Keine Steuererklärungspflicht bei Unterschreiten der Grenzbeträge des § 56 EStDV
Leitsatz
Bei der Prüfung der Einkommensgrenzen des § 56 EStDV muss nicht ein bestimmter Gesamtbetrag der Einkünfte ermittelt werden, wenn nach Abzug der steuerfreien Einkunftsteile von den Bruttoeinkünften die höchstmöglichen Gesamtbeträge der Einkünfte die Grenzwerte des § 56 EStDV unterschreiten. Bei Einkünften unterhalb der Grenzbeträge des § 56 EStDV besteht eine Einkommensteuer-Erklärungspflicht auch dann nicht, wenn der Steuerpflichtige Einkommensteuer-Vorauszahlungen (z. B. in Form der Kapitalertragsteuer) geleistet hat.
Gesetze: EStDV § 56
Instanzenzug:
Gründe
I. Streitpunkt ist, ob der mit Steuererstattungen rechnende Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) für die Streitjahre 1999 und 2000 zur Einkommensteuer zu veranlagen ist.
Der Kläger war in den Streitjahren Rentner und bezog aus drei Renten insgesamt Einnahmen in Höhe von —nach den Feststellungen der Vorinstanz— 23 221,02 DM (1999) bzw. 23 513,34 DM (2000). Seine Einnahmen aus Kapitalvermögen, hinsichtlich derer die Banken Zinsabschlagsteuer und Solidaritätszuschlag einbehalten hatten, betrugen im Jahr 1999 2 995 DM und im Jahr 2000 5 723,47 DM. Der Kläger reichte im Jahr 2006 Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1999 bis 2005 ein. Die die Streitjahre betreffenden Erklärungen gingen am beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) ein. Das FA veranlagte den Kläger für die Jahre 2001 bis 2005 zur Einkommensteuer.
Für die Streitjahre erließ das FA Bescheide über die Nichtveranlagung zur Einkommensteuer, nach denen eine Veranlagung des Klägers zu Einkommensteuer und Kirchensteuer sowie eine Festsetzung zum Solidaritätszuschlag nicht durchgeführt wurde, weil sich ohne besondere Prüfung ergebe, dass für das zu versteuernde Einkommen eine Einkommensteuer nicht festzusetzen sei und Kapitalertragsteuer und/oder Körperschaftsteuer nicht anzurechnen seien. Weiter heißt es in den Bescheiden, eine Erstattung von Kapitalertragsteuer richte sich nach § 44b des Einkommensteuergesetzes (EStG 1997). Einen entsprechenden Antrag habe der Kläger nicht gestellt; die Antragsfrist sei abgelaufen.
Die dagegen erhobene Klage, mit der der Kläger begehrt, ihn für die Streitjahre zur Einkommensteuer zu veranlagen, hat das Niedersächsische wegen Festsetzungsverjährung abgewiesen.
Mit seiner Beschwerde beantragt der Kläger die Zulassung der Revision gegen das FG-Urteil und begründet dies mit Verfahrensfehlern des FG und mit einer unzutreffenden Rechtsanwendung.
Das FA beantragt, die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.
II. Die Beschwerde ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen. Die gerügten Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) liegen —soweit der Kläger dazu überhaupt hinreichend vorgetragen hat— nicht vor. Andere Revisionszulassungsgründe hat der Kläger nicht hinreichend dargetan.
1. Das FG hat nicht unter Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO über einen Gegenstand befunden, den der Kläger nicht zur Entscheidung gestellt hatte. Das Klagebegehren geht ausweislich der vom Kläger eingereichten Schriftsätze und des im Tatbestand des FG-Urteils wiedergegebenen Sachantrags dahin, das FA zu verpflichten, ihn für die Streitjahre zur Einkommensteuer zu veranlagen, d.h. die Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln und die Einkommensteuer festzusetzen. Soweit der Kläger auch gefordert hat, ihm die sich nach der Veranlagung als überzahlt ergebende Steuer zu erstatten und das FG dies in die Formulierung des Klageantrags übernommen hat, sollte es sich ganz offenkundig auch aus Sicht des FG nicht um die klageweise Geltendmachung eines bestimmten Zahlungsanspruchs handeln. Wie sich aus der Formulierung „die sich dann als überzahlt ergebenden Steuern . zu erstatten” ergibt, handelt es sich dabei vielmehr um einen allgemeinen Hinweis auf die einer Steuerfestsetzung für den Fall folgende Auszahlungspflicht des FA gemäß § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG 1997, dass sich, wie hier erwartet, ein Einkommensteuer-Überschuss zugunsten des Klägers errechnet.
Allerdings hat das FG unter Gliederungspunkt 3. der Entscheidungsgründe missverständlich ausgeführt, das FA habe zu Recht einen Antrag des Klägers auf Erstattung von Kapitalertragsteuer gemäß § 44b EStG 1997 abgelehnt, weil Zahlungsverjährung eingetreten sei. Ein solcher Erstattungsantrag war indes nicht Gegenstand der streitgegenständlichen Nichtveranlagungsbescheide des FA. In der Begründung dieser Bescheide heißt es vielmehr ausdrücklich, dass der Kläger einen Antrag nach § 44b EStG 1997 nicht gestellt habe. Auch dem im Tatbestand des FG-Urteils wiedergegebenen Begehren des Klägers („macht geltend, dass Einkommensteuerveranlagungen . durchzuführen seien”) lässt sich nicht entnehmen, dass dieser sich aus Sicht des FG mit der Klage gegen die Ablehnung eines Erstattungsantrags nach § 44b EStG 1997 wendet. Bei verständiger Würdigung des FG-Urteils ist die Befassung mit § 44b EStG 1997 mithin dahin zu verstehen, dass das FG —wie zuvor das FA in den angefochtenen Bescheiden— zum Ausdruck bringen wollte, dass ein Erstattungsantrag gemäß § 44b EStG 1997, wenn er vom Kläger gestellt worden wäre, wegen verspäteter Antragstellung hätte abgelehnt werden müssen.
2. Das FG hat die Klageabweisung ohne durchgreifende Verfahrensfehler auf eine nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) eingetretene Festsetzungsverjährung, die mangels Erklärungspflicht des Klägers nicht durch eine Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO hinausgeschoben worden ist, gestützt.
a) Einen Verstoß gegen die Verpflichtung zur Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 96 Abs. 2 FGO) hat der Kläger nicht schlüssig dargetan. Soweit das FG im angefochtenen Urteil —abweichend von seiner ursprünglich geäußerten Rechtsauffassung— die angegriffenen Bescheide als Ablehnungen von Anträgen auf Steuerfestsetzung interpretiert, ist es letztlich der Rechtsauffassung des Klägers gefolgt, so dass schon deshalb eine Gehörsverletzung ausscheidet. Im Übrigen —und das gilt auch für die Thematisierung der Voraussetzungen des § 56 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV 1997/2000) im FG-Urteil— kann sich der Kläger auch deshalb nicht auf eine Gehörsverletzung stützen, weil er nicht zur mündlichen Verhandlung vor dem FG erschienen ist. Auch den Kläger trifft im Rahmen des § 96 Abs. 2 FGO eine besondere Prozessverantwortung; er hat alles in seinen Kräften Stehende und nach Lage der Dinge Erforderliche zu tun, um sein Recht auf Gehör zu verwirklichen (, BFH/NV 1996, 216, m.w.N.). Daran fehlt es, wenn er —wie im Streitfall— trotz rechtzeitiger und ordnungsgemäßer Ladung nicht zur mündlichen Verhandlung erscheint (, BFH/NV 2000, 580). Soweit der Kläger in der Beschwerdebegründung mutmaßt, das FG habe sich seine Rechtsauffassung möglicherweise erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung gebildet, muss dem schon mangels jeglicher Tatsachengrundlage nicht weiter nachgegangen werden.
b) Einen entscheidungserheblichen Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) bzw. die Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) im Zusammenhang mit der Prüfung der Einkommensgrenzen des § 56 EStDV 1997/2000 im Streitfall hat der Kläger nicht dargetan. Das FG war auf der Basis seiner Rechtsauffassung nicht zwingend gehalten, einen bestimmten Gesamtbetrag der Einkünfte zu ermitteln, sondern durfte sich darauf beschränken, von den Bruttobeträgen die denkbaren Höchstbeträge der in Abzug zu bringenden steuerfreien Einkunftsteile zu subtrahieren. Denn wenn die danach ermittelten höchstmöglichen Gesamtbeträge der Einkünfte —wie hier der Fall— die Grenzwerte des § 56 EStDV 1997/2000 unterschreiten, erübrigen sich genauere Feststellungen. Soweit der Kläger geltend macht, das FG habe aufgrund der Verwechslung von DM- und Euro-Beträgen die Renteneinnahmen des Klägers jeweils (um ca. 900 bis 1 000 DM) zu niedrig angesetzt, ergibt sich hieraus nicht, dass bei Zugrundelegung der zutreffenden Beträge die Grenzbeträge des § 56 EStDV 1997/2000 überschritten wären. Gleiches gilt für den Umstand, dass das FG für das Streitjahr 2000 fälschlich von einem Sparerfreibetrag von 6 000 DM anstatt von dem in diesem Jahr tatsächlich geltenden Freibetrag von 3 000 DM ausgegangen ist.
c) Ein Verfahrensfehler kann des Weiteren nicht darin gesehen werden, dass sich das FG nicht näher mit der Frage befasst hat, ob eine Einkommensteuer-Erklärungspflicht des Klägers aufgrund behördlicher Aufforderung gemäß § 149 Abs. 1 Satz 2 AO bestanden hat, die eine Anlaufhemmung gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO ausgelöst haben könnte. Denn aus dem Vorbringen des Klägers im Klageverfahren, die Auskunftsstelle des FA habe „angeregt”, dass der Kläger (auch) für die Streitjahre noch eine Einkommensteuererklärung abgebe, und ihm die entsprechenden Formulare übergeben, lässt sich in keinem Fall auf eine verbindliche Aufforderung des FA zur Abgabe einer Steuererklärung schließen.
d) Dass das FG das Verfahren nicht bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) über die Vorlagebeschlüsse des (BFHE 213, 508, BStBl II 2006, 808) und VI R 46/05 (BFHE 213, 536, BStBl II 2006, 820) ausgesetzt hat, ist verfahrensrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Eine Aussetzung wegen Vorgreiflichkeit gemäß § 74 FGO hätte in diesem Zusammenhang vorausgesetzt, dass es bei den zu erwartenden Entscheidungen des BVerfG um die Verfassungsmäßigkeit einer Gesetzesnorm geht, die auch im Streitfall entscheidungserheblich ist. Das ist hier jedoch nicht der Fall, weil nach der für die Prüfung auf Verfahrensfehler maßgeblichen Rechtsauffassung des FG (vgl. nur , BFHE 170, 88, BStBl II 1993, 235) eine Verfassungswidrigkeit der in den Vorlagebeschlüssen des BFH zur Überprüfung gestellten Bestimmung des § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG 1997 weder unmittelbar noch mittelbar Auswirkungen auf die Entscheidung des Streitfalls haben würde.
e) Das vom Kläger beantragte Ruhen des Verfahrens gemäß § 155 FGO i.V.m. § 251 der Zivilprozessordnung durfte das FG nicht anordnen, weil hierfür ein entsprechender Antrag beider Hauptbeteiligter erforderlich ist (Senatsbeschlüsse vom I B 72/97, BFH/NV 1998, 601; vom I B 23/06, BFH/NV 2006, 2287). Das FA hat einen solchen Antrag aber nicht gestellt. Soweit der Kläger bemängelt, das FA sei zum Ruhensantrag des Klägers nicht gehört worden, kann das nicht nachvollzogen werden. Ausweislich der aus den Verfahrensakten ersichtlichen richterlichen Verfügungen sind dem FA alle vom Kläger eingereichten Schriftsätze übermittelt worden. Einer ausdrücklichen gerichtlichen Aufforderung an das FA, zu den Ruhensanträgen des Klägers Stellung zu nehmen, bedurfte es nicht.
3. Die Rüge, das FG habe sich nicht damit befasst, ob dem Kläger im Hinblick auf den Erstattungsanspruch nach § 44b EStG 1997 wegen dessen Rechtsunkundigkeit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei, geht schon deshalb ins Leere, weil ein solcher Erstattungsanspruch auch nach der vom Kläger in der Beschwerdebegründung vertretenen Sichtweise nicht Gegenstand des Rechtsstreits ist (vgl. oben II. 1.). Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass der mittlerweile fachkundig vertretene Kläger beim FA überhaupt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO beantragt hat.
4. Soweit sich der Kläger in seiner Beschwerdebegründung mit der materiell-rechtlichen Begründung des FG befasst, hat er die Voraussetzungen eines Zulassungsgrundes nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 FGO nicht dargetan. Das gilt auch für den vom Kläger unter Berufung auf die zu § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG ergangenen Vorlagebeschlüsse des VI. Senats des BFH (in BFHE 213, 508, BStBl II 2006, 808 und BFHE 213, 536, BStBl II 2006, 820) geltend gemachten Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG).
Zunächst fehlt es insoweit schon an jeglicher Darlegung des Klägers dazu, welcher konkrete Zulassungsgrund des § 115 Abs. 2 FGO überhaupt gegeben sein soll. Außerdem macht er nicht die Verfassungswidrigkeit einer Norm geltend, sondern spricht von einer verfassungskonformen Auslegung des § 25 EStG 1997, den er dahin verstanden wissen will, dass eine Einkommensteuer-Erklärungspflicht auch unterhalb der Grenzbeträge des § 56 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStDV 1997/2000 immer dann bestehen solle, wenn der Steuerpflichtige Einkommensteuer-Vorauszahlungen (z.B. in Form der Kapitalertragsteuer) geleistet habe. Abgesehen davon, dass ein solches Verständnis mit Wortlaut und Systematik von § 25 EStG 1997 und § 56 EStDV 1997/ 2000 schwerlich in Einklang zu bringen ist, handelt es sich hierbei um einen Ansatz, der keine unmittelbare Parallele zu den Erwägungen in den Vorlagebeschlüssen des BFH zu § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG aufweist. Denn für verfassungswidrig wird in diesen Beschlüssen nicht der Umstand gehalten, dass Bezieher von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gemäß § 46 EStG unter bestimmten Voraussetzungen nicht zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet sind. Wenn überhaupt eine Parallele von den Vorlagebeschlüssen zur Thematik des Streitfalls zu ziehen wäre, dann könnte diese allenfalls daran anknüpfen, dass § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO eine Anlaufhemmung nur für den Fall vorsieht, dass eine Steuererklärungspflicht besteht. Mit der Frage, inwiefern diese Differenzierung mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, befasst sich die Beschwerdebegründung indes nicht.
5. Von einer weiter gehenden Begründung —auch zum geltend gemachten Verstoß des FG-Urteils gegen die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG— wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 1353 Nr. 8
NWB-Eilnachricht Nr. 32/2008 S. 12
AAAAC-82755