Unfallbedingter Verkehrsstau als erheblicher Grund für eine Terminsverlegung
Gesetze: FGO § 142, ZPO § 114, ZPO § 117, ZPO § 121, ZPO § 227
Instanzenzug:
Gründe
I. Die Antragsteller sind Eheleute, die in den Streitjahren 2001 bis 2003 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) hat ursprünglich die Besteuerungsgrundlagen geschätzt, weil die Antragsteller keine Steuererklärungen abgegeben hatten. Den dagegen eingelegten Einspruch wies er als unbegründet zurück.
Im Hinblick auf die im Klageverfahren abgegebenen Steuererklärungen für die Streitjahre 2001 bis 2003 änderte das FA die Steuerbescheide nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung. Von den Erklärungen wich es insofern ab, als es für die Privatnutzung des Firmen-PKW durch die Antragstellerin Sachbezüge ansetzte. Aufwendungen für beschädigte Kleidung, Telefonkosten, Arbeitsmittel etc. erkannte es ohne Nachweis pauschal mit 400 DM bzw. 200 € pro Jahr an.
Im Rahmen des anschließenden Klageverfahrens beraumte das Finanzgericht (FG) Termin zur mündlichen Verhandlung auf Dienstag, , 12.05 Uhr an. Ausweislich des Protokolls über die öffentliche Sitzung rief der Antragsteller am Tag der mündlichen Verhandlung um 11.22 Uhr bei der Geschäftsstelle des Gerichts an und erklärte, er stehe im Stau auf der Autobahn und werde nicht zum Termin erscheinen. Das FG vertagte die Streitsache nicht, sondern verhandelte —nachdem es die ordnungsgemäße Ladung der Antragsteller festgestellt hatte— zur Sache. Nach Beratung, Wiederaufruf der Sache und Wiederherstellung der Öffentlichkeit verkündete es am das Urteil. Es wies die Klage ab.
Am Nachmittag des richteten die Antragsteller ein Faxschreiben an das FG (Eingang bei Gericht 16.56 Uhr). Darin erläuterten sie, weshalb sie den Termin zur mündlichen Verhandlung nicht wahrnehmen konnten. Sie seien um 9.50 Uhr ca. 3 km hinter der Abfahrt R in einen Stau geraten und erst um 12.50 Uhr hätten sie den Stau an der Abfahrt L verlassen können. Der durch einen Unfall verursachte Stau sei von der Polizei ebenso wie die Zeiten des Staus aufgenommen worden. Zudem teilten die Antragsteller dem FG einige Kraftfahrzeuge mit dem amtlichen Kennzeichen mit, die mit ihnen im Stau gestanden waren.
Innerhalb der Frist für die Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde haben die Antragssteller unter Vorlage einer Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse einen Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) für eine Nichtzulassungsbeschwerde gegen das klageabweisende Urteil gestellt. Sie tragen sinngemäß vor, das FG habe ihr Recht auf rechtliches Gehör verletzt, weil es den Termin zur mündlichen Verhandlung am weder aufgehoben noch verlegt habe.
II. Der Antrag auf Gewährung von PKH ist begründet. Den Antragstellern ist PKH für eine Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision gegen das zu gewähren.
1. Nach § 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dem beim Prozessgericht zu stellenden Antrag (§ 117 Abs. 1 Satz 1 ZPO) sind eine Erklärung des Beteiligten über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie entsprechende Belege beizufügen (§ 142 FGO i.V.m. § 117 Abs. 2 ZPO).
2. Die Antragsteller sind nach der von ihnen vorgelegten Erklärung nicht imstande, die Kosten der von ihnen beabsichtigten Prozessführung vor dem Bundesfinanzhof (BFH) aufzubringen; die von ihnen beabsichtigte Rechtsverteidigung bietet auch hinreichende Aussicht auf Erfolg und ist nicht mutwillig. Dies ergibt sich bereits daraus, dass das FG die mündliche Verhandlung am aufgrund des Anrufs um 11.22 Uhr hätte vertagen müssen.
Nach § 155 FGO i.V.m. § 227 ZPO kann aus erheblichen Gründen auf Antrag oder von Amts wegen ein Termin aufgehoben oder verlegt oder eine Verhandlung vertagt werden. Bei der Entscheidung verbleibt dem Gericht kein Ermessensspielraum, wenn die Vertagung zur Gewährung des rechtlichen Gehörs notwendig ist. Das ist der Fall, wenn ein Verfahrensbeteiligter alles in seinen Kräften Stehende und nach Lage der Dinge Erforderliche getan hat, um sich durch Wahrnehmung des Verhandlungstermins rechtliches Gehör zu verschaffen, hieran jedoch ohne Verschulden gehindert worden ist.
Nach ihrem glaubhaft gemachten Vorbringen waren die Antragsteller unverschuldet daran gehindert, den Termin am wahrzunehmen. Danach war Ursache für den Stau, der ihnen das rechtzeitige Erscheinen zum angesetzten Termin unmöglich machte, ein Unfall. Von einem Prozessbeteiligten kann nicht verlangt werden, dass er —um jedes Risiko eines Scheiterns seiner Anreise zum Terminsort auszuschließen— bei der zeitlichen Planung seiner Fahrt Vorsorge gegen einen unfallbedingten Stau trifft. Die prozessuale Sorgfaltspflicht gebot unter dem Blickwinkel möglicher Staus keine frühere Anreise. Deshalb kann den Antragstellern nicht mangelnde Sorgfalt vorgeworfen werden. Sie haben das FG auch noch vor Beginn der mündlichen Verhandlung von ihrer Verhinderung telefonisch informiert. Angesichts der vorgebrachten Tatsache, dass sie mit ihrem PKW zwischen zwei Autobahnausfahrten im Stau standen, war ihnen zu diesem Zeitpunkt mehr nicht möglich. Unmittelbar nach Beendigung ihrer Fahrt haben sie die Umstände ihrer Verhinderung so weit wie möglich glaubhaft gemacht.
Nicht entscheidend ist, dass die Antragsteller nicht dargelegt haben, was sie bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätten und dass dieser Vortrag die Entscheidung des Gerichts hätte beeinflussen können, weil das FG verfahrensfehlerhaft in ihrer Abwesenheit aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden hat (Beschluss des Großen Senats des , BFHE 196, 39, BStBl II 2001, 802).
Den Antragstellern kann auch nicht vorgeworfen werden, sie hätten es versäumt, die Wiedereröffnung der von ihnen unverschuldet versäumten mündlichen Verhandlung zu beantragen. Diese war nach der Verkündung des Urteils im Anschluss an die mündliche Verhandlung am nicht mehr möglich.
Unerheblich ist zudem, dass die Antragsteller das Rechtsmittel nicht innerhalb der Beschwerdefrist gemäß § 116 Abs. 3 FGO durch eine vor dem BFH vertretungsberechtigte Person oder Gesellschaft i.S. von § 62a FGO in der im Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde geltenden Fassung begründet haben. Da sie wegen Mittellosigkeit nicht in der Lage waren, die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision gegen das FG-Urteil, die dem Vertretungszwang unterliegt, wirksam zu begründen, kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) gewährt werden.
3. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts beruht auf § 142 FGO i.V.m. § 121 ZPO.
Fundstelle(n):
AAAAC-94753