Leitsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: GG Art. 3 Abs. 1; GG Art. 100 Abs. 1; GG Art. 101 Abs. 1 Satz 2; GG Art. 101 Abs. 1 Satz 2
Instanzenzug: BSG, B 12 RA 8/03 R vom Bayerisches LSG, L 13 RA 109/01 vom SG München, S 16 RA 1070/99 vom
Gründe
Die miteinander verbundenen Verfassungsbeschwerden betreffen die sogenannte "Friedensgrenze" zwischen gesetzlicher Rentenversicherung und berufsständischer Versorgung. Gegenstand der Entscheidung ist die Befreiungsmöglichkeit von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für Mitglieder einer berufsständischen Versorgungseinrichtung, die in einem rentenversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis beschäftigt sind (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI).
I.
Genügte für die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung bis zum die Pflichtmitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung, wurden die Voraussetzungen in der Person des Versicherten durch das Gesetz zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom (BGBl I S. 1824) verschärft. Seit dem muss zugleich auch eine kraft Gesetzes verpflichtende Mitgliedschaft in einer berufsständischen Kammer bestehen.
§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom lautet:
Von der Versicherungspflicht werden befreit
1. Angestellte und selbständig Tätige für die Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, wenn
a) am jeweiligen Ort der Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit für ihre Berufsgruppe bereits vor dem eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bestanden hat,
b) für sie nach näherer Maßgabe der Satzung einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zur berufsständischen Versorgungseinrichtung zu zahlen sind und
c) aufgrund dieser Beiträge Leistungen für den Fall verminderter Erwerbsfähigkeit und des Alters sowie für Hinterbliebene erbracht und angepasst werden, wobei auch die finanzielle Lage der berufsständischen Versorgungseinrichtung zu berücksichtigen ist.
Die Beschwerdeführer sind als Ingenieure in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig beschäftigt. Seit März bzw. Dezember 1998 sind sie freiwillige Mitglieder der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau. Diese war mit Satzung vom (StAnz Nr. 37/1994) auf der Grundlage von Art. 9 des Gesetzes über den Schutz der Berufsbezeichnung "Beratender Ingenieur" und "Beratende Ingenieurin" sowie über die Errichtung einer Bayerischen Ingenieurekammer-Bau (Bayerisches Ingenieurekammergesetz Bau, BayIKaBauG) vom (GVBl S. 164) gegründet worden. Mit ihrem Beitritt zur Bayerischen Ingenieurekammer-Bau wurden die Beschwerdeführer nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über das öffentliche Versorgungswesen vom (GVBl S. 466) Mitglieder der mit Wirkung zum errichteten Bayerischen Ingenieurversorgung-Bau (seit dem : Bayerische Ingenieurversorgung-Bau mit Psychotherapeutenversorgung). Beide Beschwerdeführer hatten bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (jetzt: Deutsche Rentenversicherung Bund) erfolglos die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI beantragt. Auch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit haben den jeweils geltend gemachten Anspruch auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht mit der Begründung verneint, es bestehe keine Pflichtmitgliedschaft in einer berufsständischen Kammer. Im Verfahren 1 BvR 1060/05 hat das Bundessozialgericht die Revision gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts zurückgewiesen. In dem Ausgangsverfahren zu der Verfassungsbeschwerde 1 BvR 1753/05 hatte der Beschwerdeführer zu 2) gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts Beschwerde erhoben, die das Bundessozialgericht als unzulässig verworfen hat.
Mit ihren Verfassungsbeschwerden wenden sich die Beschwerdeführer unmittelbar gegen die Entscheidungen der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit und mittelbar gegen § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom . Beide Beschwerdeführer rügen eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG und sehen in der Unterscheidung zwischen freiwilligen Mitgliedern einer berufsständischen Kammer und deren Pflichtmitgliedern eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung. Da die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit die Frage nach der Vereinbarkeit von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI mit Verfassungsrecht nicht dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung nach Art. 100 Abs. 1 GG vorgelegt haben, rügen die Beschwerdeführer zudem eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
II.
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen. Annahmegründe gemäß § 93a Abs. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerden sind ohne Aussicht auf Erfolg.
1. Soweit die Beschwerdeführer jeweils eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG rügen, sind die Verfassungsbeschwerden bereits unzulässig. Es fehlt an einer hinreichenden Begründung nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG. Zwar kann jemand seinem gesetzlichen Richter auch dadurch entzogen werden, dass ein Gericht die Verpflichtung zur Vorlage an ein anderes Gericht außer Acht lässt (vgl. BVerfGE 87, 282 <285>; stRspr). Dies gilt auch für die unterlassene Anrufung des Bundesverfassungsgerichts. Aus dem Vortrag der Beschwerdeführer geht jedoch nicht hervor, dass die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG willkürlich unterlassen hätten (vgl. BVerfGE 23, 288 <320>; 64, 1 <20 f.>). Allein die Feststellung der Beschwerdeführer, aufgrund ihres Vorbringens im Ausgangsverfahren hätte sich die Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit aufdrängen müssen, genügt zur Begründung einer möglichen Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht.
2. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Beschwerdeführer zu 2) den Rechtsweg nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ordnungsgemäß erschöpft hat. Das Bundessozialgericht hatte die gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts erhobene Beschwerde als unzulässig verworfen. Eine Verfassungsbeschwerde ist in der Regel unzulässig, wenn ein an sich gegebenes Rechtsmittel, durch dessen Gebrauch der behauptete Grundrechtsverstoß hätte ausgeräumt werden können, aus prozessualen Gründen erfolglos bleibt (vgl. BVerfGE 74, 102 <114>; BVerfGK 1, 222 <223>). Es bestehen Zweifel, ob sich dem Vortrag des Beschwerdeführers zu 2) entnehmen lässt, dass das Bundessozialgericht an die Begründung nach § 160a Abs. 2 Satz 3 SGG überhöhte Anforderungen nach Art. 19 Abs. 4 GG gestellt hat (vgl. BVerfGE 10, 264 <268>).
3. Jedenfalls sind die Verfassungsbeschwerden unbegründet. Die Beschwerdeführer werden durch § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt.
Gegen den allgemeinen Gleichheitssatz wird verstoßen, wenn der Gesetzgeber eine Gruppe anders behandelt als eine andere, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht vorliegen, die die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. BVerfGE 109, 96 <123>; stRspr). Nach der Änderung des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI durch das Gesetz zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom werden Pflichtmitglieder von berufsständischen Versorgungseinrichtungen bei der Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterschiedlich behandelt: Seit dem können nur noch diejenigen unter ihnen erfolgreich einen Antrag auf Befreiung stellen, die zugleich auch kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind. Zudem muss diese Pflichtmitgliedschaft am jeweiligen Ort der Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit für die Berufsgruppe des Antragstellers bereits vor dem bestanden haben.
Diese Ungleichbehandlung ist jedoch durch sachliche Gründe gerechtfertigt. Es steht nicht im Streit, ob die Beschwerdeführer überhaupt der Versicherungspflicht bei einem öffentlich-rechtlichen Rentenversicherungsträger unterliegen, sondern ob sie zwischen der Versicherung der damaligen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte - jetzt Deutsche Rentenversicherung Bund - und ihrem berufständischen Versorgungswerk des Landes wählen dürfen. Die Befreiungsvorschrift des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI entlässt nicht völlig aus der Versicherungspflicht in der öffentlichen Sozialversicherung, sondern nur aus der zur gesetzlichen Rentenversicherung nach SGB VI, um in ein berufständisches Versorgungswerk mit günstigeren Bedingungen zu wechseln. Deswegen ist allein dieser Sachverhalt vor dem Gleichheitsgrundsatz zu würdigen. Der Gesetzgeber verfolgte mit der Änderung des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI durch das Gesetz zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom das Ziel, die Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung langfristig zu sichern. Unter Hinweis auf die jüngste Erstreckung der berufsständischen Versorgung auf neue Berufsgruppen wie der Wirtschaftsprüfer und der Bauingenieure befürchtete der Gesetzgeber durch die Gründung von weiteren neuen berufsständischen Versorgungseinrichtungen eine zunehmende Abwanderung von Versicherten zu Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung (vgl. BTDrucks 13/2590 S. 18).
Die Pflichtmitgliedschaft in einer berufsständischen Kammer, die bereits vor dem am jeweiligen Ort der Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit für die Berufsgruppe bestanden haben muss, ist kein sachfremdes berufsrechtliches Kriterium. Sie dient allein der Beschreibung des bisher zur Befreiung von der Rentenversicherungspflicht berechtigt gewesenen Personenkreises. Die Entscheidung über die Befreiungsmöglichkeit und damit letztlich die Zugehörigkeit zur gesetzlichen Rentenversicherung wird dadurch nicht dem Landesgesetzgeber zugewiesen, der über die in Kammern organisierten Berufsgruppen bestimmt. Vielmehr folgt § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI (abgesehen von der aufgrund der Übergangsvorschrift des § 231 Abs. 3 SGB VI bis zum vorübergehend noch vorhandenen, eingeschränkten Gestaltungsmöglichkeit) der von den Gesetzgebern der Länder bereits vor dem geschaffenen Rechtsordnung.
Bei Errichtung von Versorgungswerken für alle Ingenieure erwartete der Gesetzgeber infolge der Befreiung der rentenversicherungspflichtigen Ingenieure jährliche Mindereinnahmen in der gesetzlichen Rentenversicherung von bis zu 10 Milliarden DM und eine daraus folgende Anhebung des Beitragssatzes um bis zu 0,7%. Für die Berufsgruppe der Bauingenieure nahm der Gesetzgeber einen Verlust von bis zu 2 Milliarden DM im Jahr und eine notwendige Erhöhung des Beitragssatzes von bis zu 0,2% an (vgl. BTDrucks 13/2590, S. 18). Dabei kam dem Gesetzgeber ein Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum zu. Dies galt umso mehr, als der Gesetzgeber sein Tätigwerden auf die Befürchtung zukünftiger, im einzelnen nicht absehbarer weiterer Abwanderungstendenzen zugunsten erst neu zu gründender Versorgungswerke für bislang nicht in berufsständischen Kammern organisierte Berufsgruppen stützte. Das Bundesverfassungsgericht kann solche Prognosen nur eingeschränkt überprüfen (vgl. BVerfGE 75, 78 <100>), zumal die Erforderlichkeit gesetzgeberischer Maßnahmen im Rahmen der verfassungsrechtlichen Prüfung nicht rückschauend, sondern nur von dem bei Erlass des Gesetzes gegebenen Erkenntnisstand aus beurteilt werden kann (vgl. BVerfGE 76, 220 <242>).
Das Anliegen des Gesetzgebers, Versicherte mit typischerweise günstigen Risiken in der Versichertengemeinschaft der gesetzlichen Rentenversicherung zu halten, verliert nicht deshalb an Bedeutung, weil die Zahl der Mitglieder in berufsständischen Versorgungseinrichtungen im Verhältnis zu den Versicherten in der gesetzlichen Rentenversicherung äußerst niedrig und darunter die Anzahl der Ingenieure verschwindend gering war (vgl. dazu Papier, Berufsständische Altersversorgung und gesetzliche Rentenversicherung, in: Ruland/v. Maydell/Papier (Hrsg.), Verfassung, Theorie und Praxis des Sozialstaats, Festschrift für Hans F. Zacher, 1998, S. 689 <701 f.>). Der Gesetzgeber ist vorsorglich tätig geworden und wollte die Gründung von neuen berufsständischen Versorgungseinrichtungen über die bereits verpflichtend in Kammern organisierten Berufsgruppen hinaus verhindern.
Diejenigen Versicherten, die sich nunmehr nicht mehr von der Rentenversicherungspflicht befreien lassen können, werden durch das Satzungsrecht der berufsständischen Versorgungseinrichtungen vor einer doppelten Beitragslast geschützt. Die Beschwerdeführer können sich als freiwillige Mitglieder der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 der Satzung der Bayerischen Ingenieurversorgung-Bau mit Psychotherapeutenversorgung vom (BayStAnz Nr. 4/1995), zuletzt geändert durch die 7. Änderungssatzung vom (BayStAnz Nr. 1/2006), von der Pflichtmitgliedschaft in der Versorgungsanstalt befreien lassen. Die für die Beschwerdeführer zuständige berufsständische Versorgungseinrichtung geht in ständiger Praxis sogar erst bei tatsächlich erfolgter Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI von einer Verpflichtung aus, an sie Beiträge zu entrichten (vgl. im Beschwerdeverfahren 1 BvR 1060/05 die Seite 4, und des Landessozialgerichts vom , Seite 2).
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstelle(n):
PAAAC-83077