BGH Beschluss v. - V ZR 222/07

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: ZPO § 543 Abs. 2 Satz 1; ZPO § 544 Abs. 7

Instanzenzug: LG Berlin, 11 O 405/03 vom KG Berlin, 11 U 10/04 vom

Gründe

I.

Am schlossen die Kläger und die V. gesellschaft mbH & Co. KG einen notariellen Kaufvertrag mit Bauverpflichtung über ein Townhouse auf dem Gelände einer ehemaligen Brauerei in B. . Die Verkäuferin wollte das Gelände durch den Bau von Eigentumswohnungen, Lofts, Gewerbeflächen, Reihenhäusern, Tiefgaragen und Grünflächen in das sog. V. -Quartier umgestalten.

Vor jeglicher grundbuchlichen Absicherung der Kläger, die das Townhouse seit Mitte 2002 bewohnen, wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Verkäuferin eröffnet. Der Insolvenzverwalter lehnte die Erfüllung des Kaufvertrages ab. Er verkaufte den gesamten Komplex im Mai 2002 an die Beklagte. In Ziffer II § 6 des zwischen ihm und der Beklagten geschlossenen notariellen Kaufvertrages heißt es:

"Wohnungseigentumsverkäufe

Der Insolvenzverwalter hat gegenüber sämtlichen Käufern von Wohneigentum die Nichterfüllung...gewählt. Rückgaben sind größtenteils noch nicht erfolgt... Ein Teil dieser Käufer wird den Wunsch äußern, mit dem Erwerber Verhandlungen mit dem Ziel eines neuen Vertragsabschlusses zu führen. In solchen Fällen ist der Erwerber verpflichtet, Kaufpreise nicht höher festzulegen als 80 % des ursprünglich beurkundeten Kaufpreises. Im Übrigen ist der Käufer in der Kaufvertragsgestaltung im Rahmen des billigen Ermessens frei. Insbesondere kann er Vereinbarungen zur Änderung der dem jeweiligen Kaufvertrag zugrunde liegenden Teilungserklärung sowie zur Einschränkung der Gewährleistung treffen... Vorstehende Verpflichtungen des Erwerbers sind echter Vertrag zugunsten Dritter, also jeweils zugunsten des einzelnen Käufers."

Die Kläger verlangen von der Beklagten den Abschluss eines notariellen Kaufvertrages über das ursprünglich erworbene Townhouse zu 80 % des damals vereinbarten Kaufpreises. Die Beklagte verlangt im Wege der Widerklage die Herausgabe des Townhouses und Zahlung einer Nutzungsentschädigung. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Das Kammergericht hat umgekehrt entschieden und die Revision nicht zugelassen. Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde möchten die Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen.

II.

1. Das angefochtene Urteil ist nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben, da das Berufungsgericht den Anspruch der Beschwerdeführer auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.

a) Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfG NJW 2003, 1655). Das ist unter anderem der Fall, wenn ein Gericht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs missachtet, wonach die Ablehnung eines Beweises für eine erhebliche Tatsache nur zulässig ist, wenn diese so ungenau bezeichnet ist, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann oder wenn sie ins Blaue hinein aufgestellt worden ist (vgl. BVerfG ZIP 1996, 1761, 1762). Da die Handhabung der Substantiierungsanforderungen durch das Gericht dieselben einschneidenden Folgen hat wie die Anwendung von Präklusionsvorschriften, verletzt sie Art. 103 Abs. 1 GG bereits dann, wenn sie - wie hier - offenkundig unrichtig ist (vgl. BVerfG NJW 2001, 1565).

b) Das Berufungsgericht hätte den von den Klägern angebotenen Beweis zu den Gesprächen erheben müssen, die vor dem Verkauf des V. Quartiers zwischen dem Insolvenzverwalter und der Beklagten im Hinblick auf die Regelung in Ziffer II § 6 des Vertrages geführt worden sein sollen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt eine Partei ihrer Darlegungslast, wenn die vorgetragenen Tatsachen in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht zu begründen (vgl. z.B. , NJW 2000, 3286, 3287; Urt. v. , VII ZR 398/97, NJW 1999, 1859, 1860; Urt. v. , II ZR 13/97, NJW-RR 1998, 1409; Urt. v. , X ZR 84/90, NJW-RR 1993, 189; Urt. v. , VII ZR 123/83, NJW 1984, 2888). Das trifft auf die unter Beweis gestellte Behauptung der Kläger zu, es sei dem Insolvenzverwalter mit der Aufnahme von Ziffer II § 6 des Kaufvertrages darum gegangen sicherzustellen, dass die sog. Altkäufer einen eigenen Ankaufsanspruch zu 80 % des Kaufpreises durchsetzen könnten, wobei dies vor dem Vertragsabschluss mit den Vertretern der Beklagten besprochen und von diesen akzeptiert worden sei. Erweist sich dieser Vortrag als zutreffend, kann kein vernünftiger Zweifel bestehen, wie die Vertragsparteien die genannte Klausel verstanden haben.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts waren die Kläger nicht gehalten, die diesbezüglichen Vertragsverhandlungen in allen Details wiederzugeben. Insbesondere mussten sie nicht angeben, wer, wann, gegenüber wem was genau gesagt hat (vgl. , NJW-RR 2007, 1483, 1486; Urt. v. , XII ZR 275/02, NJW 2005, 2710, 2711). Die Angabe von Einzelheiten zu dem Zeitpunkt und dem Ablauf bestimmter Ereignisse ist nicht erforderlich, wenn diese - wie hier - für die Rechtsfolgen ohne Bedeutung sind (, NJW 2000, 3286, 3287; Urt. v. , VII ZR 398/97, NJW 1999, 1859, 1860; Urt. v. , VII ZR 123/83, NJW 1984, 2888). Misst ihnen das Gericht für die Zuverlässigkeit oder die Wahrscheinlichkeit der Behauptung Bedeutung zu, sind sie durch entsprechende Nachfrage bei der Beweisaufnahme zu klären. Für den Umfang der Darlegungslast ist der Grad der Wahrscheinlichkeit einer Sachverhaltsschilderung im Übrigen ohne Bedeutung (Senat, Urt. v. , V ZR 359/01, NJW-RR 2003, 491; , NJW-RR 1998, 1409).

Eine Partei ist auch nicht deshalb gezwungen, den behaupteten Sachverhalt in allen Einzelheiten wiederzugeben, weil der Gegner ihn bestreitet. Dem Grundsatz, dass der Umfang der Darlegungslast sich nach der Einlassung des Gegners richtet, liegt nicht etwa der Gedanke zugrunde, eine Partei sei zur Förderung der Wahrheitsermittlung und zur Prozessbeschleunigung verpflichtet, den Gegner in die Lage zu versetzen, sich möglichst eingehend auf ihre Behauptungen einzulassen. Der Grundsatz besagt nur, dass dann, wenn infolge der Einlassung des Gegners der Tatsachenvortrag unklar wird und nicht mehr den Schluss auf die Entstehung des geltend gemachten Rechts zulässt, er der Ergänzung bedarf (, NJW 2005, 2710, 2711; Urt. v. , VII ZR 123/83, NJW 1984, 2888).

Zu beachten ist auch, dass eine Partei grundsätzlich Tatsachen behaupten darf, über die sie keine genauen Kenntnisse hat, die sie nach Lage der Dinge aber für wahrscheinlich hält. Die Grenze, bis zu der dies zulässig ist, ist erst erreicht, wenn das Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte den Vorwurf begründet, eine Behauptung sei "ins Blaue hinein" aufgestellt, mithin aus der Luft gegriffen, und stelle sich deshalb als Rechtsmissbrauch dar (Senat, Urt. v. , V ZR 359/01, NJW-RR 2003, 491; , NJW 2005, 2710, 2711). Hiervon kann vorliegend keine Rede sein.

c) Die von dem Berufungsgericht herangezogene Rechtsprechung zu den Darlegungsanforderungen bei der Behauptung innerer Tatsachen ist nicht einschlägig. Richtig ist zwar, dass die Behauptung, einer bestimmten vertraglichen Regelung liege eine übereinstimmende Vorstellung der Parteien zugrunde, häufig eine innere Tatsache betrifft. In diesem Fall muss - weil andernfalls die Erheblichkeit der Behauptung nicht überprüft werden kann - dargelegt werden, anhand welcher Anknüpfungstatsachen, die innere Tatsache nach außen in Erscheinung getreten sein soll (Senat, Urt. v. , V ZR 36/99, NJW 2000, 2986; , NJW 1996, 1678, 1679). Darum geht es hier aber nicht. Die Kläger haben nämlich nicht etwa behauptet, zwischen den Vertragsparteien habe stillschweigendes Einverständnis bestanden, dass die zugunsten der Erwerber getroffene Regelung in einer bestimmten Weise zu verstehen sei. Sie haben vielmehr vorgetragen und unter Beweis gestellt, dass ein eigenes Ankaufsrecht der sog. Altkäufer in den Gesprächen vor Abschluss des Vertrages seitens der Beklagten akzeptiert worden sei. Wenn der behauptete übereinstimmende Wille aber darauf beruht, dass die Vertragsparteien darüber gesprochen haben, wie die umstrittene Klausel zu verstehen ist, reicht es, ein solches Gespräch zu behaupten.

2. Durch die Aufhebung des angefochtenen Urteils erhält das Berufungsgericht auch Gelegenheit, seine Auslegung der streitgegenständlichen Klausel zu überprüfen.

a) Schon nach deren Wortlaut drängt es sich geradezu auf, dass den Altkäufern ein eigenes Ankaufsrecht eingeräumt werden sollte. Beschränkte sich die Verpflichtung der Beklagten darauf, mit ihnen Verhandlungen ohne jegliche Abschlussverpflichtung zu führen, bliebe die Festlegung eines die Altkäufer begünstigenden Ankaufspreises folgenlos. Bei der Auslegung ist jedoch davon auszugehen, dass vertragliche Festlegungen einen rechtserheblichen Inhalt haben sollen. Deshalb ist einem Verständnis der Vorzug zu geben, bei dem sich die Regelung nicht ganz oder teilweise als sinnlos erweist (vgl. Senat, Urt. v. , V ZR 168/98, NJW 1999, 3704, 3705; , NJW 2005, 2618). Auch ist nicht erkennbar, welches Interesse der Insolvenzverwalter gehabt haben sollte, die Beklagte mittels eines - ausdrücklich so bezeichneten - echten Vertrages zugunsten Dritter dazu zu verpflichten, letztlich unverbindliche Verhandlungen mit den Altkäufern zu führen. Enthält die Klausel dagegen ein Ankaufsrecht, wäre sie geeignet, Schadensersatzansprüche der Altkäufer gegen die Gemeinschuldnerin wegen der Nichterfüllung der ursprünglich geschlossenen Verträge abzuwenden oder zu verringern. Dass sich die Beklagte in demselben Vertrag verpflichtet hat, andere von der Gemeinschuldnerin abgeschlossene Verträge unmittelbar zu übernehmen, stellt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts keinen Widerspruch dar. Es ist ohne weiteres denkbar, dass die Beklagte in bestimmte Verträge unbedingt, in andere Verträge dagegen nur nach näher vereinbarten Maßgaben eintreten sollte.

Wäre von der Auslegung des Landgerichts auszugehen, stünden das Erwerbsrecht der Altkäufer und der Kaufpreis fest, während die Beklagte bei der Gestaltung des Vertrages im Übrigen "im Rahmen billigen Ermessens" frei wäre. Insoweit müssten Verhandlungen zwischen der Beklagten und den einzelnen Altkäufern stattfinden. Bei einem Streit darüber, ob die von der Beklagten vorgegebenen übrigen Bedingungen billigem Ermessen entsprechen, könnten die Verhandlungspartner erforderlichenfalls die Gerichte anrufen. Die Situation wäre vergleichbar mit derjenigen bei Bestehen eines Vorvertrages, wenn sich die Vertragsparteien nicht über den Inhalt des noch abzuschließenden Hauptvertrages einigen können. Hierzu verweist der Senat auf sein Urteil vom (V ZR 97/05, NJW 2006, 2843), das sich auch mit der Frage des richtigen Klageantrages in einem solchen Fall befasst.

b) Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass aus der Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde einer anderen Altkäuferin (Beschluss vom , V ZR 128/05) kein Präjudiz für die Vertragsauslegung folgt. Zwar hatte das damalige Berufungsgericht der streitgegenständlichen Klausel ebenfalls kein Ankaufsrecht der Erwerberin entnommen. Hierauf kam es bei der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde aber nicht an. Die Erwerberin hatte nämlich ein Reihenhaus auf einem real geteilten Grundstück gekauft, die (hiesige) Beklagte war jedoch nur bereit, das Haus in der Rechtsform des Wohnungseigentums (erneut) an sie zu verkaufen. Die Altkäuferin vertrat demgegenüber die Auffassung, einen Anspruch auf Erwerb von Realeigentum zu haben. Die Hilfsbegründung des Berufungsgerichts, selbst wenn sich aus Ziffer II § 6 ein Ankaufsrecht der Alterwerber ergebe, halte es sich jedenfalls im Rahmen des der (hiesigen) Beklagten eingeräumten billigen Ermessens bei der Vertragsgestaltung im Übrigen, wenn sie nur anbiete, das Reihenhaus in der Rechtsform des Wohnungseigentums zu verkaufen, war selbständig tragend und gab keine Veranlassung, die Revision zuzulassen.

Weiter vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass das Berufungsgericht nicht gehindert ist, die Frage, ob die Kläger einen Anspruch auf Erwerb des ursprünglich gekauften Townhouses in Form von Realeigentum haben, anders als in dem vorangegangenen Verfahren zu beantworten. Der Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde kann keine umfassende Billigung der Vertragsauslegung in diesem Punkt entnommen werden, sondern nur, dass keiner der in § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO genannten Zulassungsgründe vorlag, die Auslegung also insbesondere nicht als willkürlich angesehen worden ist.

Fundstelle(n):
IAAAC-85969

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