BFH Beschluss v. - IV R 91/06

Durchführung eines einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellungsverfahren ist gegenüber der nur gesonderten Gewinnfeststellung vorrangig

Gesetze: AO § 180 Abs. 1

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Streitig ist im Rahmen der gesonderten Feststellung gewerblicher Einkünfte gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b der Abgabenordnung (AO), ob die im Bezirk des Finanzamts D wohnhafte Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) —A— im Jahr 2001 (Streitjahr) Unternehmerin bzw. Mitunternehmerin einer Gastwirtschaft war.

1. Der im Juli 2003 verstorbene Ehemann der Klägerin, B, betrieb seit 1995 im Zuständigkeitsbereich des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt M —im Folgenden: FA—) die Gastwirtschaft „.”. Nachdem B die Gaststättenerlaubnis entzogen worden war, meldete die Klägerin zum das Gewerbe auf ihren Namen an. Mit Zusatzvereinbarung vom trat die Klägerin „mit allen Rechten und Pflichten” in den zwischen B (ihrem Ehemann) und der Verpächterin (Y-KG) geschlossenen Pachtvertrag vom über die Gastwirtschaft ein.

Während die Besteuerungsgrundlagen für die Jahre 1996 und 1997 im Wege der Schätzung gegenüber der Klägerin bestandskräftig festgestellt wurden, sind für die Jahre 1998 bis 2000 aufgrund nachgereichter Erklärungen Feststellungsbescheide ergangen (Gewinn 1998: 37 236 DM; 1999: 28 894 DM; 2000: 30 337 DM). Sowohl die Feststellungserklärungen als auch die jeweiligen Gewinnermittlungen sind von der Klägerin unterschrieben worden.

2. Mit Schätzungsbescheid vom stellte das FA den Gewinn der Klägerin für 2001 (Streitjahr) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung in Höhe von 36 000 DM gesondert fest.

a) Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom , den Bescheid aufzuheben. Zur Begründung wies sie darauf hin, dass sie sich auf Drängen ihres verstorbenen Ehemannes, nachdem diesem die Gaststättenerlaubnis entzogen worden sei, als Konzessionsgeberin zur Verfügung gestellt habe und durch Zusatzvereinbarung in das bestehende Pachtverhältnis zwischen der Brauerei (Y-KG) und ihrem Ehemann eingetreten sei. Ihr sei von allen Seiten versichert worden, dass sie nichts mit dem Betrieb zu tun haben werde. Ihr Ehemann habe die Wirtschaft weiterhin im eigenen Namen geführt. Erst durch den Tod ihres Ehemannes seien ihr die rechtlichen Konsequenzen bewusst geworden.

b) Das FA lehnte den Antrag ab und wies den hiergegen erhobenen Einspruch mit Bescheid vom als unbegründet zurück. Die Klägerin sei —so das FA— nach dem Gesamtbild der Verhältnisse als Unternehmerin der Gaststätte aufgetreten.

3. Im Rahmen des Klageverfahrens hat die Klägerin ihren bisherigen Vortrag dahin ergänzt, dass sie in der Gastwirtschaft zu keinem Zeitpunkt gearbeitet habe. Vielmehr sei sie als Verkäuferin selbst beruflich tätig gewesen. Sie habe sich nur als Konzessionsgeberin zur Verfügung gestellt, um ihrem verstorbenen Ehemann und sich selbst die Existenzgrundlage zu erhalten. Während des Klageverfahrens wurde mit Schreiben des mitgeteilt, dass durch Erbschein ausgewiesene Erben des verstorbenen B nicht vorhanden seien und die als gesetzliche Erben in Betracht kommenden Angehörigen, soweit bekannt, alle das Erbe ausgeschlagen hätten.

4. Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben und den angefochtenen Bescheid aufgehoben, da die Klägerin und ihr verstorbener Ehemann Mitunternehmer gewesen seien. Demgemäß müsse der Gewinn der Mitunternehmerschaft nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a i.V.m. § 179 Abs. 2 Satz 2 AO einheitlich und gesondert festgestellt und hierbei auch der Gewinnanteil der Klägerin ermittelt werden.

5. Mit der vom FG zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend, dass ihr nur die Stellung einer „Strohfrau” zugekommen und sie nicht unmittelbar am Gewinn der Gastwirtschaft beteiligt gewesen sei.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil der Vorinstanz sowie den Gewinnfeststellungsbescheid 2001 vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom mit der Begründung aufzuheben, dass sie, die Klägerin, nicht die Stellung einer Mitunternehmerin erlangt hat.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Klägerin ist für das Streitjahr (2001) getrennt zur Einkommensteuer veranlagt worden. Zudem haben die Beteiligten Ablichtungen des zwischenzeitlich ergangenen Bescheids über die einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung 2001 vom vorgelegt. Der Bescheid ist an die Klägerin adressiert und benennt sie zugleich als Vertreterin für die B und A GbR „."; der geschätzte Gewinn des Streitjahrs wurde auf nur noch 25 000 DM festgestellt und dieser Betrag sowohl der Klägerin als auch den Gesamtrechtsnachfolgern nach B in Höhe von jeweils 12 500 DM zugerechnet. Die Klägerin hat hiergegen Einspruch erhoben, über den noch nicht entschieden worden ist.

Auf Hinweis des Senats haben die Beteiligten sich zur Zulässigkeit der Revision geäußert.

II. Die Revision ist unzulässig. Sie ist deshalb durch Beschluss gemäß § 126 Abs. 1 i.V.m. § 10 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu verwerfen.

1. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Revision eines Klägers nur dann zulässig, wenn er formell beschwert, d.h. wenn seinem Begehren in der angefochtenen Entscheidung nicht voll entsprochen worden ist. Maßgeblich ist insoweit nur der Entscheidungssatz (Tenor) des FG-Urteils. Der Kläger ist deshalb nicht beschwert, wenn der Klage —wie Streitfall— in vollem Umfang stattgegeben wird. Unerheblich ist hierbei grundsätzlich, ob das FG die Stattgabe der Klage auf die vom Kläger geltend gemachten oder auf andere Gründe stützt (Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs —BFH— vom GrS 7/70, BFHE 103, 456, BStBl II 1972, 120, und , juris, jeweils m.w.N.). Auch kommt es nicht darauf an, ob —wie vorliegend— das FG die Revision zugelassen hat (, BFHE 138, 4, BStBl II 1983, 534, unter I.4. der Gründe).

2. Soweit der BFH —fallgruppenbezogen— Ausnahmen von diesem Grundsatz anerkannt und das Rechtsschutzbedürfnis auch dann bejaht hat, wenn der Kläger lediglich materiell beschwert ist und mit seinem Rechtsmittel —trotz Stattgabe seiner Klage— lediglich rechtliche Nachteile abwenden will, die mit den Entscheidungsgründen des FG-Urteils verbunden sind (vgl. —zusammenfassend— BFH-Beschluss in BFHE 138, 4, BStBl II 1983, 534, sowie —ergänzend— Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., Vor § 115 Rz 13), vermögen diese für das anhängige Verfahren keine andere Beurteilung zu rechtfertigen.

a) Dies gilt zum einen für die Fallgruppe, dass sich der Kläger deshalb gegen eine Steuerfestsetzung auf Null DM/€ wendet, weil er schlechthin seine Steuerpflicht bestreitet und deshalb die ersatzlose Aufhebung des angefochtenen Bescheids erstrebt (, BFHE 97, 281, BStBl II 1970, 133; , BFHE 117, 4, BStBl II 1976, 42, unter B.I. der Gründe).

Der Senat kann offenlassen, ob in dieser Rechtsprechung tatsächlich eine Ausnahme zur Maßgeblichkeit der formellen Beschwer als Regelanforderung an die Zulässigkeit einer Revision des Klägers zu sehen ist oder ob sie nicht lediglich darauf zielt, die —für die Zulässigkeit einer Klage erforderliche— Verletzung eigener Rechte i.S. von § 40 Abs. 2 FGO zu präzisieren (vgl. hierzu auch —betreffend Feststellungen im Rahmen einer gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellung— , BFH/NV 1995, 318; Steinhauff in Hübschmann/Hepp/Spitaler —HHSp—, § 48 FGO Rz 252). Im Streitfall kann diese Rechtsprechung jedenfalls das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin an einer revisionsrechtlichen Überprüfung des vorinstanzlichen Urteils nicht begründen, weil das FG den gesonderten Feststellungsbescheid nicht bestätigt, sondern ihn ja gerade aufgehoben hat.

b) Zum anderen kann das Rechtsschutzbedürfnis nicht deshalb bejaht werden, weil nach der Rechtsprechung des BFH eine anzuerkennende materielle Beschwer des Klägers darin gesehen wird, dass er sich —ohne die Höhe der Steuerfestsetzung anzugreifen— gegen den Ansatz von Besteuerungsgrundlagen wendet, die mit bindender Wirkung für zukünftige Veranlagungszeiträume festgestellt werden (, BFHE 78, 172, BStBl III 1964, 70, unter VI. der Gründe; vom IV R 7/71, BFHE 112, 331, BStBl II 1974, 522, und BFH-Beschluss in BFHE 138, 4, BStBl II 1983, 534). Zwar muss Gleiches erst recht gelten, wenn die Bindungswirkung für den nämlichen Veranlagungszeitraum (bzw. das nämliche Wirtschaftsjahr) in Frage steht. Im Streitfall kommt der Urteilsbegründung des FG betreffend das Verfahren zur gesonderten Feststellung gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO jedoch eine solche (bindende) Wirkung für das Feststellungsverfahren nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO nicht zu.

aa) Die Vorinstanz hat hierbei allerdings zutreffend erkannt, dass das —gegenüber mehreren Personen durchzuführende— gesonderte und einheitliche Feststellungsverfahren nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO dem Verfahren zur gesonderten Feststellung gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO vorgeht (vgl. § 179 Abs. 2 Satz 2 AO; , BFH/NV 1993, 2). Auch ist dem FG darin beizupflichten, dass von einer gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellung nicht deshalb abgesehen werden kann, weil zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids ein Feststellungsbeteiligter (hier: B) verstorben ist (vgl. z.B. , BFHE 177, 478, BStBl II 1995, 640, unter II.3. der Gründe; , juris). Der Bescheid ist —was das FA ausweislich der eingereichten Ablichtung des Feststellungsbescheids vom bisher nicht beachtet hat— den Erben bekannt zu geben (vgl. —einschließlich des Erlasses eines Richtigstellungsbescheids gemäß § 182 Abs. 3 AO, BFHE 152, 10, BStBl II 1988, 410, und vom IV R 59/98, BFHE 190, 19, BStBl II 2000, 170); sind die Erben nicht bekannt, ist ein Pfleger zu bestellen (§§ 1913, 1960 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches —BGB—; § 81 Abs. 1 Nr. 1 AO; vgl. , BFHE 188, 315, BStBl II 2000, 399; , BFH/NV 2005, 704). Nichts anderes würde im Ergebnis gelten, wenn das Erbrecht des Fiskus gemäß §§ 1964 ff. BGB festgestellt wird, da auch hierdurch —ungeachtet der Frage, ob Steuerforderung und Steuerschuld durch Konfusion erloschen sind— die Durchführung des Verwaltungsverfahrens nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO nicht berührt wird (vgl. , BFHE 145, 109, BStBl II 1986, 148; vom II R 20/01, BFHE 200, 397, BStBl II 2003, 228, und vom V R 66/03, BFH/NV 2005, 710; zur Vollstreckung s. , BFHE 212, 388, BStBl II 2006, 584).

bb) Das FG hätte im Verfahren betreffend die gesonderte Feststellung (§ 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO) nicht über die Mitunternehmerstellung der Klägerin entscheiden dürfen; vielmehr war es verpflichtet, das Klageverfahren nach § 74 FGO bis zum Abschluss des —vorgreiflichen— gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellungsverfahrens auszusetzen (, BFH/NV 2003, 1282, m.w.N.; Gräber/ Koch, a.a.O., § 74 Rz 12, m.w.N.). Denn ein Verfahren zur gesonderten und einheitlichen Feststellung muss bereits dann durchgeführt werden, wenn ernstlich zweifelhaft ist, ob überhaupt einkommensteuerpflichtige Einkünfte erzielt werden und/oder ob diese mehreren Personen zuzurechnen sind, da auch über diese (Vor-)Fragen —entsprechend dem materiell-rechtlichen Zweck des Verfahrens, eine inhaltlich identische Sachbehandlung gegenüber allen potentiell betroffenen Steuerpflichtigen sicherzustellen— nur einheitlich gegenüber allen (potentiell) an den Einkünften Beteiligten entschieden werden kann (, BFHE 145, 308, BStBl II 1986, 239; Söhn in HHSp, § 179 AO Rz 52, § 180 AO Rz 158, m.w.N.)

cc) Die Nichtbeachtung dieser Grundsätze begründet nicht nur einen Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens (BFH-Urteil in BFH/NV 2003, 1282). Sie hat darüber hinaus —ohne dass der Senat der Frage nachzugehen braucht, inwieweit die Entscheidungsgründe überhaupt in materielle Rechtskraft (§ 110 FGO) erwachsen (vgl. dazu Gräber/von Groll, a.a.O., § 110 Rz 10 und 14)— zur Folge, dass die Erwägungen des nur gegenüber der Klägerin ergangenen vorinstanzlichen Urteils (vgl. § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FGO) zur Mitunternehmerstellung der Klägerin (sowie von B) für das gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellungsverfahren keine Bindungswirkung entfalten. Denn diese Rechtsfragen sind —wie dargelegt— Gegenstand einer gegenüber allen Feststellungsbeteiligten (Klägerin sowie Erben des B) einheitlich zu treffenden Entscheidung (§§ 179 Abs. 2 Satz 2, 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO; hier: Bescheid vom ).

Demgemäß ist im Rahmen des anhängigen Einspruchs gegen den Gewinnfeststellungsbescheid vom das Vorbringen der Klägerin dazu, dass ihr die aus der Gastwirtschaft „.” erzielten Einkünfte des Streitjahres (2001) weder als Alleinunternehmerin noch als Mitunternehmerin zuzurechnen sind, vom FA ohne Rücksicht auf die rechtliche Beurteilung des FG im angegriffenen Urteil (betreffend gesonderte Gewinnfeststellung) zu prüfen; nur die im Rahmen der gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellung getroffenen Feststellungen (betreffend Mitunternehmerstellung und —ggf.— Anteil an den Einkünften) —nicht hingegen die rechtlichen Ausführungen der Vorinstanz zum Verfahren betreffend die gesonderte Feststellung— sind mit anderen Worten nach § 182 AO bei der Einkommensteuerfestsetzung der Klägerin zu berücksichtigen. Gleiches würde für eine gerichtliche Entscheidung betreffend den Bescheid vom gelten.

c) Das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin für die anhängige Revision (betreffend die gesonderte Gewinnfeststellung) lässt sich schließlich nicht aus den Grundsätzen des (BFH/NV 2000, 564, unter II.4.a der Gründe) ableiten, nach denen eine die Revision eröffnende (materielle) Beschwer darin zu sehen sein kann, dass die Vorinstanz über einen vom Kläger im finanzgerichtlichen Verfahren nicht gestellten Antrag mit einem Urteilstenor entscheidet, der weder in der AO noch in den materiellen Steuergesetzen eine Rechtsgrundlage findet und der deshalb auch nicht getroffen werden durfte. Obgleich einem solchen Entscheidungssatz keine Bindungswirkung zukomme, müsse dem Kläger —so das BFH-Urteil in BFH/NV 2000, 564— das Recht zustehen, den Rechtsschein des Urteilsspruchs zu beseitigen (gl.A. Gräber/ Ruban, a.a.O., Vor § 115 Rz 13 a.E.).

Die Rechtsgrundsätze dieser Entscheidung, denen sich der erkennende Senat anschließt, sind auf den Streitfall nicht übertragbar, da das FG nicht über einen von der Klägerin nicht gestellten Antrag entschieden, sondern ihrer Klage —antragsgemäß— stattgegeben hat. Zudem hat die Vorinstanz keine Entscheidung getroffen, die einer verfahrensrechtlichen Grundlage entbehren würde; vielmehr hat das FG —wie in § 100 Abs. 1 FGO vorgesehen— der Klage durch Kassationsurteil entsprochen und den angefochtenen Bescheid über die gesonderte Feststellung des Gewinns aufgehoben.

3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 2 FGO. Gerichtskosten für das Revisionsverfahren werden nicht erhoben, da das FG die Einlegung der Revision sowohl durch seine materiell-rechtlichen Ausführungen als auch durch die Zulassung des Rechtsmittels veranlasst hat (§ 21 i.V.m. § 1 Satz 1 Nr. 3 des Gerichtskostengesetzes).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 1298 Nr. 8
HAAAC-83314