Leitsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: InsO § 93
Instanzenzug: LSG Rheinland-Pfalz, L 3 U 151/06 vom SG Mainz, S 5 U 125/03 vom
Gründe
I
Umstritten ist die Pflicht des Klägers zur Zahlung von Beiträgen an die beklagte Berufsgenossenschaft (BG) als früherer Unternehmer nach § 150 Abs 4 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII).
Der Kläger war neben seinen Söhnen Gesellschafter der B und S OHG (im Folgenden: OHG). Ausweislich des Eintrags im Handelsregister vom ist der Kläger aus der offenen Handelsgesellschaft (OHG) ausgeschieden, nach seinen Angaben zum . Auf den Beitragsbescheid der Beklagten für das Jahr 2001 an die OHG wurden keine Zahlungen geleistet. Mit Beschluss des Amtsgerichts Idar-Oberstein vom wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der OHG eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt. Die Beklagte meldete als Forderungen Beiträge für die Zeit vom bis zum in Höhe von 14.997,90 Euro zuzüglich Säumniszuschlägen in Höhe von 754,50 Euro, insgesamt 15.752,40 Euro an.
Den selben Betrag setzte sie gegenüber dem Kläger persönlich als Forderung fest, weil sie von seinem Ausscheiden aus der OHG erst im August 2002 erfahren habe und er gemäß § 150 Abs 4 SGB VII für die Beiträge gesamtschuldnerisch hafte (Bescheid vom , Widerspruchsbescheid vom ).
Das angerufene Sozialgericht Mainz (SG) hat die Bescheide aufgehoben, weil die Beklagte durch § 93 der Insolvenzordnung (InsO) für die Dauer des Insolvenzverfahrens am Erlass eines Bescheides über die Forderung gegenüber dem Kläger persönlich gehindert sei, eine solche könne nur vom Insolvenzverwalter wirksam geltend gemacht werden (Urteil vom ). Das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (LSG) hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom ). Es führt zur Begründung im Wesentlichen aus: Der Kläger sei iS des § 136 Abs 3 Nr 1 SGB VII "Unternehmer" der OHG gewesen. Als solcher hafte er gemäß § 150 Abs 4 SGB VII gesamtschuldnerisch für die Beiträge und die damit zusammenhängenden Leistungen bis zum Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Unternehmerwechsel angezeigt worden sei. Entgegen dem Vorbringen des Klägers habe eine Anzeige über sein Ausscheiden aus der OHG gegenüber der Beklagten Ende des Jahres 2000/Anfang des Jahres 2001 nicht festgestellt werden können. Ob die Beklagte im Juli oder August des Jahres 2002 von seinem Ausscheiden Kenntnis erlangt habe, könne dahinstehen, da der Kläger jedenfalls bis zum Ablauf des Jahres 2002 zur Zahlung der Beiträge usw verpflichtet sei.
Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der OHG und insbesondere § 93 InsO ständen der persönlichen Haftung des Klägers nicht entgegen. Die Vorschrift habe den Zweck, einen Wettlauf der Insolvenzgläubiger bei der Durchsetzung der persönlichen Haftung der Gesellschafter einer Personengesellschaft nach § 128 des Handelsgesetzbuchs (HGB) zu verhindern. § 93 InsO sei vorliegend jedoch nicht anwendbar, weil dieser keine Ansprüche umfasse, die auf einem von der Gesellschaft rechtlich unabhängigem Rechtsgrund, insbesondere einer rechtlich selbstständigen Verpflichtung des Gesellschafters beruhten (Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichtshofs <BGH> vom - IX ZR 265/01 - BGHZ 151, 245 und das Urteil des Bundesfinanzhofs <BFH> vom - VII B 155/01 - BFHE 197, 1). So sei es indes hier, weil der umstrittene Bescheid der Beklagten nicht mit der akzessorischen Haftung des Klägers als Gesellschafter der OHG, sondern mit dessen rechtlich eigener Verpflichtung aus § 150 Abs 4 SGB VII begründet worden sei. Im Übrigen gehe die Haftung nach § 150 Abs 4 SGB VII weit über die nach §§ 128, 160 HGB hinaus, weil sie gerade Beiträge erst nach dem Ausscheiden aus der Gesellschaft umfasse.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts und macht geltend: § 93 InsO stehe einer Inanspruchnahme seinerseits durch die Beklagte entgegen. In den angeführten Entscheidungen des BGH und des BFH sei insbesondere darauf abgestellt worden, dass vorsätzliche und grob fahrlässige Pflichtverletzungen vorgelegen hätten und die angewandte Haftungsnorm des § 69 der Abgabenordnung (AO) Schadensersatzcharakter habe. § 150 Abs 4 SGB VII habe keinen Schadensersatzcharakter und sei mit einer derartigen Haftungsnorm nicht vergleichbar. Die Haftung des § 150 Abs 4 SGB VII gehe auch nicht über die Haftung der §§ 128, 160 HGB weit hinaus. Beide Regelungen setzten kein Verschulden voraus und hätten keinen Schadensersatzcharakter. Es sei kein Grund für eine Ausnahme von § 93 InsO zu erkennen, da § 150 Abs 4 SGB VII keine eigenständige sozialversicherungsrechtliche Haftungsvorschrift sei, die ein Verschulden wie die finanzrechtlichen Vorschriften voraussetze. Nur bei einem Pflichtverstoß könne die Sperrwirkung des § 93 InsO entfallen. Die Entstehungsgeschichte des § 93 InsO spreche ebenfalls gegen eine Ausnahme zu Gunsten des § 150 Abs 4 SGB VII, weil in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 12/2443 S 139 f) nur besondere Haftungstatbestände aus rechtsgeschäftlicher Haftung oder nach den Grundsätzen der Vertrauenshaftung oder aus unerlaubter Handlung angeführt würden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht auf die Berufung der beklagten BG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Kläger ist verpflichtet an die Beklagte insgesamt 15.752,40 Euro an Beiträgen und Säumniszuschlägen zu zahlen. Denn er haftet für diese Beiträge als früherer Unternehmer der OHG gemäß § 150 Abs 4 SGB VII (nachfolgend 1.) und diese Haftung ist nicht durch § 93 InsO ausgeschlossen (nachfolgend 2.).
1. Nach § 150 Abs 4 SGB VII sind bei einem Wechsel der Person des Unternehmers der bisherige Unternehmer und sein Nachfolger bis zum Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Wechsel angezeigt wurde, zur Zahlung der Beiträge und damit zusammenhängender Leistungen als Gesamtschuldner verpflichtet.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend für die strittigen Jahre 2001 und 2002 erfüllt, wie sich aus den nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffenen und daher für den Senat bindenden (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes <SGG>) tatsächlichen Feststellungen des LSG ergibt. Zwar ist der Kläger Ende des Jahres 2000 oder Anfang des Jahres 2001 aus der OHG ausgeschieden. Dieses Ausscheiden und der darin liegende Wechsel des bzw der Unternehmer, weil nur noch seine Söhne als Gesellschafter in der OHG verblieben waren, wurde der Beklagten jedoch nach den im Revisionsverfahren nicht mehr umstrittenen Feststellungen des LSG damals nicht angezeigt (vgl zu dieser Anzeigepflicht § 192 Abs 4 Satz 1 SGB VII). Vielmehr hat die Beklagte von dem Ausscheiden des Klägers aus der OHG erst im Laufe des im Jahre 2002 eröffneten Insolvenzverfahrens über die OHG Kenntnis erlangt.
2. Dieser Haftung des Klägers aus § 150 Abs 4 SGB VII für die Beiträge und Säumniszuschläge der OHG aus den Jahren 2001 und 2002 steht § 93 InsO nicht entgegen.
§ 93 InsO lautet: "Ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit oder einer Kommanditgesellschaft auf Aktien eröffnet, so kann die persönliche Haftung eines Gesellschafters für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden." Schon vom Wortlaut her bezieht sich die Regelung auf "die persönliche Haftung eines Gesellschafters für die Verbindlichkeiten einer Gesellschaft" ohne Rechtspersönlichkeit, wie vorliegend der OHG. Die Wendung "persönliche Haftung eines Gesellschafters" knüpft ersichtlich gerade bei einer OHG an die persönliche Haftung ihrer Gesellschafter nach § 128 HGB an. Dies wird auch durch die Begründung des Gesetzentwurfs für die InsO, in dem der heutige § 93 dem § 105 entsprach, bestätigt (BT-Drucks 12/2443 S 139 f; ebenso: - BFHE 197, 1 mwN; - BGHZ 151, 245 mwN).
§ 150 Abs 4 SGB VII als Rechtsgrundlage für die Beitragshaftung des früheren Unternehmers, dessen Voraussetzungen oben festgestellt wurden, knüpft aber nicht an diese persönliche Haftung des OHG-Gesellschafters nach § 128 HGB bzw des ausgeschiedenen OHG-Gesellschafters iVm § 160 HGB an, sondern ist ein eigenständiger Haftungstatbestand des Beitragsrechts der gesetzlichen Unfallversicherung, der in keinerlei Beziehung zu den speziellen Regelungen der Gesellschafterhaftung nach dem HGB steht, wie den Ausführungen unter 1. entnommen werden kann.
Aus dem Sinn und Zweck des § 93 InsO folgt nichts anderes, wie schon der BFH und der BGH unter Bezugnahme auf die schon angeführte Begründung zur InsO und in Übereinstimmung mit der Mehrheit im Schrifttum zu der steuerrechtlichen Haftungsnorm des § 69 AO ausgeführt haben ( - BFHE 197, 1, RdNr 9 ff mwN; - BGHZ 151, 245, RdNr 9 ff mwN). Zwar soll § 93 InsO sicherstellen, dass die Insolvenzmasse im Interesse der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger nicht durch den schnelleren Zugriff einzelner Gläubiger auf die persönlich haftenden Gesellschafter geschmälert wird. Dies rechtfertigt jedoch nicht, die Ansprüche anderer Gläubiger, die diese gegenüber dem Gesellschafter persönlich haben, in das Insolvenzverfahren mit einzubeziehen und damit zu entwerten, zumal dies zu einem Eingriff in ihr Eigentumsrecht nach Art 14 des Grundgesetzes führen würde.
Angesichts der Grundkonzeption des § 93 InsO, der an der akzessorischen Haftung des Gesellschafters für die Schulden der Gesellschaft anknüpft, und dem eigenständigen Haftungstatbestand des § 150 Abs 4 SGB VII zwischen dem früheren Unternehmer und der BG als Beitragsgläubigerin kommt es auf den Rechtscharakter dieses Haftungstatbestandes, ob er verschuldensabhängig ist, Schadenscharakter hat usw, entgegen der Auffassung der Revision nicht an. Für derartige Einschränkungen sprechen weder der Wortlaut der Normen noch sonstige Gründe. Auch der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 12/2443 S 139 f) ist keine Beschränkung auf besondere Haftungstatbestände zu entnehmen. Darüber hinaus ist zu beachten, dass es zu einer Haftung für die Folgejahre nur kommen kann, wenn die Mitteilungspflicht gegenüber dem Unfallversicherungsträger über den Wechsel in der Person des Unternehmers nach § 192 Abs 4 Satz 1 SGB VII verletzt wird.
Die Revision verkennt auch, dass die Haftung des früheren Unternehmers nach § 150 Abs 4 SGB VII weiter reicht als die Haftung des früheren OHG-Gesellschafters nach §§ 160, 128 HGB. Die Haftung des letzteren umfasst Verbindlichkeiten, die bis zu seinem Ausscheiden aus der Gesellschaft - vorliegend Ende des Jahres 2000/Anfang des Jahres 2001 begründet wurden. Die Haftung nach § 150 Abs 4 SGB VII zielt jedoch typischerweise gerade auf die Haftung für Beitragsschulden ab, die erst nach dem Ausscheiden entstanden sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 SGG iVm § 154 Abs 2 der Verwaltungsgerichtsordnung, weil der Kläger das Verfahren nicht als Versicherter, sondern als Unternehmer führt. Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf § 197a Abs 1 SGG iVm § 52 des Gerichtskostengesetzes. Der festgesetzte Streitwert entspricht der nach den Feststellungen des LSG umstrittenen Forderung.
Fundstelle(n):
DStR 2008 S. 2229 Nr. 46
SJ 2008 S. 48 Nr. 25
ZIP 2008 S. 1965 Nr. 42
BAAAC-90029