BFH Urteil v. - IX R 71/07 BStBl 2009 II S. 13

Bei Verschmelzung ausgegebene neue Anteile sind i.S. von § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG angeschafft

Leitsatz

Mit dem Erwerb neuer Anteile im Zuge der Verschmelzung beginnt für den Anteilseigner die nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG maßgebliche Veräußerungsfrist von einem Jahr.

Gesetze: AO § 129EStG § 6EStG § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2HGB § 255 Abs. 1UmwStG § 13

Instanzenzug: ,F (EFG 2008, 392) (Verfahrensverlauf),

Gründe

I.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) werden im Streitjahr (2000) zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Der Kläger erwarb am für 2 050 € Anteile an der X GmbH, die am gleichen Tag zur S GmbH umfirmierte (im Folgenden: S 1). Am erhöhte S 1 ihr Kapital, nahm neue Gesellschafter auf und wandelte sich in eine Aktiengesellschaft (AG) um. Am wurde sie auf eine zuvor gegründete AG verschmolzen, die im Anschluss daran als S AG (S 2) firmierte und als solche am in das Handelsregister eingetragen wurde. Der Kläger veräußerte am 27. Juni des Streitjahres seine im Zuge der Verschmelzung erhaltenen Anteile an der S 2 für 5 125 000 €.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) erfasste im (geänderten) Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 5 124 995 DM (als Differenz der 5 125 000 DM aus der Veräußerung der Anteile im Streitjahr sowie einem Verlust von 5 DM aus Vorjahren).

Die Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) vertrat in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2008, 392 veröffentlichten Urteil die Auffassung, mit dem Verschmelzungsvorgang beginne eine neue Veräußerungsfrist i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres (EStG). Der damit zu erfassende Veräußerungsgewinn sei durch das FA zwar nicht zutreffend ermittelt worden, weil erkennbar keine Anschaffungs- und Veräußerungskosten steuermindernd berücksichtigt worden seien. Indes habe das FA statt des vereinbarten Euro-Betrages einen entsprechenden DM-Betrag erfasst. Weil es dadurch den Kaufpreis um ca. 5 000 000 DM zu niedrig angesetzt habe, dürfe das FG nicht berücksichtigte Anschaffungs- und Veräußerungskosten kompensieren.

Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Die Anteile an der übernehmenden Körperschaft träten steuerlich an die Stelle der Anteile der übertragenden Körperschaft. Das Gesetz fingiere in § 13 Abs. 2 des Umwandlungssteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres (UmwStG) Veräußerungs- und Anschaffungsvorgänge. Die Kläger seien auch in ihrem Vertrauen auf das Fortgelten der ursprünglich sechsmonatigen Spekulationsfrist in verfassungsrechtlich bedeutsamer Weise zu schützen; denn die maßgebliche Disposition des Klägers (Erwerb der GmbH-Anteile) liege vor der Bekanntmachung der Gesetzesänderung am . Ferner sei die zugrunde liegende Steuernorm (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) wegen strukturellen Vollzugsdefizits verfassungswidrig. Schließlich habe das FA den am Tage nach der Urteilsverkündung erlassenen Änderungsbescheid nicht wirksam bekannt gegeben und unzutreffend auf § 129 der Abgabenordnung (AO) gestützt.

Die Kläger beantragen,

das angefochtene Urteil aufzuheben und den Einkommensteueränderungsbescheid für 2000 vom in der zuletzt durch Berichtigungsbescheid vom geänderten Form sowie den entsprechenden Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum dergestalt zu ändern, dass sonstige Einkünfte aus einem privaten Veräußerungsgeschäft nicht angesetzt werden.

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Nach Verkündigung des angefochtenen Urteils hat das FA am den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr geändert. Es hat diese Änderung auf § 129 AO gestützt und diesen Bescheid wie folgt begründet: „Statt des bisher irrtümlich angesetzten Veräußerungsgewinns von 5 125 000 DM sind nunmehr 5 125 000 € (10 023 628 DM) zu berücksichtigen”.

II.

1. Das angefochtene Urteil ist bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Es kann keinen Bestand haben; denn das FG hat über den Einkommensteuerbescheid vom und damit über einen nicht mehr wirksamen Bescheid entschieden (vgl. dazu , BFH/NV 2005, 188, und vom IV R 20/02, BFHE 203, 143, BStBl II 2004, 10).

2. Der Senat entscheidet nach §§ 100, 121 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf der Grundlage der bestehen bleibenden Feststellungen und weist die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück. Zwar ist die Anteilsveräußerung, um die es hier geht, nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG steuerbar und das FA musste einen Veräußerungsgewinn erfassen (unter b), es durfte den zunächst angefochtenen Bescheid auch nach § 129 AO ändern und statt des irrtümlich in DM ausgewiesenen Betrags den Euro-Betrag ansetzen (unter a). Wegen der durch diese Änderung allerdings nicht mehr möglichen Kompensation des zunächst zu niedrig ausgewiesenen Gewinns müssen die Kläger in die Lage versetzt werden, noch Anschaffungs- und Veräußerungskosten geltend machen zu können. Deshalb geht die Sache nach § 127 FGO an das FG zurück (unter c).

a) Der Änderungsbescheid vom ist nach §§ 68, 121 FGO zum Gegenstand dieses Verfahrens geworden.

Das FA durfte den zunächst angefochtenen Einkommensteuerbescheid nach § 129 AO ändern. Danach kann das FA offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass des Steuerbescheides unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. In der Verwechslung von DM und € liegt ersichtlich eine offenbare Unrichtigkeit. Das FA hat den Änderungsbescheid den (sowohl im Klage- wie auch im Revisionsverfahren) Prozessbevollmächtigten zugestellt und damit wirksam bekannt gemacht (vgl. , BFH/NV 2005, 1062). Es hat den Änderungsbescheid nach § 121 Abs. 1 AO hinreichend begründet.

b) Das FA hat die Veräußerung der Anteile im Streitjahr dem Grunde nach zutreffend erfasst. Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 22 Nr. 2 EStG sind steuerbar private Veräußerungsgeschäfte bei anderen Wirtschaftsgütern, insbesondere bei Wertpapieren, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als ein Jahr beträgt.

aa) Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Der Kläger hat seine mit der Verschmelzung erhaltenen Anteile im Streitjahr veräußert. Er hat sie am 27. Juni des Streitjahres für 5 125 000 € verkauft und damit entgeltlich übertragen (vgl. zum Begriff der Veräußerung , BFHE 215, 193, BStBl II 2007, 258).

Er hat diese Anteile (an der S 2) mit der Verschmelzung und nicht schon mit dem Erwerb der Anteile an der S 1 angeschafft.

(1) Der in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG verwendete Begriff „Anschaffung” ist wie der Ausdruck „Anschaffungskosten” i.S. des § 6 EStG und des § 255 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches (HGB) auszulegen (vgl. , BFHE 194, 182, BStBl II 2001, 345, und vom IX R 9/00, BFHE 202, 309, BStBl II 2003, 712). Eine Anschaffung liegt danach vor, wenn das Wirtschaftsgut entgeltlich erworben wird (, BFHE 206, 110, BStBl II 2004, 987).

(2) Erhält ein Anteilseigner im Zuge einer Verschmelzung der Körperschaft, an der er beteiligt ist, auf eine andere Körperschaft Anteile dieser (anderen) Körperschaft, so handelt es sich aus der Sicht dieses Anteilseigners um einen Tausch der Anteile an der übertragenden Körperschaft gegen die Anteile an der übernehmenden Körperschaft und damit um einen entgeltlichen Erwerb (vgl. zum Tausch als entgeltlichen Erwerb , BFHE 192, 88, BStBl II 2000, 469).

Nach § 13 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 UmwStG gelten die Anteile an der übertragenden Körperschaft als zu den Anschaffungskosten veräußert und die an ihre Stelle tretenden Anteile als mit diesem Wert angeschafft. Indem das Gesetz von der Veräußerung der Anteile an der übertragenden Kapitalgesellschaft und der Anschaffung der „an ihre Stelle tretenden Anteile” spricht und sich in § 13 Abs. 3 Satz 2 UmwStG auf „die erworbenen Anteile” bezieht, geht es davon aus, dass die Gesellschafter der übertragenden Körperschaft für ihre Anteile an der übertragenden Körperschaft —und damit als Gegenleistung— Anteile an der übernehmenden Körperschaft „erhalten” (vgl. , zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, BFH/NV 2008, 679, unter II. 2. a, m.w.N.; siehe auch Trossen in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, § 13 Rz 8). Die Vorschrift fingiert also nicht den Verschmelzungsvorgang als Anschaffung (das muss sie nicht, weil mit dem Anteilstausch ohnehin eine Anschaffung vorliegt), sondern allein die Kosten dieser Anschaffung. Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 UmwStG „gelten” die ... Anteile „als mit diesem Wert” (= Anschaffungskosten) angeschafft, um dadurch auch dem Anteilseigner eine steuerneutrale Verschmelzung zu ermöglichen, andererseits aber die Besteuerung der in den Anteilen an der übertragenden Körperschaft liegenden stillen Reserven sicherzustellen (vgl. zum Gesetzeszweck auch Bärwaldt in Haritz/Benkert, Umwandlungssteuergesetz, 2. Aufl., § 13 Rz 2).

(3) Mit dem als Anschaffung zu qualifizierenden Anteilstausch im Zuge der Verschmelzung beginnt die maßgebliche Veräußerungsfrist von einem Jahr (so auch BStBl I 1998, 268 ff., Tz. 13.08, und die h.M. im Schrifttum, z.B. Schmitt in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, Umwandlungsgesetz, Umwandlungssteuergesetz, 4. Aufl., § 13 UmwStG Rz 43, m.w.N.; Blümich/ Klingberg § 13 UmwStG Rz 23; Widmann in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 13 UmwStG Rz 150; a.A. Bärwaldt in Haritz/ Benkert, a.a.O., § 13 Rz 28).

Für den Streitfall folgt daraus: Der Kläger hat mit dem Verkauf seiner mit der Verschmelzung im Dezember 1999 angeschafften Anteile an S 2 am 27. Juni des Streitjahres innerhalb der einjährigen Veräußerungsfrist den Steuertatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG verwirklicht.

bb) Diese Besteuerung begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

(1) § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ist nicht wegen strukturellen Vollzugsdefizits verfassungsrechtlich zweifelhaft (, BFHE 211, 330, BStBl II 2006, 178; Beschlüsse des , Deutsches Steuerrecht 2008, 197 —Nichtannahmebeschluss—, und des , BFHE 219, 353, BStBl II 2008, 382).

(2) Die Rechtsanwendung im Streitfall führt auch nicht zu einer verfassungsrechtlich problematischen Rückwirkung, weil der Kläger die Anteile an der S 1 ursprünglich zu einer Zeit erwarb, als noch die sechsmonatige Spekulationsfrist galt (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG a.F., § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 39 EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom , BGBl I 1999, 402). Abgesehen davon, dass es hier nicht auf den Anteilskauf im März 1999 ankommt, weil der hier maßgebliche Anschaffungsvorgang mit der Verschmelzung erst im Dezember 1999 stattfand, ist der Kläger in seinem Vertrauen selbst dann nicht schutzwürdig, wenn man auf den Erwerb der Anteile an S 1 als der maßgebenden Disposition abstellte. Denn nach dem Senatsbeschluss vom IX R 46/02 (BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284, unter B. III. 4. c bb (2) und öfter) ist das Vertrauen in die alte Spekulationsfrist noch nicht durch den Ablauf der Spekulationsfrist zu einem Vertrauen in die „Steuerentstrickung” erstarkt, wenn die Spekulationsfrist —wie unstreitig im vorliegenden Fall— zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung noch nicht abgelaufen war.

c) Die Sache ist wegen des am erlassenen Änderungsbescheides in Bezug auf die Höhe des Veräußerungsgewinns noch nicht spruchreif, so dass der Senat sie nach § 127 FGO an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweist: Das FA hat im Änderungsbescheid den Veräußerungspreis (5 125 000 €) als Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften erfasst, ohne die Anschaffungskosten (2 050 €) abzuziehen und eventuelle Veräußerungskosten zu berücksichtigen. Das FG musste hierzu keine Feststellungen treffen, weil im Einkommensteuerbescheid, über den es entschieden hat, ein um 5 Mio. DM zu gering ausgewiesener Gewinn erfasst worden war. Diese Kompensationsmöglichkeiten hat der erkennende Senat nicht mehr. Deshalb muss in einer neuen Verhandlung und Entscheidung geklärt werden, in welcher Höhe der Veräußerungsgewinn entstanden ist.

Fundstelle(n):
BStBl 2009 II Seite 13
BB 2008 S. 2374 Nr. 44
BB 2008 S. 2784 Nr. 51
BFH/NV 2008 S. 2102 Nr. 12
BFH/PR 2009 S. 9 Nr. 1
BStBl II 2009 S. 13 Nr. 1
DB 2008 S. 2456 Nr. 45
DStR 2008 S. 2105 Nr. 44
DStRE 2008 S. 1424 Nr. 22
EStB 2008 S. 429 Nr. 12
FR 2009 S. 291 Nr. 6
GStB 2009 S. 6 Nr. 1
GmbHR 2008 S. 1279 Nr. 23
HFR 2008 S. 1235 Nr. 12
KÖSDI 2008 S. 16280 Nr. 12
NWB-Eilnachricht Nr. 44/2008 S. 4080
SJ 2008 S. 8 Nr. 24
StB 2008 S. 431 Nr. 12
StBW 2008 S. 2 Nr. 22
StuB-Bilanzreport Nr. 21/2008 S. 847
WPg 2008 S. 1133 Nr. 23
YAAAC-93987