BGH Beschluss v. - 1 StR 162/08

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StPO § 356a Satz 1

Instanzenzug: LG München II, vom

Gründe

I.

Zum Verfahrensgang:

Mit Beschluss vom verwarf der Senat die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München II vom gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet. Diese Entscheidung ging den Verteidigern des Angeklagten, den Rechtsanwälten Dr. B. - Fachanwalt für Strafrecht - und Mag. W. , am zu. Wann der Verurteilte vom Verwerfungsbeschluss des Senats Kenntnis erlangt hat, wird nicht mitgeteilt. Dies war jedenfalls vor dem . Denn an diesem Tag legten die Verteidiger namens des Verurteilten beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Landgerichts München II und den Senatsbeschluss vom ein. Beanstandet wurde "die Verletzung der Grundrechte des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1, 19 Abs. 4, 20 Abs. 3, 103 Abs. 1 GG". Mit Schreiben an Rechtsanwalt W. vom , das den Verteidigern am zuging, teilte der Präsidialrat des Bundesverfassungsgerichts folgendes mit:

"Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt,

im Hinblick auf die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde wird Ihnen bezüglich der Frage einer vorherigen Erhebung einer Anhörungsrüge (§ 356a StPO) beim letztinstanzlichen Fachgericht Gelegenheit zur Stellungsnahme gegeben. Auf den Nichtannahmebeschluss des - (NJW 2005, S. 3059 - veröffentlicht auch unter www.bundesverfassungsgericht.de) wird hingewiesen.

Daher ist von einer förmlichen Behandlung der Verfassungsbeschwerde abgesehen worden.

Es wird gebeten, die Rechtslage zu überprüfen und gegebenenfalls mitzuteilen, ob die Verfassungsbeschwerde gleichwohl aufrechterhalten wird.

Sollte Ihrerseits binnen zwei Monaten keine anderslautende Mitteilung erfolgen, wird hier davon ausgegangen, dass dieses Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht fortgesetzt werden soll.

Mit freundlichen Grüßen"

Mit Schriftsatz vom , der am selben Tag beim Bundesgerichtshof einging, beantragten die Verteidiger hinsichtlich des Beschlusses des Senats vom , das Verfahren gemäß § 356a StPO durch Beschluss in die Lage vor der Revisionsentscheidung zurückzuversetzen, da das Gericht den Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt habe.

Zur Frage der Einhaltung der Wochenfrist des § 356a S. 2 StPO wird auf das oben zitierte Schreiben des Präsidialrats des Bundesverfassungsgerichts verwiesen und dazu dann ausgeführt:

"Der Präsidialrat des Bundesverfassungsgerichts hält die Frage der Verletzung rechtlichen Gehörs durch das letztinstanzliche Fachgericht im Rahmen des Anhörungsverfahrens gemäß § 356a StPO überprüfenswert. Es ist die Verletzung rechtlichen Gehörs möglich.

Mit Eingang des Schreibens des Bundesverfassungsgerichts - Präsidialrat - am hat der Unterfertigende hiervon Kenntnis erlangt. Zur Glaubhaftmachung wird auf den Eingangsstempel verwiesen, nämlich . Der Antrag ist somit fristgerecht binnen Wochenfrist gestellt (§ 356a Satz 2 StPO)."

Hilfsweise beantragten die Verteidiger in ihrem Schriftsatz vom "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß §§ 44, 45 StPO, d.h. in die Antragsfrist des § 356a Satz 2 StPO". Zur Begründung wird vorgetragen:

"Sollte das Gericht den Beginn der Wochenfrist nach § 356a Satz 2 StPO entgegen der Rechtsmeinung der anwaltschaftlichen Vertreter des Beschwerdeführers zu einem früheren Zeitpunkt als der Mitteilung des Schreibens des Präsidialrates des Bundesverfassungsgerichts ansetzen, wird vorsorglich anwaltschaftlich versichert, daß weder Rechtsanwalt Dr. B. noch Rechtsanwalt Mag. rer. publ. W. über ein derartiges Wissen resp. Verständnis verfügten, was dem Beschwerdeführer nicht als Verschulden angerechnet werden kann."

II.

Der Antrag auf Zurückversetzung des Verfahrens in die Lage vor der Senatsentscheidung vom gemäß § 356a Satz 1 StPO ist unzulässig, da verspätet.

Der Antrag ist binnen einer Woche nach Kenntniserlangung von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu stellen. Dabei geht es nur um die Kenntnis der tatsächlichen Umstände, aus denen sich der Verstoß ergibt (; - 5 StR 362/05 - Rdn. 3; - 4 StR 110/05 - Rdn. 3). Dies ist hier der Senatsbeschluss vom , der den Verteidigern am zuging und von dem auch der Verurteilte jedenfalls vor dem Kenntnis erlangte.

Auf das Wissen um die Bedeutung der Einlegung der Gehörsrüge gemäß § 356a StPO als Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf das Erfordernis der Erschöpfung des Rechtswegs (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) kommt es nicht an. Das Schreiben des Präsidialrats des ist deshalb insoweit ohne Belang.

Da die Gehörsrüge nicht innerhalb der Wochenfrist des § 356a Satz 2 StPO erhoben wurde, sondern erst am , ist sie unzulässig.

III.

Der - hilfsweise gestellte - Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Antragsfrist des § 356a Satz 2 StPO ist unbegründet.

Bei der Gehörsrüge handelt es sich um einen außerordentlichen Rechtsbehelf nach rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens. Im Interesse der Rechtssicherheit muss eine die Rechtskraft durchbrechende Entscheidung gemäß § 356a Satz 1 StPO möglichst bald erfolgen. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Antragsfrist des § 356a Satz 2 StPO ist zwar im Grundsatz nicht ausgeschlossen. An die Voraussetzungen fehlenden Verschuldens (§ 44 Satz 1 StPO) an der verspäteten Einlegung des Rechtsbehelfs sind aber hohe Anforderungen zu stellen (zu den strengen Anforderungen bei einer Verfassungsbeschwerde vgl. ).

Im vorliegenden Fall ist die Versäumung der Frist des § 356a StPO Satz 2 nicht unverschuldet.

Die Verteidiger tragen nicht vor, dass ihnen oder dem Verurteilten der Rechtsbehelf des mit dem Anhörungsrügengesetz vom (BGBl I S. 3220 ff.) mit Wirkung vom in die StPO eingefügten § 356a StPO unbekannt gewesen wäre (anders als in dem dem - zugrunde liegenden Fall). Bei erfahrenen Strafverteidigern ist dies nunmehr (dreieinhalb Jahre nach Inkrafttreten der Vorschrift) auch kaum noch vorstellbar, wie auch nicht, dass sie die Möglichkeit, diesen Rechtsbehelf einzulegen, nicht mit ihrem Mandanten besprochen haben. Dies wird auch nicht behauptet. Die Verteidiger versichern lediglich im Hinblick auf den Hinweis im Schreiben des Präsidialrats des zur Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, sie verfügten nicht über ein "derartiges Wissen resp. Verständnis".

Der Verurteilte und seine Verteidiger haben also bewusst auf die - rechtzeitige - Einlegung der Gehörsrüge verzichtet. Dass dies in Unkenntnis der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen (Erschöpfung des Rechtswegs) für eine auf die Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG gestützte Verfassungsbeschwerde (; entsprechend früher schon zu § 33a StPO vgl. Sperlich in Umbach/Clemens/Dollinger BVerfGG 2. Aufl. § 90 Rdn. 115 m.w.N.) geschah, stellt keine Verhinderung im Sinne des § 44 Satz 1 StPO dar (zur entsprechenden Situation bei einer Rechtsprechungsänderung vgl. ; Graalmann-Scheerer in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 44 Rdn. 53 m.w.N.).

Ergänzend bemerkt der Senat:

Zwar sind im Strafverfahren schwerwiegende Verteidigerfehler, wie etwa die Unkenntnis von der Möglichkeit der Einlegung eines Rechtsmittels, die zur Fristversäumung führen, dem Beschuldigten in aller Regel nicht zuzurechnen, denn er ist meist nicht in der Lage, die Rechtskenntnisse des Verteidigers einzuschätzen (vgl. - [= BGHSt 42, 365]; vom - 1 StR 338/94; vom - 3 StR 456/95 - [= BGHR StPO § 45 Abs. 2 Tatsachenvortrag 9]). Dies gilt jedoch nach Auffassung des Senats bei der Frage, ob die Versäumung der Wochenfrist des § 356a Satz 2 StPO unverschuldet war, entsprechend § 93 Abs. 2 Satz 6 BVerfGG nicht.

§ 93 Abs. 2 Satz 6 BVerfGG bestimmt hinsichtlich der Versäumung der Monatsfrist gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG zur Einlegung und Begründung einer Verfassungsbeschwerde: "Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden eines Beschwerdeführers gleich". "Das bedeutet, worauf in BTDrucks. 12/3628 S. 13 ausdrücklich hingewiesen wird, dass eine Verschuldenszurechnung im Verfassungsbeschwerdeverfahren auch für Beschwerdeführer erfolgt, die sich gegen einen strafrechtlichen Schuldvorwurf im Ausgangsverfahren wenden, in welchem nach der Rechtsprechung der Strafgerichte das Verteidigerverschulden nicht zugerechnet wird" (Schmidt-Bleibtreu in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG § 93 Rdn. 41a).

Bei der Gehörsrüge handelt es sich um einen außerordentlichen Rechtsbehelf nach rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens. Sie ist zwar noch Teil des fachgerichtlichen Verfahrens, da sie zur Entlastung des Bundesverfassungsgerichts den Revisionsgerichten trotz Rechtskraft Gelegenheit geben soll, bei zutreffend vorgetragenen Verstößen gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs selbst Abhilfe zu schaffen (vgl. ). Weitergehende Überprüfungsmöglichkeiten eröffnet die Gehörsrüge nicht. Befangenheitsanträge sind unstatthaft (vgl. - [= BGHR StPO § 25 Abs. 2 Nach dem letzten Wort 1]; vom - 4 StR 142/07). Die ablehnende Entscheidung des Fachgerichts über eine Gehörsrüge kann mangels eigenständiger Beschwer nicht mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden (BVerfG aaO; sowie Beschl. vom - 2 BvR 746/07). Die Gehörsrüge stellt sich letztlich als Vorstufe der Verfassungsbeschwerde gegen die Revisionsentscheidung auf fachgerichtlicher Ebene dar. Hinsichtlich der Zurechnung eines Verschuldens des Verteidigers kann dann aber nichts anderes gelten als bei der Verfassungsbeschwerde selbst.

IV.

Im Übrigen wäre die Gehörsrüge auch unbegründet.

Der Senat hat weder Tatsachen noch sonstige Umstände verwertet, zu denen der Verurteilte nicht gehört worden wäre, noch hat er zu berücksichtigendes Vorbringen übergangen. Der Senat hat das Revisionsvorbringen des Angeklagten in vollem Umfang gewürdigt, jedoch nicht für durchgreifend erachtet. Der Beschwerdeführer wurde gehört, aber nicht erhört. Dass dies in dem Beschluss, mit dem er die Revision des Angeklagten verworfen hat, nicht näher begründet wurde, liegt in der Natur des Verfahrens nach § 349 Abs. 2 und 3 StPO und gibt daher keinen Hinweis auf die Nichtbeachtung des Sachvortrags des Revisionsführers (). Eine Begründungspflicht für letztinstanzliche, mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr angreifbare Entscheidungen besteht nicht (vgl. - m.w.N.), auch nicht deswegen, weil der Beschwerdeführer auf den Antrag des Generalbundesanwalts erwidert hatte ().

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
wistra 2009 S. 33 Nr. 1
XAAAC-90548

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