Leitsatz
1. Die Auslegung eines Bescheids in einem die Anfechtungsklage gegen den Bescheid abweisenden rechtskräftigen Urteil bindet die Beteiligten.
2. Ist dem Halter ein Tier auf Grund einer bestandskräftigen Anordnung nach § 16a Satz 2 Nr. 2 TierSchG fortgenommen worden, steht dessen Pflicht, die Kosten der anderweitigen Unterbringung zu tragen, dem Grunde nach fest.
Gesetze: VwGO § 121; VwVfG § 43 Abs. 2; TierSchG § 16a Satz 2 Nr. 2
Instanzenzug: VG Karlsruhe, VG 1 K 1476/04 vom VGH Mannheim, VGH 1 S 1254/07 vom Fachpresse: ja BVerwGE: ja
Gründe
I
Der Kläger wendet sich gegen seine Heranziehung zu Kosten für die Unterbringung und Pflege von Pferden.
Wegen Vernachlässigung von Pferden ging der Beklagte wiederholt gegen den Kläger und dessen Tochter vor. Unter anderem wurden im April 1998 vom zuständigen Landratsamt 6 Pferde beschlagnahmt und anderweitig untergebracht.
Mit einem an die Tochter des Klägers gerichteten Bescheid vom wurden u.a. die Pferde bei ihr als Halterin beschlagnahmt.
Mit einem weiteren Bescheid vom selben Tag wurde gegenüber dem Kläger verfügt, dass die gegenüber der Tochter "als Halterin und Betreuerin beschlagnahmten Pferde ... auch Ihnen gegenüber als Eigentümer auf Ihre Kosten beschlagnahmt" werden.
Mit Schreiben vom teilte der Kläger dem Landratsamt mit, er sei wieder Eigentümer der Pferde; seine Tochter habe mit deren Betreuung nichts zu tun.
Den Widerspruch der Tochter gegen den an sie adressierten Bescheid wies das zuständige Regierungspräsidium zurück. In den Gründen des Widerspruchsbescheids wurde u.a. ausgeführt, dass die Beschlagnahme der Pferde ihre Rechtswirkungen ab dem ihr gegenüber verliere. Ab diesem Zeitpunkt sei die Verfügung der Fortnahme allein gegenüber dem Kläger wirksam. Anschließend hob das Landratsamt die Beschlagnahme gegenüber der Tochter mit Wirkung vom auf.
Mit einem weiteren Widerspruchsbescheid wies das Regierungspräsidium den Widerspruch des Klägers gegen den an ihn gerichteten Bescheid zurück. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, die Eigentumsverhältnisse an den beschlagnahmten (fortgenommenen) Pferden seien zunächst unklar gewesen. Erst durch das Schreiben vom habe die Behörde hierüber Klarheit erlangt. Aus diesem Grund sei die Fortnahmeverfügung gegen den Kläger erst am 12. Mai erlassen worden. Für der Zeit vom 28. April bis zum 11. Mai richte sich die Anordnung gegen die Tochter.
Die Klage des Klägers gegen den an ihn adressierten Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids wurde vom Verwaltungsgericht Karlsruhe mit (rechtskräftigem) Urteil vom abgewiesen. Dabei ging das Verwaltungsgericht davon aus, dass es sich bei der Beschlagnahme der Sache nach um die auf § 16a Satz 1 TierSchG gestützte Anordnung handele, als Eigentümer die Fortnahme der Pferde zu dulden, die gegenüber der Tochter als Halterin verfügt worden sei. Der Kläger sei nie Halter der Tiere gewesen. Als seiner Tochter die Haltung untersagt worden sei, habe er mit ihr und anderen versucht, dieses Verbot zu umgehen. Er sei hochbetagt und ordne sich dem "Kampf" seiner Tochter gegen das Amt für Veterinärwesen unter.
Mit - im vorliegenden Verfahren angegriffenen - Leistungsbescheid vom zog das Landratsamt den Kläger zu den Kosten für die anderweitige Unterbringung und Pflege der Pferde in der Zeit vom bis zum in Höhe von 38 982,72 € heran.
Der Widerspruch des Klägers wurde mit Bescheid vom zurückgewiesen.
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom den angefochtenen Bescheid aufgehoben: Die Voraussetzungen eines Kostenerstattungsanspruchs nach § 16a Satz 2 Nr. 2 TierSchG lägen nicht vor. Der Kläger sei zum Zeitpunkt der Fortnahme der Pferde nicht deren Halter gewesen.
Der Berufung des Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof ganz überwiegend stattgegeben. Er hat das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und den Leistungsbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids lediglich insoweit aufgehoben, als der darin geltend gemachte Anspruch den Betrag von 38 283,94 € übersteigt. Eine Prüfung auch der Voraussetzungen der Zahlungspflicht dem Grunde nach - tierschutzwidrige Zustände bei der Tierhaltung und die Haltereigenschaft des Klägers - sei im Streit um die Kosten grundsätzlich nicht eröffnet. Erlasse die Tierschutzbehörde eine Fortnahmeverfügung, werde darin zugleich über die Zahlungspflicht dem Grunde nach entschieden. Nach deren Bestandskraft könne folglich die Erstattungspflicht dem Grunde nach nicht mehr infrage gestellt werden. Hiernach seien dem Kläger Einwendungen gegen die Annahme, er sei Halter der Pferde gewesen, abgeschnitten. Denn davon sei bereits auf Grund des bestandskräftigen gegen den Kläger ergangenen Bescheids vom auszugehen. Die Auslegung dieses Bescheids in dem Urteil des Verwaltungsgerichts vom , die als bloßes Begründungselement von der Rechtskraft dieser Entscheidung nicht umfasst werde, sei unzutreffend. Bei richtiger Auslegung richte sich der Bescheid gegen den Kläger als Halter.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger die vom Senat zugelassene Revision eingelegt. Bei polizeirechtlichen Gefahrenabwehrmaßnahmen sei bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit auf den Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen. Habe die Behörde erst später Kenntnis von Tatsachen erlangt, sei dies für die Rechtmäßigkeit der Maßnahme unmaßgeblich (Beurteilung ex ante). Dies gelte nicht für eine nachfolgende Kostenentscheidung. Hier sei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses der Kostenverfügung maßgebend (Beurteilung ex post). Im Tierschutzrecht, als besonderem Polizeirecht, müsse das Gleiche gelten.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil
II
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO, vgl. 1.). Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts ist in vollem Umfang zurückzuweisen (vgl. 2.).
1. Das angefochtene Urteil beruht auf der Annahme, im vorliegenden Verfahren seien die Gerichte nicht an die Auslegung des Bescheids vom in dem rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts vom gebunden. Damit verkennt der Verwaltungsgerichtshof die Bindungswirkung rechtskräftiger Urteile (§ 121 VwGO). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sind die Gründe eines rechtskräftigen Urteils nicht stets bloße Begründungselemente, die von dessen Rechtskraft allgemein nicht erfasst werden. Vielmehr nehmen bei einem klageabweisenden Urteil die tragenden Gründe an dessen Rechtskraft teil. Dies gilt bei der Abweisung einer Anfechtungsklage auch für die Auslegung des angefochtenen Bescheids in dem Urteil:
Rechtskräftige Urteile binden die Beteiligten, "soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist" (§ 121 VwGO).
Wird eine Klage abgewiesen (oder einer Anfechtungsklage stattgegeben), geben erst die tragenden Gründe Aufschluss darüber, weshalb ein geltend gemachter Anspruch verneint (oder bejaht) wurde. Deshalb nehmen diese an der Rechtskraft des Urteils teil (vgl. allgemein Clausing, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 121 Rn. 52, allgemein und für die Abweisung einer Verpflichtungsklage BVerwG 8 B 218.98 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 164, S. 509 <510 f.> und BVerwG 4 B 95.69 - Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 33 sowie für das Normenkontrollverfahren BVerwG 4 N 2.92 - BVerwGE 92, 266 <270>). Die Entscheidung über eine Anfechtungsklage erschöpft sich demnach nicht in dem Rechtsschluss, dass der Verwaltungsakt rechtmäßig oder rechtswidrig ist, sondern umfasst grundsätzlich die Feststellung, dass die Voraussetzungen der unmittelbaren Ermächtigungsgrundlage vorliegen oder nicht vorliegen (vgl. Rennert, in: Eyermann, VwGO, 12. Aufl., § 121 Rn. 26). Dies gilt nur dann nicht, wenn eine Anfechtungsklage wegen Unzulässigkeit oder wegen fehlender Rechtsverletzung des Klägers abgewiesen wird.
Über den Wortlaut des § 121 VwGO hinaus sind überdies auch die Gerichte in einem späteren Prozess an rechtskräftige Urteile zwischen den Beteiligten gebunden (stRspr, vgl. u.a. BVerwG 8 C 8.93 - Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 70).
Wird eine Anfechtungsklage abgewiesen, erfasst die Rechtskraft des Urteils auch die Auslegung des Bescheids in dem Urteil. Diese ist Teil der tragenden Gründe; denn das Gericht hat in den Gründen seines Urteils die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage für den Bescheid mit dem Inhalt, den es ihm - durch Auslegung - beigemessen hat, geprüft. Seine Aussage, der Bescheid sei rechtmäßig, bezieht sich allein auf den Bescheid mit dem Inhalt, dem es ihm beigemessen hat. Die Auslegung des Bescheids ist somit mit anderen tragenden Gründen, für die eine Bindungswirkung allgemein bejaht wird, untrennbar verbunden.
Auf dieser Verletzung von Bundesrecht beruht das Berufungsurteil. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Auslegung des Bescheids vom in dem rechtskräftigen verwaltungsgerichtlichen Urteil als unzutreffend bewertet. Von seiner abweichenden Auslegung aus ist er zu dem Ergebnis gelangt, die Zahlungspflicht des Klägers stehe auf Grund der Bestandskraft dieses Bescheids fest.
2. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Die Berufung des Beklagten gegen das der Klage stattgebende Urteil des Verwaltungsgerichts ist in vollem Umfang zurückzuweisen. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid und den Widerspruchsbescheid aufgehoben; denn diese sind rechtswidrig und verletzten den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz1 VwGO).
Wird gegenüber demjenigen, den die Behörde für den Halter hält, die Fortnahme und anderweitige Unterbringung von Tieren wegen der in § 16a Satz 2 Nr. 2 TierSchG genannten tierschutzwidrigen Zustände angeordnet, steht mit Bestandskraft (§ 43 Abs. 2 VwVfG) dieses Bescheids die Kostenerstattungspflicht des Adressaten dem Grunde nach fest. Dass die Tiere erheblich vernachlässigt waren bzw. schwerwiegende Verhaltensstörungen aufzeigten und dass der Adressat des Bescheids Halter der Tiere war, steht dann also bestandskräftig fest. In dem nachfolgenden Leistungsbescheid wird die Kostenerstattungspflicht lediglich hinsichtlich der Höhe konkretisiert. Wird der Leistungsbescheid angefochten, können daher - wie der Verwaltungsgerichtshof insoweit zu Recht ausgeführt hat - nur noch Einwendungen gegen die Höhe der Unterbringungskosten geltend gemacht werden (ebenso BayVGH, Beschluss vom - 25 CS 05.295 - NuR 2006, 183, auch die Kommentarliteratur geht hiervon aus, vgl. Hirt/Maisack/Moritz, Tierschutzgesetz, § 16a Rn. 17 und 19).
Die Fortnahme des Tieres und dessen anderweitige Unterbringung auf Kosten des Halters bilden damit eine Einheit. Die Fortnahme des Tieres kann nur gegenüber dem Halter angeordnet werden; er ist Inhaber der tatsächlichen Gewalt über das Tier, die durch die Wegnahme gebrochen werden soll. Der Sache nach handelt es bei der Fortnahme und anderweitigen Unterbringung um eine besondere tierschutzrechtliche Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung in der Form der Anwendung unmittelbaren Zwangs. Die Zwangsmaßnahme kann vorher angeordnet oder nach ihrer tatsächlichen Ausführung nachträglich durch Anordnung bestätigt werden.
Ist der Halter nicht zugleich Eigentümer des Tieres, steht dem Eigentümer aus seinem Eigentum ein Recht an dem Tier zu, das die Zwangsmaßnahme gegen den Halter rechtlich hindern kann. Dieses rechtliche Hindernis muss - wie allgemein bei Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung - durch eine Duldungsverfügung gegenüber dem Eigentümer überwunden werden. Ist der Halter nicht mit dem Eigentümer identisch, muss deshalb eine Verfügung gegenüber dem Eigentümer ergehen, dass er die Fortnahme des Tieres bei dem Halter zu dulden hat. Der Eigentümer muss aber die Kosten der anderweitigen Unterbringung nicht (mit)tragen.
Auf Grund der Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Urteils vom steht zwischen den Beteiligten bindend fest (§ 121 VwGO), dass das Landratsamt gegenüber dem Kläger nicht die Fortnahme der Tiere auf dessen Kosten angeordnet, sondern ihn nur zur Duldung der Wegnahme bei der Halterin verpflichtet hat. Anordnung der Wegnahme und Duldung der Wegnahme schließen sich gegenseitig aus. Der Kläger muss deshalb die Kosten der anderweitigen Unterbringung der Pferde nicht tragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
LAAAC-90043