Leitsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: SVG § 81 Abs 6 Satz 2; AHP 1996 Nr 122 Abs 6 Buchstabe c
Instanzenzug: Bayerisches LSG, L 15 VS 12/98 vom SG München, S 29 VS 52/96 vom
Gründe
I
Streitig ist, ob der Kläger gegen die beklagte Bundesrepublik Deutschland (Wehrverwaltung) Anspruch auf Anerkennung einer "akuten myelo-monozytären Leukämie" (AML) als Folge einer Wehrdienstbeschädigung (WDB) sowie für den Zeitraum vom bis auf Gewährung eines Ausgleichs nach § 85 Soldatenversorgungsgesetz (SVG) hat.
Der 1954 geborene Kläger war vom bis Soldat auf Zeit bei der Bundeswehr, zuletzt als Oberstabsarzt. In dieser Funktion fertigte er auch Differentialblutbilder per Hand; als Ergebnisse dieser Laboruntersuchungen ergaben sich ua Mononukleose-Virusträger.
Im Juli/August 1987 war der Kläger arbeitsunfähig krank. Es wurde bei ihm an Hand von Laborbefunden (IgM-Titer) eine akute Cytomegalievirus(CMV)-Infektion und eine Epstein-Barr-Virus(EBV)-Infektion festgestellt. Im Juli 1989 und Juli 1990 traten beim Kläger erneut Infektionskrankheiten auf; die Laborbefunde zeigten wieder Abweichungen von der Norm (positiver EBV-VCA-IgM-Titer). Im August 1991 wurde beim Kläger eine AML diagnostiziert.
Der Kläger beantragte daraufhin am die Anerkennung der AML als Folge einer WDB. Die beklagte Wehrverwaltung lehnte mit Bescheid vom die Gewährung eines Ausgleichs nach § 85 Abs 1 SVG ab. In der medizinischen Wissenschaft bestehe über die Ursache der "Erkrankung des hämatopoetischen Systems (AML)" Ungewissheit, sodass die erforderliche Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs nicht gegeben sei. Es könne auch keine Kannversorgung nach § 85 Abs 3 SVG iVm § 81 Abs 6 Satz 2 SVG gewährt werden, weil insoweit die Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Die CMV-Infektion und die EBV-Infektion im August 1987 hätten weder den geforderten zeitlichen Bezug zu der 1991 aufgetretenen AML, noch stellten sie schädigungsbedingte Erkrankungen dar.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte nach Einholung eines internistischen Gutachtens von Prof. Dr. E. mit Widerspruchsbescheid vom im Wesentlichen aus den gleichen Gründen zurück.
Das Sozialgericht (SG) München hat - ua nach Einholung eines internistischen Gutachtens von Dr. B. - mit Urteil vom die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt: Da ausweislich der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AHP) die Leukämie zu den Krankheiten gehöre, bei denen in der Wissenschaft Ungewissheit darüber herrsche, welche Ursache das Leiden habe, komme allenfalls eine Kannversorgung in Frage. Entscheidend sei nach den AHP, ob die Leukämie innerhalb von zwei Jahren nach der EBV-Infektion aufgetreten sei. Dies sei hier nicht der Fall. Bei der Erkrankung im Jahre 1990 habe es sich nach Auffassung des gerichtlichen Sachverständigen um eine banale Erkältungskrankheit gehandelt, die allenfalls die im Körper noch schlummernden EBV-Viren aktiviert haben könnte.
Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat ua auf Antrag des Klägers ein Gutachten von Prof. Dr. N. eingeholt, des Weiteren von Amts wegen ein Gutachten von Frau Dr. J. sowie eine ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. N. . Mit Urteil vom hat das LSG unter Aufhebung der entgegenstehenden Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen die Beklagte verurteilt, beim Kläger als WDB-Folge eine "akute myelo-monozytäre Leukämie" (ausgeheilt) anzuerkennen und ihm ab August 1991 Ausgleich bis Mai 1992 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 vH und danach bis nach einer MdE von 60 vH zu gewähren. Es hat ausgeführt: Die Leukämie sei nach den Grundsätzen der Kannversorgung die Folge einer WDB. Unstreitig werde das Auftreten der Leukämie bzw der vorausgegangenen Infektionskrankheiten während des Wehrdienstes nicht auf ein zeitlich begrenztes traumatisches Ereignis (Unfall) zurückgeführt. Für unfallunabhängige Krankheiten bestimme sich der versorgungsrechtlich geschützte Bereich grundsätzlich nach dem Vorbild des Berufskrankheitenrechts der gesetzlichen Unfallversicherung. In der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) sei jedoch nichts über die Leukämie geregelt. Greife man insoweit auf die AHP zurück, bestimme Nr 121 (6) AHP 1983, unter welchen Voraussetzungen eine Kannversorgung bei Leukämie als gegeben anzusehen sei, nämlich ua in Buchstabe c, "wenn vor Manifestation einer Hämoblastose ... innerhalb von zwei Jahren als Schädigungstatbestand Infektionskrankheiten vorausgegangen sind, die insbesondere auf das lymphathische System eingewirkt haben (zB Pfeiffer' Drüsenfieber)". Der Kläger habe darlegen können, dass er im Rahmen seiner Labortätigkeit ua Mononukleose-Viren untersucht habe. Nachdem Prof. Dr. N. , Dr. J. und Dr. S. überzeugend dargelegt hätten, dass es beim Kläger im Juli 1989 bzw 1990 zu zwei erheblichen Infektionen gekommen sei, die auf das lymphathische System eingewirkt hätten, und die Nr 3101 der BKV Infektionskrankheiten dann als Berufskrankheiten anerkenne, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt gewesen sei, sehe der Senat es als erwiesen an, dass der Kläger im Juli 1989 und 1990 diese schwerwiegenden und durch EBV-VCA-IgM-Titer nachgewiesenen Infektionen als Folgen einer WDB erlitten habe. Dabei komme es nicht entscheidend darauf an, ob es sich hierbei um Reinfektionen oder Reaktivierungen gehandelt habe, sondern ob eine auf das lymphatische System einwirkende Krankheit vorgelegen habe. Im Rahmen der haftungsbegründenden Kausalität sei es ausreichend, wenn der Nachweis einer auf das lymphatische System einwirkenden Infektionskrankheit im Gesundheitsdienst erbracht werde. Nachdem die AHP für akute Leukämien eine MdE von 80 bis 100 vH bzw 100 vH bis zum Ende der Intensivtherapie vorsähen und danach für die Dauer von drei Jahren (Heilungsbewährung) noch eine MdE von 60 vH zubilligten, stehe dem Kläger bis Mai 1992 Ausgleich nach einer MdE von 100 vH und danach bis zu seinem Ausscheiden aus der Bundeswehr nach einer MdE von 60 vH zu.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die beklagte Wehrverwaltung eine Verletzung des § 81 Abs 6 Satz 2 SVG iVm Nr 122 Abs 6 Buchstabe c AHP (1996). Das LSG habe insbesondere nicht berücksichtigt, dass - auch im Rahmen der Kannversorgung - ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Wehrdienst und der Infektionskrankheit nach den Kriterien der Wahrscheinlichkeit vorausgesetzt werde. Das Urteil enthalte keine Feststellungen, aus denen zu entnehmen sei, dass der Kläger bei der Ausübung seines Berufs einer besonderen, über das normale Maß hinausgehenden Ansteckungsgefahr ausgesetzt gewesen sei. Es fehle das deutliche Übergewicht der Gefahr einer Infektion im dienstlichen Umfeld, denn der EBV-Virus weise einen überdurchschnittlich hohen Verbreitungsgrad von 90 Prozent in der Bevölkerung auf. Die Anerkennung der Leukämie als WDB-Folge scheitere deshalb bereits an der mangelnden Wahrscheinlichkeit einer dienstlich erworbenen Infektionskrankheit. Zudem erfasse Nr 122 (6) Buchstabe c AHP (1996) nur Primärinfektionen, nicht jedoch Reaktivierungen oder Reinfektionen. Die im Jahre 1987 gesicherte EBV-Infektion liege außerhalb der geforderten zwei Jahre bis zum Auftreten der Leukämieerkrankung.
Die Beklagte beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Bayerischen aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Der Senat hat beim Ärztlichen Sachverständigenbeirat beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) angefragt, welche Erwägungen für die Abfassung der Nr 121 (6) Buchstabe c AHP 1983 maßgebend gewesen sind. Das BMAS hat in seiner Stellungnahme vom die Auffassung vertreten, dass die Voraussetzungen für eine Kannversorgung auch dann gegeben seien, wenn in dem Zweijahreszeitraum Rezidive aufgetreten seien oder chronische Verläufe entsprechender Infektionen in diesen Zeitraum hineingereicht hätten.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
II
Die Revision der Beklagten ist im Sinne einer Aufhebung des angefochtenen Urteils des LSG und Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Der Senat vermag aufgrund der bisherigen Tatsachenfeststellungen des LSG nicht zu entscheiden, ob das LSG die Beklagte zu Recht oder zu Unrecht verurteilt hat, die "akute myelo-monozytäre Leukämie" (AML) des Klägers als Folge einer WDB anzuerkennen und diesem für die Zeit vom bis Ausgleich zu gewähren.
1. Rechtsgrundlage für den vom Kläger in zulässiger Weise mit einer kombinierten Anfechtungs-, Feststellungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4, § 55 Abs 1 Nr 3 SGG; vgl Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom - B 9 VS 2/98 R, SozR 3-3200 § 81 Nr 16 S 72 f mwN) geltend gemachten Anspruch auf Feststellung der im August 1991 diagnostizierten AML als Folge einer WDB sowie auf Gewährung eines Ausgleichs für den Zeitraum vom bis sind die §§ 81, 85 SVG (idF der Gesetze vom <BGBl I 1211> und vom <BGBl I 2588>) iVm den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
a) Nach § 85 Abs 1 SVG erhalten Soldaten wegen der Folgen einer WDB während ihrer Dienstzeit einen Ausgleich in Höhe der Grundrente und der Schwerstbeschädigtenzulage nach § 30 Abs 1 und § 31 BVG. Nach § 81 Abs 1 SVG ist eine WDB eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnissen herbeigeführt worden ist. Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer WDB genügt nach § 81 Abs 6 Satz 1 SVG (idF des Gesetzes vom , BGBl I 1211) die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Es ist im vorliegenden Fall jedoch weder nachgewiesen, noch kann es auch nur wahrscheinlich gemacht werden, dass die AML durch schädigende Vorgänge im Wehrdienst hervorgerufen worden ist. Dies folgt aus den für den erkennenden Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG. Danach war zum damaligen Zeitpunkt (und ist auch heute noch) die Ätiologie der Hämoblastosen, wie der AML, wissenschaftlich weitgehend ungeklärt (vgl dazu AHP, Ausgabe 1983 Nr 121 <6>, S 243).
Wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer WDB erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann nach § 81 Abs 6 Satz 2, § 85 Abs 3 SVG (idF des Gesetzes vom <BGBl I 1211>) mit Zustimmung des Bundesministers der Verteidigung (BMV) im Einvernehmen mit dem BMAS die Gesundheitsstörung als Folge einer WDB anerkannt werden (sog "Kannversorgung"); die Zustimmung kann allgemein erteilt werden. In diesen Fällen reicht es aus, wenn der Zusammenhang einer Krankheit mit einem entschädigungsrechtlich erheblichen Vorgang nur möglich ist (vgl zur Kannversorgung insbesondere 9/9a RV 41/92, BSGE 73, 190 = SozR 3-3200 § 81 Nr 9; , BSGE 74, 109 = SozR 3-3100 § 1 Nr 14; , SozR 3-3200 § 81 Nr 13 S 56 f).
b) Der BMAS hat für eine Reihe von Krankheiten, über deren Entstehung in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, für die also nach den gesetzlichen Bestimmungen eine Kannversorgung in Frage kommt, eine allgemeine Zustimmung erklärt. Dieser hat sich der BMV bereits im voraus angeschlossen (vgl Nr 6 Abs 2 der Richtlinien zu § 85 SVG vom <BAnz Nr 98> mit Änderungen vom <BAnz Nr 214>). Der BMAS hat diese Zustimmung in dem von ihm herausgegebenen AHP veröffentlicht (Nr 39 <7> der im streitigen Zeitraum maßgebenden AHP 1983). Die Zustimmung ist jedoch nicht einschränkungslos erteilt. Sie ist vielmehr an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, die in den AHP als Hinweise für die Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheiten gegeben werden. So sind nach Nr 121 (6) Buchstabe c AHP 1983 die Voraussetzungen für eine "Kannversorgung" ua dann als gegeben anzusehen, "wenn vor der Manifestation einer Hämoblastose ... innerhalb von 2 Jahren als Schädigungstatbestand Infektionskrankheiten vorangegangen sind, die insbesondere auf das lymphatische System eingewirkt haben (zB Pfeiffer' Drüsenfieber)." Die zeitliche Verbindung von 2 Jahren zwischen der auf das lymphatische System einwirkenden Infektionskrankheit und der Manifestation einer Hämoblastose ist nach der vom Senat eingeholten Stellungnahme des BMAS vom auch dann gewahrt, wenn in dem Zweijahreszeitraum Rezidive aufgetreten sind oder chronische Verläufe entsprechender Infektionen in diesen Zeitraum hineingereicht haben.
Für die Anerkennung einer AML als Folge einer WDB ist mithin auch im Rahmen der Kannversorgung eine mehrgliedrige Kausalkette zu prüfen: Ein mit dem Wehrdienst zusammenhängender schädigender Vorgang muss zu einer primären Schädigung - hier einer Infektion - und weiter zu einer ersten Schädigungsfolge - also der auf das lymphatische System einwirkenden Infektionskrankheit - geführt haben, die wiederum die weitere Schädigungsfolge - hier die AML - bedingt hat. Dabei müssen sich die einzelnen Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, primäre Schädigung, Schädigungsfolgen) grundsätzlich im Sinne eines Vollbeweises mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen lassen. Für den ursächlichen Zusammenhang zwischen schädigendem Vorgang, primärer Schädigung und erster Schädigungsfolge ist versorgungsrechtlich als Beweismaßstab eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (§ 81 Abs 6 Satz 1 SVG) zugrunde zu legen; es muss also nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang sprechen. Für den ursächlichen Zusammenhang zwischen erster und weiterer Schädigungsfolge reicht hier der Beweismaßstab der "guten Möglichkeit", der nach Nr 121 (6) Buchstabe c AHP 1983 ua dann als gegeben angesehen wird, wenn sich innerhalb von 2 Jahren nach einer auf das lymphatische System einwirkenden Infektionskrankheit eine Hämoblastose - wie die AML - manifestiert (vgl dazu auch Nr 37, 38 AHP 1983 sowie zu den Grundsätzen der versorgungsrechtlichen Kausalitätslehre: 9a RV 31/90, SozR 3-3200 § 81 Nr 6 S 30 f; , SozR 3-3200 § 81 Nr 16 S 73 ff; , SozR 4-3200 § 81 Nr 1 RdNr 6; B 9a V 2/05 R, SozR 4-3100 § 1 Nr 3 RdNr 22).
c) Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl etwa 9a RV 4/91, SozR 3-3200 § 81 Nr 3 S 13 ff; 9/9a RV 25/92, SozR 3-3200 § 81 Nr 8 S 39 ff) bestimmt sich bei unfallunabhängigen Krankheiten der vom SVG geschützte Bereich nach dem Vorbild des Berufskrankheitenrechts. Im Soldatenversorgungsrecht fehlen normative Vorgaben dafür, unter welchen Voraussetzungen eine wehrdiensttypische Gefahrenerhöhung anzuerkennen ist. Hier ist nach dem Vorbild des Berufskrankheitenrechts einzelfallbezogen zu prüfen, ob Wehrdienstverrichtungen oder "wehrdiensteigentümliche Verhältnisse" als (haftungsbegründende) Ursache in einem Maße vorliegen, dass andere Ursachen in den Hintergrund treten. Unfallunabhängige Infektionskrankheiten können deshalb im vorliegenden Fall grundsätzlich nur dann als Folge einer WDB anerkannt werden, wenn die Voraussetzungen einer Berufskrankheit iS des im streitigen Zeitraum noch geltenden § 551 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) iVm der BKV vom (BGBl I 721) erfüllt sind.
Ob bestimmte berufliche Einwirkungen typischerweise eine Krankheit herbeiführen, wird in der Unfallversicherung nicht aufgrund von Ermittlungen durch Verwaltung und Gerichte im Einzelfall festgestellt, sondern nach umfassenden Erhebungen vom Gesetzgeber durch Verordnung entschieden. War ein Soldat im Dienst Einwirkungen ausgesetzt, die im Unfallversicherungsrecht zu der Erkenntnis geführt haben, dass sie das Krankheitsrisiko in auffallender Weise erhöhen und ist diese Krankheit deshalb in die BKV aufgenommen worden, so kommt eine entsprechende Erkrankung des Soldaten als Folge einer WDB in Betracht. Die Aufnahme in die BKV bedeutet aber nur, dass diese Krankheit generell geeignet ist, Berufskrankheit - oder übertragen auf das SVG "Wehrdienstkrankheit" - zu sein (vgl 9/9a RV 25/92, SozR 3-3200 § 81 Nr 8 S 40 f). Es ist daher in jedem konkreten Einzelfall zu prüfen, ob die Erkrankung nach dem Beweismaßstab der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit im Sinne der Theorie der wesentlichen Bedingung (hierzu zuletzt eingehend: , BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, jeweils RdNr 13 ff; , SozR 4-2700 § 9 Nr 9 RdNr 11; , SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4104 Nr 2 RdNr 22 f) ihre Ursache in einer dem Beruf (Wehrdienst) zuzuordnenden schädigenden Einwirkung hat. Dabei ist die Frage, welche Voraussetzungen zur Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung vorliegen müssen, unter Zuhilfenahme medizinischer, naturwissenschaftlicher und technischer Sachkunde nach den im Entscheidungszeitpunkt aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu beantworten (vgl zuletzt , BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7 jeweils RdNr 20, B 2 U 5/05 R, BSGE 96, 297 = SozR 4-5671 § 6 Nr 2, jeweils RdNr 16 sowie B 2 U 13/05 R, SozR 4-2700 § 9 Nr 9 RdNr 11; zum Ursachenbegriff, zu den Tatsachen zur Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs und zur Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs im sozialen Entschädigungsrecht auch Nr 36 ff AHP 1983 sowie grundlegend , SozR 3-3200 § 81 Nr 16 S 74 ff; vgl auch , SozR 4-3200 § 81 Nr 1 RdNr 6 sowie Urteil vom - B 9a V 2/05 R, SozR 4-3100 § 1 Nr 3 RdNr 22).
d) Infektionskrankheiten als durch Krankheitserreger (zB Viren) verursachte Krankheiten, die von Mensch zu Mensch übertragbar sind, haben sich nach Nr 3101 der Anlage 1 zur BKV idF vom (BGBl I 3329) typischerweise ua dann durch berufliche (wehrdienstliche) Einwirkungen entwickelt, "wenn der Versicherte (hier also der Soldat) im Gesundheitsdienst ... tätig war" und deshalb durch seine Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen iS des § 551 Abs 1 Satz 3 RVO (jetzt § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII) ausgesetzt war, nämlich einer im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung wesentlich erhöhten Infektionsgefahr. Nach der Rechtsprechung des für Streitigkeiten aus der gesetzlichen Unfallversicherung zuständigen 2. Senats des BSG, die auch für die Kausalitätsbeurteilung nach § 81 Abs 6 Satz 1 SVG heranzuziehen ist, kann bei einer Infektionskrankheit iS der Nr 3101 der Anlage 1 zur BKV deshalb nur dann von einer beruflichen (wehrdienstlichen) Verursachung ausgegangen werden, wenn nachgewiesen ist, dass der Versicherte (hier also der Soldat im Gesundheitsdienst) im Einzelfall (bezogen auf die erlittene Krankheit) einer besonderen, über das normale Maß hinausgehenden Ansteckungsgefahr ausgesetzt gewesen ist (vgl zuletzt , SozR 4-5671 Anlage 1 Nr 3101 Nr 1; , UV-Recht Aktuell 2006, 216).
Bei der Berufskrankheit nach Nr 3101 der Anlage 1 zur BKV besteht die Besonderheit, dass die schädigende Einwirkung, also der Ansteckungsvorgang, bei dem die Krankheit übertragen wurde, häufig im Nachhinein nicht mehr ermittelt werden kann. Meistens kommen verschiedene Infektionsquellen und Übertragungswege in Betracht, ohne dass sich feststellen lässt, bei welcher Gelegenheit es tatsächlich zu der Ansteckung gekommen ist. Dies war im Übrigen der Grund, warum Infektionskrankheiten, deren auslösendes Ereignis - die einmalige Ansteckung - an sich eher die Voraussetzungen des Unfallbegriffs erfüllt, unter die Berufskrankheiten gefasst wurden. Letztlich wird der Ursachenzusammenhang bei dieser Berufskrankheit nur aufgrund des (besonderen) Infektionsrisikos und darauf beruhender Wahrscheinlichkeitsüberlegungen bejaht. Eine der beruflichen Tätigkeit (hier also dem Dienst als Arzt bei der Bundeswehr) zuzuordnende besondere Infektionsgefahr ist anzunehmen, wenn entweder ein konkreter Kontakt mit einer infektiösen Person oder ein Kontakt mit einer Gruppe von Menschen mit einem gegenüber der Normalbevölkerung deutlich erhöhten Anteil infektiöser Personen oder schließlich eine ihrer Art nach besonders infektionsgefährdete Tätigkeit vorgelegen hat.
Der Schluss von einer berufsbedingt (hier wehrdienstbedingt) erhöhten Ansteckungsgefahr auf eine (haftungsbegründende) berufliche Ursache ist allerdings nur gerechtfertigt, wenn neben der Gefährdung durch die versicherte Tätigkeit (hier durch eine Wehrdienstverrichtung oder durch wehrdiensteigentümliche Verhältnisse) keine anderen, dem privaten Lebensbereich zuzuordnenden Infektionsrisiken bestanden haben. Kommen als Ansteckungsquelle sowohl berufliche als auch außerberufliche Verrichtungen in Betracht, von denen nur eine allein die Krankheit ausgelöst haben kann, muss entschieden werden, ob sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine der unter Versicherungsschutz (hier Versorgungsschutz) stehenden Handlungen als Krankheitsursache identifizieren lässt. Eine dafür im Rechtssinne hinreichende Wahrscheinlichkeit ist gegeben, wenn der Möglichkeit einer beruflichen Verursachung nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber den anderen in Frage kommenden Möglichkeiten ein so deutliches Übergewicht zukommt, dass darauf die richterliche Überzeugung gestützt werden kann (vgl , UV-Recht Aktuell 2006, 216).
2. Diesen rechtlichen Vorgaben wird die von der Beklagten angegriffene Entscheidung des LSG nicht gerecht. Die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche setzen nach Nr 121 (6) Buchstabe c AHP 1983 voraus, dass er innerhalb von zwei Jahren vor der Manifestation der AML mindestens eine auf das lymphatische System einwirkende Infektionskrankheit durchgemacht hat, die mit (hinreichender) Wahrscheinlichkeit wesentlich durch den Wehrdienst verursacht worden ist. Die zur Beurteilung dieser Tatbestandsmerkmale erforderlichen Tatsachen hat das LSG nicht in ausreichendem Maße festgestellt.
Zunächst hat das LSG - für den erkennenden Senat nach § 163 SGG bindend - angenommen, dass es beim Kläger im Juli 1989 und im Juli 1990 zu schweren, durch EBV-VCA-IgM-Titer nachgewiesenen Infektionskrankheiten gekommen ist, die auf das lymphatische System eingewirkt haben. Sollte sich die AML des Klägers erst im August 1991 manifestiert haben, läge allerdings die im Juli 1989 abgelaufene Erkrankung knapp außerhalb der Zwei-Jahres-Frist. Im Hinblick auf die Auskunft des BMAS vom ist weiter davon auszugehen, dass es die Vorinstanz für die Frage eines Zusammenhanges zwischen Infektionskrankheit und AML zu Recht offengelassen hat, ob es sich bei den genannten Erkrankungen um Reinfektionen oder Reaktivierungen gehandelt hat. Dem Berufungssenat ist jedoch insoweit nicht zu folgen, als er es für ausreichend gehalten hat, dass der Nachweis (irgend-)einer Infektionskrankheit, die auf das lymphatische System eingewirkt hat, im (soldatischen) Gesundheitsdienst erbracht werden kann. Vielmehr ist der Zusammenhang zwischen Wehrdienst und Infektionskrankheit im Einzelnen zu prüfen.
Das LSG hat dazu lediglich bindend festgestellt, dass der Kläger als Oberstabsarzt bei der Bundeswehr im Rahmen von Laboruntersuchungen mit Mononukleose-Virusträgern sowie mit Personen in Berührung gekommen ist, bei denen eine andere, nicht mehr zu identifizierende Viruserkrankung vorgelegen hat. Offengelassen hat es, inwiefern die betreffenden Viren mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die vom Kläger im maßgeblichen Zwei-Jahres-Zeitraum durchgemachten Infektionskrankheiten, insbesondere deren Einwirkungen auf das lymphatische System, wesentlich mitverursacht haben. Diese Frage dürfte sich nicht beantworten lassen ohne eine Klärung sowohl der Art der Viren als auch der Art der Infektionskrankheiten.
Das LSG wird deshalb zunächst genau und umfassend Art und Ausmaß der besonderen schädigenden Einwirkungen festzustellen haben, insbesondere welchen spezifischen Infektionsgefahren der Kläger im Rahmen seiner wehrdienstlichen Tätigkeit ausgesetzt war. Diese Einwirkungen müssen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden.
Das LSG wird des Weiteren unter Zuhilfenahme medizinischer und ggf auch anderer Sachkunde nach den im Entscheidungszeitpunkt aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen den Ursachenzusammenhang (Zurechnungszusammenhang) zwischen den schädigenden Einwirkungen (dh spezifischen Infektionsgefahren) und zumindest einer der beiden auf das lymphatische System einwirkenden Infektionskrankheiten festzustellen haben. Dies erfordert eine sachgerechte Abwägung aller wesentlichen Umstände. Das LSG hat bislang zB nicht hinreichend festgestellt, dass der Kontakt des Klägers mit Mononukleose-Virusträgern (als Krankheitserreger) im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit als Oberstabsarzt mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentliche Bedingung (Mitursache) einer bei diesem im maßgeblichen Zeitraum aufgetretenen, auf das lymphatische System einwirkenden Infektionskrankheit war. Eine nähere Sachverhaltsaufklärung ist insoweit schon deshalb geboten, weil es sich - wie allgemein bekannt ist - bei der EBV-Infektion (= Mononukleose = Pfeiffer' Drüsenfieber = "kissing disease") um eine in Europa sehr häufige Infektionskrankheit handelt, mit der sich bereits in jungen Jahren über 90 % der Bevölkerung infiziert hat, die also in der Altersgruppe des Klägers (bezogen auf den maßgeblichen Zeitraum) sehr häufig vorhanden war (zur Kausalitätsbeurteilung von Infektionskrankheiten vgl auch Nr 53 ff AHP 1983, 1996, 2004, 2008; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 5. Aufl <1993> S 649 ff; Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO, 7. Aufl <2003> S 767 ff; Ricke in Kasseler Kommentar, § 9 SGB VII RdNr 46 ff; Merkblatt des BMA zur BK-Nr 3101, BABl 1/2001, 35).
Da der Senat die fehlenden Feststellungen im Revisionsverfahren nicht treffen kann, ist die Berufungsentscheidung aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen.
3. Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstelle(n):
PAAAC-90623