Leitsatz
[1] Zur Haftung des Gynäkologen für den nach einer erfolglosen Tubensterilisation mittels Tubenligatur und streitiger Elektroagulation entstehenden Schaden.
Gesetze: BGB § 276 Fc; BGB § 823 Aa
Instanzenzug: LG München II, 1 MO 3224/03 vom OLG München, 1 U 2385/06 vom
Tatbestand
Die Kläger sind Eheleute. Sie begehren von den Beklagten Schadensersatz nach einer erfolglosen Sterilisation der am geborenen Klägerin zu 1. Diese war seit 1994 in gynäkologischer Behandlung bei dem Beklagten zu 2, der mit dem Beklagten zu 3 eine Gemeinschaftspraxis in P. betreibt.
Die dritte Schwangerschaft der Klägerin wurde, wie schon die beiden vorhergehenden, vom Beklagten zu 2 betreut. Die Entbindung sollte - wie bei den früheren Schwangerschaften - im Krankenhaus der ehemaligen Beklagten zu 1 durch Kaiserschnitt erfolgen. Beide Beklagte sind in diesem Krankenhaus als Belegärzte tätig. Gleichzeitig mit der Schnittentbindung am sollte der Beklagte zu 2 vereinbarungsgemäß die Klägerin zu 1 sterilisieren.
Die auf den datierte, von der Klägerin zu 1 unterzeichnete Einverständniserklärung lautet auszugsweise:
"Ich erkläre mich hierdurch an den an mir vorzunehmenden Eingriffen
Kaiserschnitt, Eileiterdurchtrennung
zum Zweck einer Untersuchung und Behandlung einverstanden.
Ich bin durch Herrn (Name des Beklagten zu 2) und/oder Herrn (Name des Beklagten zu 3) über alle Risiken und typischen Komplikationen, wie Verletzungen von Darm, Harnblase, Harnleiter und Blutgefäßen aufgeklärt worden. Ich habe hierzu keine weiteren Fragen und wünsche somit auch keine weiterführende Aufklärung.
Bei der Tubensterilisation ist die Versagerquote: 0,1 %."
Bei der Schnittentbindung am , die der Beklagte zu 2 unter Assistenz des Beklagten zu 3 durchführte, wurde die Klägerin von Zwillingen entbunden. Die Zwillingsschwangerschaft war zuvor nicht bekannt gewesen.
Vier Monate nach der Geburt der Zwillinge wurde die Klägerin zu 1 erneut schwanger. Am wurde sie wegen einer Schwangerschaftsvergiftung in die Frauenklinik R. eingewiesen. Dort wurde sie - wiederum mit Kaiserschnitt - von der Tochter M. mit einem Geburtsgewicht von 480 Gramm entbunden. Im Operationsbericht über die zugleich mit dieser Schnittentbindung durchgeführte Tubenteilresektion und Elektrokoagulation der Eileiter heißt es, dass die Tuben beidseits im Verlauf ohne Kaliberschwankungen und mit nicht resorbierbaren Ligaturen jeweils im uterusnahen und mittleren Anteil versehen gewesen seien. Die histologische Untersuchung der entfernten Tubenanteile ergab ein schmales offenes Lumen der von einem grünen Faden umschlungenen Tuben.
Die Kläger haben Ersatz für alle Kosten, die mit der Geburt der Tochter M. entstanden seien und noch entstünden, insbesondere aus Unterhaltsansprüchen des Kindes gegen die Eltern und Kosten für den Umbau des Elternhauses sowie ein Schmerzensgeld für die Klägerin zu 1 von mindestens 20.000 € verlangt. Die Klage hatte in den Tatsacheninstanzen keinen Erfolg. Mit ihrer vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr Begehren aus der Berufung weiter.
Gründe
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Zurückweisung der Berufung im Wesentlichen ausgeführt, den Beklagten falle kein zum Schadensersatz führender Behandlungs- oder Aufklärungsfehler zur Last. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe der Beklagte zu 2 am zumindest eine Tubenligatur vorgenommen; anders seien die bei der Operation vom an beiden Tuben vorgefundenen Fäden nicht zu erklären. Die Kläger hätten nicht bewiesen, dass die Tuben nicht oder fehlerhaft koaguliert worden seien. Zwar hätten keine Spuren einer Elektrokoagulation wie Kaliberschwankungen oder Vernarbungen festgestellt werden können. Aus den fehlenden Spuren könne jedoch nicht der sichere Schluss gezogen werden, dass keine ordnungsgemäße Koagulation stattgefunden habe. Unter den besonderen nachgeburtlichen Gegebenheiten könne es zu einer für den Arzt nicht erkennbaren sog. unvollständigen Koagulation kommen. Auch aus der erneuten Schwangerschaft vier Monate nach dem Eingriff könne nicht auf einen Behandlungsfehler rückgeschlossen werden. Die Tubensterilisation sei schicksalhaft mit einer geringfügigen Versagerquote belastet, die sich hier verwirklicht haben könne.
Dass der Beklagte zu 2 die Tubenligatur nicht mit einer Durchtrennung oder einer Teilresektion der Eileiter verbunden habe, sei nicht zu beanstanden. Es sei vertretbar, wenn er wegen starker Blutungen bei der Schnittentbindung unterlassen habe, die stark venös gestauten und verdickten Tuben zu durchschneiden, und stattdessen die Elektrokoagulation gewählt habe.
Die Beklagten hafteten auch nicht aus einer unzureichenden therapeutischen oder einer ungenügenden Einwilligungsaufklärung. Eine Aufklärung der Patientin über die möglichen Sterilisationsmethoden sei grundsätzlich nicht erforderlich. Ohnehin könne mitunter erst intraoperativ die anzuwendende Sterilisationsmethode gewählt werden. Der Beklagte zu 2 habe glaubwürdig dargetan, dass er die Klägerin zu 1 am Vortag der Operation über die Versagerquote von 0,1 % sowie darüber aufgeklärt habe, dass bei einer postpartalen Sterilisation das Versagerrisiko größer sei als bei einer Sterilisation im Intervall. Letztlich könne offen bleiben, ob die Klägerin zu 1 rechtzeitig und ausreichend aufgeklärt worden sei, denn sie habe keinen Entscheidungskonflikt plausibel machen können. Insbesondere sei die Einlassung der Klägerin zu 1, bei Kenntnis der erhöhten Versagerquote hätte sie drei Monate lang verhütet und dann den Erfolg der Sterilisation endoskopisch überprüfen lassen, wenig plausibel, weil sie in Kenntnis des üblichen Versagerrisikos nicht verhütet habe.
II.
Das angefochtene Urteil hält den Angriffen der Revision nicht stand.
1. Allerdings ist die uneingeschränkt zugelassene und eingelegte Revision mangels jeglicher Begründung nicht zulässig, soweit sie sich gegen die Abweisung des Anspruchs auf Herausgabe der Krankenakten wendet (§§ 552 Abs. 1, 551 Abs. 3 Satz 1 Ziff. 2 ZPO; vgl. Senat, BGHZ 85, 327 ff.; OLG München NJW 2001, 2806, 2807). Im Übrigen ist die Revision jedoch zulässig und begründet, auch zum Feststellungsantrag, der auf denselben Grundlagen basiert wie der Leistungsantrag.
2. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats sind die mit der Geburt eines nicht gewollten Kindes für die Eltern verbundenen wirtschaftlichen Belastungen, insbesondere die Aufwendungen für dessen Unterhalt, als ersatzpflichtiger Schaden auszugleichen, wenn der Schutz vor solchen Belastungen Gegenstand des Behandlungs- oder Beratungsvertrages war. Diese - am Vertragszweck ausgerichtete - Haftung des Arztes hat der Senat insbesondere bejaht für Fälle fehlgeschlagener Sterilisation aus Gründen der Familienplanung (vgl. Senat, BGHZ 76, 249, 255; 76, 259, 262; Urteile vom - VI ZR 175/78 - VersR 1981, 278; vom - VI ZR 202/79 - VersR 1981, 730; vom - VI ZR 76/83 - VersR 1984, 864; vom - VI ZR 32/94 - VersR 1995, 1099, 1101), bei fehlerhafter Behandlung mit einem empfängnisverhütenden Mittel (vgl. Senat, Urteil vom - VI ZR 48/06 - VersR 2007, 109), bei fehlerhafter Beratung über die Sicherheit der empfängnisverhütenden Wirkungen eines vom Arzt verordneten Hormonpräparats (vgl. Senat, Urteil vom - VI ZR 133/92 - VersR 1997, 1422 f.) sowie für Fälle fehlerhafter genetischer Beratung vor Zeugung eines genetisch behinderten Kindes (vgl. Senat, BGHZ 124, 128 ff.). Diese Rechtsprechung des Senats hat das als verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet (BVerfGE 96, 375 ff.).
Der Senat hat ferner ausgesprochen, dass die Herbeiführung einer ungewollten Schwangerschaft selbst dann, wenn diese ohne pathologische Begleiterscheinungen verläuft, einen Schmerzensgeldanspruch der Frau auslösen kann (vgl. Senat, Urteil vom - VI ZR 247/78 - VersR 1980, 558, insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 76, 259 ff.).
Demnach kommt es zweifelsfrei in Frage, dass der Beklagte zu 2, soweit ihm ein Fehler zur Last fällt, der Klägerin zu 1 ein Schmerzensgeld schuldet. Bei Vorliegen der Voraussetzungen hierzu kann ihn - bei Einbeziehung des Klägers zu 2 in den Schutzbereich des Behandlungsvertrags (vgl. Senat, BGHZ 143, 389, 393; Urteile vom - VI ZR 133/96 - VersR 1997, 1422 f.; vom - VI ZR 190/01 - VersR 2002, 767) - auch eine vertragliche Schadensersatzpflicht gegenüber den klagenden Eltern wegen der diesen erwachsenen und künftig erwachsenden Unterhaltsbelastungen treffen.
Auch an der Haftung des Beklagten zu 3, der zusammen mit dem Beklagten zu 2 eine gynäkologische Gemeinschaftspraxis betrieben hat, bestehen aus Rechtsgründen jedenfalls auf Grund der bisherigen Feststellungen keine grundsätzlichen Bedenken (vgl. Senat, BGHZ 165, 36, 39; BGH, BGHZ 154, 88, 93 f.; OLG Koblenz VersR 2005, 655).
3. Das Berufungsgericht hat indessen den Klageanspruch aus tatsächlichen Gründen abgewiesen. Unter Bezugnahme auf das Gutachten der Sachverständigen konnte es sich nicht davon überzeugen, dass die Erfolglosigkeit des Sterilisationseingriffs auf einem Fehler bei dessen Durchführung beruhe. Das hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
Eine Haftung der Beklagten für den durch die Geburt der Tochter M. verursachten Schaden der Kläger setzt voraus, dass der Beklagte zu 2 entweder vorwerfbar von einer vertraglich vereinbarten Behandlung abgewichen ist oder fehlerhaft eine nicht dem medizinischen Standard des Jahres 2001 entsprechende Sterilisationsmethode gewählt oder die vereinbarte bzw. standardgemäße Methode schuldhaft fehlerhaft ausgeführt und dadurch die weitere Schwangerschaft (mit-)verursacht hat.
Das Berufungsgericht ist - sachverständig beraten - davon ausgegangen, dass der Beklagte jedenfalls eine Tubenligatur durchgeführt habe, meint aber, die Kläger hätten nicht bewiesen, dass der Beklagte zu 2 die Elektrokoagulation der Eileiter nicht oder nur fehlerhaft durchgeführt habe. Es bestünden zwar erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass keine ordnungsgemäße Koagulation stattgefunden habe, weil makroskopisch in der Nachoperation und histologisch weder eine Kaliberschwankung noch einschlägige Vernarbungen der Tuben hätten festgestellt werden können. Auch habe die Sachverständige E. erläutert, es sei nicht sehr wahrscheinlich, dass eine ordnungsgemäß durchgeführte Koagulation keinerlei Spuren hinterlasse. Andererseits habe sie darauf hingewiesen, dass aus den fehlenden Spuren wegen der besonderen nachgeburtlichen Gegebenheiten (venöse Stauung und Ödeme an den Tuben sowie extrem gute Durchblutung des kleinen Beckens) nicht der sichere Schluss auf eine nicht ordnungsgemäße Koagulation gezogen werden könne.
Diese Erwägungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand, weil die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht verfahrensfehlerfrei zustande gekommen sind und insbesondere das Sachverständigengutachten keine ausreichende Grundlage bildet. Auf den Streit der Parteien, ob im konkreten Fall vertraglich eine Sterilisation mittels Teilresektion der Eileiter vereinbart war, von welcher der Beklagte zu 2 trotz intraoperativ aufgetretener Komplikationen nicht habe abweichen dürfen, kommt es deshalb aus revisionsrechtlicher Sicht nicht an.
a) Vom Standpunkt des Berufungsgerichts aus, dass der Beklagte zu 2 eine Tubenligatur mit Elektrokoagulation habe durchführen dürfen, geht es um die Frage, ob letztere ausgeführt worden ist. Hierzu meint das Berufungsgericht, dass die Kläger einen Behandlungsfehler beweisen müssten. Insoweit bestünden zwar erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte zu 2 die Elektrokoagulation nicht kunstgerecht durchgeführt habe, ohne dass jedoch der sichere Schluss gezogen werden könne, dass keine ordnungsgemäße Koagulation stattgefunden habe. Soweit es sich hierfür auf die Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen stützt, rügt die Revision, dass diese inhaltlich das von den Klägern vorgelegte Privatgutachten bestätigt habe und das Berufungsgericht ohnehin dieses Privatgutachten hätte berücksichtigen müssen. Damit hat sie Erfolg.
Die Sachverständige hat ausgeführt, sie halte eine Sterilisation durch Ligatur ohne Durchtrennung der Eileiter jedoch mit Elektrokoagulation trotz der postpartal guten Durchblutung des Eingriffsgebiets und des dadurch bedingten höheren Versagerrisikos an sich für kunstgerecht. Indes könne sie aus dem Fehlen von sichtbaren Spuren an den Eileitern nur schließen, dass die Elektrokoagulation lediglich oberflächlich oder überhaupt nicht durchgeführt worden sei. Sie halte es für nicht sehr wahrscheinlich, dass man gar nichts von der Koagulation sehe. Auf der anderen Seite aber könne aus fehlenden Spuren wegen der postpartal extrem guten Durchblutung des kleinen Beckens nicht der sichere Schluss gezogen werden, dass keine ordnungsgemäße Koagulation stattgefunden habe. Diese Ansicht stimmt bei der gebotenen kritischen Würdigung von Gutachten medizinischer Sachverständiger, welche eine gelegentlich auch kollegenschützende Haltung medizinischer Sachverständiger berücksichtigen muss (vgl. Senat, BGHZ 172, 254, 259 f.; Urteile vom - VI ZR 162/76 - VersR 1978, 41, 42 f.; vom - VI ZR 60/92 - VersR 1993, 835, 836; vom - VI ZR 408/99 - VersR 2001, 783), weitgehend mit den Ausführungen des Privatsachverständigen überein. Nach diesem führt eine exakt vorgenommene Elektrokoagulation immer zu sichtbaren makroskopischen und histologischen Veränderungen der Eileiter, die hier unstreitig nicht vorhanden waren. Der Eingriff sei wegen der ödematösen Veränderungen an den Eileitern erschwert, das Legen von Ligaturen allein sei nicht erfolgversprechend gewesen und habe zwangsläufig zum Versagen des Eingriffs führen müssen, wenn nicht die Durchtrennung oder Entfernung von Eileitergewebe noch hinzugekommen sei.
Das Berufungsgericht hätte bei seiner Würdigung der Gutachten auch berücksichtigen müssen, dass es nicht um einen medizinisch-naturwissenschaftlichen Nachweis und nicht um eine mathematische, jede Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs ausschließende, von niemandem anzweifelbare Gewissheit ("mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit") gehen kann (vgl. Senat, BGHZ 159, 254, 255 f.; Urteil vom - VI ZR 247/07 - z.V.b.; - VersR 2007, 1429). Ausreichend ist vielmehr ein Grad von Gewissheit, der Zweifeln eines besonnenen, gewissenhaften und lebenserfahrenen Beurteilers Schweigen gebietet; Zweifel, die sich auf lediglich theoretische Möglichkeiten gründen, für die tatsächliche Anhaltspunkte nicht bestehen, sind hierbei nicht von Bedeutung (vgl. Senat, BGHZ 159, 254, 257; Urteile vom - VI ZR 268/88 - VersR 1989, 758, 759; vom - VI ZR 375/98 - VersR 2000, 503, 505; BGH, BGHZ 53, 245, 256 - Anastasia; Wachsmuth/Schreiber, NJW 1982, 2094, 2098; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 5. Aufl., Rn. E 5).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hätte der Schluss nahegelegen, dass eine Elektrokoagulation unterblieben und der Eingriff infolgedessen vorwerfbar unvollständig ausgeführt war.
b) Im Übrigen hat das Berufungsgericht selbst dann, wenn es die gerichtliche Sachverständige anders hätte verstehen können, gegen seine Pflicht verstoßen, das von den Klägern vorgelegte Privatgutachten zu berücksichtigen. Es hätte ihr nämlich dann dessen entgegenstehende und von Sachkenntnis getragene Ansicht vorhalten müssen, wonach bei ödematösen Veränderungen an den Eileitern, wie sie der Beklagte zu 2 für den Eingriffszeitpunkt selbst behauptet, eine Sterilisation nicht erfolgversprechend mit dem Legen einer Ligatur erreicht werden könne, das alleinige Legen von Ligaturen zwangsläufig zum Versagen führe und eine exakt vorgenommene Elektrokoagulation, die immer zu hier nicht festgestellten makroskopischen und histologischen Veränderungen der Eileiter führe, dann nicht genüge; vielmehr müsse die Durchtrennung der Tuben oder zusätzlich die Entfernung von Tubengewebe erfolgen, um den Eingriff erfolgversprechend und den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechend zu gestalten.
Das Unterlassen dieses Vorhalts verstößt gegen § 286 Abs. 1 ZPO. Gutachten von Sachverständigen unterliegen zwar der freien Beweiswürdigung durch das Gericht (§ 286 Abs. 1 ZPO). Der erkennende Senat hat jedoch wiederholt ausgesprochen, dass der Tatrichter allen Unklarheiten, Zweifeln oder Widersprüchen von Amts wegen nachzugehen hat; insbesondere hat er Einwendungen einer Partei gegen das Gutachten eines gerichtlichen Sachverständigen zu berücksichtigen und die Pflicht, sich mit von der Partei vorgelegten Privatgutachten auseinander zu setzen und auf die weitere Aufklärung des Sachverhalts hinzuwirken, wenn sich ein Widerspruch zum Gerichtsgutachten ergibt (vgl. Senat, Urteile vom - VI ZR 67/93 - VersR 1994, 480, 482; vom - VI ZR 70/95 - VersR 1996, 647, 648; vom - VI ZR 10/00 - VersR 2001, 525, 526; vom - VI ZR 272/99 - VersR 2001, 722, 723; vom - VI ZR 428/02 - VersR 2004, 790, 791). Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht nicht beachtet.
Die Anwesenheit des Privatsachverständigen in der mündlichen Verhandlung enthob das Berufungsgericht nicht seiner hiernach bestehenden Pflicht zur Aufklärung von Widersprüchen. Solange der Privatsachverständige nicht zum gerichtlichen Sachverständigen bestellt war, war er lediglich zur Unterstützung der Partei anwesend und hatte keine Mitwirkungsrechte (vgl. §§ 402, 397 Abs. 2 ZPO).
Wenn das Privatgutachten tatsächliche Behauptungen zur Begründung des Klageantrags und damit neuen Sachvortrag enthalten sollte, wären die Kläger mit diesem nicht deshalb ausgeschlossen, weil sie ihn erstmals in der Berufung gehalten haben. Die Kläger traf an der objektiven Verspätung des Privatgutachtens selbst dann kein Verschulden, wenn sie den Auftrag zur Erstellung eines Gutachtens erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz erteilt haben sollten. Die Partei ist im Arzthaftungsprozess berechtigt, ihre Einwendungen gegen ein gerichtliches Sachverständigengutachten zunächst ohne Hilfe eines privaten Sachverständigen vorzubringen. Es kann nicht als Nachlässigkeit angesehen werden, wenn sie erst im zweiten Rechtszug ihren Angriff mit Hilfe eines Privatsachverständigen konkretisiert (vgl. Senat, BGHZ 159, 245, 253; - VersR 2004, 83, 84).
4. Nach allem ist das angefochtene Urteil im Umfang der zulässigen Anfechtung aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der erkennende Senat vermag derzeit nicht zu beurteilen, ob die Entscheidung wenigstens im Ergebnis Bestand haben wird, so dass es der Zurückverweisung an das Berufungsgericht bedarf (§ 563 Abs. 1 ZPO). Bei seiner erneuten Entscheidung wird das Berufungsgericht auch die weiteren Rügen der Revision zu beachten haben.
a) Soweit die Revision die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Sicherungsaufklärung beanstandet, macht sie einen (weiteren) Behandlungsfehler (vgl. Senat, Urteile vom - VI ZR 175/78 - VersR 1981, 278 ff.; vom - VI ZR 202/79 - VersR 1981, 730 ff.; vom - VI ZR 68/99 - n.v.) geltend. Hiernach ist davon auszugehen, dass wegen der auch nach fehlerfreier Ausführung bei jeder der möglichen Sterilisationsmethoden gegebenen - unterschiedlich großen und je nach dem Zeitpunkt der Sterilisation (postpartal oder im Intervall) unterschiedlichen - Versagerquoten ein deutlicher Hinweis auf diese Versagermöglichkeiten geboten ist (sog. therapeutische Aufklärung oder Sicherungsaufklärung).
Der Beklagte zu 2 hatte darüber hinaus die Klägerin zu 1 postoperativ (vgl. Senat, BGHZ 163, 209, 217 f.) auf eine Abweichung von der ursprünglich geplanten Vorgehensweise bei der Sterilisation hinzuweisen und sie von einer hierdurch möglicherweise erfolgten Erhöhung des Versagerrisikos umfassend in Kenntnis zu setzen. Dass er dieser Pflicht nachgekommen wäre, behauptet er selbst nicht.
Ein (auf die Fälle der Selbstbestimmungsaufklärung beschränkter) Entscheidungskonflikt ist für eine Haftung wegen des in der Verletzung einer solchen (präoperativen oder postoperativen) Sicherungsaufklärung liegenden Behandlungsfehlers nicht erforderlich.
b) Zur Kausalität dieses Fehlers für den durch die Geburt des Kindes vermittelten Schaden wird das Berufungsgericht nicht ohne weitere Feststellungen davon ausgehen können, dass die Kläger, die ein erhöhtes statistisches Versagerrisiko nach der ordnungsgemäß durchgeführten zweiten Sterilisation mittels Teilresektion der Eileiter in Kauf genommen haben, dies in gleicher Weise in Kenntnis des erhöhten Versagerrisikos bei einer postpartalen Sterilisation mittels Tubenligatur und Elektrokoagulation ohne Durchtrennung der Eileiter getan und auch nach der hier gebotenen nachträglichen Information der Klägerin zu 1 über ein erhöhtes Versagerrisiko ebenfalls nicht verhütet hätten (vgl. Senat, Urteile vom - VI ZR 175/78 - aaO, 279; vom - VI ZR 202/79 - aaO, 731 f.; vom - VI ZR 157/89 - VersR 1989, 700, 701).
Fundstelle(n):
NJW 2008 S. 2846 Nr. 39
AAAAC-87262
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja