist § 559 Abs. 1 ZPO aber einschränkend dahin auszulegen, dass neue, für die Prozessführungsbefugnis des Klägers erhebliche Umstände dann in der Revisionsinstanz zu berücksichtigen sind, wenn das Revisionsgericht hierdurch nicht mit der Bewertung von Tatsachen belastet wird und wenn schützenswerte Belange der Gegenpartei nicht beeinträchtigt werden (BGHZ 28, 13, 15; , WM 1981, 678, 679; v. - II ZR 75/94, WM 1995, 1806, 1807; Beschl. v. - IX ZB 71/99, WM 2001, 971, 972; jeweils zur Vorgängerregelung des § 561 Abs. 1 ZPO; Hk-ZPO/Kayser, 2. Aufl. § 559 Rn. 14; Musielak/Ball, ZPO 6. Aufl. § 559 Rn. 8 f; Zöller/Gummer, ZPO 26. Aufl. § 559 Rn. 7). Zu den prozessual bedeutsamen Tatsachen, die danach auch dann noch berücksichtigt werden müssen, wenn sie erst nach Schluss der mündlichen Berufungsverhandlung eingetreten sind, gehören insbesondere auch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei (BGHZ 157, 213, 214; Hk-ZPO/Kayser, aaO Rn. 11) und dessen Einstellung oder Aufhebung (BGHZ 28, 13, 16; aaO; Hk-ZPO/Kayser, aaO Rn. 14). Diese Grundsätze sind im Rechtsbeschwerdeverfahren entsprechend anzuwenden (, WM 2001, 971, 972).
b) Der Schuldner kann den Einwand, aufgrund der Entscheidung des High Court of Justice vom sei ihm die Restschuldbefreiung erteilt worden, aus dem Versäumnisurteil des Landgerichts Dresden vom könne daher nicht mehr vollstreckt werden, nur im Weg der Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO verfolgen. Eine Geltendmachung der Restschuldbefreiung im Wege der Vollstreckungserinnerung nach § 766 ZPO ist unzulässig. Es handelt sich nicht um eine Einwendung gegen die Art und Weise der Zwangsvollstreckung.
aa) In der Literatur wird teilweise die Auffassung vertreten, die Vollstreckbarkeit von Titeln gegen den Schuldner werde durch die Restschuldbefreiung unmittelbar beseitigt. Ein Vollstreckungsversuch sei gemäß § 775 Nr. 1 ZPO einzustellen. Der Schuldner könne als Rechtsbehelf gegen die Vollstreckung Erinnerung nach § 766 ZPO einlegen (FK-InsO/Ahrens, 4. Aufl. § 301 Rn. 12). Nach anderer Ansicht soll die Vollstreckungserinnerung nach § 766 ZPO aus praktischen Erwägungen vorzugswürdig sein, weil sich zumindest der Verbraucherinsolvenzschuldner in der Lebenswirklichkeit zur Abwehr der Zwangsvollstreckung an das Vollstreckungsgericht - und gerade nicht an das Prozessgericht - wende (HmbKomm-InsO/Streck, 2. Aufl. § 301 Rn. 10). Ganz überwiegend wird dagegen die Auffassung vertreten, es bedürfe für die Beseitigung der Vollstreckbarkeit eines vor Erteilung der Restschuldbefreiung ergangenen Titels einer gerichtlichen Feststellung. Der Schuldner müsse die Zwangsvollstreckung nach § 767 ZPO für unzulässig erklären lassen, falls ein Gläubiger nach Beendigung des Restschuldbefreiungsverfahrens die Zwangsvollstreckung betreibe (Braun/Lang, InsO 3. Aufl. § 301 Rn. 5; Graf-Schlicker/Kexel, InsO § 301 Rn. 10;HK-InsO/Landfermann, § 301 Rn. 3; MünchKomm-InsO/Stephan, 2. Aufl. § 301 Rn. 20; Nerlich/Römermann, InsO § 301 Rn. 17; Uhlenbruck/Vallender, InsO 12. Aufl. § 301 Rn. 34; Döbereiner, Die Restschuldbefreiung nach der Insolvenzordnung, S. 228; Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, 7. Aufl. Rn. 2195 Fn. 310).
bb) Der Senat schließt sich der überwiegend vertretenen Auffassung an. Die Erteilung der Restschuldbefreiung ist keine vollstreckbare Entscheidung, aus der sich ergibt, dass das zu vollstreckende Urteil aufgehoben oder die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt oder ihre Einstellung angeordnet ist. Ein Fall des § 775 Nr. 1 ZPO liegt nicht vor. Eine entsprechende Anwendung der Vorschrift scheidet aus. Die Aufzählung in § 775 ZPO ist erschöpfend (MünchKomm-InsO/Stephan, aaO; Hk-ZPO/Kindl, 2. Aufl. § 775 Rn. 1; Musielak/Lackmann, ZPO 6. Aufl. § 775 Rn. 1; Zöller/Stöber, ZPO 26. Aufl. § 775 Rn. 3). Für das Vollstreckungsorgan, den Gerichtsvollzieher oder das Vollstreckungsgericht ist in der Regel aus dem vorgelegten Titel zusammen mit dem Beschluss über die Erteilung der Restschuldbefreiung nicht eindeutig zu entnehmen, ob die titulierte Forderung tatsächlich von der Restschuldbefreiung erfasst wird. Es ist nicht Aufgabe des Vollstreckungsgerichts zu entscheiden, ob die zu vollstreckende Forderung der Restschuldbefreiung unterliegt (MünchKomm-InsO/Stephan, aaO). Dies gilt umso mehr, wenn - wie hier - der Beschluss eines ausländischen Insolvenzgerichts vorgelegt wird, aus dem sich die Erteilung der Restschuldbefreiung ergeben soll. Damit ist auch für die Anwendung des § 766 Abs. 1 Satz 1 ZPO, mit dem nur Verfahrensverstöße gerügt werden können, nicht aber Einwendungen gegen den titulierten Anspruch (Hk-ZPO/Kindl, aaO § 766 Rn. 2; Musielak/Lackmann, aaO § 766 Rn. 2, 4), kein Raum.
cc) Die Restschuldbefreiung führt zur Entstehung einer unvollkommenen Verbindlichkeit, die weiterhin erfüllbar, aber nicht erzwingbar ist (Begründung zu § 250 RegE-InsO BT-Drucks. 12/2445, S. 195; AG Saarbrücken ZInsO 2002, 151, 152; Braun/Lang, InsO 3. Aufl. § 301 Rn. 1; Graf-Schlicker/Kexel, InsO § 301 Rn. 18; HK-InsO/Landfermann, § 301 Rn. 1; Kübler/Prütting/Wenzel, InsO § 301 Rn. 1; MünchKomm-InsO/Stephan, 2. Aufl. § 301 Rn. 18; Uhlenbruck/Vallender, aaO § 301 Rn. 10; Mohrbutter/Ringstmeier/Pape, Handbuch der Insolvenzverwaltung, 8. Aufl. § 17 Rn. 191). Diese Umgestaltung der Forderung bewirkt einen materiell-rechtlichen Einwand, der nur mit der Vollstreckungsgegenklage verfolgt werden kann. Die Beurteilung der Frage, ob diese Wirkung eingetreten ist, obliegt im Streitfall nicht dem Vollstreckungsgericht, sondern dem Prozessgericht. Entgegen der Auffassung von Streck (HmbKomm-InsO/Streck, aaO) kann deshalb keine Zulässigkeit der Vollstreckungserinnerung aus pragmatischen Gründen angenommen werden.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2008 S. 3640 Nr. 50
WM 2008 S. 2219 Nr. 47
JAAAC-95654
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja