Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde: keine Schätzung bei Verletzung von Mitwirkungspflichten
Gesetze: FGO § 116 Abs. 3 Satz 3, AO § 162, AO § 90
Instanzenzug:
Gründe
I. Streitpunkt ist, ob ein Bescheid über die Änderung eines Körperschaftsteuerbescheids nichtig ist.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) setzte die Körperschaftsteuer der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), einer GmbH, für das Streitjahr 2002 zunächst unter dem Vorbehalt der Nachprüfung auf der Grundlage der von der Klägerin vorgelegten Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung fest. Parallel dazu forderte das FA den steuerlichen Vertreter der Klägerin mehrfach schriftlich und mündlich auf, die Aufwandskonten 6300 („sonstige betriebliche Aufwendungen”) und 5902 („sonstige Kosten Projekte”) der Gewinn- und Verlustrechnung zu erläutern. Nachdem eine Reaktion ausblieb, forderte das FA schließlich die Klägerin selbst unter Fristsetzung schriftlich zur Erläuterung der beiden Konten auf und kündigte an, die Aufwendungen bei einer endgültigen Veranlagung nicht zu berücksichtigen, wenn die Erläuterung unterbleibe.
Nach ergebnislosem Fristablauf änderte das FA den Körperschaftsteuerbescheid mit Bescheid vom unter Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung dahin, dass es den in den Konten 6300 (s.o.) und 5000 („Aufwendungen Projekte”) abgebildeten Aufwand nicht als Betriebsausgaben anerkannte und eine entsprechend höhere Körperschaftsteuer festsetzte. In den Erläuterungen zum Änderungsbescheid führte es aus, die beiden Konten würden nicht anerkannt, weil die zahlreichen schriftlichen und mündlichen Anfragen nicht beantwortet worden seien.
Im April 2006 beantragte die Klägerin beim FA ohne Erfolg die Feststellung der Nichtigkeit des Änderungsbescheids. Die anschließende Klage hat das abgewiesen.
Die Klägerin begehrt mit ihrer Beschwerde die Zulassung der Revision gegen das FG-Urteil.
Das FA beantragt, die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Klägerin hat entgegen § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht hinreichend dargetan, dass im Streitfall ein Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 FGO besteht.
1. Die Klägerin wirft in ihrer Beschwerdebegründung zunächst die Frage auf, ob es eine „Beweismaßreduzierung auf Null” gebe, die bei Verletzung von Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen die Verwaltung dazu berechtige, alle übrigen Sachverhalte eines Einzelfalls außer Acht zu lassen und eine Schätzung nach § 162 der Abgabenordnung (AO) nicht vorzunehmen.
Einen konkreten Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 FGO benennt die Klägerin insoweit allerdings nicht. Ihre weiteren Ausführungen lassen darauf schließen, dass sie offenbar eine Abweichung des angefochtenen Urteils von anderweitiger Rechtsprechung, mithin die Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO geltend machen will. Den zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes erforderlichen Voraussetzungen werden die Ausführungen aber nicht gerecht:
So fehlt es bereits an der gebotenen Gegenüberstellung eines das FG-Urteil tragenden abstrakten Rechtssatzes mit konkreten abstrakten Rechtssätzen aus den in Bezug genommenen Vergleichsurteilen (vgl. zu diesem Erfordernis etwa BFH-Beschlüsse vom VIII B 295/04, BFH/NV 2006, 339; vom X B 10/05, BFH/NV 2006, 777; Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 42, m.w.N.). Darüber hinaus macht die Klägerin geltend, dass den zum Vergleich herangezogenen BFH-Entscheidungen (Urteile vom IV R 101/75, BFHE 119, 164, BStBl II 1976, 562; vom X R 16/86, BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462; Beschluss vom X B 115/04, juris) in wesentlichen Punkten anders gelagerte Sachverhalte als im Streitfall zugrunde gelegen haben. In diesem Fall wäre eine Divergenz jedoch ausgeschlossen.
Des Weiteren legt die Klägerin die Klärungsfähigkeit der behaupteten Abweichung in einem künftigen Revisionsverfahren (vgl. hierzu , BFH/NV 2005, 1116; Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 43) nicht dar. So ist dem Vorbringen der Klägerin insbesondere nichts dazu zu entnehmen, aufgrund welcher konkreten Tatsachen und in welcher Höhe dem FA im Streitfall auch ohne Mitwirkung der Klägerin eine Schätzung der aberkannten Betriebsausgaben überhaupt möglich gewesen sein soll.
2. Sodann befasst sich die Beschwerdebegründung mit dem Umstand, dass das FA lt. Begründung des Steuerbescheids die Betriebsausgaben bezüglich des Kontos 5000 („Aufwendungen Projekte”) aberkannt hat, obwohl es zu diesem Konto der Gewinn- und Verlustrechung von der Klägerin zuvor keine näheren Erläuterungen verlangt hatte. Die Klägerin macht als Zulassungsgrund insoweit sowohl eine grundsätzliche Bedeutung der Sache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) als auch eine Divergenz des angefochtenen Urteils zu den Urteilen des und des (beide juris) geltend, nach denen das FA eine Schätzung ohne Schätzungsanlass wie Buchführungsmängel oder erfolglose Auskunftsverlangen nach § 158, § 160 AO nicht vornehmen dürfe.
Es ist anhand der Beschwerdebegründung indes nicht zu ersehen, dass das angefochtene Urteil insoweit auf dem Rechtssatz beruht, Schätzungen seien auch ohne jeden konkreten Schätzungsanlass zulässig. Denn das FG hat die Nichtanerkennung der . € durch das FA ausschließlich deshalb gebilligt, weil es sich bei dem Abzug des Betrages und der Angabe des Kontos 5000 um ein offensichtliches Versehen des FA gehandelt habe, welches sich letztlich —da es nicht zum Abzug des gesamten Betrages des tatsächlich gemeinten Kontos 5902 („sonstige Kosten Projekte”) gekommen sei— nur zugunsten der Klägerin ausgewirkt habe. Deshalb passt auch das von der Klägerin als Vergleichsfall gebildete Extrembeispiel (unbeantwortetes Auskunftsersuchen wegen Spendenabzugs, sodann Streichung der gesamten Personalkosten), welches ein willkürliches Handeln der Verwaltung und gerade kein offensichtliches Versehen indiziert, hier nicht.
Soweit die Klägerin sich inhaltlich gegen die Annahme eines offensichtlichen Versehens des FA wendet, kann hieraus ein Zulassungsgrund nicht abgeleitet werden. Es handelt sich dabei um eine tatrichterliche Feststellung in einem Einzelfall, hinsichtlich derer ein Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) nicht ersichtlich und auch nicht geltend gemacht ist.
3. Aus der Rüge, das FG habe nicht geprüft, ob sich die Nichtigkeit des verfahrensgegenständlichen Steuerbescheids aus anderen Gesichtspunkten, insbesondere aus den mit der Klage geltend gemachten Rechtsgründen der „Strafschätzung” bzw. des „enteignungsgleichen Eingriffs” ergebe, lässt sich weder auf die von der Klägerin geltend gemachte „greifbare Gesetzwidrigkeit” der angefochtenen Entscheidung noch auf einen Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO (Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör —§ 96 Abs. 2 FGO— oder unzureichende Tatsachenfeststellung —§ 76 Abs. 1 FGO—) schließen. Die Klägerin leitet die genannten Nichtigkeitsgründe aus jenem Sachverhalt ab, mit dem sich das FG befasst hat und hinsichtlich dessen es zu dem Ergebnis gekommen ist, dass der angefochtene Änderungsbescheid nicht nur nicht nichtig, sondern rechtmäßig („nicht zu beanstanden”) gewesen sei. Daraus folgt ohne weiteres, dass vom rechtlichen Standpunkt des FG aus für die Annahme einer Nichtigkeit wegen einer „Strafschätzung” oder eines „enteignungsgleichen Eingriffs” kein Raum sein kann. Dass die Klägerin dies anders sieht, beruht auf ihrer davon abweichenden materiell-rechtlichen Beurteilung, das FA habe in der gegebenen Situation die streitbefangenen Betriebsausgaben nicht ohne weiteres in Abzug bringen dürfen und deshalb jedenfalls rechtswidrig gehandelt. Da bei der Prüfung auf Verfahrensfehler jedoch ausschließlich der materiell-rechtliche Standpunkt des FG zugrunde zu legen ist (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa , BFHE 170, 88, BStBl II 1993, 235; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 79, m.w.N.), ist ein solcher hier nicht zu ersehen.
Fundstelle(n):
GAAAC-82753