BFH Beschluss v. - X B 212/07

Anforderungen an die hinreichende Bestimmtheit einer Fristsetzung nach § 79b Abs. 2 FGO

Gesetze: FGO § 79b, FGO § 76, FGO § 115

Instanzenzug:

Gründe

I. Im Anschluss an eine Steuerfahndungsprüfung vertrat der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) die Auffassung, die K-Ltd., bei der es sich um eine im Inland ansässige Zweigniederlassung einer Kapitalgesellschaft türkischen Rechts (Ltd.) handeln soll, sei in Wirklichkeit eine Scheinfirma. Die Geschäfte seien vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) betrieben worden. Das FA setzte deshalb gegenüber dem Kläger in einem gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung geänderten Einkommensteuerbescheid den bisher dieser Kapitalgesellschaft zugerechneten Gewinn aus Gewerbebetrieb für das Streitjahr 1996 an. Hiergegen erhob der Kläger nach erfolglosem Vorverfahren Klage. Mit dieser machte er in erster Linie geltend, diese Einkünfte seien ihm nicht zuzurechnen.

Mit Verfügung vom (bekannt gegeben mit Schreiben der Geschäftstelle vom Folgetag) forderte der Berichterstatter des zuständigen Senats des Finanzgerichts (FG) den Prozessbevollmächtigten des Klägers gemäß § 79b der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf, bis zum „die Tatsachen und Beweismittel zu bezeichnen, die über die bisher vorgetragenen Umstände hinaus nach Meinung des Klägers zur Aufhebung oder Herabsetzung der bisher für das Streitjahr 1996 festgesetzten Einkommensteuer führen sollen”.

Am übersandte das FA dem FG u.a. den Jahresabschluss zum der K-Ltd., die ebenfalls vom Prozessbevollmächtigten des Klägers steuerlich vertreten wird und deren beim FA eingereichte Umsatzsteuererklärung für 1996. Das FA führte aus, die Angaben im Jahresabschluss seien teilweise nicht nachvollziehbar. Hierauf setzte der Berichterstatter des FG dem Prozessbevollmächtigten mit Verfügung vom (bekannt gegeben mit Schreiben der Geschäftsstelle vom Folgetag) eine weitere Frist gemäß § 79b FGO bis zum . Er forderte diesen auf, bis dahin bestimmte in dieser Verfügung näher bezeichnete Bilanzpositionen der K-Ltd. (in Ausführung befindliche Bauaufträge bzw. erhaltene Anzahlungen auf Bestellungen) zu erläutern. Ferner wurde in der Verfügung der Text der Verfügung vom wiederholt und gebeten, die hierfür erforderlichen Nachweise innerhalb der gesetzten Frist vorzulegen.

Mit Schriftsatz vom nahm der Prozessbevollmächtigte des Klägers zur Bilanz der K-Ltd. Stellung. In einem weiteren, am beim FG eingegangenen Schriftsatz führte er unter Hinweis auf den Bericht der Steuerfahndung u.a. aus, die an den freien Mitarbeiter geleisteten Provisionszahlungen von 49 053,80 DM und die an den Fliesenleger F gezahlten Verkaufsprovisionen von wöchentlich 250 bis 500 DM seien steuermindernd als Betriebsausgaben zu berücksichtigen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem FG am trug der Prozessbevollmächtigte des Klägers vor, dass von F unterschriebene Quittungen über an diesen geleistete Zahlungen vorlägen. Ausweislich der Niederschrift über diese mündliche Verhandlung überreichte er an F ausgestellte Rechnungen der K-Ltd. Diese sind der Niederschrift als Anlage beigefügt. Ferner übergab der Prozessbevollmächtigte des Klägers dem FG ausweislich dieser Sitzungsniederschrift mehrere Schreiben des B an die K-Ltd., in denen Provisionsansprüche für die Monate April bis Dezember 1996 in Rechnung gestellt werden. Diese Schreiben sind ebenfalls der Niederschrift beigefügt.

Durch Urteil vom wies das FG die Klage im Wesentlichen ab. Es vertrat den Standpunkt, die K-Ltd. sei eine Scheinfirma. Die angeblich von dieser Kapitalgesellschaft erzielten Einkünfte seien dem Kläger zuzurechnen. Eine Berücksichtigung der nach dem klägerischen Vorbringen an B und F geleisteten Zahlungen lehnte das FG ab. Es führte aus, die vom Klägervertreter hierzu in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen würden den klägerischen Vortrag zu bestätigen scheinen. Allein aus diesen Belegen sei aber nicht auf eine tatsächlich erfolgte Zahlung zu schließen. Die Erklärung des B stehe im Widerspruch zu einer zeitnah abgegebenen schriftlichen Erklärung einer Frau X. Hinsichtlich des F ergebe sich aus anderen Unterlagen, dass dieser keine Provisionen, sondern Arbeitslohn erhalten habe. Daher hätte es einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts bedurft. Diese sei aber entbehrlich. Bis zur mündlichen Verhandlung habe für eine solche Sachaufklärung kein Anlass bestanden. Bis dahin hätten keine Anhaltspunkte für die Behauptung des Klägers vorgelegen, dass die auf dem Bilanzkonto der K-Ltd. 4760 (Aufwendungen für Verkaufsprovisionen) gebuchten Beträge an die bezeichneten Personen ausbezahlt worden sein könnten. Durch die gerichtliche Verfügung vom sei der Kläger gemäß § 79b FGO aufgefordert worden, die Tatsachen und Beweismittel zu benennen, die über die bisher vorgetragenen Umstände hinaus sonst noch zur Aufhebung oder Herabsetzung der Einkommensteuer für 1996 führen könnten, und die hierfür maßgeblichen Beweise vorzulegen. Nach den bis zur mündlichen Verhandlung angegebenen Tatsachen und den vorgelegten Beweismitteln hätten die angeblichen Zahlungen an F und B aber nicht als Betriebsausgaben anerkannt werden können. Eine weitere Sachaufklärung würde aber zu einer weiteren Verzögerung der Erledigung des Rechtsstreits führen.

Mit der wegen der Nichtzulassung der Revision eingelegten Beschwerde macht der Kläger u.a. geltend, das FG habe zu Unrecht die in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen unberücksichtigt gelassen und deshalb den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt. Er habe im Klageverfahren (von Anfang an) geltend gemacht, dass ihm die Tätigkeit der K-Ltd. und der in diesem Zusammenhang erzielte Gewinn nicht zuzurechnen sei. In dem Schreiben des sei er nur allgemein unter Hinweis auf § 79b FGO aufgefordert worden, innerhalb der ihm gesetzten Frist Tatsachen und Beweismittel zu benennen. Diese Aufforderung habe das FG in seinem Schreiben vom wiederholt. Es habe damit seine eigene Fristsetzung in Frage gestellt.

II. Die Beschwerde ist begründet. Der Kläger rügt schlüssig das Vorliegen eines Verfahrensfehlers (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Dieser liegt auch tatsächlich vor.

1. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) und der Sachaufklärungspflicht nach § 76 Abs. 1 FGO kann gegeben sein, wenn das FG das Vorbringen eines Klägers zu Unrecht gemäß § 79b Abs. 3 FGO zurückweist (Senatsbeschluss vom X B 28/05, BFH/NV 2005, 2038). Nach dieser Vorschrift können Erklärungen und Beweismittel u.a. nur dann zurückgewiesen werden, wenn das FG Fristen i.S. von § 79b Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 FGO wirksam gesetzt hat. Nach § 79b Abs. 1 Satz 1 FGO kann dem Kläger eine Frist gesetzt werden zur Angabe der Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren er sich beschwert fühlt. Eine wirksame Fristsetzung nach § 79b Abs. 2 FGO setzt hingegen voraus, dass der Beteiligte aufgefordert wird, zu bestimmten Vorgängen Tatsachen anzugeben oder Beweismittel zu bezeichnen (Abs. 2 Nr. 1), bzw. Urkunden oder andere bewegliche Sachen vorzulegen oder elektronische Dokumente zu übermitteln, soweit der Beteiligte dazu verpflichtet ist (Abs. 2 Nr. 2).

2. Der Kläger macht sinngemäß geltend, er habe bereits zu einem Zeitpunkt, bevor ihm Fristen i.S. des § 79b FGO gesetzt worden sind, in ausreichendem Umfang seine Klage begründet. Die Fristsetzungen gemäß § 79b FGO seien lediglich allgemein gehalten gewesen. Eine wirksame Fristsetzung habe nicht vorgelegen. Damit rügt der Kläger schlüssig, die Voraussetzungen des § 79b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 FGO hätten nicht vorgelegen. Dieser Vortrag erweist sich als zutreffend und auch als ausreichend. Denn anders als im Normalfall der Rüge eines Verfahrensfehlers waren Ausführungen des Klägers zur Rechtserheblichkeit des Verfahrensfehlers des FG im Streitfall nicht erforderlich, weil das FG im Urteil selbst festgestellt hat, dass eine weitere Sachaufklärung geboten gewesen wäre. Dass sie vom FG im Hinblick auf § 79b FGO unterlassen worden ist, ändert an der Entscheidungserheblichkeit des Verfahrensfehlers nichts.

a) § 79b Abs. 1 Satz 1 FGO ergänzt die Möglichkeit der Fristsetzung nach § 65 Abs. 2 FGO, soweit es die Angabe der den Kläger beschwerenden Tatsachen betrifft (, BFHE 177, 233, BStBl II 1995, 545, und vom IX R 22/00, BFH/NV 2003, 1198). Für eine Fristsetzung nach dieser Vorschrift ist daher kein Raum, wenn der Kläger in hinreichendem Umfang Tatsachen vorgetragen hat, auf die er sein Klagebegehren stützt (Stöcker in Beermann/Gosch, FGO § 79b Rz 10). Dies macht der Kläger schlüssig geltend; er habe für sein Vorbringen, wonach der Gewinn der K-Ltd. ihm nicht zuzurechnen sei, in ausreichendem Umfang Tatsachen benannt. Dies trifft auch tatsächlich zu. Er hat bereits in der Klagebegründung ausführlich die Umstände geschildert, weshalb die K-Ltd. keine Scheinfirma ist. Ferner hat er auch Indizien dafür benannt, dass er nicht selbst gewerblich tätig geworden sei. Angesichts dieser klägerischen Angaben war das FG nicht berechtigt, gemäß § 79b Abs. 1 Satz 1 FGO eine Frist zu setzen, um ihn zu zwingen, innerhalb der Frist offenzulegen, ob das Klagebegehren ggf. auch auf andere Gesichtspunkte gestützt wird.

b) Eine Fristsetzung nach § 79b Abs. 2 FGO ist nur wirksam, wenn die von dem Richter für aufklärungs- oder beweisbedürftig erachteten Punkte so genau bezeichnet werden, dass es dem Beteiligten möglich ist, die Anordnung ohne weiteres zu befolgen (BFH-Urteil in BFHE 177, 233, BStBl II 1995, 545). Insbesondere ist es im Rahmen einer Fristsetzung nicht ausreichend, wenn dem Kläger lediglich aufgegeben wird, Tatsachen anzugeben, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung er sich beschwert fühlt (BFH-Urteil in BFH/NV 2003, 1198). Auch dies wird vom Kläger schlüssig vorgebracht, denn er trägt vor, er sei nur allgemein zur Angabe von Tatsachen und Beweismitteln aufgefordert worden. Er macht damit sinngemäß geltend, die anzugebenden Tatsachen und Beweismittel, zu denen Stellung zu nehmen sei, seien in der richterlichen Verfügung nicht in der gebotenen Weise konkretisiert worden. Auch dies trifft, jedenfalls soweit es nicht um die Aufforderung geht, bestimmte Bilanzpositionen zu erläutern, tatsächlich zu. Die in den in Frage stehenden richterlichen Verfügungen jeweils enthaltenen Aufforderungen, die Tatsachen und Beweismittel zu bezeichnen, die über die bisher vorgetragenen Umstände hinaus nach Meinung des Klägers zur Aufhebung oder Herabsetzung der bisher für das Streitjahr 1996 festgesetzten Einkommensteuer führen sollen, genügen den Bestimmtheitsanforderungen des § 79b Abs. 2 FGO nicht. Soweit das FG den Kläger in der Verfügung vom aufgefordert hat, zu bestimmten Bilanzpositionen Stellung zu nehmen, ist dies in vorliegendem Zusammenhang ohne Belang, weil es um die in der richterlichen Verfügung nicht benannte Aufwandsposition „Verkaufsprovisionen” in der Gewinn- und Verlustrechnung geht.

3. Bei dieser Sachlage war das FG nicht berechtigt, von der von ihm selbst an sich für erforderlich angesehenen weiteren Sachaufklärung, ob an F und B als Betriebsausgaben zu berücksichtigende Zahlungen erbracht worden sind, unter Hinweis auf § 79b Abs. 3 FGO abzusehen. Da bereits nicht wirksam Fristen nach § 79b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 FGO gesetzt wurden, kann dahinstehen, ob § 79b Abs. 3 FGO im Streitfall auch deshalb nicht anwendbar ist, weil der Kläger bereits am und damit innerhalb der mit Verfügung vom gesetzten Frist vorgetragen hat, dass an F und B Verkaufsprovisionen geleistet worden seien.

4. Der Kläger hat das Recht, diesen Verfahrensmangel zu rügen, auch nicht nach § 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung verloren. Der rechtskundig in der mündlichen Verhandlung vor dem FG am vertretene Kläger konnte den Verfahrensmangel dort nicht rügen; denn dieser ergibt sich erst, wie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung zeigt, aus dem finanzgerichtlichen Urteil (BFH-Urteil in BFH/NV 2003, 1198).

5. Der beschließende Senat hält es für angezeigt, gemäß § 116 Abs. 6 FGO das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit an das FG zurückzuverweisen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BAAAC-92226