Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung: Nachträgliche Anschaffungskosten bei Finanzierungsmaßnahmen eines Aktionärs
Leitsatz
Die Gewährung eines Darlehens oder die Übernahme einer Bürgschaft für eine Aktiengesellschaft durch einen Aktionär, der an der Gesellschaft nicht unternehmerisch beteiligt ist, führt nicht zu nachträglichen Anschaffungskosten der wesentlichen Beteiligung.
Gesetze: EStG § 17 Abs. 1, 2 und 4HGB § 255 Abs. 1 Satz 2
Instanzenzug: (EFG 2006, 1898) (Verfahrensverlauf), ,
Gründe
I.
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wurden als Eheleute im Streitjahr 2001 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Am übernahm der Kläger für die X-GmbH —an welcher er beteiligt war— eine Höchstbetragsbürgschaft in Höhe von 400 000 DM. Außerdem gewährte er der X-GmbH seinen Anteil am Jahresüberschuss 1998 und am Gewinnvortrag als —mit 4,5 % zu verzinsendes— Darlehen. Mit Wirkung zum wurde die X-GmbH durch Formwechsel in die Y-AG umgewandelt, an welcher der Kläger zunächst 15 %, später 13,51 % des Grundkapitals hielt. Am wurde über das Vermögen der Y-AG das Insolvenzverfahren eröffnet. Anfang des Jahres 2002 wurde der Kläger aus der Höchstbetragsbürgschaft in Anspruch genommen.
In ihrer Steuerklärung für das Streitjahr machten die Kläger u.a. den Verlust des Darlehens des Klägers und die Aufwendungen für seine Inanspruchnahme aus der Bürgschaft als Auflösungsverlust gemäß § 17 Abs. 1, 2 und 4 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom , BGBl I 1999, 402 (EStG) geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) berücksichtigte den Auflösungsverlust nicht. Der hiergegen gerichtete Einspruch hatte nur insoweit Erfolg, als das FA die Anschaffungskosten der Aktien und Rechtsberatungskosten des Klägers als Auflösungsverlust anerkannte. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 1898 veröffentlichten Gründen statt.
Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
Das FG hat zu Unrecht den Ausfall des Darlehens und die Aufwendungen für die Inanspruchnahme aus der Bürgschaft als nachträgliche Anschaffungskosten bei der Ermittlung des Auflösungsverlusts des Klägers i.S. des § 17 Abs. 1, 2 und 4 EStG berücksichtigt.
1. Nach § 17 Abs. 1 und 4 EStG gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn aus der Auflösung einer Kapitalgesellschaft, wenn der Gesellschafter innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft wesentlich beteiligt war und er die Beteiligung in seinem Privatvermögen hielt. Entsprechendes gilt für die aus der Auflösung einer Kapitalgesellschaft entstehenden Verluste (, BFHE 194, 108, BStBl II 2001, 385, m.w.N.).
Auflösungsverlust i.S. des § 17 Abs. 1, 2 und 4 EStG ist der Betrag, um den die im Zusammenhang mit der Auflösung der Gesellschaft vom Steuerpflichtigen persönlich getragenen Kosten (entsprechend den Veräußerungskosten nach § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG) sowie seine Anschaffungskosten den gemeinen Wert des dem Steuerpflichtigen zugeteilten oder zurückgezahlten Vermögens der Kapitalgesellschaft übersteigen (BFH-Urteil in BFHE 194, 108, BStBl II 2001, 385).
Anschaffungskosten sind nach § 255 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuches (HGB) Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben; dazu gehören nach § 255 Abs. 1 Satz 2 HGB auch die nachträglichen Anschaffungskosten. Zu den nachträglichen Anschaffungskosten einer Beteiligung zählen neben (verdeckten) Einlagen auch nachträgliche Aufwendungen auf die Beteiligung, wenn sie durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst sind und weder Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen noch Veräußerungskosten sind (ständige Rechtsprechung, vgl. , BFHE 165, 31, BStBl II 1992, 234; zu Einlagen und Nachschüssen vgl. , BFHE 194, 130, BStBl II 2001, 234; siehe zum Begriff der nachträglichen Anschaffungskosten auch Döllerer, Finanz-Rundschau 1992, 233, 234). Dazu rechnen Finanzierungshilfen, z.B. durch Übernahme einer Bürgschaft oder durch andere Rechtshandlungen i.S. des § 32a Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), wenn sie eigenkapitalersetzenden Charakter haben (vgl. z.B. , BFHE 189, 383, BStBl II 1999, 817; zu § 32a Abs. 3 Satz 1 GmbHG; , BFHE 194, 120, BStBl II 2001, 286). Maßgebend dafür ist, ob ein Gesellschafter der Gesellschaft in einem Zeitpunkt, in dem ihr die Gesellschafter als ordentliche Kaufleute Eigenkapital zugeführt hätten (Krise der Gesellschaft), stattdessen ein Darlehen gewährt oder eine dem Darlehen wirtschaftlich entsprechend andere Rechtshandlung ausführt (§ 32a Abs. 1 und 3 GmbHG; BFH-Urteil in BFHE 189, 383, BStBl II 1999, 817).
2. Nach diesen Grundsätzen waren der Darlehensverlust des Klägers und seine Aufwendungen für seine Inanspruchnahme aus der Bürgschaft nicht durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst; denn das Darlehen und die Bürgschaft hatten keinen eigenkapitalersetzenden Charakter.
a) Nach Zivilrecht sind die Grundsätze über die Behandlung eigenkapitalersetzender Gesellschafterdarlehen oder ihnen gleichstehender Finanzierungshilfen auf eine Aktiengesellschaft —wie im Streitfall die Y-AG— sinngemäß anzuwenden, wenn der Darlehensgeber an ihr unternehmerisch beteiligt ist (, BGHZ 90, 381). Das setzt —auch nach Inkrafttreten der Neuregelung des § 32a Abs. 3 Satz 2 GmbHG— in der Regel einen Aktienbesitz von mehr als 25 % voraus. Nur ausnahmsweise kann auch ein unterhalb der Sperrminoritätsgrenze liegender, aber nicht unbeträchtlicher Aktienbesitz die Annahme einer unternehmerischen Beteiligung als Grundlage für eine Finanzierungsfolgenverantwortung des betreffenden Aktionärs dann rechtfertigen, wenn der Aktienbesitz ihm in Verbindung mit weiteren Umständen Einfluss auf die Unternehmensleitung sichert und er ein entsprechendes unternehmerisches Interesse erkennen lässt. Eine Mitgliedschaft im Aufsichtsrat oder eine Vorstandsfunktion genügen dafür nicht (, Deutsches Steuerrecht —DStR— 2005, 1416, m.w.N.).
b) Der Auffassung des FG, Finanzierungsmaßnahmen eines Aktionärs könnten auch dann als Anschaffungskosten beurteilt werden, wenn der Aktionär nicht unternehmerisch beteiligt sei (ebenso Schneider, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 17 Rz C 305; Blümich/Ebling, § 17 EStG Rz 212; Eilers/R. Schmidt in Herrmann/Heuer/Raupach, § 17 EStG Rz 201), vermag der erkennende Senat nicht beizupflichten (gl.A. Gschwendtner in: DStR 1999, Beihefter zu Heft 32, 1, 20; Pung/Dötsch in Dötsch/ Jost/Pung/Witt, Kommentar zum KStG und EStG, § 17 EStG, Rz 151a).
Finanzierungsmaßnahmen eines Gesellschafters sind durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst und damit nachträgliche Anschaffungskosten, wenn der Gesellschafter der Gesellschaft durch seine Finanzierungsmaßnahme funktionales Eigenkapital zugewandt hat. Dies setzt grundsätzlich voraus, dass die Finanzierungsmaßnahme zivilrechtlich eigenkapitalersetzend ist. Eigenkapitalersetzende Finanzierungsmaßnahmen führen —wie Einlagen— zu nachträglichen Anschaffungskosten, da sie als Ersatz für Eigenkapital zu betrachten und deshalb ebenso wie dieses gesetzlich gebunden sind (funktionales Eigenkapital; vgl. , BFHE 143, 228, BStBl II 1985, 320, m.w.N.). Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist der Gesellschafter wie jeder Drittgläubiger zu behandeln. Das Einkommensteuerrecht respektiert die Entscheidung der Gesellschafter, der Gesellschaft nicht Eigenkapital, sondern Fremdkapital zur Verfügung zu stellen (vgl. , BFHE 183, 397, BStBl II 1999, 342, m.w.N.). Das (objektive) Nettoprinzip wird hier durch den Grundsatz eingeschränkt, dass Verluste in der Privatsphäre des Steuerpflichtigen einkommensteuerrechtlich nicht berücksichtigt werden (, BFHE 187, 480, BStBl II 1999, 348).
Entgegen der Auffassung des FG führt das Erfordernis einer unternehmerischen Beteiligung des Aktionärs (BGH-Urteil in BGHZ 90, 381) zu keiner zivilrechtlichen Privilegierung, sondern bildet die Grundlage für die Geltung des Kapitalersatzrechts auch bei einer Aktiengesellschaft.
c) Im Streitfall hatte der Kläger weder einen Aktienbesitz von mehr als 25 % noch liegen nach den tatsächlichen Feststellungen des FG besondere Umstände vor, welche dem Kläger in Verbindung mit seinem Aktienbesitz Einfluss auf die Unternehmensleitung der Y-AG sicherten. Entgegen der Ansicht des FG sind solche besonderen Umstände auch nicht darin zu sehen, dass der Kläger bereits für die Vorgängergesellschaft der X-GmbH —an welcher er ursprünglich 38 % der Geschäftsanteile hielt— Bürgschaften übernommen hatte. Denn für den persönlichen Geltungsbereich der Eigenkapitalersatzregeln kommt es auf die Verhältnisse nach Kriseneintritt an (vgl. BGH-Urteil in DStR 2005, 1416, m.w.N., unter III.2.b).
3. Die Sache ist spruchreif. Der Darlehensverlust und die Aufwendungen aus der Inanspruchnahme aus der Bürgschaft sind nicht als Anschaffungskosten der Beteiligung des Klägers an der Y-AG zu berücksichtigen. Die Klage ist daher abzuweisen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2008 II Seite 706
AG 2008 S. 637 Nr. 17
BB 2008 S. 1941 Nr. 36
BB 2009 S. 540 Nr. 11
BFH/NV 2008 S. 1570 Nr. 9
BFH/PR 2008 S. 375 Nr. 9
BStBl II 2008 S. 706 Nr. 16
DB 2008 S. 1604 Nr. 30
DStR 2008 S. 1424 Nr. 30
DStRE 2008 S. 1040 Nr. 16
DStZ 2008 S. 546 Nr. 16
EStB 2008 S. 305 Nr. 9
FR 2008 S. 1117 Nr. 23
GmbH-StB 2008 S. 224 Nr. 8
GmbHR 2008 S. 881 Nr. 16
HFR 2008 S. 1023 Nr. 10
NWB-Eilnachricht Nr. 30/2008 S. 2789
SJ 2008 S. 5 Nr. 16
StB 2008 S. 310 Nr. 9
StBW 2008 S. 3 Nr. 15
StC 2008 S. 10 Nr. 9
StuB-Bilanzreport Nr. 14/2008 S. 567
StuB-Bilanzreport Nr. 20/2008 S. 776
WPg 2008 S. 848 Nr. 17
ZIP 2008 S. 1587 Nr. 34
RAAAC-84527