BFH Beschluss v. - VII B 115/07

Anforderungen an die Darlegung bei kumulativer Urteilsbegründung; Rüge fehlerhafter Rechtsanwendung

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2, FGO § 116 Abs. 3 Satz 3, FGO § 68

Instanzenzug:

Gründe

I. Aufgrund eines vorläufigen Steuerfahndungsberichtes wurde die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) als Geschäftsführerin einer GmbH wegen deren Umsatzsteuerrückständen 1994 bis 1996 in Haftung genommen (erster Haftungsbescheid). Als sich aus dem endgültigen Steuerfahndungsbericht weitere Steuerrückstände ergaben, erließ der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) einen Tag vor der Entscheidung über den Einspruch der Klägerin einen weiteren Haftungsbescheid (zweiter Haftungsbescheid). Mit dem Antrag, den ersten Haftungsbescheid aufzuheben, erhob die Klägerin Klage. Auf Anraten des Finanzgerichts (FG) beantragte sie in der mündlichen Verhandlung, den (ersten) Haftungsbescheid in der Gestalt des geänderten (zweiten) Haftungsbescheides in der Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Das FG hob den ersten Haftungsbescheid auf und wies die Klage im Übrigen ab. Es hielt die Klage gegen den ersten Haftungsbescheid für begründet, weil das FA es ermessensfehlerhaft unterlassen habe, einen Mitgesellschafter als faktischen Geschäftsführer der GmbH ebenfalls in Haftung zu nehmen. Hinsichtlich des zweiten Haftungsbescheides sah es die Klage als unzulässig an, weil in der Klageschrift nur die Aufhebung des ersten Haftungsbescheides beantragt und die Einspruchsfrist hinsichtlich des zweiten Haftungsbescheides noch nicht abgelaufen war. Der zweite Haftungsbescheid habe den ersten Haftungsbescheid auch weder abgelöst noch ersetzt, vielmehr handele es sich hinsichtlich der darin ausgewiesenen Umsatzsteuerbeträge 1994 bis 1996 um einen Ergänzungs-, hinsichtlich der zusätzlich aufgenommenen Steuern um einen Erstbescheid. Dieser zweite Haftungsbescheid sei auch nicht nach § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Verfahrens geworden, aber selbst wenn § 68 FGO anzuwenden sei, fehle es nach der bis zum geltenden Rechtslage an dem rechtzeitigen —innerhalb eines Jahres zu stellenden— Antrag auf Auswechslung des Verfahrensgegenstandes. Der erstmals in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag auf Aufhebung des zweiten Haftungsbescheides sei zudem mangels abgeschlossenen Vorverfahrens unzulässig, weil ein Einspruch nicht eingelegt worden und infolgedessen auch keine Einspruchsentscheidung ergangen sei.

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und die Notwendigkeit einer Revisionsentscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geltend und rügt als Verfahrensfehler mangelnde Sachaufklärung sowie die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und der Hinweispflicht. Zur Begründung führt sie (zusammengefasst) an, das FG habe unter Verletzung der Auslegungsregeln des Bundesfinanzhofs (BFH) und ohne —wie beantragt— die Fallhefte der Betriebsprüfung und Steuerfahndung beizuziehen den zweiten Haftungsbescheid nicht als Teil der einheitlichen Haftungsinanspruchnahme und deshalb nicht als Gegenstand des Klageverfahrens berücksichtigt, ohne sie, die Klägerin, von dieser Rechtsauffassung zu unterrichten. Bei entsprechendem Hinweis hätte zu der —sich aus den nicht beigezogenen Fallheften ergebenden— Nichtigkeit des zweiten Haftungsbescheides vorgetragen und damit die Fristgebundenheit eines Antrags nach § 68 FGO widerlegt werden können.

II. Die Beschwerde ist unzulässig. Die Klägerin hat keinen der in § 115 Abs. 2 FGO abschließend aufgeführten Gründe, die die Zulassung der Revision rechtfertigen, hinreichend i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt.

1. Soweit sich die Beschwerde mit der vermeintlich rechtsfehlerhaften Auffassung des FG auseinandersetzt, dass der zweite Haftungsbescheid ein (eigenständiger) Erst- bzw. Ergänzungsbescheid sei mit der Folge der Unzulässigkeit der Klage mangels durchgeführten Vorverfahrens, fehlt es schon an der für die Revisionszulassung erforderlichen Entscheidungserheblichkeit dieser Ausführungen. Denn das FG hat —alternativ hierzu— auch für den Fall, dass der zweite Haftungsbescheid als Änderungsbescheid zu würdigen sein sollte, die Zulässigkeit der Klage verneint, weil die Klägerin den in diesem Fall erforderlichen Antrag nach § 68 FGO, den geänderten Bescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen, nicht rechtzeitig gestellt hat.

Hat das FG sein Urteil —wie hier— kumulativ begründet, d.h. auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt, so muss wegen jeder der Urteilsbegründungen ein Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden und vorliegen (z.B. , BFH/NV 2005, 667).

Gegen die Alternativbegründung wendet die Beschwerde ein, die Jahresfrist des § 55 Abs. 2 FGO habe für den Antrag nach § 68 FGO nicht gegolten, weil es sich dabei nicht um einen Rechtsbehelf, sondern um ein Rechtsmittel handele, und im Übrigen sei der Bescheid nichtig und hinsichtlich eines nichtigen Bescheides könne keine Rechtsbehelfsfrist laufen. Mit diesem Vorbringen wendet sich die Klägerin gegen die Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts durch das FG und rügt damit materiell-rechtliche Mängel der Vorentscheidung. Die Rüge fehlerhafter Rechtsanwendung vermag die Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO aber nicht zu begründen (, BFH/NV 2008, 595).

2. Sollte die Rüge der Verletzung der Hinweispflicht und des Gehörsanspruchs dahin zu verstehen sein, dass die Klägerin dadurch gehindert war, ihre vorgenannte Rechtsauffassung dem FG vorzutragen, ergäbe sich auch daraus kein Zulassungsgrund. Abgesehen davon, dass die Umformulierung des Klageantrags in der mündlichen Verhandlung der rechtskundig vertretenen Klägerin deutlich machen musste, dass das FG auch über die Zulässigkeit der Einbeziehung dieses zweiten Haftungsbescheides in das Klageverfahren entscheiden „würde”, ist das Gericht nicht verpflichtet, den Beteiligten seine Rechtsauffassung schon vor Abfassung der Entscheidung mitzuteilen (, BFH/NV 2007, 2312, m.w.N.). Im Übrigen besteht keinerlei Anlass zu der Annahme, das FG wäre von seiner —zutreffenden— Rechtsauffassung, dass die Klägerin den zweiten Haftungsbescheid jedenfalls nicht rechtzeitig zum Gegenstand des Verfahrens gemacht hat, abgewichen, wenn es die jetzt von der Klägerin formulierte Rechtsansicht gekannt hätte.

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Fundstelle(n):
AAAAC-85308