Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: ZPO § 189; ZPO § 705; ArbGG § 72a
Instanzenzug: ArbG Stuttgart, 31 Ca 3237/06 vom LAG Baden-Württemberg, 2 Ta 7/07 vom
Gründe
I. Die Parteien streiten über die Zulässigkeit eines Zwangsgeldes.
Die Vollstreckungsschuldnerin wurde im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses durch verurteilt, den Vollstreckungsgläubiger zu den im Arbeitsvertrag geregelten Arbeitsbedingungen als Maschinenführer "bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag" weiterzubeschäftigen. Dem Vollstreckungsgläubiger wurde auf seinen Antrag hin am eine vollstreckbare Ausfertigung des Urteils erteilt. Das Urteil wurde der Beklagten am von Amts wegen und am zu Händen ihres Prozessbevollmächtigten von Anwalt zu Anwalt zugestellt.
Die von der Vollstreckungsschuldnerin gegen das arbeitsgerichtliche Urteil eingelegte Berufung, die sich auch gegen den Weiterbeschäftigungsantrag richtete, wies das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg mit Urteil vom zurück. Es ließ die Revision nicht zu.
Eine Beschäftigung des Vollstreckungsgläubigers fand nach dem nicht statt. Bereits am stellte der Vollstreckungsgläubiger deshalb - zum wiederholten Mal - einen Antrag auf Festsetzung eines in das Ermessen des Gerichts gestellten Zwangsgeldes, das einen Betrag von 20.000,00 Euro nicht unterschreiten sollte, ersatzweise Anordnung von Zwangshaft gegenüber dem Vorstandsvorsitzenden der Beklagten. Mit Schreiben vom verzichtete die Beklagte gegenüber dem Kläger und gegenüber dem Berufungsgericht auf die Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht. Mit Beschluss vom setzte das Arbeitsgericht ein Zwangsgeld in Höhe von 20.000,00 Euro fest, ersatzweise für je 2.000,00 Euro einen Tag Zwangshaft gegenüber dem Vorstandsvorsitzenden der Beklagten. Es ging davon aus, eine Rechtskraft des Weiterbeschäftigungsurteils sei noch nicht gegeben. Am wurde das landesarbeitsgerichtliche Urteil den Parteien zugestellt.
Gegen den arbeitsgerichtlichen Zwangsgeldfestsetzungsbeschluss hat die Vollstreckungsschuldnerin sofortige Beschwerde eingelegt. Während des Beschwerdeverfahrens hat der Vollstreckungsgläubiger das Zwangsvollstreckungsverfahren für erledigt erklärt. Das Landesarbeitsgericht hat mit dem angegriffenen Beschluss vom die Erledigung festgestellt und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Der Beschluss des Landesarbeitsgerichts enthielt eine Rechtsmittelbelehrung, wonach Rechtsbeschwerde innerhalb einer Notfrist von einem Monat ab Zustellung einzulegen und die Rechtsbeschwerde innerhalb einer Frist von zwei Monaten ab Zustellung schriftlich zu begründen sei. Der Beschluss wurde den Parteien formlos zugeleitet und ging dem Prozessvertreter der Vollstreckungsschuldnerin am zu.
Mit ihrer am beim Bundesarbeitsgericht eingegangenen und mit Schriftsatz, der am beim Bundesarbeitsgericht einging, begründeten Rechtsbeschwerde begehrt die Vollstreckungsschuldnerin die Aufhebung des Zwangsgeldbeschlusses. Der Vollstreckungsgläubiger tritt dem entgegen.
II. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, jedoch unbegründet.
1. Gegen die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde bestehen keine durchgreifenden Bedenken. Insbesondere ist sie rechtzeitig eingelegt und begründet.
Eine den Fristbeginn auslösende Zustellung des angefochtenen Beschlusses (§ 575 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 ZPO) erfolgte nicht dadurch, dass dieser den Prozessbevollmächtigten der Vollstreckungsschuldnerin formlos zuging. Die formlose Zuleitung des Beschlusses steht einer förmlichen Zustellung nicht gleich. Insbesondere ist § 189 ZPO nicht anwendbar. Hier geht es um eine vom Gericht unterlassene Zustellung. Es liegt schon kein Zustellungsauftrag (§ 176 ZPO) vor. Auf derartige Fallgestaltungen ist § 189 ZPO nicht anwendbar. Er gilt nur, wenn das Gericht mit Zustellwillen gehandelt hat ( - NJW 2003, 1192, zu II 1 c der Gründe).
Obwohl damit weder die Frist zur Einlegung noch zur Begründung des Rechtsmittels begonnen hat, ist es wirksam eingelegt und begründet. Auch vor dem gesetzlich festgelegten Fristbeginn kann ein Rechtsmittel eingelegt und begründet werden, da die Begründung (hier nach § 575 Abs. 2 und 3 ZPO) nicht von vornherein ausgeschlossen ist (vgl. -NJW 1999, 3269, zu II 3 der Gründe). Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels ist jedoch, dass die Entscheidung bereits in der Welt ist (RG - IV 396/24 - RGZ 110, 169, 170). Das ist hier der Fall. Beschlüsse sind von dem Augenblick an in der Welt, in dem sie formlos mitgeteilt wurden. Das ist unabhängig davon, ob eine Verkündung oder Zustellung gesetzlich (§ 329 Abs. 2 und 3 ZPO) vorgesehen ist ( - FamRZ 2000, 813, zu II 1 c der Gründe).
Auf die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung des Landesarbeitsgerichts, die nicht die gesetzliche Begründungsfrist von einem Monat nach Zustellung des Beschlusses (§ 575 Abs. 2 Satz 1 ZPO), sondern eine davon abweichende von zwei Monaten enthielt, kommt es demnach nicht an.
2. Die Beschwerde ist unbegründet. Rechtsfehlerfrei ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, dass die Zwangsvollstreckung bis zum Ablauf der Frist zur Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde gegen das landesarbeitsgerichtliche Urteil vom , zugestellt am , und damit bis zum - ein Monat nach Zustellung (§ 72a Abs. 2 Satz 1 ArbGG) - zulässig gewesen ist und sich das Verfahren erst danach erledigt hat. Der Zwangsgeldbeschluss wurde daher zu Recht erlassen.
a) Der arbeitsgerichtliche Titel bezog sich auf die Zeit bis zu einer "rechtskräftigen Entscheidung" über den Kündigungsschutzantrag. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte ist mit dem Landesarbeitsgericht davon auszugehen, dass damit die formelle Rechtskraft iSd. prozessualen Regelungen gemeint ist.
b) Mit dem Landesarbeitsgericht und entgegen der Ansicht der Vollstreckungsschuldnerin führte ihr einseitiger Verzicht auf die Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde gegen das landesarbeitsgerichtliche Urteil im Kündigungsrechtsstreit nicht dazu, dass dieses formell rechtskräftig wurde und damit die Voraussetzungen des Weiterbeschäftigungsanspruchs, soweit er tituliert war, nicht mehr vorlagen.
aa) Nach § 705 ZPO tritt die Rechtskraft von Urteilen vor Ablauf der für die Einlegung des zulässigen Rechtsmittels bestimmten Frist nicht ein; durch die Einlegung wird der Eintritt der Rechtskraft gehemmt. Diese Regelung ist auf die Nichtzulassungsbeschwerde zu übertragen. Zwar handelt es sich bei der Nichtzulassungsbeschwerde nicht um ein Rechtsmittel, sondern um einen Rechtsbehelf ( - AP ArbGG 1979 § 72a Nr. 49 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 96, zu II 1 der Gründe). Nach § 72a Abs. 4 Satz 1 ArbGG hat die Einlegung der Beschwerde jedoch aufschiebende Wirkung. Nach § 72a Abs. 5 Satz 6 ArbGG wird das Urteil erst mit Ablehnung der Beschwerde durch das Bundesarbeitsgericht rechtskräftig. Damit sind die Wirkungen der Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde auf die Rechtskraft eines landesarbeitsgerichtlichen Urteils denen eines Rechtsmittels gleichgestellt. Es spricht nichts dafür, dass für den Zeitraum vor der Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde oder während die Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde gesetzlich noch möglich ist, etwas anderes gelten und etwa entgegen der allgemeinen zivilprozessualen Systematik eine Art "Rechtskraft auf Zeit" eingeführt werden soll. Die formelle Rechtskraft eines landesarbeitsgerichtlichen Urteils, in dem die Revision nicht zugelassen ist, tritt deshalb, wenn keine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt wird, erst mit Ablauf der Nichtzulassungsbeschwerdefrist ein.
bb) Nach einer weit verbreiteten Ansicht soll Rechtskraft allerdings bereits vor Ablauf einer Rechtsmittelfrist eintreten, wenn ein wirksamer, eindeutiger Rechtsmittelverzicht erklärt wird (vgl. - NJW 1989, 170 mwN). Ein derartiger Rechtsmittelverzicht hat auch Wirkung für die Nichtzulassungsbeschwerde ( - AP ArbGG 1979 § 69 Nr. 5 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 107, zu II 2 a der Gründe); erst recht kann eine Partei unmittelbar auf die Einlegung des Rechtsbehelfs der Nichtzulassungsbeschwerde verzichten. Ob dieser Verzicht tatsächlich formelle Rechtskraft herbeiführen kann, erscheint zweifelhaft, da ein wirksamer Rechtsmittelverzicht nur auf Einrede des Prozessgegners und damit nicht automatisch zur Verwerfung des Rechtsmittels als unzulässig führt (vgl. - BAGE 110, 45, zu A I 1 der Gründe). Auch insoweit kann für den Verzicht auf den Rechtsbehelf der Nichtzulassungsbeschwerde nichts anderes gelten. Auf diese Bedenken kommt es aber nicht an, weil jedenfalls ein beidseitiger Verzicht auf das Rechtsmittel bzw. den Rechtsbehelf erforderlich ist, um von einem Eintritt der formellen Rechtskraft auszugehen:
Maßgeblicher Gesichtspunkt ist insoweit, wie bereits das Landesarbeitsgericht herausgearbeitet hat, dass es für die formelle Rechtskraft eines Urteils nicht auf die Unzulässigkeit eines Rechtsmittels oder - hier einschlägig - eines Rechtsbehelfs, sondern auf dessen mangelnde Statthaftigkeit ankommt. Dies ergibt sich gerade aus den gesetzlichen Bestimmungen über das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren, im arbeitsgerichtlichen Verfahren also aus § 72a Abs. 5 Satz 6 ArbGG, die eine Rechtskraft des anzufechtenden Urteils erst mit der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde eintreten lassen, unabhängig davon, ob diese unzulässig oder unbegründet ist ( GmS-OGB 1/83 - BGHZ 88, 353, 358 f.). Auch wenn ein Rechtsmittel oder Rechtsbehelf unzulässig ist, sagt dies nichts über die formelle Rechtskraft einer Entscheidung aus, solange es oder er nur an sich gegeben, also statthaft, ist und die Einlegungsfrist noch nicht abgelaufen.
Für die Statthaftigkeit eines Rechtsmittels oder eines Rechtsbehelfs reicht es dabei aus, wenn es oder er gegen eine Entscheidung überhaupt gegeben ist (§ 511 Abs. 1, § 514 Abs. 2, § 552 Abs. 1, § 543 Abs. 1, § 566 Abs. 1, § 567 Abs. 1 ZPO; § 64 Abs. 1, § 72 Abs. 1, § 87 Abs. 1, § 92 Abs. 1 ArbGG; Reichold in Thomas/Putzo 28. Aufl. Vorbemerkung vor § 511 ZPO Rn. 15). In diesem Sinne ist die Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision in landesarbeitsgerichtlichen Urteilen immer gegeben (§ 72a Abs. 1 ArbGG) und damit statthaft. Wird sie von der nicht beschwerten Partei eingelegt, führt dies lediglich zur Unzulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde, nicht jedoch dazu, dass diese von vornherein unstatthaft ist; es geht bei der Beschwer darum, ob das Rechtsmittel oder der Rechtsbehelf mangels Rechtsschutzbedürfnisses im Einzelfall unzulässig ist (vgl. - BGHZ 50, 261, 263 f.), nicht um die Frage, ob grundsätzlich ein Rechtsmittel oder ein Rechtsbehelf gegeben ist.
cc) Hat demnach eine von zwei Prozessparteien - hier der Vollstreckungsgläubiger als Kläger des Kündigungsschutzverfahrens - nicht auf die Einlegung eines Rechtsbehelfs oder Rechtsmittels wirksam verzichtet, so ist die anzufechtende Entscheidung nicht formell rechtskräftig, bevor für das statthafte Rechtsmittel oder den Rechtsbehelf - hier die Nichtzulassungsbeschwerde - die Einlegungsfrist abgelaufen ist. Es fehlt gerade daran, dass der Rechtsbehelf insgesamt an sich nicht mehr gegeben ist oder aber wegen eines Verzichts nicht mehr eingelegt werden kann. Auf die in der Beschwerdebegründung erörterte Frage, welche Schlüsse aus der Möglichkeit oder Unmöglichkeit eines Anschlussrechtsbehelfs zu ziehen sind, kommt es demnach nicht an.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 891 Satz 3 iVm. § 97 ZPO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2008 S. 1610 Nr. 22
DAAAC-78043
1Für die amtliche Sammlung: nein; Für die Fachpresse: nein