BSG Urteil v. - B 13 R 37/07 R

Leitsatz

Auch mit Wirkung für das Erstattungsverfahren wegen gezahlten Krankengelds kann die Krankenkasse die Dispositionsfreiheit des Versicherten dadurch einschränken, dass sie den Versicherten, der von sich aus einen Rentenantrag gestellt hatte, nachträglich auffordert, diesen nicht ohne ihre Zustimmung zurückzunehmen. Dies setzt jedoch voraus, dass der Rentenversicherungsträger hierüber informiert war, bevor er der Disposition des Versicherten entsprochen hat.

Gesetze: SGB V § 50 Abs 1 S 1 Nr 1; SGB V § 51 Abs 1 S 1; SGB VI § 116 Abs 2; SGB X § 86; SGB X § 103

Instanzenzug: SG Stuttgart, S 19 R 6110/01 vom LSG Stuttgart, L 4 R 1006/06 vom

Gründe

I

Die klagende Krankenkasse (KK) fordert vom beklagten Rentenversicherungsträger die Erstattung von für den Zeitraum vom 26.2. bis in Höhe von € 2.043,53 gezahltem Krankengeld (KrG).

Die im September 2006 verstorbene H. S. (Versicherte) war bei der Klägerin (vormals: Betriebskrankenkasse Post) krankenversichert und bei der Beklagten rentenversichert. Seit Mai 1999 war sie arbeitsunfähig krank. Nach Ablauf der Entgeltfortzahlung gewährte ihr die Klägerin KrG ab , zunächst bis und dann - aufgrund eines rechtskräftig gewordenen Gerichtsbescheids des Sozialgerichts (SG) Berlin vom - bis .

Am hatte die Versicherte bei der damaligen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) beantragt. Mit Schreiben vom meldete die Klägerin gegenüber der Beklagten ihren Erstattungsanspruch wegen der Zahlung von KrG an. Außerdem teilte die Klägerin der Versicherten mit Schreiben (ohne Rechtsbehelfsbelehrung) vom mit, dass nach ärztlichem Gutachten bei ihr ohne Rehabilitations(Reha-)maßnahmen eine dauernde EU nicht abgewendet werden könne; die Versicherte werde gebeten, den bereits gestellten Antrag auf Rehamaßnahmen/Rentenantrag nicht zurückzunehmen; werde dieser Antrag ohne Zustimmung der KK zurückgenommen, entfalle der Anspruch auf KrG. Mit Bescheid vom bewilligte die Beklagte der Versicherten rückwirkend ab Rente wegen EU auf Zeit. Dem widersprach die Versicherte mit am bei der Beklagten eingegangenem Schreiben; sie bitte um Aufhebung des Rentenbescheides, da sich ihr Gesundheitszustand so gebessert habe, dass sie ab wieder arbeiten werde. Dementsprechend nahm die Versicherte ihre Beschäftigung bei der D. an diesem Tag wieder auf. Mit Bescheid vom half die Beklagte dem Widerspruch voll ab; wegen der Rücknahme des Rentenantrags könnten aus diesem keine Rechtsansprüche mehr hergeleitet werden.

Die Versicherte blieb bei der D. bis beschäftigt und bezog anschließend bis Leistungen der Bundesagentur für Arbeit; ab erhielt sie Altersrente für Schwerbehinderte.

Mit Schreiben vom machte die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Erstattungsanspruch in Höhe von DM 5.235,30 (= € 2.676,77) geltend, und zwar für gezahltes KrG in der Zeit vom (dem Beginn der Rente in dem ursprünglichen Rentenbewilligungsbescheid) bis zum (dem Ende der erstmaligen Bewilligung von KrG). Die Beklagte teilte mit Schreiben vom mit, eine Abrechnung des Erstattungsanspruchs könne nicht erfolgen, da die Versicherte den Rentenantrag zurückgenommen habe.

Das SG Stuttgart hat die Klage abgewiesen. Die Versicherte habe nie wirksam Rente bezogen. Ein Rentenantrag sei jedenfalls für die Zeit bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist zurücknehmbar, was hier erfolgt sei. Dies müsse sich die Klägerin bei der Geltendmachung ihres Erstattungsanspruchs entgegenhalten lassen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) mit Urteil vom das Urteil des SG abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin € 2.043,53 zu erstatten, und im Übrigen die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

Eine Beiladung von Rechtsnachfolgern der Versicherten scheide aus, weil der Sohn die Erbschaft ausgeschlagen und darauf hingewiesen habe, dass die Mutter der Versicherten ebenfalls die Erbausschlagung beabsichtige. In der Sache sei der Erstattungsanspruch gegen die Beklagte nach § 103 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) teilweise begründet, und zwar hinsichtlich der Zeit vom 26.2. bis wegen Zahlung von KrG in Höhe von € 2.043,53. Dagegen bestehe der Erstattungsanspruch nicht, soweit es um den darüber hinausgehenden Betrag von € 633,24 für die Zahlung von KrG für die davor liegende Zeit bis zum Zugang des Schreibens der Klägerin vom gehe. Die Klägerin habe der Versicherten in dieser Zeit KrG gewährt. Aufgrund dieses Schreibens sei jedoch die Dispositionsbefugnis der Versicherten eingeschränkt gewesen. Der KK sei es nach § 51 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) nicht verwehrt, von den Versicherten zu verlangen, einen bereits gestellten Rentenantrag nicht ohne ihre Zustimmung zurückzunehmen, und dadurch die Dispositionsbefugnis der Versicherten einzuschränken (Bezug auf BSGE 76, 218, 224 = SozR 3-2500 § 50 Nr 3; BSG SozR 3-1300 § 86 Nr 3). Soweit die Rechtsprechung verlange, dass die KK über die Zustimmung zur Rücknahme eines Rentenantrags nach pflichtgemäßem Ermessen entscheide, habe die Versicherte keine Gesichtspunkte geltend gemacht, die bei der Ausübung von Ermessen hätten berücksichtigt werden müssen, insbesondere selbst keine förmliche Entscheidung über die Zustimmung begehrt.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt sinngemäß eine Verletzung von § 51 SGB V, § 103 SGB X. Ein vorrangiger Anspruch der Klägerin gemäß § 103 SGB X bestehe nicht. Die Beklagte habe für den Zeitraum des Bezugs von KrG zwischen dem und dem faktisch keine Rente wegen EU geleistet. Der vom nachrangigen Leistungsträger (hier der Klägerin) grundsätzlich hinzunehmende Bescheid des vorrangigen Leistungsträgers (hier der Beklagten) vom sei nicht rechtswidrig, geschweige denn "offensichtlich" fehlerhaft. Der Versicherten sei die Rücknahme ihres Rentenantrags nicht durch eine bindende Erklärung der Klägerin verwehrt gewesen. Eine von der KK "nachgeschobene" Einschränkung der Dispositionsfreiheit sei unbeachtlich.

Die Beklagte beantragt,

das aufzuheben, soweit sie verurteilt worden ist, an die Klägerin € 2.043,53 zu erstatten, und die Berufung der Klägerin gegen das auch insoweit zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

II

Die Revision der Beklagten ist begründet. Zu Unrecht hat das LSG die Beklagte verurteilt, an die Klägerin € 2.043,53 zu erstatten. Insoweit war das Berufungsurteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin auch hinsichtlich dieses Teils zurückzuweisen.

Streitgegenstand ist allein der Erstattungsanspruch der Klägerin wegen vom (Tag nach Zugang der sog nachgeschobenen Aufforderung der Klägerin an die Versicherte) bis (Ende der erstmaligen Bewilligung von KrG) gezahlten KrG in Höhe von € 2.043,53. Nicht streitig ist der Anspruch auf KrG für den vorhergehenden Zeitraum vom (Beginn der Rente in dem ursprünglichen Rentenbewilligungsbescheid) bis in Höhe von € 633,24, da das Berufungsurteil insoweit rechtskräftig geworden ist. Die Klägerin hat gegen das Urteil des LSG, das ihre Berufung gegen das klageabweisende erstinstanzliche Urteil hinsichtlich der Erstattung gezahlten KrG für diesen Zeitraum zurückgewiesen hat, keine (Anschluss-)Revision eingelegt. Ebenfalls nicht streitgegenständlich ist die Erstattung von KrG für den nachfolgenden Zeitraum vom bis zum (Zeitraum der Gewährung von KrG aufgrund des ), da die Klägerin einen solchen Anspruch nicht geltend gemacht hat.

1. Der Klägerin steht der og noch streitige Erstattungsanspruch gegen die Beklagte nicht zu. Der Erstattungsanspruch der Klägerin richtet sich nach § 103 SGB X. Im Rahmen eines derartigen Erstattungsverfahrens hat grundsätzlich jeder Träger die wirksamen Verwaltungsakte (Bescheide) des anderen Trägers gegen sich gelten zu lassen. Hiervon gilt wegen der Pflicht der Leistungsträger, bei der Erfüllung ihrer Aufgaben eng zusammenzuarbeiten (§ 86 SGB X), nur dann eine Ausnahme, wenn ein derartiger Verwaltungsakt sich als offensichtlich fehlerhaft erweist und sich dies zum Nachteil des anderen Leistungsträgers auswirkt (hierzu Senatsurteil vom , SozR 3-1300 § 86 Nr 3 S 5 f).

Bei der Prüfung der offensichtlichen Fehlerhaftigkeit eines Bescheides im Rahmen eines Erstattungsverfahrens kommt es lediglich auf bereits vorhandene tatsächliche Feststellungen an; diese sind unter Zugrundelegung objektiver Gesichtspunkte zu beurteilen. Weitere Ermittlungen sind nicht durchzuführen ( SozR 1300 § 103 Nr 3 S 12; USK 85142; SozR 3-1300 § 86 Nr 3 S 8 f und vom , SozR 4-2600 § 116 Nr 1 RdNr 18).

Die "offensichtliche Fehlerhaftigkeit" in diesem Sinne ist nicht gleichbedeutend mit der Nichtigkeit eines Bescheides (§ 40 SGB X), die einen "besonders schwerwiegenden Fehler" des Verwaltungsakts voraussetzt, der "bei verständiger Würdigung der in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist". Der nichtige Verwaltungsakt ist - im Gegensatz zu einem offensichtlich fehlerhaften im obigen Sinne - von vornherein unwirksam (§ 39 Abs 3 SGB X), während sich die Problematik der Bindung eines offensichtlich fehlerhaften Bescheides im Erstattungsverfahren nur dann stellt, wenn dieser wirksam war.

2. Wendet man die obigen Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, bedeutet dies, dass der Klägerin ein Erstattungsanspruch hinsichtlich des von ihr im Zeitraum zwischen dem und dem gezahlten KrG nur dann zusteht, wenn der Bescheid der Beklagten vom , mit dem dem Widerspruch der Versicherten gegen die Gewährung von Rente wegen EU abgeholfen worden ist, im obigen Sinne offensichtlich fehlerhaft war. Das war vorliegend nicht der Fall.

Zu Unrecht hat das LSG eine offenkundige Rechtswidrigkeit des Abhilfebescheids angenommen, weil die Klägerin mit Bescheid vom (Aufforderungsschreiben) der Versicherten untersagt habe, den Rentenantrag ohne ihre Zustimmung zurückzunehmen; hiermit sei die Dispositionsbefugnis der Versicherten wirksam eingeschränkt worden. Es hat unbeachtet gelassen, dass die Beklagte von dieser Einschränkung bei Erteilung des Bescheides vom keine Kenntnis hatte.

3. Den Erwägungen des LSG kann sich der Senat in weiten Teilen, nicht jedoch im Ergebnis anschließen. Der Bescheid der Beklagten vom war im obigen Sinne (s unter 1.) nicht offensichtlich fehlerhaft.

a) Gemäß § 50 Abs 1 Nr 1 SGB V in der damals maßgeblichen Fassung endet für Versicherte, die Rente wegen EU beziehen, ein Anspruch auf KrG vom Beginn dieser Leistung an. Unter "Beginn" in diesem Sinn ist der Zeitpunkt zu verstehen, von dem an die Leistung beansprucht werden kann; insoweit ist grundsätzlich nicht auf das Vorliegen der materiellen Anspruchsvoraussetzungen, sondern auf die Regelung durch einen Verwaltungsakt abzustellen (BSGE 76, 218 = SozR 3-2500 § 50 Nr 3 mwN). Zwar hat die Beklagte der Versicherten mit Bescheid vom Rente wegen EU rückwirkend ab bewilligt, dieser Verwaltungsakt hat jedoch anschließend wieder seine Wirksamkeit verloren (§ 39 Abs 2 SGB X). Mit Bescheid vom hat die Beklagte festgestellt, dass die Versicherte durch die Rücknahme des Rentenantrags aus diesem Antrag keine Rechtsansprüche mehr herleiten könne und ihrem Widerspruch in vollem Umfang abgeholfen werde. Im Erstattungsverfahren unerheblich wäre dieser Bescheid, wenn er offensichtlich rechtswidrig wäre. Das setzt voraus, dass die klagende KK die Dispositionsbefugnis der Versicherten wirksam eingeschränkt hätte und der Rentenversicherungsträger daran gebunden wäre (s hierzu auch das heutige Senatsurteil B 13 R 141/07 R). Hieran fehlt es jedoch im vorliegenden Fall.

b) Bei der Aufforderung der KK nach § 51 Abs 1 Satz 1 SGB V an den Versicherten, innerhalb von zehn Wochen einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Reha und zur Teilhabe am Arbeitsleben zu stellen, die zur Einschränkung der Dispositionsfreiheit führt ( BSGE 94, 26 = SozR 4-2500 § 51 Nr 1, RdNr 13 ff), handelt es sich um einen Verwaltungsakt (§ 31 SGB X; s bereits BSGE 52, 26, 31 = SozR 2200 § 1248 Nr 33; USK 81125, S 510; vgl auch BSGE 87, 31, 37 f = SozR 3-4100 § 134 Nr 22 zur entsprechenden Aufforderung des Arbeitsamts nach § 134 Abs 3c des Arbeitsförderungsgesetzes; wenn Dörr/Jährling-Rahnefeld, SGb 2003, 549, 552 f die Aufforderung nach § 51 Abs 1 Satz 1 SGB V nicht als Verwaltungsakt gelten lassen wollen, übersehen sie gerade die mit der Aufforderung einhergehende Einschränkung der Dispositionsfreiheit des Versicherten). Dann ist auch die hier vorliegende "nachträgliche Aufforderung" denknotwendigerweise ebenfalls ein Verwaltungsakt.

c) Bestand aber eine bescheidmäßig geregelte Einschränkung der Dispositionsbefugnis der Versicherten, ist diese auch im Erstattungsstreit grundsätzlich (s jedoch unten zu g) maßgebend, wenn dieser Bescheid nicht offensichtlich fehlerhaft war. Der Bescheid der Klägerin vom (Aufforderungsschreiben) kann jedoch jedenfalls nicht als offensichtlich fehlerhaft angesehen werden. Zwar bestand zuvor noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung dahingehend, dass die KKen auch eine derartige nachträgliche Aufforderung mit den genannten Rechtsfolgen aussprechen dürfen. Insoweit wird eine offensichtliche Fehlerhaftigkeit jedoch zumindest dadurch ausgeschlossen, dass das Bundessozialgericht (BSG) diese Berechtigung außerhalb der tragenden Gründe bejaht hat (Senatsurteil vom , BSGE 76, 218, 224 = SozR 3-2500 § 50 Nr 3; für eine solche Berechtigung zB auch Buschmann, SGb 1996, 279, 280; Noftz in Hauck/Noftz, SGB V, K § 51 RdNr 34, Stand: 2001).

d) Hieran hält der Senat fest: Die KK darf die Dispositionsbefugnis des Versicherten, der bereits einen Reha- oder Renten-Antrag gestellt hat, auch mit einer "nachträglichen (nachgeschobenen) Aufforderung" einschränken; diese hat dann insoweit dieselbe Rechtswirkung wie die Aufforderung nach § 51 Abs 1 Satz 1 SGB V, einen Reha-Antrag zu stellen. Bei einer solchen Aufforderung aber gilt nach ständiger Rechtsprechung, dass ein Versicherter, der aufgrund eines entsprechenden Verlangens einen Reha- oder Renten-Antrag gestellt hat, diesen nur noch mit Zustimmung der KK wirksam zurücknehmen oder beschränken kann (vgl BSGE 52, 26, 29 ff = SozR 2200 § 1248 Nr 33; USK 81125; BSGE 76, 218, 223 = SozR 3-2500 § 50 Nr 3). Denn nur so kann der gesetzgeberische Zweck des § 51 Abs 1 SGB V erfüllt werden, der sich aus der Gesetzgebungsgeschichte ableiten lässt (hierzu zB Erlenkämper, MedSach 1995, 101):

Vor Inkrafttreten des Rehabilitationsangleichungsgesetzes (RehaAnglG vom , BGBl I 1881) konnten die KKen nach § 183 Abs 7 der Reichsversicherungsordnung (RVO) den längerfristig arbeitsunfähigen Versicherten eine Frist zur Stellung eines Rentenantrags stellen (vgl insoweit auch heute noch § 51 Abs 1 Satz 2 SGB V für Versicherte mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland). Im Rahmen des RehaAnglG wurde dies durch die Pflicht zur Stellung eines Antrags auf Maßnahmen zur Reha ersetzt. Damit sollte jedoch nicht erreicht werden, dass bei erheblich geminderter Leistungsfähigkeit ausschließlich Reha zu betreiben sei. Vielmehr wurde gleichzeitig die Rentenantragsfiktion des § 1241d Abs 3 RVO eingeführt. Nach Einordnung des Kranken- und des Rentenversicherungsrechts in das SGB wird diese Rechtslage durch § 51 Abs 1 SGB V und § 116 Abs 2 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) fortgesetzt. Hieraus ist abzuleiten, dass die Rangfolge zwischen KrG einerseits und der Rente wegen Berufsunfähigkeit oder EU (bzw teilweiser oder voller Erwerbsminderung) andererseits, die in § 50 SGB V geregelt ist, nicht durch eine Einschränkung der Möglichkeit der KKen leerlaufen darf, einen Rentenantrag ihres Versicherten zumindest mittelbar zu veranlassen.

Hierzu aber gehört auch, dass, wie bereits nach der ständigen Rechtsprechung zu § 183 Abs 7 RVO, ein derart initiierter Rentenantrag vom Versicherten (ohne Zustimmung seiner KK) nicht zurückgenommen werden darf; eine derartige Möglichkeit würde die Einwirkungsmöglichkeiten der KKen im Rahmen des beschriebenen Verfahrens ad absurdum führen (ebenso auch BSGE 94, 26 = SozR 4-2500 § 51 Nr 1, RdNr 13 ff, dort auch in Auseinandersetzung mit teilweise abweichenden Meinungen der Kommentarliteratur).

Auf dieser Grundlage aber kann nichts anderes für eine sog nachträgliche Aufforderung gelten (nachdem der Versicherte bereits von sich aus einen Reha- oder Rentenantrag gestellt hatte). Die Dispositionsfreiheit der Versicherten wird auch dann eingeschränkt, wenn die Aufforderung bereits ergeht, bevor die KK KrG zahlt. Letzteres kann bereits dem Gesetzeswortlaut entnommen werden, der in § 51 Abs 1 SGB V den KrG-Bezug des Versicherten nicht als Voraussetzung nennt. Im Gegenteil erlaubt er die Aufforderung bereits dann, wenn die Erwerbsfähigkeit "erheblich gefährdet oder gemindert" ist; dann aber braucht noch nicht einmal Arbeitsunfähigkeit vorzuliegen.

Davon hat die KK vorliegend Gebrauch gemacht. Sie hat gezeigt, dass sie die Dispositionsbefugnis der Versicherten einschränken wollte. Sie hat der Versicherten nach der Stellung des Rentenantrags vom mit Schreiben vom mitgeteilt, dass nach ärztlichem Gutachten zu erwarten sei, dass bei ihr ohne Rehamaßnahmen eine dauernde EU nicht abgewendet werden könne und sie deshalb gebeten werde, den bereits gestellten Rehaantrag/Rentenantrag nicht zurückzunehmen; werde dieser Antrag ohne Zustimmung der Kasse zurückgenommen, entfalle nach den gesetzlichen Vorschriften der Anspruch auf KrG. Damit hat die KK der Versicherten zum Ausdruck gebracht, dass sie von ihrem Recht, Einfluss auf das Ende des KrG-Anspruchs zu nehmen, Gebrauch machen wollte.

e) Im Ergebnis zu Recht ist das LSG weiter davon ausgegangen, dass der Bescheid der Klägerin vom (Aufforderungsschreiben) auch nicht im obigen Sinne offensichtlich fehlerhaft ist, weil er keine Ermessensausübung erkennen lässt.

Denn zwar steht im Ermessen der KK, ob sie von ihrem Recht nach § 51 Abs 1 Satz 1 SGB V Gebrauch macht; dies geht bereits aus dem Wortlaut dieser Vorschrift ("kann") hervor. Dennoch ist ein derartiger Bescheid, der ohne Ausübung des Ermessens ergeht, nicht bereits deswegen offensichtlich fehlerhaft. Denn das Verbot, sich im Erstattungsverfahren auf offensichtlich fehlerhafte (eigene) Verwaltungsakte zu berufen, verpflichtet (lediglich) zur Prüfung, ob die berechtigten Belange des anderen Verwaltungsträgers angemessen berücksichtigt sind (s das grundlegende SozR 1300 § 103 Nr 3 S 11 f). Insoweit aber kann es nur auf die materielle Rechtslage ankommen. Verfahrensfehler, auf die sich zwar uU der Versicherte berufen könnte (zB mangelnde Anhörung, mangelnde Ermessensausübung), die jedoch die materielle Richtigkeit der Regelung des Verwaltungsakts (hier: Einschränkung der Dispositionsfreiheit) nicht als offensichtlich fehlerhaft erscheinen lassen, können den berechtigten Belangen des anderen Verwaltungsträgers nicht zuwiderlaufen. Dieser kann vom Gegner des Erstattungsverfahrens nur verlangen, dass jener der materiell-rechtlichen Abgrenzung der Leistungszuständigkeiten (hier: zwischen Kranken- und Rentenversicherung) Rechnung trägt, nicht jedoch, dass er gegenüber dem Versicherten die Regelungen des Verwaltungsverfahrensrechts einhält (in diesem Sinne bereits das Senatsurteil vom , BSGE 72, 281, 283 f = SozR 3-1300 § 103 Nr 4).

f) Im vorliegenden Fall kann offen bleiben, ob im Rahmen der Frage einer offensichtlichen Fehlerhaftigkeit des Bescheides der Klägerin vom (Aufforderungsschreiben) erheblich werden kann, ob berechtigte Interessen der Versicherten vorlagen, die die Klägerin verpflichtet hätten, von vornherein von der Erteilung dieses Bescheides und damit der Einschränkung der Dispositionsbefugnis abzusehen (zu den insoweit geltenden Maßstäben s Höfler in Kasseler Komm, § 51 SGB V RdNr 10, 10a, Stand: 2006, mwN).

Denn insoweit war der genannte Bescheid schon deshalb nicht offensichtlich fehlerhaft, weil im Zeitpunkt seiner Erteilung die weitere Entwicklung nicht vorhergesehen werden konnte.

g) Jedoch mangelt es vorliegend an der Voraussetzung, dass der Rentenversicherungsträger - hier: die Beklagte - vor Erteilung des Bescheides, mit dem er der Disposition des Versicherten entspricht, von der wirksamen Einschränkung der Dispositionsbefugnis durch die KK weiß. Denn nur dann kann er diesen Umstand bei der Bescheiderteilung gegenüber dem Versicherten berücksichtigen. Die entsprechende Benachrichtigung des Rentenversicherungsträgers durch die KK entspricht im Übrigen auch der Pflicht der engen Zusammenarbeit nach § 86 SGB X. Der anzustrebenden möglichst einfachen Abwicklung des Erstattungsverfahrens liefe zuwider, insoweit nicht auf die (positive) Kenntnis des Rentenversicherungsträgers abzustellen, sondern auf ein "Kennenmüssen" oder "-können". Dies würde nur auf eine unerquickliche Einzelfallprüfung hinauslaufen, die es insoweit nach Möglichkeit zu vermeiden gilt.

h) Damit aber war die Beklagte nicht an die Einschränkung der Dispositionsfreiheit der Versicherten durch die Klägerin gebunden (s zu der aus der Bindung folgenden notwendigen Beiladung des Rentenversicherungsträgers im Streit des Versicherten mit der KK um Zustimmung zu einer Rücknahme des nach § 116 Abs 2 SGB VI fingierten Rentenantrags: BSGE 94, 26 = SozR 4-2500 § 51 Nr 1, RdNr 10).

Auf dieser Grundlage ist der Erstattungsanspruch der Klägerin nicht begründet: Die offensichtliche Fehlerhaftigkeit des Abhilfebescheids vom scheitert bereits daran, dass die Beklagte von der Einschränkung der Dispositionsfreiheit der Klägerin keine Kenntnis hatte.

i) Damit kann offen bleiben, ob bei einem Erstattungsanspruch der vorliegenden Art zu prüfen ist, ob nicht (offensichtlich) ein Anspruch der Versicherten bestanden hätte, im weiteren Verfahren - nach Erteilung des Bescheides vom (Aufforderungsschreiben) - von der KK zu verlangen, ihre Zustimmung zur Rücknahme des Rentenantrags zu erteilen (s hierzu zB BSGE 52, 26, 31 = SozR 2200 § 1248 Nr 33; BSGE 94, 26 = SozR 4-2500 § 51 Nr 1, RdNr 15).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 4 des Sozialgerichtsgesetzes in der bis zum geltenden Fassung.

Fundstelle(n):
IAAAC-89426