Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: ZPO § 78 Abs. 1 a.F.; ZPO § 529 Abs. 1; ZPO § 531 Abs. 2 Nr. 3; ZPO § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2; ZPO § 544 Abs. 7
Instanzenzug: LG Meiningen, 1 O 1538/02 vom OLG Jena, 8 U 134/04 vom
Gründe
Die Klägerin verlangt von dem beklagten Rechtsanwalt aus abgetretenem Recht Schadensersatz wegen anwaltlicher Falschberatung.
Die Zedentin M. war der Auffassung, ihr stünden aus ebenfalls abgetretenem Recht Schadensersatzansprüche gegen die D. Bank AG in Höhe von 34,4 Mio. DM zu. Sie beauftragte Rechtsanwalt H. (im Folgenden: Erstanwalt), einen Teil der Schadensersatzansprüche gerichtlich geltend zu machen. Die vom Erstanwalt entworfene Teilklage über 100.000 DM leitete sie dem Beklagten mit der Bitte um Stellungnahme zu. Dieser riet von einer Klageeinreichung ab.
Der Erstanwalt erhob trotz dieser Bedenken Teilklage bei dem Landgericht Frankfurt am Main über 100.000 DM. Die D. Bank AG reagierte darauf widerklagend mit dem Antrag festzustellen, dass der Zedentin auch die weiteren Ansprüche über 34,3 Mio. DM nicht zustünden. Die Zedentin kündigte das Mandat des Erstanwalts und beauftragte den Beklagten, den Prozess weiter zu führen. Da dieser beim Prozessgericht nicht zugelassen war, beauftragte er für die Zedentin dort zugelassene Anwälte mit der Prozessführung.
Der Beklagte erklärte über die zugelassene Anwältin in der mündlichen Verhandlung des Vorprozesses namens und in Vollmacht der Zedentin deren Verzicht auf sämtliche Schadensersatzansprüche, soweit sie 3 Mio. DM überstiegen. Die D. Bank AG hielt ihren Widerklageantrag aufrecht. Das Landgericht wies die Klage ab und gab der Widerklage statt. Den Streitwert setzte es auf 34,4 Mio. DM fest. Der Beklagte verglich sich daraufhin für die Zedentin mit der D. Bank AG dahin, dass diese auf die Erstattung sämtlicher außergerichtlicher Kosten verzichtete und die Zedentin im Gegenzug keine Berufung einlegte.
Die Zedentin nahm ihren Erstanwalt auf Schadensersatz in Anspruch. Sie verlangte von ihm unter anderem Schadensersatz für drei Gerichtsgebühren nach einem Streitwert von 34,4 Mio. DM. Der Rechtsstreit endete durch Abschluss eines Vergleichs, in dem sich der Erstanwalt verpflichtete, 60.000 € zu zahlen.
Die Klägerin macht geltend, der Beklagte habe die Zedentin vor den negativen Folgen der Feststellungswiderklage bewahren sollen. Sie sei nur bei einer Begrenzung des Streitwerts auf 3 Mio. DM bereit gewesen, weiter zu prozessieren. Bei zutreffender Belehrung hätte sie den letztendlich geschlossenen Vergleich bereits nach Erhebung der Widerklage abgeschlossen oder sie hätte die Klage zurückgenommen oder zumindest die Widerklage in einer 3 Mio. DM übersteigenden Höhe anerkannt. Sie verlangt vom Beklagten Schadensersatz in Höhe von zwei Gerichtsgebühren nach einem Streitwert von 34,4 Mio. DM sowie Feststellung, dass er verpflichtet ist, die Kosten ihrer Frankfurter Prozessbevollmächtigten zu bezahlen.
Der Beklagte behauptet, die Zedentin habe den Vorschlag des Erstanwalts, sich mit der D. Bank AG zu einigen, als Verrat empfunden und den Rechtsstreit unbedingt, allerdings mit reduziertem Streitwert, weiterführen wollen. Das Kostenrisiko sei der Mandantin bekannt gewesen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr überwiegend stattgegeben.
II.
Die Revision ist, soweit der Klage stattgegeben worden ist, nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, weil das angegriffene Urteil den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. BGHZ 159, 135, 139 f). Aus demselben Grund ist das angefochtene Urteil in diesem Umfang nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
1. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das entscheidende Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (BVerfGE 83, 24, 35; BVerfG NJW 1995, 2095, 2096). Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das Vorbringen der Parteien zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Es ist dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Damit sich ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG feststellen lässt, müssen besondere Umstände deutlich gemacht werden, die zweifelsfrei darauf schließen lassen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (BGHZ 154, 288, 300 f). Derartige besondere Umstände liegen etwa vor, wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Vortrags einer Partei zu einer zentralen Frage des Verfahrens nicht in den Entscheidungsgründen eingeht (BVerfGE 86, 133, 145 f; BVerfG NJW 1995, 1884, 1885; 1999, 1387, 1388). So liegt es hier.
Das Berufungsgericht hat den Vortrag des Beklagten, die Zedentin der das Kostenrisiko bekannt gewesen sei, habe den Vorschlag des Erstanwalts, sich mit der D. Bank AG zu einigen, als Verrat empfunden und deshalb das Mandat gekündigt und sie sei entschlossen gewesen, den Prozess - mit reduziertem Streitwert - fortzusetzen, nicht berücksichtigt. Es geht auf dieses Vorbringen nicht ein, obwohl der angenommene Anscheinsbeweis für ein beratungsgerechtes Verhalten nicht gegeben wäre, wenn es zuträfe.
a) Es gilt der Anscheinsbeweis, dass der Mandant bei pflichtgemäßer Beratung des Anwalts dessen Hinweisen gefolgt wäre, sofern für ihn bei vernünftiger Betrachtungsweise aus damaliger Sicht nur eine Entscheidung nahe gelegen hätte (BGHZ 123, 311, 314 ff; , WM 2005, 1615, 1616; v. - IX ZR 49/02, WM 2005, 2110, 2111). Die Regeln des Anscheinsbeweises sind aber unanwendbar, wenn unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten unterschiedliche Schritte in Betracht kommen und der Anwalt dem Mandanten lediglich die erforderliche Information für eine sachgerechte Entscheidung zu geben hat (, WM 1999, 645, 646 [Steuerberater]; v. aaO S. 743; v. - IX ZR 256/03, NJW 2004, 2817, 2818). Der Anwalt kann den Anscheinsbeweis entkräften, indem er Tatsachen beweist, die für ein atypisches Verhalten des Mandanten sprechen (BGHZ 123, 311, 316; , WM 1996, 2071, 2072 [Notar]).
b) Der Anscheinsbeweis greift vorliegend bereits nach dem Klägervorbringen nicht ein. Die Klägerin hat zwei mögliche Verhaltensweisen der Zedentin behauptet: Abschluss des späteren Vergleichs mit der beklagten Bank bereits vor der mündlichen Verhandlung oder Rücknahme der Klage oder zumindest Anerkennung der Widerklage in einer 3 Mio. DM übersteigenden Höhe.
Das Zustandekommen eines Vergleichs hing von der Bereitschaft der D. Bank AG ab, einen solchen abzuschließen. Bei Rücknahme der Klage und Anerkenntnis der Widerklage könnte die Klägerin als Rechtsnachfolgerin der Zedentin nur einen Teil des von ihr verlangten Schadens ersetzt verlangen. Für welche Variante die Zedentin sich entschieden hätte, trägt die Klägerin nicht vor. Darüber hinaus fehlt für die vom Berufungsgericht angenommene Reaktion, Rücknahme der Klage und Anerkenntnis der Widerklage, jeder Vortrag, dass die Zedentin bereit war, die Widerklage anzuerkennen, also - wirtschaftlich betrachtet - auf sämtliche vermeintlichen Schadensersatzansprüche gegen die D. Bank AG zu verzichten. Die Klägerin hat nur behauptet, die Zedentin sei bereit gewesen, die Widerklage in einer 3 Mio. DM übersteigenden Höhe anzuerkennen. Ein vollständiger Verzicht lag auch keinesfalls nahe: Die D. Bank AG hatte vorgerichtlich Schadensersatz in Höhe von bis zu 300.000 DM angeboten, der der Zedentin zu niedrig gewesen war.
c) Der Beklagte hat überdies vom Berufungsgericht übergangene Tatsachen vorgetragen, die, wenn sie zuträfen, den Anscheinsbeweis ausschlössen. Er hat behauptet, die Zedentin habe den Vorschlag des Erstanwalts - Vergleich mit der beklagten Bank - als Verrat gewertet und sei nicht bereit gewesen, sich auf ihn einzulassen. Die Schadensersatzforderung habe in jedem Fall weiterverfolgt werden sollen. Falls das zuträfe, wäre nicht nahe liegend, dass die Zedentin dem gleich lautenden Rat des Beklagten gefolgt wäre, zumal sie auf ihn zuvor mit der Kündigung des Mandats reagiert hatte.
2. Das Berufungsgericht hat auch den der Klägerin entstandenen Schaden nicht rechtsfehlerfrei festgestellt. Die Klägerin kann verlangen, so gestellt zu werden, wie sie bei gehöriger Beratung durch den Beklagten stünde (§ 249 BGB).
Wenn ihr Vortrag zutrifft, hätte der Beklagte alle Maßnahmen ergreifen müssen, um die Prozesskosten zu reduzieren. Sowohl durch Abschluss eines Vergleichs als auch durch Rücknahme und Anerkenntnis hätte der Beklagte erreichen können, dass die Klägerin nur eine Gerichtsgebühr nach einem Streitwert von 34,4 Mio DM hätte tragen müssen.
a) Die Klägerin muss jedoch ihre bestrittene Behauptung, die D. Bank AG hätte sich bereits vor der mündlichen Verhandlung auf den letztlich geschlossenen Vergleich eingelassen, beweisen.
b) Im Fall von Rücknahme und Anerkenntnis hätte die Zedentin auch die insoweit anfallenden außergerichtlichen Kosten der D. Bank AG sowie diejenigen ihrer Frankfurter Prozessbevollmächtigten tragen müssen. Prozesshandlungen konnten nach § 78 Abs. 1 ZPO a.F. nur durch einen beim Prozessgericht zugelassenen Anwalt abgegeben werden (, WM 1987, 1266 [zum Verzicht]; Zöller/Vollkommer, ZPO 21. Aufl. § 78 Rn. 9 f; Stein/Jonas/Leipold, ZPO 20. Aufl. § 78 Rn. 13; Thomas/Putzo, ZPO 20. Aufl. § 78 Rn. 7). Ein Anerkenntnis im schriftlichen Vorverfahren wäre im Hinblick auf die Widerklage nicht möglich gewesen, weil insoweit kein schriftliches Vorverfahren mehr angeordnet werden konnte, nachdem bereits ein früher erster Termin bestimmt war.
c) Dass die Gebühren ihrer Frankfurter Prozessanwälte nicht angefallen wären, weil, wie die Nichtzulassungsbeschwerdeerwiderung ausführt, der Erstanwalt verpflichtet war, im Wege der Naturalrestitution Schadensersatz zu leisten und die notwendigen Prozesserklärungen abzugeben (vgl. , WM 1994, 1114, 1116), kann nach derzeitigem Sachstand nicht zugrunde gelegt werden. Denn diese Vorgehensweise setzte angesichts der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit voraus, dass der Erstanwalt überhaupt bereit war, Schadensersatz in Form der Naturalrestitution zu leisten. Dass dies trotz Kündigung des Mandats der Fall war, hat die Klägerin weder behauptet noch unter Beweis gestellt.
III.
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist statthaft (§ 544 Abs. 1 Satz 1 ZPO) und zulässig (§ 544 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ZPO). Sie hat jedoch keinen Erfolg. Die teilweise Abweisung der Klage durch das Berufungsgericht hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung insoweit eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).
1. Die von der Nichtzulassungsbeschwerde gerügten Verfahrensverstöße liegen nicht vor. Das Berufungsgericht hat das rechtliche Gehör der Klägerin nicht verletzt.
a) Die Klägerin hat den Vortrag des Beklagten, der Erstanwalt habe die 60.000 € ausschließlich auf den Gerichtskostenschaden geleistet, in erster Instanz nicht bestritten. Sie hat lediglich vorgetragen, der Erstanwalt habe im Rahmen des gegen ihn geführten Regressprozesses zunächst gemeint, für diesen Schaden nicht zu haften.
b) Das Berufungsgericht durfte den neuen Sachvortrag der Klägerin nach § 529 Abs. 1, § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO unberücksichtigt lassen. Das Landgericht musste die Klägerin nicht darauf hinweisen, dass sich der Beklagte zum Grund und zur Höhe verteidigt hatte; das war der Klageerwiderung zu entnehmen.
2. Die Erfüllung des Gerichtskostenschadens durch den Erstanwalt wirkt für den Beklagten (§ 422 Abs. 1 BGB); der Vergleich hat keine schuldumschaffende Wirkung. Die Feststellung des Berufungsgerichts, dass die beiden Anwälte gesamtschuldnerisch haften, greift die Nichtzulassungsbeschwerde nicht an. Überdies würde die Berücksichtigung unschlüssigen Verteidigungsvorbringens nicht das rechtliche Gehör der Klägerin verletzen.
IV.
Das Berufungsgericht wird Kausalität und Schaden aufzuklären haben.
Zurechnungsprobleme bestehen vorliegend nicht. Das Gericht des Vorprozesses hat, was die Zulässigkeit der Feststellungswiderklage betrifft, richtig entschieden. Auch eine bindende Verzichts- oder Beschränkungserklärung des Forderungsprätendenten lässt das Feststellungsinteresse nicht entfallen (, WM 2006, 1551, 1553 Rn. 24 ff).
Die Klägerin trifft kein Mitverschulden, weil sie keine Berufung eingelegt hat. Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass das Gericht des Vorprozesses die Klage zu Recht als unschlüssig abgewiesen hat. Der Beklagte ist nur der Ansicht, die Klage hätte nach entsprechenden Hinweisen des Gerichts (noch) schlüssig gemacht werden können. Es fehlt aber jeder Vortrag des insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten, welcher Hinweis hätte erteilt werden müssen und wie darauf reagiert worden wäre.
Fundstelle(n):
FAAAC-87898
1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein