Verletzung der Sachaufklärungspflicht; kein Anspruch des Steuerpflichtigen auf die Anwendung einer bestimmten Schätzungsmethode; Fehlen der Entscheidungsgründe
Gesetze: FGO § 76, FGO § 96, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, FGO § 119 Nr. 6
Instanzenzug:
Gründe
Die Beschwerde, mit der die Zulassung der Revision insoweit begehrt wird, als das Finanzgericht (FG) die Klage abgewiesen hat, hat keinen Erfolg. Der vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) liegt nicht vor.
1. Das FG hat die ihm obliegende Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und die dafür erforderlichen Beweise zu erheben (§ 76 Abs. 1 FGO), nicht dadurch verletzt, dass es Beweisanträge des Klägers übergangen hat. Ordnungsgemäß gestellte Beweisanträge darf das FG unberücksichtigt lassen, wenn es die Beweistatsachen als wahr unterstellt. Dies hat das FG getan.
Der Kläger zielte mit den als wahr unterstellten Beweisanträgen darauf ab, die vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) erstellte Nachkalkulation seiner Umsätze und Einnahmen durch abweichende Ansätze einzelner Größen der Kalkulation zu widerlegen. Das betrifft z.B. das Teiggewicht der hergestellten Rollos, den bei der Herstellung zu verzeichnenden Mehlverlust und die Unmöglichkeit, die vom FA angesetzten Stückzahlen überhaupt zu erzielen. Aus den durch die beantragte Vernehmung von Zeugen bzw. Einholung von Gutachten zu ermittelnden Tatsachen hätte das FG nach Ansicht des Klägers schließen müssen, dass er die Betriebseinnahmen zutreffend erklärt habe. Weil das FG zwar die Schätzung des FA verworfen, jedoch eine eigene vorgenommen hat und dabei von den vom Kläger erklärten Einnahmen abgewichen ist, folgert er, das FG habe die Beweistatsachen lediglich verbal, nicht jedoch tatsächlich als wahr unterstellt. Mit dieser Auffassung verkennt der Kläger die Bedeutung der als wahr unterstellten Beweistatsachen für den konkreten Streitfall. Sie stellen lediglich einzelne „Bausteine” seiner Kalkulation und der Gewinnermittlung dar. Deren Vorliegen führt nicht zwingend zu dem vom Kläger als richtig angesehenen Gewinn, weil dieser von zusätzlichen Faktoren abhängig ist. Infolgedessen war es dem FG —entgegen der Ansicht des Klägers— trotz der Wahrunterstellung möglich, zu einem anderen als dem vom Kläger für richtig gehaltenen Betriebsergebnis zu gelangen (vgl. , BFH/NV 1996, 383), ohne dass darin eine unzulässige Beweisantizipation liegt oder dem FG in seiner Argumentation ein logischer Fehler unterlaufen sein muss.
2. Soweit der Kläger rügt, das FG habe anstelle einer Schätzung durch Nachkalkulation eine Schätzung anhand der amtlichen Richtsatzsammlung vorgenommen, lässt er außer Acht, dass es Sache der Tatsacheninstanz ist, welcher Schätzungsmethode sie sich bedienen will, wenn diese geeignet ist, ein vernünftiges und der Wirklichkeit entsprechendes Ergebnis zu erzielen (vgl. z.B. , BFH/NV 1989, 416; vom I R 89/85, BFHE 157, 408, BStBl II 1989, 854 f.; vom I R 50/94, BFHE 176, 523, BStBl II 1995, 549; Senatsbeschluss vom X B 162/03, BFH/NV 2005, 224). Der Steuerpflichtige selbst hat keinen Anspruch auf die Anwendung einer bestimmten Schätzungsmethode (Senatsbeschluss vom X B 158/04, BFH/NV 2005, 1014). Die Einwände des Klägers gegen die vom FG vorgenommene Schätzung, dass sie rechtsfehlerhaft sei und zu keinem sachgerechten Ergebnis geführt habe, erweisen sich ihrem objektiven Inhalt nach als Kritik an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils und sind deshalb dem materiellen Recht zuzuordnen. Die Rüge eines Verfahrensfehlers kann darauf nicht gestützt werden (vgl. Senatsbeschluss vom X B 199/01, BFH/NV 2002, 1332).
3. Die Rüge des Klägers, das angefochtene Urteil stelle eine Überraschungsentscheidung dar und verletze daher seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO), weil das FG ohne Ankündigung eine eigene Richtsatzschätzung an die Stelle der Schätzung des FA gesetzt habe, rechtfertigt nicht die Annahme eines Verfahrensfehlers i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO. Kann das FG die Besteuerungsgrundlagen nicht selbst ermitteln, so ist es gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO zur eigenen Schätzung berechtigt und verpflichtet, ohne dies vorher ankündigen zu müssen (vgl. , BFH/NV 2005, 1586).
4. Ebenso wenig rechtfertigt der Umstand, dass das FG die Kassenaufzeichnungen des Nachfolgebetriebs ausgewertet hat, die Annahme einer Überraschungsentscheidung.
Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen musste (, BVerfGE 84, 188; Senatsbeschlüsse vom X B 175/01, BFH/NV 2002, 944, und vom X B 56/01, BFH/NV 2002, 947). Im Streitfall war es der rechtskundig vertretene Kläger selbst, der mehrfach das Verlangen geäußert hatte, die Erkenntnisse heranzuziehen, die durch eine Betriebsprüfung bei seinen Nachfolgern gewonnen wurden, die getrennt die beiden Betriebe pachtweise fortgeführt haben. Zu diesem Zweck befreiten die Nachfolger auf Initiative des Klägers das für sie zuständige Finanzamt vom Steuergeheimnis. Es kann dann keine Überraschung darstellen, wenn das FG diesem Verlangen nachkommt und gewonnene Erkenntnisse aus diesen Betriebsprüfungen verwertet, ohne dass es vorher die Beteiligten im Einzelnen darauf hinweisen müsste. Wenn das FG nach Ansicht des Klägers die Erkenntnisse nur selektiv verwertet, so liegt darin kein Verfahrensfehler, sondern allenfalls ein materiell-rechtlicher Fehler, der jedoch die Zulassung der Revision nicht rechtfertigt.
5. Schließlich greift auch die Rüge des Klägers nicht durch, das angefochtene Urteil sei i.S. des § 119 Nr. 6 FGO insoweit nicht mit Entscheidungsgründen versehen, als das FG eine leichtfertige Steuerverkürzung bejaht und deshalb die Festsetzungsfrist auf fünf Jahre ausgedehnt habe.
Der behauptete Verfahrensmangel liegt vor allem dann vor, wenn überhaupt jede Begründung der Entscheidung fehlt. Dem völligen Fehlen der Entscheidungsgründe steht es gleich, wenn diese zwar vorhanden, aber derart unverständlich und verworren sind, dass nicht mehr erkennbar ist, welche Überlegungen für die (Sach-)Entscheidung maßgebend waren. Hingegen stellt grundsätzlich eine bloß lückenhafte Begründung keinen Mangel in diesem Sinne dar (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 119 Rz 23, m.w.N. aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung). Allerdings kann § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO aber auch dann verletzt sein, wenn die Entscheidungsgründe nur zum Teil fehlen. Dies setzt indes grobe Begründungsmängel in einem Ausmaß voraus, dass die vom FG fixierten Entscheidungsgründe zum Nachweis der Rechtmäßigkeit des Urteilsspruchs schlechterdings ungeeignet erscheinen und den Beteiligten keine (hinlängliche) Kenntnis darüber vermitteln, auf welchen Feststellungen, Erkenntnissen und rechtlichen Erwägungen das Urteil beruht (vgl. dazu z.B. die Nachweise aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei Gräber/ Ruban, a.a.O., § 119 Rz 24). Davon kann nicht gesprochen werden, wenn lediglich das Fehlen von Begründungserwägungen zu einzelnen Tatbestandsmerkmalen —hier zum Schuldvorwurf der Leichtfertigkeit der Steuerverkürzung— einer Rechtsnorm geltend gemacht wird (vgl. BFH-Beschlüsse vom I R 136/76, BFHE 121, 298, BStBl II 1977, 351; vom IV R 12/97, BFH/NV 1998, 606; vom X B 105/02, BFH/NV 2003, 1193).
Fundstelle(n):
SAAAC-86754