Leitsatz
Die für die gesamte Instanz (hier: Berufungsinstanz) ausgesprochene Bewilligung von Prozesskostenhilfe wirkt bei einer Zurückverweisung der Sache durch das Rechtsmittelgericht an das Gericht des unteren Rechtszugs fort.
Gesetze: VwGO § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2; VwGO § 166; ZPO § 119 Abs. 1 Satz 1; ZPO § 121 Abs. 1; ZPO § 124 Nr. 1; ZPO § 124 Nr. 2; ZPO § 124 Nr. 3; ZPO § 124 Nr. 4
Instanzenzug: VG Hannover, VG 9 A 4148.00 vom OVG Lüneburg, VG 9 A 4148.00 vom Fachpresse: ja BVerwGE: nein
Gründe
1. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren liegen vor (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114, 115, 121 Abs. 1 ZPO).
2. Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat mit der Rüge eines Verfahrensfehlers durch Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) Erfolg. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von seinem ihm in § 133 Abs. 6 VwGO eingeräumten Ermessen Gebrauch, das angegriffene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
3. Die Beschwerde rügt in zulässiger Weise und im Ergebnis zu Recht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Klägerinnen durch die Ablehnung eines Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom für das nach Zurückverweisung der Sache durch das Revisionsurteil des Senats vom - BVerwG 5 C 18.04 - (BVerwGE 124, 83) erneut durchzuführende Berufungsverfahren und ihre dadurch bedingte mangelnde Vertretung im Berufungstermin am .
a) Die Klägerinnen haben den Verfahrensmangel in der Beschwerdebegründung hinreichend dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Zwar erfordert die Rüge, das rechtliche Gehör sei verletzt, regelmäßig auch die substanziierte Darlegung, was die Prozesspartei bei ausreichender Gewährung des vermissten Gehörs im Einzelnen noch vorgetragen hätte und inwiefern der weitere Vortrag zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre ( BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26). Betrifft der Gehörsverstoß aber nicht einzelne Feststellungen, sondern das Gesamtergebnis des Verfahrens, wie etwa bei der verfahrensfehlerhaften Durchführung einer mündlichen Verhandlung, an der nicht alle Beteiligten teilnehmen konnten, oder - wie hier - die verfahrensfehlerhafte Hinderung, sich im Termin anwaltlich vertreten zu lassen, bedarf es eines solchen hypothetischen Vortrags zur Sache nicht (vgl. BVerwG 8 C 58.90 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 248; BVerwG 6 B 121.98 - NVwZ-RR 1999, 587).
b) Das Oberverwaltungsgericht hat den Anspruch der Klägerinnen auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass es ihnen durch den Beschluss vom rechtswidrig Prozesskostenhilfe vorenthalten und sie damit um die Möglichkeit anwaltlicher Vertretung in der mündlichen Berufungsverhandlung gebracht hat.
aa) An der Überprüfung dieses Beschlusses ist der Senat nicht etwa gemäß § 173 VwGO, § 557 Abs. 2 ZPO deswegen gehindert, weil er nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar ist. Durch die entsprechende Anwendung des § 557 Abs. 2 ZPO wird die Rüge von solchen Verfahrensmängeln nicht ausgeschlossen, die als Folgen der beanstandeten Vorentscheidung weiterwirkend der angefochtenen Sachentscheidung anhaften (vgl. Beschluss vom a.a.O.; BVerwG 6 C 30.98 - BVerwGE 110, 40). So verhält es sich hier: Die Versagung von Prozesskostenhilfe durch den unanfechtbaren Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom haftet als Gehörsverstoß dem angefochtenen Urteil an (vgl. BVerwG a.a.O.).
bb) Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom ist rechtswidrig, weil er die nach § 166 VwGO i.V.m. § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO für die gesamte Berufungsinstanz geltende Bewilligung von Prozesskostenhilfe in dem - vor der Zurückverweisung der Sache ergangenen - Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom - OVG 4 LB 111/02 nicht beachtet und den Klägerinnen damit im Ergebnis die bereits gewährte Prozesskostenhilfe ohne Vorliegen eines gesetzlichen Aufhebungsgrundes nach § 166 VwGO i.V.m. § 124 Nr. 1 bis 4 ZPO entzogen hat.
Nach § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO erfolgt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für jeden Rechtszug besonders; sie wirkt grundsätzlich für den ganzen Rechtszug. Der Begriff des Rechtszuges ist kostenrechtlich zu verstehen und erfasst jeden Verfahrensabschnitt, der besondere Kosten verursacht (vgl. - FamRZ 2007, 1088 unter Hinweis auf Zöller/Philippi, ZPO, 26. Aufl. § 119 Rn. 1 und Beschluss vom - IX ZB 565/02 - FamRZ 2004, 1707 <1708>). Stehen mehrere Verfahrensabschnitte jedoch in einem notwendigen inneren Zusammenhang, so bilden sie auch dann einen einheitlichen Rechtszug, wenn sie jeweils mit Kosten verbunden sind. Maßgebend ist, ob diese Verfahrensabschnitte bei der Gewährung von Prozesskostenhilfe nach deren Sinn und Zweck voneinander getrennt werden können oder nicht (vgl. BVerwG 11 KSt 1.94 - NVwZ-RR 1995, 545). Bei einer Zurückverweisung - wie hier vom Bundesverwaltungsgericht an das Berufungsgericht - wird das ursprüngliche (hier: Berufungs-)Verfahren in der Vorinstanz wieder anhängig und ist fortzusetzen. Beide Verfahrensabschnitte bilden mit anderen Worten - auch kostenrechtlich - eine Einheit. Dementsprechend bestimmt § 37 GKG für den Fall der Zurückverweisung an das Gericht des unteren Rechtszugs, dass "das weitere Verfahren mit dem früheren Verfahren vor diesem Gericht im Sinne des § 35 GKG einen Rechtszug" bildet (vgl. aber für die Anwaltsgebühren § 15 Abs. 1 BRAGO bzw. § 21 Abs. 1 RVG). Nach § 35 GKG werden die Gebühr für das Verfahren im Allgemeinen und die Gebühr für eine Entscheidung in jedem Rechtszug hinsichtlich eines jeden Teils des Streitgegenstands nur einmal erhoben. Durch die Zurückverweisung der Sache gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO ist mithin kein neuer Rechtszug im Sinne des § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO eröffnet worden (vgl. auch .A - JurBüro 1994, 176; - AnwBl 1988, 422; Motzer, in: Münchner Kommentar, 3. Aufl. 2008, § 119 ZPO Rn. 32). Da das Oberverwaltungsgericht für den gesamten Berufungsrechtszug mit Beschluss vom bereits Prozesskostenhilfe (unter Beiordnung des 2004 verstorbenen Rechtsanwalts S.) bewilligt hatte, hätte es das Begehren des neuen Prozessbevollmächtigten (Rechtsanwalt M.), "über die beantragte Prozesskostenhilfe" noch vor der erneuten Berufungsverhandlung zu entscheiden (ein neuer Prozesskostenhilfeantrag ist den vorgelegten Akten nicht zu entnehmen), als Antrag auf seine Beiordnung auslegen und hierüber nach § 166 VwGO i.V.m. § 121 ZPO (vgl. den im Revisionsverfahren ergangenen Beschluss des Senats vom - BVerwG 5 C 18.04 -) entscheiden müssen. Es hätte diesen Antrag nur ablehnend bescheiden dürfen, wenn Gründe für eine nur ausnahmsweise mögliche Aufhebung der Prozesskostenhilfe bewilligenden Entscheidung gemäß § 124 ZPO vorgelegen hätten. Dafür ist indessen nichts festgestellt oder ersichtlich. Das Oberverwaltungsgericht hat vielmehr offensichtlich in Verkennung der aus § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO folgenden Rechtslage so entschieden. Ob es bei seiner verfahrensrechtsfehlerhaften Entscheidung durch die Verneinung der Erfolgsaussichten der Berufung zugleich die Anorderungen an die Voraussetzungen der Gewährung von Prozesskostenhilfe überspannt und auch dadurch das rechtliche Gehör verletzt hat, kann offenbleiben.
cc) Aufgrund der rechtswidrigen Vorenthaltung von Prozesskostenhilfe wurde den Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung des Oberverwaltungsgerichts rechtliches Gehör versagt. Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst auch die Befugnis, sich in der mündlichen Verhandlung anwaltlich vertreten zu lassen ( BVerwG 8 C 58.90 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 248). Den Klägerinnen und ihrem Prozessbevollmächtigten konnte nicht angesonnen werden, entgegen dem Rechtsschein des unanfechtbaren PKH-Ablehnungsbeschlusses auf eigenes Kostenrisiko an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen.
dd) Die Klägerinnen haben auch alles Zumutbare getan, um sich das entzogene rechtliche Gehör zu verschaffen. Sie haben gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe durch das Oberverwaltungsgericht am erfolglos eine Gehörsrüge gemäß § 152a VwGO erhoben.
4. Obwohl es danach nicht mehr darauf ankommt, weist der Senat darauf hin, dass die weiteren Zulassungsrügen voraussichtlich erfolglos geblieben wären.
Die von den Klägerinnen für klärungsbedürftig gehaltene Frage,
"ob die Jugendhilfebehörde hier als Sozialhilfeträger entsprechend § 6 SGB IX anzusehen ist und sich hierdurch ihre Zuständigkeit gemäß § 14 SGB IX begründet",
hat der Senat mit dem Urteil vom a.a.O. bereits abschließend - verneinend - entschieden.
Die grundsätzliche Bedeutung der weiter angesprochenen Frage,
"ob die Schulpflicht dazu führen kann, dass eine Hilfemaßnahme im Sinne des Rehabilitationsrechts, die ansonsten geboten erscheint, allein dadurch, dass dieser untergeordneten Frage, wo eine solche schulische Bildung abläuft, die Hilfemaßnahme für ungeeignet qualifizieren kann",
ist schon nicht ordnungsgemäß dargelegt. Sie wäre hier außerdem bereits mangels Entscheidungserheblichkeit nicht klärungsbedürftig, da das Berufungsurteil insoweit auf eine weitere selbständig tragende und nicht angegriffene Begründung gestützt ist, nämlich die fehlende sachliche Zuständigkeit der Beklagten als örtlicher Träger der Jugendhilfe sowie die fehlende Befreiung von der Schulpflicht bzw. die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für die Beschulung im Ausland.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
HFR 2008 S. 1190 Nr. 11
NJW 2008 S. 3157 Nr. 43
FAAAC-85918