Leitsatz
[1] Die Kostengrundentscheidung kann nach Eintritt der Rechtskraft nicht in entsprechender Anwendung des § 319 Abs. 1 ZPO geändert werden, wenn der Streitwert des Verfahrens nach § 63 Abs. 3 GKG abgeändert wird und dies zu einer (rechnerischen) Unrichtigkeit der Kostenquoten führt. Eine planwidrige Regelungslücke, die eine analoge Anwendung des § 319 Abs. 1 ZPO auf diesen Fall rechtfertigen könnte, liegt nicht vor.
Gesetze: ZPO § 319 Abs. 1
Instanzenzug: AG Montabaur, 10 C 288/06 vom LG Koblenz, 12 T 99/07 vom
Gründe
I. Mit seiner Klage begehrte der Kläger mit dem Antrag zu 1 festzustellen, dass der Beschluss des Beklagten über seinen Vereinsausschluss unwirksam sei. Mit dem Antrag zu 2 machte er einen Zahlungsanspruch in Höhe von 1.112,21 € geltend. Mit Urteil vom hat das Amtsgericht dem Feststellungsantrag stattgegeben und den Zahlungsantrag abgewiesen. Von den Kosten des Rechtsstreits hat es dem Kläger 69 %, dem Beklagten 31 % auferlegt. Dem lag zugrunde, dass es als Streitwert für den Antrag zu 1 einen Betrag von 500,00 € ansetzte.
Mit Schriftsatz vom beantragte der Beklagte, den Tenor des Urteils dahin zu ergänzen, dass die Berufung zugelassen werde; hilfsweise legte er gegen die Streitwertentscheidung hinsichtlich des Antrags zu 1 Beschwerde ein. Auch der Kläger erhob mit Schriftsatz vom gegen die Bewertung des Antrags zu 1 Streitwertbeschwerde.
Das Amtsgericht half mit Beschluss vom der Streitwertbeschwerde des Klägers ab und erhöhte den Gegenstandswert für den Klageantrag zu 1 auf 2.000,00 €.
Der Beklagte legte darauf hin mit Schriftsatz vom gegen das Urteil des Amtsgerichts Berufung ein, die er mit Schriftsatz vom zurücknahm.
Bereits am hatte der Kläger im Hinblick auf die Streitwertänderung vom beantragt, das Urteil wegen der nunmehr rechnerisch unzutreffenden Kostenentscheidung dahin zu korrigieren, dass er 35,75 % und der Beklagte 65,25 % der Kosten des Rechtsstreits zu tragen habe. Das Amtsgericht kam diesem Antrag nach Rückkehr der Akten aus der Berufungsinstanz mit Beschluss vom nach und änderte die Kostenentscheidung des Urteils vom in entsprechender Anwendung von § 319 Abs. 1 ZPO dergestalt ab, dass diese nunmehr wie folgt lautete:
"Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 36 % und der beklagte Verein zu 64 %."
Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Beklagten wies das Landgericht zurück und ließ insoweit die Rechtsbeschwerde zu. Darüber hinaus wurde die hilfsweise erhobene Beschwerde des Beklagten gegen die Änderung der Streitwertfestsetzung, die nicht Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist, zurückgewiesen.
II. Die statthafte (§ 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässige (§ 575 ZPO) Rechtsbeschwerde des Beklagten hat in der Sache Erfolg.
1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Eine Berichtigung der Kostenentscheidung sei in analoger Anwendung von § 319 Abs. 1 ZPO zulässig, da nur auf diese Weise der Widerspruch zwischen dem Verbot, eine Kostenentscheidung isoliert anzufechten (§ 99 Abs. 1 ZPO), und der Zulässigkeit einer nachträglichen Änderung der Streitwertfestsetzung (§ 63 Abs. 3 GKG) gelöst werden könne. Es sei Aufgabe der Gerichte, die durch die gebotene Streitwertänderung nachträglich fehlerhaft gewordene Grundlage für die Kostenentscheidung in eine zutreffende Kostengrundentscheidung umzuwandeln. Da eine unmittelbar anwendbare Vorschrift - wie etwa § 107 Abs. 1 Satz 1 ZPO für das Kostenfestsetzungsverfahren - für den hier maßgeblichen Fall nicht vorhanden sei, biete sich die sinngemäße Anwendung von § 319 Abs. 1 ZPO an, um die Gesetzeslücke in angemessener Weise zu schließen.
2. Hiergegen wendet sich die Rechtsbeschwerde mit Erfolg. Eine infolge Streitwertänderung (rechnerisch) unrichtig (gewordene) Kostengrundentscheidung kann nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils weder in unmittelbarer noch in analoger Anwendung des § 319 Abs. 1 ZPO abgeändert werden.
a) In Rechtsprechung und Literatur besteht ganz überwiegend Einigkeit, dass § 319 Abs. 1 ZPO auf einen Fall wie den vorliegenden nicht unmittelbar anwendbar ist, da kein Schreibfehler, Rechnungsfehler und auch keine ähnliche offenbare Unrichtigkeit des Urteils vorliegt (siehe nur OLG Düsseldorf NJW-RR 2002, 211; OLG Köln FamRZ 1994, 56; Stein/Jonas/Leipold, ZPO 21. Aufl. § 319 Rdn. 9; Musielak in Musielak, ZPO 6. Aufl. § 319 Rdn. 8; Zöller/Vollkommer, ZPO 26. Aufl. § 319 Rdn. 18; a.A. OLG Frankfurt a.M. NJW 1970, 436, 437: "Weitherzige Auslegung des § 319 ZPO"; ebenso Speckmann, NJW 1972, 232, 235 f.).
Dem ist zuzustimmen. Selbst wenn man im Hinblick auf die in § 319 Abs. 1 ZPO genannten "Rechnungsfehler" annehmen wollte, dass nicht nur Verlautbarungsmängel, sondern auch offensichtliche Fehler bei der gerichtlichen Willensbildung über diese Vorschrift korrigierbar wären (vgl. etwa OLG Hamm, MDR 1986, 594; OLG Bamberg FamRZ 2000, 38; offen gelassen von BGHZ 127, 74, 78 f.; a.A. Musielak in Musielak aaO § 319 Rdn. 4 m.w.Nachw.; Wieczorek/Schütze/Rensen, Großkomm.z.ZPO 3. Aufl. § 319 Rdn. 34), wäre die vorliegende Fallkonstellation weder unter das Tatbestandsmerkmal "Rechnungsfehler" noch unter das der "ähnlichen offenbaren Unrichtigkeit" zu subsumieren. Hinsichtlich der Kostengrundentscheidung lag kein Fehler bei der Willensbildung des Gerichts vor, da die Streitwertfestsetzung erst zu einem Zeitpunkt geändert wurde, als die Willensbildung betreffend die Kostengrundentscheidung unter Zugrundelegung der ursprünglichen Streitwertfestsetzung bereits (zutreffend) abgeschlossen und das amtsgerichtliche Urteil rechtskräftig geworden waren. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Vorliegens einer "ähnlichen offenbaren Unrichtigkeit" ist jedoch der Zeitpunkt der Entscheidung (vgl. nur OLG Stuttgart MDR 2001, 892, 893).
b) Ob § 319 Abs. 1 ZPO in Fällen nachträglicher rechnerischer Unrichtigkeit der rechtskräftigen Kostengrundentscheidung infolge einer nach §§ 63 Abs. 3, 68 GKG zulässigerweise geänderten Streitwertfestsetzung entsprechend anzuwenden ist, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.
aa) Von einem Teil der Rechtsprechung und Literatur wird eine entsprechende Anwendbarkeit von § 319 Abs. 1 ZPO auf die vorliegende Fallkonstellation für zulässig gehalten. Dies wird entweder mit dem Bedürfnis nach einer Auflösung des (angeblichen) Widerspruchs zwischen § 99 Abs. 1 ZPO und § 63 Abs. 3 GKG begründet (OLG Düsseldorf NJW-RR 2002, 211, 212; NJW-RR 1992, 1407 f. sowie OLGR Düsseldorf 1997, 291, 292). Von anderen wird zur Begründung auf allgemeine Gerechtigkeitserwägungen abgestellt (OLG Hamm MDR 2001, 1186; OLG Köln MDR 1980, 761, 762; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 66. Aufl. § 319 Rdn. 5; Stein/Jonas/Roth, ZPO 22. Aufl. § 2 Rdn. 81: "Gesamtanalogie zu den §§ 319, 107"; Stein/Jonas/Leipold aaO § 319 Rdn. 9; Zöller/Vollkommer aaO; HK-ZPO/Saenger 2. Aufl. § 319 Rdn. 12; Hartmann, Kostengesetz 37. Aufl. § 63 GKG Rdn. 40).
bb) Nach anderer Auffassung kommt eine analoge Anwendung von § 319 Abs. 1 ZPO in einem Fall wie dem vorliegenden nicht in Betracht. Dies wird u.a. damit begründet, dass ansonsten eine mit § 99 Abs. 1 ZPO nicht zu vereinbarende Anfechtbarkeit der Kostenentscheidung ermöglicht würde (OLG Stuttgart MDR 2001, 892, 893; OLG Düsseldorf NJW-RR 1992, 1532; LG Frankfurt a.M. NJW-RR 1998, 67, 68), bzw. dass eine weitherzige Auslegung des § 319 Abs. 1 ZPO zu einer vom Gesetz nicht mehr gedeckten Durchbrechung der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung führe (OLG Köln FamRZ 1994, 56; OLG Düsseldorf NJW-RR 1992, 1532; Schneider, MDR 1980, 762 f.; ablehnend auch KG NJW 1975, 2107; Musielak in Musielak aaO § 319 Rdn. 8; ders. in MünchKommZPO 3. Aufl. § 319 Rdn. 10; Wieczorek/Schütze/Rensen aaO § 319 Rdn. 34; Wiesemann, Die Berichtigung gerichtlicher Entscheidungen im Zivil-, Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsprozess S. 154 f.; Wolter; Die Urteilsberichtigung nach § 319 ZPO S. 79 ff.).
cc) Der Senat schließt sich der letztgenannten Meinung (bb) an. Eine planwidrige Regelungslücke, die eine analoge Anwendung von § 319 Abs. 1 ZPO im vorliegenden Fall rechtfertigen würde, liegt nicht vor.
Zwar kann das Prozessgericht gemäß § 63 Abs. 3 GKG bis längstens zum Ablauf von sechs Monaten nach rechtskräftiger Entscheidung in der Hauptsache den Streitwert ändern, was auf Antrag zu einer entsprechenden Änderung der Kostenfestsetzung nach § 107 Abs. 1 Satz 1 ZPO führt. Hieraus kann jedoch, entgegen der Ansicht des Klägers, nicht der Schluss gezogen werden, dass der Gesetzgeber der "Kostengerechtigkeit" Vorrang gegenüber der Rechtskraft der Kostenentscheidung eingeräumt habe.
(a) Eine dem § 107 Abs. 1 Satz 1 ZPO entsprechende Bestimmung in Bezug auf eine nachträgliche Änderung der Kosten(grund)entscheidung des Urteils infolge einer Streitwertänderung fehlt im Gesetz. Stattdessen sieht § 99 Abs. 1 ZPO ausdrücklich vor, dass die Anfechtung der Kostenentscheidung unzulässig ist, wenn nicht gegen die Entscheidung in der Hauptsache ein Rechtsmittel eingelegt wird. Isolierte Kostenrechtsmittel sind lediglich in im Gesetz ausdrücklich genannten Fällen wie etwa denjenigen des § 99 Abs. 2 ZPO, des § 91 Abs. 2 ZPO oder des § 269 Abs. 5 ZPO vorgesehen, bei denen es sich jedoch um Ausnahmefälle handelt (vgl. Musielak/Wolst aaO § 99 Rdn. 1).
(b) Darüber hinaus folgt aus § 318 ZPO, dass das Gericht an die Entscheidung, die in den von ihm erlassenen End- bzw. Zwischenurteilen enthalten ist, gebunden ist, wobei die Kostenentscheidung gemäß § 308 Abs. 2 ZPO zwingender Bestandteil des Endurteils ist. Nur dann, wenn der Kostenpunkt bei der Endentscheidung ganz oder teilweise übergangen worden ist, ist auf Antrag das Urteil durch nachträgliche Entscheidung zu ergänzen (§ 321 Abs. 1 ZPO). Zu Recht weist die Rechtsbeschwerdebegründung darauf hin, dass es sich bei der Vorschrift des § 319 ZPO um eine Ausnahmevorschrift von dem in § 318 ZPO niedergelegten Grundsatz der innerprozessualen Bindung des Gerichts handelt, deren Anwendungsbereich im Interesse der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit entsprechend eng am Wortlaut zu orientieren ist.
(c) Aus alledem folgt, dass eine analoge Anwendung des § 319 Abs. 1 ZPO zu einer im Gesetz ausdrücklich nicht vorgesehenen isolierten "Anfechtbarkeit" der Kostengrundentscheidung führen würde.
Der mit diesem Ergebnis verbundene Wertungswiderspruch zwischen der Abänderbarkeit des Streitwerts und der mangelnden Möglichkeit, die Kostengrundentscheidung dem geänderten Streitwert anzupassen, kann mithin nur durch ein Eingreifen des Gesetzgebers, dem die Problematik seit langem bekannt ist, beseitigt werden.
(d) An dieser Entscheidung ist der Senat nicht im Hinblick auf den , BFH/NV 2001, 791) gehindert. In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Verfahren hat der Bundesfinanzhof den Streitwert sowie die Kosten(grund)entscheidung während des anhängigen Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, mithin vor Rechtskraft des Urteils abgeändert.
III. Auf die Rechtsmittel des Beklagten war die ursprüngliche Kostengrundentscheidung im Urteil des Amtsgerichts Montabaur vom wieder herzustellen.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
HFR 2009 S. 81 Nr. 1
ZAAAC-90047
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja