BFH Beschluss v. - X B 132/07

Übergehen eines Beweisantrags; Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht; Vorliegen eines erheblichen Rechtsanwendungsfehlers bei Schätzungen

Gesetze: FGO § 76, FGO § 96, FGO § 115 Abs. 2

Instanzenzug:

Gründe

Die Beschwerde ist unzulässig.

Die Beschwerdebegründung des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) entspricht nicht den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert eine ordnungsgemäße Begründung i.S. von § 116 Abs. 3 FGO, dass sich der Beschwerdeführer mit den Gründen der Vorentscheidung auseinandersetzt. Die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde muss aus sich heraus erkennen lassen, dass der Beschwerdeführer anhand der Gründe des finanzgerichtlichen Urteils sein bisheriges Vorbringen überprüft hat (vgl. z.B. , BFHE 136, 521, BStBl II 1983, 48). Sie muss auf den zur Entscheidung stehenden Fall zugeschnitten sein. Die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde muss erkennen lassen, welche Gründe tatsächlicher oder rechtlicher Art nach Ansicht des Beschwerdeführers das angefochtene Urteil als unrichtig erscheinen lassen und welche Gesichtspunkte dem entgegengestellt werden (BFH-Entscheidungen vom IX R 177/83, BFHE 143, 196, BStBl II 1985, 470; vom I R 108/81, BFHE 144, 40, BStBl II 1985, 523).

Eine Verweisung auf die Begründung in einem anderen Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren ist deshalb grundsätzlich nicht ausreichend, denn die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde muss aus sich selbst heraus erkennen lassen, dass der Beschwerdeführer sich mit der angegriffenen Entscheidung auseinandergesetzt hat. Ausnahmsweise reicht, dass eine Abschrift des in Bezug genommenen Schriftsatzes eingereicht und ausdrücklich zum Gegenstand des Vortrags gemacht wird (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom VIII R 307/81, BFH/NV 1987, 793, und vom VIII R 104/83, BFH/NV 1988, 306, jeweils m.w.N.). Im vorliegenden Fall hat der Kläger in der Begründung seiner Nichtzulassungsbeschwerde zwar ausdrücklich auf sein Vorbringen in den Verfahren X B 92/07 und X B 100/07 bis 102/07 Bezug genommen, jedoch keine Abschrift der in jenen Rechtssachen eingereichten Schriftsätze beigefügt.

Der verbleibende Inhalt der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde genügt für sich allein den oben beschriebenen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Beschwerdebegründung nicht. Bei seiner Prüfung konnte der Senat die im Schriftsatz vom nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist erhobenen Rügen nicht berücksichtigen, soweit darin nicht bereits fristgemäß vorgebrachte Rügen lediglich vertieft und erläutert wurden. Die Rügen des Klägers, das Finanzgericht (FG) sei seinem Antrag in der mündlichen Verhandlung vom nicht gefolgt, die Sache an den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) zur weiteren Sachverhaltsaufklärung zurückzugeben, das FG habe seine Hinweis- und Fürsorgepflicht bei der Formulierung seiner Beweisanträge verletzt, die Schätzung des FG verstoße gegen Denkgesetze, der Streitfall habe grundsätzliche Bedeutung und diene der Fortentwicklung des Rechts, stellen ein neues Vorbringen in diesem Verfahren dar, sodass eine Berücksichtigung nicht möglich ist.

Für die fristgemäß im Schriftsatz vom erhobenen Rügen genügen die Darlegungen nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Beschwerdebegründung.

2. Die von dem Kläger gerügten Unrichtigkeiten im Tatbestand des finanzgerichtlichen Urteils sind nicht im Rechtsmittelverfahren beim BFH, sondern nur mit einem fristgebundenen Antrag auf Tatbestandsberichtigung beim FG (§ 108 FGO) geltend zu machen (Senatsbeschluss vom X B 206/05, BFH/NV 2006, 1877).

3. Soweit der Kläger vorträgt, die Genehmigung zum Betreiben des Verkaufsstandes „.” sei nicht ihm, sondern der Firma X GmbH erteilt worden, handelt es sich um einen neuen Tatsachenvortrag, der in der Revisionsinstanz keine Berücksichtigung findet (, BFHE 96, 129, BStBl II 1969, 550; vom IV R 156/76, BFHE 133, 421, BStBl II 1981, 672). Eine abweichende Sachverhaltsdarstellung ist für sich nicht geeignet, die Bindung der Revisionsinstanz an den vom FG festgestellten Sachverhalt zu beseitigen (, BFHE 179, 115, BStBl II 1996, 91, m.w.N.).

4. Der Kläger legt einen Verstoß des FG gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) nicht in der gebotenen Weise dar. Seine Rügen, das FG habe den entscheidungserheblichen Sachverhalt durch Nichterhebung angebotener Zeugenvernehmungen und unterlassener Beiziehung von Kfz-Steuerakten nicht hinreichend aufgeklärt, sind nicht schlüssig vorgetragen worden.

a) Die formgerechte Rüge mangelnder Sachaufklärung durch Nichterhebung angebotener Beweise setzt voraus, dass der Beschwerdeführer die ermittlungsbedürftigen Tatsachen (Beweisthemen), die angebotenen Beweismittel, die genauen Fundstellen (Schriftsatz oder Terminsprotokoll, in denen die Beweismittel benannt worden sind, die das FG nicht erhoben hat), das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme, inwieweit das Urteil des FG aufgrund dessen sachlich-rechtlicher Auffassung auf der unterbliebenen Beweisaufnahme beruhen kann, darlegt und ausführt, dass —sofern die Voraussetzungen des § 295 der Zivilprozessordnung (ZPO) gegeben sind— bei nächster sich bietender Gelegenheit die Nichterhebung der Beweise gerügt worden ist oder dass die Absicht des FG, die angebotenen Beweise nicht zu erheben, nicht rechtzeitig erkennbar war, um dies noch vor dem FG rügen zu können (Senatsbeschluss vom X B 142/03, nicht veröffentlicht —n.v.—).

b) Diesen Erfordernissen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

Mit dem Vorbringen, das FG habe die angebotenen Zeugen nicht vernommen, legt der Kläger den von ihm behaupteten Verfahrensfehler der Verletzung der Sachaufklärungspflicht nicht in der gebotenen Weise dar. Seine Beschwerdebegründung erschöpft sich in der Aussage, das FG habe von zwölf benannten Zeugen nur drei vernommen. Der rechtskundig vertretene Kläger legt auch nicht dar, die unterbliebenen Zeugenvernehmungen rechtzeitig gerügt zu haben. Umstände, die darauf hindeuten, dass er an einer rechtzeitigen Rüge vor dem FG gehindert war, wurden ebenfalls nicht dargelegt.

c) Der Kläger sieht zwar einen weiteren Verstoß des FG gegen die Sachaufklärungspflicht darin, dass das FG trotz seines Antrags die Kfz-Steuerakten des FA nicht beigezogen habe. Der Verfahrensmangel wird aber ebenfalls nicht schlüssig dargelegt. Selbst wenn der Senat diesbezüglich von einem substantiierten Vortrag zum mutmaßlichen Beweisergebnis ausginge und berücksichtigte, dass das FG Beweismittel nur unter den Voraussetzungen des § 79b Abs. 3 FGO zurückweisen darf, ohne seine Sachaufklärungspflicht nach § 76 Abs. 1 FGO zu verletzen (Senatsbeschluss vom X B 28/05, BFH/NV 2005, 2038) und sich aus den Entscheidungsgründen keine Feststellungen zu den Voraussetzungen des § 79b FGO ergeben, ist der Verfahrensmangel nicht schlüssig geltend gemacht worden. Denn es fehlen wiederum Ausführungen, dass der Kläger nicht auf das Rügerecht verzichtet hat, obwohl er nach der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vom den schriftlichen Beweisantrag nicht wiederholt hat, sodass von einem Verlust des Rügerechts auszugehen ist.

5. Die vom Kläger gegen die Schätzung des FG erhobenen Einwände vermögen die Zulassung der Revision nicht zu begründen. Er legt einen erheblichen Rechtsfehler des FG bei der Schätzung der Umsätze, der gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zur Zulassung der Revision führen könnte (Senatsbeschlüsse vom X B 126/07, n.v.; vom X B 38/06, BFH/NV 2007, 757), nicht hinreichend dar.

a) Die Rüge der falschen Rechtsanwendung und tatsächlichen Würdigung des Streitfalles durch das FG im Rahmen einer Schätzung ist im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren grundsätzlich unbeachtlich (Senatsbeschluss vom X B 142/03, n.v.). Dies gilt insbesondere für Einwände gegen die Richtigkeit von Steuerschätzungen (Verstöße gegen anerkannte Schätzungsgrundsätze, Denkgesetze und Erfahrungssätze sowie materielle Rechtsfehler, vgl. z.B. Senatsbeschluss vom X B 36/07, n.v.). Ein zur Zulassung der Revision berechtigender erheblicher Rechtsfehler aufgrund objektiver Willkür kann allenfalls in Fällen bejaht werden, in denen das Schätzungsergebnis des FG wirtschaftlich unmöglich und damit schlechthin unvertretbar ist (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 69, m.w.N.). Ein Verstoß gegen Denkgesetze führt bei Schätzungen erst zur Zulassung der Revision wegen willkürlich falscher Rechtsanwendung, wenn sich das Ergebnis der Schätzung als offensichtlich realitätsfremd darstellt (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 69, m.w.N.). Das Vorliegen dieser besonderen Umstände ist in der Beschwerdeschrift darzulegen (Senatsbeschluss vom X B 218/06, BFH/NV 2007, 2273).

b) Dies ist nicht geschehen. Der Kläger legt nicht in der erforderlichen Weise dar, dass das Schätzungsergebnis des FG willkürlich und realitätsfremd ist.

Der Kläger erhebt zwar zahlreiche Einwände gegen die Schätzung des FG. Einen erheblichen Rechtsanwendungsfehler des FG legt der Kläger damit aber nicht in der erforderlichen Weise dar. Seine Ausführungen erschöpfen sich nach Art einer Revisionsbegründung in kritischen Äußerungen darüber, dass und warum die vom FG vorgenommene rechtliche Beurteilung und tatsächliche Würdigung des Streitfalles unrichtig sein soll. Es fehlen substantiierte Ausführungen dazu, warum die auf allen Ebenen der Schätzung gerügten Rechtsfehler im Streitjahr zu einem willkürlichen und realitätsfremden Schätzungsergebnis geführt haben sollen. Aus den Akten des FG und der Urteilsbegründung ergibt sich für das Streitjahr 1995, dass das FG steuerpflichtige Umsätze zum Steuersatz 7 % in Höhe von . DM für schlüssig und wirtschaftlich möglich erachtet. Zudem hat das FG Vorsteuerbeträge in Höhe von rd. . DM anerkannt, die auf einen erheblichen Wareneinkauf des Klägers und damit nicht zwangsläufig auf einen willkürlichen oder realitätsfremden Aufschlagsatz hindeuten. Der Kläger hat auch nicht substantiiert vorgetragen, dass und weshalb die dem FG-Urteil zugrunde liegenden Besteuerungsgrundlagen willkürlich und realitätsfremd sein sollen.

6. Die gerügte Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 119 Nr. 3 FGO) wegen eines unterbliebenen Sachvortrags und Rechtsgesprächs wird nicht hinreichend dargelegt.

Mit der Rüge, das FG habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass der Sachbericht entgegen §§ 92 Abs. 2, 93 Abs. 1 FGO in den mündlichen Verhandlungen nicht vorgetragen und über die Sache kein Rechtsgespräch geführt worden sei, legt der Kläger den behaupteten Verfahrensmangel nicht schlüssig dar. Da etwaige Verstöße im Zusammenhang mit § 92 Abs. 2 FGO und § 93 Abs. 1 FGO zu den Mängeln gehören, auf die gemäß § 295 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 155 FGO verzichtet werden kann (, n.v.), muss in der Beschwerdebegründung darauf eingegangen werden, ob eine solche Rüge in der nachfolgenden mündlichen Verhandlung erhoben worden ist oder aus welchem Grund dies nicht möglich war. Derlei Ausführungen fehlen. Zur Ausübung seines Rügerechts äußert sich der Kläger in der Beschwerdebegründung nicht, obwohl er nach Aktenlage sein Rügerecht verloren hat. Es ergibt sich aus den Niederschriften der mündlichen Verhandlungen vom und , dass der wesentliche Inhalt der Akten für die zur gemeinsamen Verhandlung verbundenen Verfahren (§ 73 Abs. 1 Satz 1 FGO) unter Einbeziehung der Streitsache vorgetragen und mit den Beteiligten erörtert worden (mündliche Verhandlung vom ) oder den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme vor Schließung der mündlichen Verhandlung am eingeräumt worden ist. Gemäß § 94 FGO i.V.m. § 165 ZPO ist (bis zum Nachweis der Fälschung und Protokollberichtigung, vgl. § 165 Satz 2 ZPO) davon auszugehen, dass das Protokoll richtig ist (Gräber/Koch, a.a.O., § 94 Rz 22). Der Kläger hat nach den Niederschriften zu den mündlichen Verhandlungen weder beantragt, den Sachbericht des Streitfalles vortragen zu lassen, noch hat er die Rüge erhoben, es sei kein Rechtsgespräch geführt worden.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
PAAAC-81859