OFD Hannover - S 7100 - 441 - StO 171

Abgrenzung zwischen Lieferung und sonstiger, Leistung bei Abgabe von Speisen und Getränken

1. Allgemeines

Mit Wirkung vom ist § 3 Abs. 9 Satz 4 und 5 UStG aufgehoben worden. Die dort enthaltene Definition der Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle als sonstige Leistung war nach der Rechtsprechung des EuGH und des BFH nicht in vollem Umfang gemeinschaftsrechtskonform. Die Mehrwertsteuer-System-Richtlinie kennt die bisher im deutschen Gesetz genannten Abgrenzungskriterien nicht. Die Frage, ob die Abgabe von Speisen und Getränken eine Lieferung oder sonstige Leistung ist, stellt sich nach Aufhebung von § 3 Abs. 9 Satz 4 und 5 UStG jedoch weiterhin. Die Abgrenzung ist nunmehr nach den für alle einheitlichen Leistungen geltenen Grundsätzen vorzunehmen. Überwiegen die Elemente einer Lieferung, handelt es sich insgesamt um eine Lieferung. Überwiegen die Elemente einer sonstigen Leistung, liegt insgesamt eine sonstige Leistung vor.

2. Abgrenzungskriterien

Der BFH hat in mehreren Urteilen aus 2006 Abgrenzungskriterien dargelegt. Die Urteile sind im BStBl II veröffentlicht und bilden damit die Verwaltungsauffassung. Soweit Abschnitt 25a UStR 2008 diesen Urteilen widerspricht, ist er nicht anzuwenden.

, BStBl 2007 II S. 482

Das Dienstleistungselement im Sinne einer Bewirtungssituation überwiegt, wenn der Unternehmer warmes Mittagessen an Schüler ausgibt und nach dem Essen das dem Schulträger gehörende Geschirr und Besteck abräumt und reinigt und die dem Schulträger gehörenden Tische reinigt. Bei der Frage, ob die Lieferungs- oder die Dienstleistungselemente überwiegen, ist nicht auf die Quantität, sondern auf die Qualität der Elemente abzustellen. Es kommt nicht auf das Wertverhältnis zwischen Lieferungs- und Dienstleistungselementen an. Entscheidend ist vielmehr, welche Bedeutung der Durchschnittsverbraucher den Dienstleistungselementen beimisst.

, BStBl 2007 II S. 480

Gibt ein Mahlzeitendienst Mittagessen auf eigenem Geschirr an Einzelabnehmer in deren Wohnung aus und endreinigt er das Geschirr, überwiegen qualitativ die Dienstleistungselemente (Portionieren der Speise auf Geschirr, Ausliefern in die Wohnung des Abnehmers, Mitnehmen des Geschirrs vom Vortag und Reinigen des Geschirrs). Als Dienstleistungen dürfen nur solche Leistungen berücksichtigt werden, die nicht notwendig mit der Vermarktung der Speise verbunden sind. Notwendig zur Vermarktung sind z. B. die Präsentation der Ware und die Ausstellung einer Rechnung.

, BStBl 2007 II S. 487

Die Abgabe fertig zubereiteter Speisen aus einem Imbisswagen ist eine Dienstleistung, wenn aus der Sicht eines Durchschnittsverbrauchers das Dienstleistungselement überwiegt. Dagegen ist die bloße Abgabe von fertig zubereiteten Speisen aus einem Imbisswagen zum Mitnehmen eine ermäßigt zu besteuernde Lieferung. Bei der Beurteilung, ob das Dienstleistungselement qualitativ überwiegt, darf die Zubereitung nicht berücksichtigt werden. Denn bei Vermarktung einer zubereiteten Speise ist deren Zubereitung notwendige Voraussetzung für die Vermarktung.

Im Urteilsfall sah der BFH das Dienstleistungselement darin, dass der Unternehmer seinem Kunden ermöglichte, die Biergartengarnituren seines Standnachbarn zu nutzen. Der Unternehmer erbrachte damit eine Dienstleistung, die nicht notwendig mit der Vermarktung der Speisen zusammenhing. Aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers gab der Unternehmer nicht nur zubereitete Speisen ab, sondern stellte auch unmittelbar neben seinem Imbisswagen Tische und Bänke bereit. Es ist unerheblich, wem die Tische und Bänke gehören und wer sie reinigt.

Soweit der Kunde die Speisen lediglich mitnimmt, also nicht die Tische und Bänke des Standnachbarn nutzt, liegt eine Lieferung vor (III. 4.d der Entscheidungsgründe.)

3. Einzelfälle

3.1 Selbstbedienungs- oder Automatenrestaurants

Werden Speisen und Getränke ohne Bedienungspersonal, d. h. aus Automaten oder über das Buffet abgegeben, liegt eine sonstige Leistung vor, wenn der Unternehmer Tische und Stühle bereitstellt (Dienstleistungselement, das nicht notwendig mit der Vermarktung der Speisen verbunden ist) und wenn der Kunde Tische und Stühle auch tatsächlich nutzt.

Zur Lieferung von Heißgetränken aus Automaten weist die OFD auf die USt-Kartei S 7222 Karte 2 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG hin. Die dort genannten Umsätze von Kakao und Suppe sind nur dann eine ermäßigt zu besteuernde Lieferung (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG), wenn der Kunde das Getränk oder die Suppe mitnimmt. Nutzt der Kunde dagegen Tische und Stühle des Unternehmers, in dessen Räumen der Automat aufgestellt ist, erbringt der Automatenaufsteller eine sonstige Leistung an den Kunden (, a. a. O.).

3.2 Theater, Kinos, Multiplexkinos

Die Abgabe von Speisen und Getränken in Theatern und Cabarets ist keine steuerbefreite Nebenleistung zur Theateraufführung (, BStBl 1999 II S. 145). Die Abgabe von Speisen und Getränke ist sowohl in Theatern als auch in Kinos eine sonstige Leistung, wenn der Betreiber des Theaters oder Kinos mit der Bereitstellung von Stehtischen und/oder integrierten Abstellborden und -plätzen eine über die Vermarktung der Speisen und Getränke hinausgehende Dienstleistung erbringt. Bei einem Multiplexkino ist bereits die Bereitstellung der Bestuhlung im Kinosaal als Dienstleistung anzusehen. Ein Multiplexkino ist ein Kinozentrum mit mehreren Vorführsälen, hohem technischem Standard und großem Foyerbereich mit Sitzgelegenheiten und Gastronomie. Das Gesamterlebnis lässt die Filmvorführung gegenüber der Filmvorführung in einem Programmkino zurücktreten. An das Dienstleistungselement sind deshalb geringe Anforderungen zu stellen.

3.3 Catering-Unternehmen

Sog. Catering-Unternehmen sind Dienstleistungsbetriebe, die zubereitete Speisen und Getränke abgeben.

Gibt der Catering-Unternehmer Speisen und Getränke im eigenen Namen und für eigene Rechnung direkt an den einzelnen Endabnehmer ab, liegt eine Lieferung vor, wenn der Catering-Unternehmer über die Abgabe hinaus keine nicht notwendig mit der Vermarktung verbundenen Dienstleistungen an den Endabnehmer erbringt (Tz. 2.). Schuldet der Catering-Unternehmer seine Leistung einem Großabnehmer (z. B. Krankenhaus, Altenheim oder Schule) und gibt der Großabnehmer Speisen und Getränke an den Endabnehmer ab, gilt umsatzsteuerlich Folgendes.

3.3.1 Leistung des Catering-Unternehmers

Die Leistung des Catering-Unternehmers an den Großabnehmer ist eine Lieferung, wenn sich die Leistung auf die reine Anlieferung der Verpflegung beschränkt. Wird der Catering-Unternehmer gegenüber dem Endabnehmer tätig, indem er z. B. Geschirr und Besteck des Großabnehmers reinigt, erbringt er eine sonstige Leistung an den Großabnehmer. Die Reinigung ist eine Dienstleistung, die nicht notwendig mit der Vermarktung der Speisen und Getränke verbunden ist.

3.3.2 Leistung des Großabnehmers

Die Abgabe der Speisen und Getränke durch den Großabnehmer ist eine sonstige Leistung, wenn er an den Endkunden Dienstleistungen erbringt, die nicht notwendig mit der Vermarktung der Speisen und Getränke verbunden sind (z. B. Bereitstellung von Tischen und Stühlen in einem Speisesaal). Die sonstige Leistung kann steuerfrei sein, z. B. nach § 4 Nr. 16 UStG bei einem Altenheim, § 4 Nr. 23 bei einer Schule.

3.4 Personalbeköstigung

Gibt ein Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern Mahlzeiten kostenlos oder verbilligt ab, liegen sonstige Leistungen vor, wenn der Arbeitgeber Dienstleistungen erbringt, die nicht notwendig mit der Vermarktung der Mahlzeiten verbunden sind (z. B. Bereitstellung von Tischen und Stühlen, Bereitstellung von Geschirr und dessen Reinigung). Es kommt nicht darauf an, ob der Arbeitgeber die Dienstleistungen in besonders hergerichteten Räumen (z. B. Betriebskantinen), in den Betriebsräumen oder in seinen Privaträumen erbringt. Bei der Beköstigung im Gaststättengewerbe und Handwerk (Metzgereien, Bäckereien, usw.) liegen deshalb regelmäßig sonstige Leistungen vor.

Häufig werden Speisen in der Zentralküche des Arbeitgebers zubereitet und im warmen, verzehrfertigen Zustand, jedoch unportioniert in Essenskübel abgefüllt. Die Behälter werden zu anderen Betriebsteilen des Arbeitgebers transportiert, wo die Speisen portioniert und in Aufenthaltsräumen ausgegeben werden, in denen Tische und Stühle sowie Geschirr und Besteck bereitgehalten werden. Auch in diesen Fällen erbringt der Arbeitgeber sonstige Leistungen an die Arbeitnehmer.

3.5 Lunchpakete in Pensionsbetrieben

Stellt ein Beherbergungsunternehmer seinen Gästen statt der vereinbarten Verpflegung im Haus sog. Lunchpakete zum Verzehr außer Haus zur Verfügung, erbringt er Lieferungen, die unter den Voraussetzungen von § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG dem ermäßigten Steuersatz unterliegen. Der Beherbergungsunternehmer muss die begünstigten Entgelte einzeln ermitteln und gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG gesondert aufzeichnen; eine pauschale Ermittlung der begünstigten Entgelte kommt nicht in Betracht.

3.6 Abgabe von Speisen und Getränken an Bord von Seeschiffen

Gibt ein Reeder an Bord eines Seeschiffes Speisen und Getränke ab, liegt eine Lieferung vor, wenn der Reeder über die Abgabe hinaus keine nicht notwendig mit der Vermarktung verbundenen Dienstleistungen an den Kunden erbringt (Tz. 2.). Erbringt er solche Dienstleistungen, liegt eine sonstige Leistung vor, die nach § 4 Nr. 6 Buchst. e UStG umsatzsteuerfrei sein kann.

4. Leistungsort

Ist die Abgabe von Speisen und Getränken eine sonstige Leistung, erbringt der Unternehmer die Leistung an seinem Sitzort (§ 3a Abs. 1 UStG). Folglich unterliegt die sonstige Leistung auch dann der deutschen Umsatzsteuer, wenn der deutsche Unternehmer die Speisen und Getränke nicht im Inland abgibt.

Beispiele:
  • Verkauft ein Reiseveranstalter eine Pauschalreise an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen, erbringt er die in der Pauschalreise enthaltene Restaurationsleistung eines ausländischen Hoteliers an seinen Geschäftssitz in Deutschland (USt-Kartei S 7117 Karte 1 zu § 3a Abs. 1 UStG).

  • Restaurationsleistungen auf Passagierschiffen erbringt der Unternehmer an seinem Geschäftssitz. § 3a Abs. 1 Satz 2 UStG ist nicht anwendbar, da Vorrichtungen auf Schiffen, die der Abgabe von Speisen und Getränken dienen, keine Betriebsstätten sind. Die Leistungen können steuerfrei sein nach § 4 Nr. 6 Buchst. e UStG (s. Tz. 3.6).

OFD Hannover v. - S 7100 - 441 - StO 171

Fundstelle(n):
UR 2008 S. 563 Nr. 14
UVR 2008 S. 265 Nr. 9
XAAAC-80306