Leitsatz
Die sich aus dem Diabetes mellitus ergebende Teilhabebeeinträchtigung ist grundsätzlich nach den Bewertungsvorschlägen der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (hier: Ausgabe 1996) einzuschätzen. Maßgeblich für den Grad der Behinderung ist insbesondere die erreichte Stoffwechsellage und der dabei erfolgende Therapieaufwand.
Gesetze: SGB IX § 69 Abs 1 S 4; SGB IX § 69 Abs 3; SGB X § 48; SGB X § 44 Abs 2 S 1
Instanzenzug: LSG Baden-Württemberg, L 3 SB 2251/05 vom SG Karlsruhe, S 10 SB 1898/04 vom
Gründe
I
Streitig ist, ob der Kläger einen Anspruch auf Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von wenigstens 50 hat, also schwerbehindert ist.
Auf den Erstantrag des Klägers vom stellte der Beklagte zunächst mit Bescheid vom einen GdB von 30 und auf den Widerspruch des Klägers mit (Teilabhilfe-)Bescheid vom einen GdB von 40 ab fest. Im Übrigen war der Widerspruch erfolglos (Widerspruchsbescheid des Beklagten vom ). Als Funktionsbeeinträchtigungen wurden im Bescheid vom "Diabetes mellitus (mit Diät und Insulin einstellbar), Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenkes, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke" genannt. Dabei waren für den Diabetes mellitus ein Einzel-GdB von 40, für die Funktionsbehinderungen des rechten Schultergelenkes, der Wirbelsäule und beider Hüftgelenke jeweils ein Einzel-GdB von 10 zugrunde gelegt worden.
Am beantragte der Kläger die Feststellung eines höheren GdB. Er machte ua geltend: Er müsse wegen seines Diabetes mellitus sechs- bis achtmal täglich Insulin spritzen. Nach dem Urteil des Sozialgerichts (SG) Düsseldorf vom - S 31 SB 388/01 - stehe ihm wegen dieses Therapieaufwandes ein GdB von mindestens 50 zu. Mit Bescheid vom lehnte der Beklagte diesen Antrag ab, weil es trotz der neu hinzugekommenen Funktionsbeeinträchtigung Bluthochdruck (Einzel-GdB 10) bei dem bisher festgestellten GdB von 40 verbleibe. Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom zurück.
Das SG Karlsruhe hat die auf Feststellung eines GdB von mindestens 50 gerichtete Klage durch Gerichtsbescheid vom abgewiesen. Die beim Kläger vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen bedingten keinen höheren GdB als 40. Es liege ein Typ II-Diabetes mit intensivierter Insulintherapie bei guter bis befriedigender Einstellung ohne Hinweis auf Stoffwechselinstabilitäten oder schwere Einstellbarkeit und ohne Anhalt für Komplikationen im Sinne eines diabetischen Spätsyndroms vor. Für die Bewertung des GdB beim Diabetes mellitus seien nach wie vor entgegen den anderslautenden Ausführungen des SG Düsseldorf die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", Ausgabe 2004 (AHP 2004), maßgebend. Sie entsprächen weiterhin dem herrschenden wissenschaftlichen Kenntnisstand. Die AHP 2004 stellten wie auch bereits die AHP 1996 bei der GdB-Bewertung zu Recht nicht allein auf den Therapieaufwand, sondern weiterhin im Wesentlichen auf Typ und Einstellbarkeit der Erkrankung sowie auf Art und Ausmaß von Komplikationen ab.
Mit Urteil vom hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg die Berufung des Klägers zurückgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt: Der angefochtene Gerichtsbescheid sei nicht zu beanstanden. Das SG habe die einschlägigen Rechtsvorschriften und auch die AHP 2004 zutreffend angewandt. Das Gutachten von Prof. Dr. S. vom sei nicht geeignet, einen höheren GdB als 40 zu begründen. Die Diagnose einer relevanten Polyneuropathie sei nicht durch Befunde belegt. Bei unauffälliger Sensibilität, unauffälliger grober Kraft und unauffälliger Koordination spreche lediglich ein reduziertes Vibrationsempfinden an den Großzehen beidseits und eine gestörte Kalt-Warm-Diskriminierung an beiden Füßen für das Vorliegen einer Polyneuropathie. Es könne insoweit nicht von einer GdB-relevanten Gesundheitsstörung ausgegangen werden. Sie sei in ihren Auswirkungen keinesfalls zB mit einem Verlust der Zehen II-V oder I-III an einem Fuß (GdB 10) vergleichbar.
Es sei nicht den Empfehlungen der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), sondern den Vorgaben der AHP 2004 zu folgen. Der ärztliche Sachverständigenbeirat beim Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) habe auch bei der Neuauflage der AHP 2004 diese Grundlage nach ausführlicher inhaltlicher Auseinandersetzung mit den Einteilungs- und Bewertungsvorschlägen der DDG nicht verlassen; dies werde in dem Schreiben des BMGS vom nochmals ausdrücklich bestätigt. Die Einteilung in den AHP sei sachgerecht und entspreche auch heute dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Medizin. Die Einschätzung von Prof. Dr. S. , dass die AHP 2004 den betroffenen Typ-II-Diabetikern in der Mehrheit nicht gerecht würden und der Bewertungsvorschlag der DDG die Probleme der Diabetiker im Alltag deutlich realistischer darstelle sowie der Problematik der Diabetikerversorgung deutlich besser gerecht werde, vermöge daran nichts zu ändern. Prof. Dr. S zeige nicht auf, weshalb nach medizinisch-wissenschaftlichem Erkenntnisstand eine Differenzierung zwischen Typ-I- und Typ-II-Diabetikern nicht weiterhin sinnvoll sein solle. Dr. L. habe in seinem im Auftrag des SG erstellten Gutachten ausführlich die Unterschiede der Typen des Diabetes mellitus herausgearbeitet und dargestellt, dass die Bewertung des Typ-I- und Typ-II-Diabetes unterschiedlich sein müsse, wie dies ja auch in den AHP 2004 erfolgt sei. Das Abstellen auf den Typ der Erkrankung, Einstellbarkeit sowie Art und Ausmaß von Komplikationen sei - wie in den AHP - weiterhin sachgerecht. Der Therapieaufwand werde in den Kriterien der AHP nicht völlig außer Betracht gelassen.
Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger zunächst einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip und den Grundsatz der demokratischen Legitimation. Der Vorbehalt des Gesetzes verlange, dass der Gesetzgeber in grundrechtsrelevanten Bereichen alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffe. Bei der Feststellung des GdB auf der Grundlage der AHP 2004 handele es sich um einen Grundrechtseingriff und nicht um die Gewährung staatlicher Leistungen. Die AHP erfüllten die Voraussetzungen des Vorbehalts des Gesetzes nicht; zudem fehle es an einer demokratischen Legitimation.
Weiter macht der Kläger ua geltend: Das LSG habe § 69 Abs 1 Satz 4, Abs 3 SGB IX iVm § 48 SGB X rechtswidrig ausgelegt und angewendet. Beim Diabetes mellitus sei eine Auslegung des Begriffs "Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft" geboten, die auch den Therapieaufwand berücksichtige. Eine Normauslegung bzw -anwendung, die begünstigen würde, dass ein (eigenverschuldet) schlecht eingestellter Diabetiker wegen Hypoglykämien bzw Organkomplikationen besser gestellt wäre als ein mit hohem eigenen Aufwand gut eingestellter Diabetiker, der in vergleichbarer Weise wegen des Therapieaufwands nicht am gesellschaftlichen Leben teilnehmen könne, widerspräche Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung. Die Eigentherapie beim Diabetes mellitus sei dem Krankheitsbild immanent. Wirke der Patient nicht hinreichend mit, komme es zu gravierenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Eine Unterscheidung zwischen den Typen I und II sei bei der GdB-Bewertung eines insulinpflichtigen Diabetes mellitus nicht angebracht. Ebenso wenig sei die Einstellbarkeit ein passendes Kriterium.
Der Kläger beantragt,
das den sowie den Bescheid des Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Grad der Behinderung des Klägers unter Aufhebung des Bescheides vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom für die Zeit ab Juli 2003 auf mindestens 50 festzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, die AHP könnten weder durch den GdB-Katalog der DDG noch durch das - oder das Gutachten des Prof. Dr. S entkräftet werden. Maßstab für die GdB-Beurteilung beim Diabetes mellitus sei die Einstellbarkeit und nicht der Therapieaufwand. Im Übrigen sei immer die individuelle Situation zu berücksichtigen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung von schriftlichen Stellungnahmen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) und der DDG sowie von Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. H , Dr. F. , Dr. Lo. und Dr. R. ; ergänzend hat der Senat die Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung angehört.
II
Die zulässige Revision ist im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet.
Der Antrag des Klägers ist dahin auszulegen, dass dieser eine Neufeststellung seines GdB nicht nur wegen einer Änderung der Verhältnisse (§ 48 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 Nr 1 SGB X), sondern in erster Linie wegen einer von vornherein bestehenden Rechtswidrigkeit des bislang maßgebenden Verwaltungsakts mit Wirkung für die Zukunft (§ 44 Abs 2 Satz 1 SGB X) begehrt. Der Senat vermag allerdings aufgrund der vom LSG festgestellten Tatsachen nicht zu entscheiden, ob dem Kläger ein Rücknahmeanspruch nach § 44 Abs 2 Satz 1 SGB X zusteht. Es fehlen schon hinreichende Tatsachenfeststellungen zum Gesundheitszustand des Klägers im September/Oktober 2002.
1. Entgegen der Auffassung des LSG ist Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits nicht nur die Frage, ob sich seit der bestandskräftigen Feststellung des GdB mit 40 (Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom ) die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse im Sinne des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X wesentlich geändert haben, sondern vorrangig die Frage, ob diese bestandskräftige Feststellung des GdB zu niedrig, damit als nicht begünstigender Verwaltungsakt von vornherein rechtswidrig war und deshalb nach § 44 Abs 2 Satz 1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen ist. Dies ergibt die Auslegung des Begehrens des Klägers (§ 123 SGG), die auch dem Revisionsgericht obliegt.
Bereits mit seinem Antrag beim Versorgungsamt am begehrte der Kläger unter Hinweis auf das Urteil des SG Düsseldorf - S 31 SB 388/01 - in erster Linie eine Überprüfung des den GdB mit 40 feststellenden Teilabhilfebescheides vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom , der im Zeitpunkt der Antragstellung im Sinne des § 77 SGG bindend geworden und damit bestandskräftig war. Unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des Urteils des SG Düsseldorf, das bei der Bewertung des GdB für einen Diabetes mellitus dem Katalog der DDG den Vorzug vor den AHP 1996 gegeben hatte, begründete der Kläger seinen Antrag nämlich sinngemäß damit, dass die Nr 26.15 AHP 1996 nicht mehr mit dem Stand der medizinischen Wissenschaft übereinstimme und daher für die GdB-Beurteilung des Diabetes mellitus nicht mehr anwendbar sei. Da er sich sechs- bis achtmal täglich Insulin spritzen müsse, stünde ihm wegen dieses Therapieaufwandes nach dem Katalog der DDG ein GdB von mindestens 50 zu.
Der Beklagte (dh das Versorgungsamt) konnte diesen Antrag nach seinem objektiven Erklärungswert und der recht verstandenen Interessenlage des Klägers (§ 133 BGB) nur so verstehen, dass dieser unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsprinzips alles begehrt, was ihm auf Grund des von ihm geschilderten Sachverhalts rechtlich zusteht, er also in erster Linie eine Überprüfung des bestandskräftigen Verwaltungsakts jedenfalls mit Wirkung für die Zukunft (§ 44 Abs 2 Satz 1 SGB X) erreichen will (zur Auslegung eines Antrags als öffentlichrechtliche Willenserklärung vgl , BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8, jeweils RdNr 14 mwN). Denn der Kläger beruft sich hauptsächlich auf Umstände, die bereits bei Erlass des Bescheides vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom vorlagen.
Dieses Begehren hat der Beklagte zwar nicht ausdrücklich beschieden, denn der angefochtene Verwaltungsakt (Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom ) nennt als Rechtsgrundlage lediglich § 48 SGB X. Nach dem Inhalt dieses Verwaltungsakts sollte der Antrag des Klägers jedoch in vollem Umfang abgelehnt werden. Eine weitere gesonderte Entscheidung des Beklagten über den Antrag auf Rücknahme eines rechtswidrigen, nicht begünstigenden Verwaltungsakts (Zugunstenantrag) ist im Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom weder angekündigt noch vorbehalten worden (zur auch dem Revisionsgericht obliegenden Auslegung von Verwaltungsakten vgl etwa , BSGE 67, 104, 110 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 11; , SozR 3-1200 § 42 Nr 8 S 26). Der Verwaltungsakt leidet daher nur an einer unvollständigen Begründung.
In der Folge haben sowohl das SG mit seiner Klagabweisung als auch das LSG mit der Zurückweisung der Berufung die ablehnende Entscheidung des Beklagten bestätigt und damit auch über das mit kombinierter Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) verfolgte Klagebegehren (§ 123 SGG) entschieden, den Beklagten unter Aufhebung entgegenstehender Verwaltungsentscheidungen zu verpflichten, einen GdB von wenigstens 50 festzustellen.
2. Rechtsgrundlage für den vorrangig zu prüfenden Rücknahmeanspruch des Klägers in Bezug auf die Feststellung seines GdB für die Zeit ab Juli 2003 ist § 44 Abs 2 Satz 1 SGB X iVm § 69 SGB IX sowie den (normähnlichen) AHP 1996.
a) Nach § 44 Abs 2 Satz 1 SGB X ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Die Regelung des § 44 Abs 1 SGB X ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil die Feststellung des GdB nach dem SGB IX keine Sozialleistung ist (hierzu ausführlich: 9a/9 RVs 11/89, BSGE 69, 14, 17 f = SozR 3-1300 § 44 Nr 3 S 9 f). Der Rücknahmeanspruch nach § 44 Abs 2 Satz 1 SGB X setzt demnach voraus, dass der Verwaltungsakt, dessen Rücknahme begehrt wird, im Zeitpunkt seiner Bekanntgabe (§ 39 Abs 1 SGB X) rechtswidrig und nicht begünstigend war (vgl etwa , BSGE 97, 94, auch zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen, jeweils RdNr 54).
Nicht begünstigend ist die im Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom vom Beklagten getroffene Regelung schon deshalb, weil dieser entgegen dem Begehren des Klägers lediglich einen GdB von 40 festgestellt und die Feststellung eines höheren GdB abgelehnt hat. Für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit ist - wie bei einer Rücknahme nach § 44 Abs 1 SGB X - auf die damalige (dh im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Verwaltungsakts bestehende) Sach- und Rechtslage abzustellen (vgl , BSGE 57, 209, 210 = SozR 1300 § 44 Nr 13 S 21 f; , BSGE 63, 18, 23 = SozR 1300 § 44 Nr 31 S 84; , BSGE 88, 75, 81 = SozR 3-2200 § 1265 Nr 20 S 136 f; , BSGE 90, 136, 138 = SozR 3-2600 § 300 Nr 18 S 86).
Bei Bekanntgabe des Bescheides vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom war Rechtsgrundlage für die Feststellung des GdB § 69 Abs 1 und Abs 3 SGB IX idF des Gesetzes vom (BGBl I 1046). Nach Abs 1 Satz 1 dieser Vorschrift stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen in einem besonderen Verfahren das Vorliegen einer (unbenannten) Behinderung und den GdB fest. Als GdB werden dabei nach § 69 Abs 1 Satz 3 SGB IX die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Gemäß § 69 Abs 1 Satz 4 SGB IX gelten die im Rahmen des § 30 Abs 1 BVG festgelegten Maßstäbe entsprechend. Demnach verweist das SGB IX insoweit für die Feststellung des GdB auf das versorgungsrechtliche Bewertungssystem, dessen Ausgangspunkt die "Mindestvomhundertsätze" für eine größere Zahl erheblicher äußerer Körperschäden iS der Nr 5 Verwaltungsvorschrift zu § 30 BVG sind (zum Rechtscharakter dieser Vorschrift: , BSGE 29, 41, 42 f = SozR Nr 35 zu § 30 BVG; s aber auch , BSGE 91, 205 = SozR 4-3250 § 69 Nr 2, jeweils RdNr 13). Von diesen leiten sich die aus den Erfahrungen der Versorgungsverwaltung und den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft gewonnenen GdB/Minderung der Erwerbsfähigkeit(MdE)-Tabellenwerte der AHP für die einzelnen verschiedenen Funktions- bzw Teilhabebeeinträchtigungen (vgl Nr 26.2 bis Nr 26.18 AHP 1996; dazu auch Nr 18 Abs 3 AHP 1996) ab.
Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB gemäß § 69 Abs 3 Satz 1 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (vgl dazu auch Nr 19 AHP 1996; , SozR 3-3870 § 4 Nr 9 S 39 f; , BSGE 81, 50, 53 f = SozR 3-3870 § 3 Nr 7 S 16 f; , SozR 3-3870 § 4 Nr 28 S 107; , juris RdNr 13). In einem ersten Schritt sind dabei die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen und die sich daraus ergebenden Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen. In einem zweiten Schritt sind diese den in den AHP 1996 genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist dann - in der Regel ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB (vgl Nr 19 Abs 3 AHP 1996) - in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der (Gesamt-)GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen. Außerdem sind bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der GdB/MdE-Tabelle der AHP 1996 feste Grade angegeben sind (vgl Nr 19 Abs 2 AHP 1996); mithin ist auch zu beachten, in welchen Fällen die AHP 1996 bzw die Nr 5 Verwaltungsvorschrift zu § 30 BVG die Schwerbehinderung - GdB von 50 - zubilligen.
b) Grundsätzlich ist es nicht zu beanstanden, dass der Beklagte im September/Oktober 2002 zur Beurteilung des GdB die AHP 1996 herangezogen hat.
aa) Der erkennende Senat hat bereits entschieden, dass die AHP grundsätzlich den Maßstab angeben, nach dem der GdB einzuschätzen ist (vgl , BSGE 91, 205 = SozR 4-3250 § 69 Nr 2, jeweils RdNr 10 ff). Bei den AHP handelt es sich um antizipierte Sachverständigengutachten, deren Beachtlichkeit im konkreten Verwaltungs- und Gerichtsverfahren sich zum einen daraus ergibt, dass eine dem allgemeinen Gleichheitssatz entsprechende Rechtsanwendung nur dann gewährleistet ist, wenn die verschiedenen Behinderungen nach gleichen Maßstäben beurteilt werden (dazu vor allem auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 60/95, SozR 3-3870 § 3 Nr 6 S 11 f). Zum anderen stellen die AHP ein geeignetes, auf Erfahrungswerten der Versorgungsverwaltung und Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft beruhendes Beurteilungsgefüge zur Einschätzung des GdB dar (stRspr des BSG; vgl 9/9a RVs 1/91, BSGE 72, 285, 286 f = SozR 3-3870 § 4 Nr 6 S 30 f; , BSGE 75, 176, 178 = SozR 3-3870 § 3 Nr 5 S 7; ; BSGE 91, 205 = SozR 4-3250 § 69 Nr 2, jeweils RdNr 14). Insofern wirken die AHP normähnlich. Wie untergesetzliche Normen sind sie auf ihre Vereinbarkeit mit Gesetz und Verfassung, auf Berücksichtigung des gegenwärtig herrschenden Kenntnisstandes der sozialmedizinischen Wissenschaft sowie auf Lücken in Sonderfällen zu prüfen, die wegen ihrer individuellen Verhältnisse abweichend zu beurteilen sind. Im Hinblick auf eine so bemessene richterliche Kontrolle haben es sowohl die 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG (aaO, SozR 3-3870 § 3 Nr 6 S 12) als auch der erkennende Senat (aaO, BSGE 91, 205 = SozR 4-3250 § 69 Nr 2, jeweils RdNr 15) trotz Fehlens einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage nicht als angezeigt angesehen, gegen die Anwendung der AHP einzuschreiten.
bb) Die AHP 1996 sind auch nicht durch das Inkrafttreten des SGB IX zum unvereinbar mit höherrangigem Recht geworden. § 2 Abs 1 Satz 1 SGB IX hat zwar den Begriff der Behinderung anders umschrieben als § 3 Abs 1 Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz - SchwbG).
Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Damit soll nach der Gesetzesbegründung entsprechend der "Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit und Behinderung" (deren Weiterentwicklung wurde im Mai 2001 von der Weltgesundheitsorganisation als ICF verabschiedet) das Ziel der Teilhabe an den verschiedenen Lebensbereichen (Partizipation) in den Vordergrund gerückt werden (vgl BT-Drucks 14/5074 S 98 zu § 2). Diesen Aspekt hatte der erkennende Senat jedoch schon nach altem Recht (§ 3 Abs 1 SchwbG) berücksichtigt (vgl etwa 9a RVs 5/86, BSGE 62, 209, 211 f = SozR 3870 § 3 Nr 26 S 82). Ausgangspunkt der GdB-Bewertung der verschiedenen Teilhabebeeinträchtigungen ist demnach auch unter Geltung des SGB IX - also auch für September/Oktober 2002 - das in sich geschlossene Beurteilungsgefüge der AHP 1996.
c) Soweit es die Bewertung des (Einzel-)GdB für den beim Kläger im September/Oktober 2002 (auch schon) bestehenden und mit Insulin behandelten Diabetes mellitus anbelangt, bedürfen die insoweit einschlägigen Ausführungen unter Nr 26.15 AHP 1996 einer differenzierten Betrachtung. Sie entsprechen nur mit gewissen Maßgaben dem höherrangigen Recht und dem Stand der medizinischen Wissenschaft.
Soweit das LSG in diesem Zusammenhang Feststellungen zu allgemeinen medizinischen Erkenntnissen getroffen hat, ist der Senat daran nicht im Sinne von § 163 SGG gebunden. Denn es ist auch Aufgabe der Revisionsgerichte, auf medizinischen Erfahrungssätzen und wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende allgemeine (generelle) Tatsachen zu ermitteln und festzustellen, um in dieser Hinsicht ebenfalls die Einheitlichkeit der Rechtsprechung sicherzustellen und so die Rechtseinheit zu wahren (zur fehlenden Bindung des Revisionsgerichts bei der Feststellung genereller Tatsachen vgl zB: , SozR 4-1500 § 160a Nr 9 RdNr 6; , SozR 4-2500 § 18 Nr 5 RdNr 18; , BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, jeweils RdNr 24; , BSGE 96, 297 = SozR 4-5671 § 6 Nr 2, jeweils RdNr 19). Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass eine GdB-Bewertung nicht allein auf der Anwendung medizinischen Wissens beruht. Vielmehr ist sie unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben sowie unter Heranziehung des Sachverstandes anderer Wissenszweige zu entwickeln (vgl zB 9a/9 RVs 7/89, BSGE 67, 204, 208 = SozR 3-3870 § 4 Nr 1 S 5 f; dazu auch Masuch, SozSich 2004, 314, 315; Straßfeld, SGb 2003, 613).
Nr 26.15 AHP 1996 sieht (ohne nach Typen zu unterscheiden) für die mit dem Diabetes mellitus verbundene Teilhabebeeinträchtigung bei Insulinbehandlung für den Regelfall folgende Bewertungen (Anhaltswerte) vor:
|GdB
- Diabetes mellitus durch Diät und orale Antidiabetika und ergänzende Insulininjektionen ausreichend einstellbar|30
- Diabetes mellitus durch Diät und alleinige Insulinbehandlung gut einstellbar|40
- Diabetes mellitus durch Diät und alleinige Insulinbehandlung schwer einstellbar (häufig bei Kindern), auch gelegentliche, ausgeprägte Hypoglykämien|50
Demgegenüber hat die DDG insoweit folgenden Vorschlag unterbreitet (Becherer ua, Diabetes und Stoffwechsel 1998, 37 f):
Diabetes mellitus behandelt mit Diät| GdB
- und einer Insulininjektion pro Tag (auch bei zusätzlicher Gabe 40 anderer oraler Antidiabetika)|40
- mit zwei und mehr Insulininjektionen pro Tag oder Insulininfusionssystemen, je nach Häufigkeit der notwendigen Stoffwechselkontrollen|50-60
Um festzustellen, ob die Angaben in Nr 26.15 AHP 1996 (und auch in Nr 26.15 AHP 2004) dem herrschenden Kenntnisstand der sozialmedizinischen Wissenschaft entsprechen, hat der Senat Beweis erhoben durch Einholung von Stellungnahmen des BMAS und der DDG sowie durch schriftliche und mündliche Anhörung von vier Sachverständigen. Aus der Stellungnahme des BMAS vom ergibt sich, dass den Kriterien für die GdB-Beurteilung des Diabetes mellitus ein langer Entstehungsprozess zugrunde liegt. Im Zuge der grundlegenden Überarbeitung der AHP für die Fassung 1996 wurden auch die DDG-Vorschläge zur GdB-Bewertung bei Diabetes mellitus in Fachgesprächen mit ausgewiesenen Diabetologen eingehend diskutiert. Sie sind deshalb nicht in die AHP übernommen worden, weil der Ärztliche Sachverständigenbeirat von ihrer versorgungsmedizinischen Relevanz im Hinblick darauf nicht überzeugt gewesen ist, dass sie im Kern auf eine am Therapieaufwand orientierte GdB-Erhöhung zielen. Der Ärztliche Sachverständigenbeirat hat demgegenüber den Diabetes-Typ, das Ausmaß der Erkrankung, die Einstellbarkeit und die Organkomplikationen für GdB-bestimmend gehalten. Die gerichtlichen Sachverständigen haben insbesondere Fragen zu den in Nr 26.15 AHP 1996 verwendeten Kriterien beantwortet. In Ansehung der einschlägigen rechtlichen Vorschriften (§§ 2, 69 SGB IX) zieht der erkennende Senat aus dem Ergebnis dieser Beweiserhebung folgende Schlüsse:
aa) Eine Unterscheidung zwischen den Typen I und II des Diabetes mellitus ist für die GdB-Bewertung nicht besonders hilfreich.
In Nr 26.15 AHP 1996 wird nicht nach Diabetes-Typen differenziert. Allerdings geht die Nr 120 AHP 1996 davon aus, dass ua der insulinabhängige Diabetes (Typ-I-Diabetes) und der nicht-insulinabhängige Diabetes (Typ-II-Diabetes) zu unterscheiden seien. Zu letzterem gehöre auch ein Diabetes mellitus, der wegen Versagens der oralen Antidiabetika-Therapie mit Insulin behandelt werden müsse (AHP 1996, S 290). In der Folgezeit hat sich die Sektion "Versorgungsmedizin" des Ärztlichen Sachverständigenbeirats bei dem jeweils zuständigen Bundesministerium (2001: Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung; 2003: BMGS) mehrfach mit der gutachtlichen Beurteilung des Diabetes mellitus befasst. Dabei wurde im November 2001 darauf hingewiesen, dass die Kriterien zur Beurteilung des GdB/MdE-Grades bei Diabetes mellitus nur scheinbar die Therapie in den Vordergrund stellten. Im Grunde werde die Beurteilung primär vom Typ sowie der jeweiligen Ausprägung und Auswirkung der Stoffwechselstörung - und nur sekundär von der Art der Behandlung - bestimmt. Wenn ein Betroffener mit Typ-II-Diabetes mellitus allein Insulin erhalte und damit ausreichend einstellbar sei, bleibe er ein Typ-II-Diabetiker, und damit sei nur ein GdB/MdE-Grad von 30 gerechtfertigt analog einem Diabetes mellitus, der durch Diät und orale Antidiabetika und ergänzende Insulininjektionen ausreichend einstellbar sei. Eine Änderung der Beurteilungskriterien für den Diabetes mellitus sei daher nicht erforderlich.
Im März 2003 stellten die Beiratsmitglieder fest, dass der Wortlaut der AHP irreführen könne insbesondere, da bei Abfassung des Textes die alleinige Insulintherapie des Diabetes mellitus Typ II eher die Ausnahme dargestellt habe. Sie empfahlen, zur Klarstellung den Beiratsbeschluss von November 2001 durch Rundschreiben bekannt zu geben und zu erläutern. Daraufhin veröffentlichte das BMGS in seinem Rundschreiben vom - Az.: 435-65463-5 - die Anmerkungen des Sachverständigenbeirats von November 2001.
Mit der Ausgabe 2004 erhielt Nr 26.15 AHP dann folgende Fassung:
Diabetes mellitus| GdB/MdE-Grad
Typ I durch Diät und alleinige Insulinbehandlung|
- gut einstellbar|40
- schwer einstellbar (häufig bei Kindern) auch gelegentliche, ausgeprägte Hypoglykämien|50
Typ II durch Diät allein (ohne blutzuckerregelnde Medikamente) oder durch Diät|
- und Kohlenhydratresorptionsverzögerer oder Biguanide (dh orale Antidiabetika, die allein nicht zur Hypoglykämie führen) ausreichend einstellbar|10
- und Sulfonylharnstoffe (auch bei zusätzlicher Gabe anderer oraler Antidiabetika) ausreichend einstellbar|20
- und orale Antidiabetika und ergänzende oder alleinige Insulinbehandlung ausreichend einstellbar|30
Häufige, ausgeprägte Hypoglykämien sowie Organkomplikationen sind ihren Auswirkungen entsprechend zusätzlich zu bewerten.
Nach dem Bekunden der gerichtlichen Sachverständigen berücksichtigt die Unterscheidung zwischen dem Typ I und dem Typ II des Diabetes mellitus die Entstehung der Stoffwechselstörung und dient der Bestimmung der Behandlungsmethode. Diese richtet sich nach der vorhandenen Restproduktion von Insulin (vgl dazu näher Kerner/Brückel, Definition, Klassifikation und Diagnostik des Diabetes mellitus, Diabetologie 2008, 3 Suppl 2, S 131 ff). Diese klinische Unterscheidung erlaubt bei Vorliegen einer Insulinbehandlung keine trennscharfe Differenzierung nach den jeweils bestehenden Teilhabebeeinträchtigungen (zum Meinungsstand vgl insbesondere von Kriegstein, Diabetes und Stoffwechsel 2004, 273; Rösner ua, MedSach 2004, 27). Es gibt nämlich nach der übereinstimmenden Auffassung der vom Senat gehörten Sachverständigen jedenfalls eine größere Zahl Fälle des Diabetes Typ II, bei denen unter Insulinbehandlung ähnliche Hypoglykämieprobleme auftreten, wie bei einem Diabetes Typ I. Dementsprechend sind für die GdB-Bewertung letztlich andere Kriterien maßgebend.
bb) Der Begriff "einstellbar" in Nr 26.15 AHP 1996 ist dahin auszulegen, dass er darauf abstellt, ob bei dem behinderten Menschen (nicht nur vorübergehend) tatsächlich eine stabile oder instabile Stoffwechsellage besteht und welcher Therapieaufwand dabei erfolgt.
Dem Begriff der Behinderung iS von § 2 SGB IX würde es widersprechen, die Einstellbarkeit danach zu beurteilen, ob bei optimaler ärztlicher Therapie und Mitwirkung des Patienten eine stabile oder instabile Stoffwechsellage erreicht werden kann. Zwar enthält die Feststellung einer Behinderung insoweit ein prognostisches Element, als es bei der voraussichtlichen Dauer des Zustandes um die Überschreitung der Sechs-Monats-Grenze geht; dabei ist jedoch von den tatsächlichen Gegebenheiten und nicht von theoretischen (hypothetischen) Verhältnissen auszugehen (vgl dazu auch Dalichau, in Wiegand, Rehabilitationsrecht, § 2 SGB IX RdNr 24).
Der Begriff der "Einstellbarkeit" ist nach der Darstellung der Sachverständigen Prof. Dr. H und Dr. F kein sozialmedizinischer, sondern ein klinischer Begriff, der beschreiben soll, wie leicht oder wie schwer die allgemeinen Therapieziele beim Diabetes mellitus, nämlich das Vermeiden von Hyperglykämien (erhöhte Blutzuckerwerte) und Hypoglykämien (Unterzuckerung), erreicht werden können (vgl allg dazu auch Eisfelder, MedSach 2004, 23; von Kriegstein, Diabetes und Stoffwechsel 2004, 273; Rösner ua, MedSach 2004, 27). Es wird demnach zum einen die Einstellungsqualität beurteilt, also ob bei dem behinderten Menschen eine stabile oder instabile Stoffwechsellage besteht. Zum anderen wird dabei der erforderliche Therapieaufwand berücksichtigt. Um eine bestimmte Einstellungsqualität zu erreichen, bedarf es eines bestimmten Therapieaufwands, der bei schwer einstellbarem Diabetes mellitus höher ist als bei leicht einstellbarem.
Entsprechend diesem Begriffsverständnis ist nach Auffassung des Senats bei der GdB-Bewertung des Diabetes mellitus neben der Einstellungsqualität auch der Therapieaufwand zu beurteilen, soweit er sich auf die Teilhabe des behinderten Menschen am Leben in der Gesellschaft nachteilig auswirkt. Dagegen überzeugt der Bewertungsvorschlag der DDG nicht, soweit er ausschließlich auf die Anzahl der Insulininjektionen pro Tag abstellt. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern insbesondere eine einzige Insulininjektion am Tag für sich genommen eine nennenswerte (zusätzliche) Teilhabebeeinträchtigung darstellt. Ebenso wenig vermag sich der Senat davon zu überzeugen, dass sich allein aus der Zahl der täglichen Insulininjektionen mit hinreichender Sicherheit und Genauigkeit auf das Ausmaß der durch einen Diabetes mellitus bedingten Teilhabebeeinträchtigung schließen lässt. Vielmehr ist jeweils auch das Ergebnis der therapeutischen Maßnahmen, insbesondere die erreichte Stoffwechsellage zu betrachten. So wird der GdB relativ niedrig anzusetzen sein, wenn mit geringem Therapieaufwand eine ausgeglichene Stoffwechsellage erreicht wird. Mit (in beeinträchtigender Weise) wachsendem Therapieaufwand und/oder abnehmendem Therapieerfolg (instabilerer Stoffwechsellage) wird der GdB höher einzuschätzen sein. Dabei sind jeweils - im Vergleich zu anderen Behinderungen -die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft in Betracht zu ziehen.
3. Da das LSG den Neufeststellungsanspruch des Klägers nicht nach § 44 SGB X geprüft, sondern den Teilabhilfebescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom als bindend zugrunde gelegt hat, fehlen hinreichende Tatsachenfeststellungen zum damaligen Gesundheitszustand des Klägers. Darüber hinaus hat die Vorinstanz die vom erkennenden Senat für erforderlich gehaltenen Modifikationen bei der Anwendung der Nr 26.15 AHP 1996 nicht berücksichtigt. Insbesondere hat es nicht näher erwogen, inwiefern sich die vom Kläger offenbar damals schon durchgeführte intensivierte Insulintherapie auf dessen Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ausgewirkt hat.
Da der erkennende Senat entsprechende Ermittlungen im Revisionsverfahren nicht durchführen kann (vgl § 163 SGG), ist das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen (vgl § 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Insofern kommt es nicht darauf an, ob das Berufungsurteil auf den vom Kläger gerügten Verfahrensmängeln beruht.
4. Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstelle(n):
LAAAC-90620