BVerwG Beschluss v. - 10 C 33.07

Leitsatz

Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zur Klärung der Voraussetzungen für das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG.

Gesetze: AsylVfG § 73 Abs. 1; AsylVfG § 73 Abs. 2a; AsylVfG § 73 Abs. 7; AufenthG § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 2; AufenthG § 60 Abs. 3; AufenthG § 60 Abs. 7; AufenthG § 60a Abs. 1 Satz 1; AuslG § 51 Abs. 1; GG Art. 16a Abs. 1; GFK Art. 1 A Nr. 2; GFK Art. 1 C Nr. 5; GFK Art. 1 C Nr. 6; VwVfG § 48 Abs. 4; VwVfG § 49 Abs. 2 Satz 2; EG Art. 68 Abs. 1; EG Art. 234 Abs. 1; EG Art. 234 Abs. 3; WVK Art. 31 Abs. 1; WVK Art. 31 Abs. 3 Buchst. b; Richtlinie 2004/83/EG Art. 2 Buchst. c; Richtlinie 2004/83/EG Art. 4 Abs. 4; Richtlinie 2004/83/EG Art. 7 Abs. 1; Richtlinie 2004/83/EG Art. 11 Abs. 1 Buchst. e; Richtlinie 2004/83/EG Art. 11 Abs. 1 Buchst. f; Richtlinie 2004/83/EG Art. 11 Abs. 2; Richtlinie 2004/83/EG Art. 14 Abs. 1; Richtlinie 2004/83/EG Art. 14 Abs. 2; Richtlinie 2004/83/EG Art. 15; Richtlinie 2004/83/EG Art. 18; Richtlinie 2004/83/EG Art. 38 Abs. 1 Satz 1; Richtlinie 2004/83/EG Art. 39

Instanzenzug: VG Köln, VG 18 K 5073/05 .A vom OVG Münster, OVG 16 A 4354/05 .A vom Fachpresse: ja BVerwGE: nein

Gründe

I

Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Flüchtlingsanerkennung.

Der 1982 in Kirkuk (Zentralirak) geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit und moslemischen Glaubens. Er reiste im April 2001 nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Zur Begründung berief er sich auf Probleme mit zwei Mitgliedern der regierenden Baath-Partei. Mit Bescheid vom lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter nach Art. 16a des Grundgesetzes - GG - ab, stellte aber fest, dass beim Kläger die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 51 Abs. 1 AuslG (jetzt: § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG) vorliegen. Im November 2004 leitete das Bundesamt wegen der veränderten politischen Verhältnisse im Irak ein Widerrufsverfahren ein und widerrief nach Anhörung des Klägers mit Bescheid vom die Flüchtlingsanerkennung. Zugleich stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen.

Im Klageverfahren hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom den Widerrufsbescheid des Bundesamtes aufgehoben. Angesichts der hochgradig instabilen Lage im Irak könne von einer dauerhaften und stabilen, einen Widerruf rechtfertigenden Änderung der politischen Verhältnisse nicht ausgegangen werden.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom die erstinstanzliche Entscheidung geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Widerruf sei rechtmäßig. Es könne auf sich beruhen, ob der Kläger den Irak unter dem Druck erlittener oder unmittelbar drohender Verfolgung durch das Baath-Regime Saddam Husseins verlassen habe. Denn er sei vor einer solchen Verfolgung jetzt hinreichend sicher. Das Regime Saddam Husseins habe seine politische und militärische Herrschaft über den Irak durch die im März 2003 begonnene Militäraktion unter Führung der USA endgültig verloren. Eine Rückkehr des Regimes sei nach den aktuellen Machtverhältnissen ebenso ausgeschlossen wie die Herausbildung einer Struktur, die vom früheren Regime als Gegner angesehene Personen erneut (wiederholend) verfolge. Dem Kläger drohe auch nicht aus anderen Gründen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erneut eine - wie auch immer geartete - Verfolgung. Greifbare Anhaltspunkte für asylerhebliche Übergriffe von Seiten der neu gebildeten irakischen Regierung oder dem irakischen Staat sonst zurechenbarer Kräfte einschließlich der multinationalen Streitkräfte und der kurdischen Parteien im Nordirak ließen sich den aktuellen Erkenntnissen nicht entnehmen. Dabei könne auf sich beruhen, ob mit der neuen Regierung ein zu politischer Verfolgung fähiges Machtgebilde in dem Sinne entstanden sei, dass es eine gewisse Stabilität aufweise und die Fähigkeit zur Schaffung und Aufrechterhaltung einer übergreifenden Friedensordnung besitze. Auch für eine nichtstaatliche Verfolgung gebe das Vorbringen des Klägers nichts Tragfähiges her. Soweit es nach wie vor insbesondere zu terroristischen Anschlägen und fortgesetzten offenen Kampfhandlungen zwischen militanter Opposition sowie regulären Sicherheitskräften und Koalitionsstreitkräften komme, sei nicht erkennbar, dass dieses Geschehen bezogen auf den Kläger an asylerhebliche Merkmale anknüpfe. Die Widerrufsentscheidung begegne auch nicht mit Blick auf die Richtlinie 2004/83/EG rechtlichen Bedenken, da diese vor Ablauf der Umsetzungsfrist keine unmittelbare Wirkung entfalte und § 60 Abs. 1 AufenthG in seinem Kerngehalt nicht ändere. Der Kläger könne auch nicht die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG beanspruchen.

Mit der vom Senat beschränkt auf den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Er macht u.a. geltend, der Widerruf verstoße gegen die zwischenzeitlich umgesetzte Richtlinie 2004/83/EG und gegen Art. 1 C der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK -. Deren Schutzbereich erschöpfe sich nach einhelliger Staatenpraxis nicht im Schutz vor politischer Verfolgung. Ein Entzug des Flüchtlingsstatus setze voraus, dass im Herkunftsland auch die Mindestbedingungen einer staatlichen Friedensordnung und einer menschenwürdigen Existenz vorgefunden werden könnten. Erforderlich sei eine wertende Gesamtschau unter Einbeziehung der allgemeinen Verhältnisse. Hierzu fehlten ausreichende Tatsachenfeststellungen. Auch der vom Berufungsgericht angewandte Wahrscheinlichkeitsmaßstab sei völker- und europarechtswidrig.

Der Kläger beantragt,

den Beschluss des Oberverwaltungsgerichtes für das Land Nordrhein-Westfalen vom zu ändern, soweit er den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung betrifft, und die Berufung der Beklagten insoweit zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Revision entgegengetreten. Der Vertreter des Bundesinteresses am Bundesverwaltungsgericht hat sich am Verfahren nicht beteiligt.

II

Der Rechtsstreit ist auszusetzen und es ist eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur Auslegung der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EG Nr. L 304 S. 12; ber. ABl EG Nr. L 204 S. 24) einzuholen (Art. 234 Abs. 1 und 3, Art. 68 Abs. 1 EG). Da es um die Auslegung von Gemeinschaftsrecht geht, ist der Gerichtshof zuständig (1.). Die vorgelegten Fragen zur Auslegung der Richtlinie sind entscheidungserheblich (2.) und bedürfen einer Klärung durch den Gerichtshof (3.).

1. Gegenstand des Rechtsstreits ist die Frage, ob die Flüchtlingsanerkennung des Klägers nach Änderung der für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft maßgeblichen tatsächlichen Umstände in seinem Herkunftsland Irak zu Recht widerrufen worden ist. Der Widerruf unterfällt nach Auffassung des Senats allerdings nicht schon kraft Gemeinschaftsrechts den einschlägigen Regelungen in Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG über die Aberkennung, Beendigung oder Ablehnung der Verlängerung der Flüchtlingseigenschaft und der darin in Bezug genommenen Bestimmung des Art. 11 der Richtlinie über das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft. Denn Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie gilt nur bei Anträgen auf internationalen Schutz, die nach dem Inkrafttreten der Richtlinie, also nach dem (Art. 39 der Richtlinie) gestellt sind. Der Schutzantrag, der dem streitigen Widerruf zugrunde liegt, wurde vom Kläger vor diesem Stichtag gestellt. Art. 14 i.V.m. Art. 11 der Richtlinie finden deshalb auf den Widerruf keine unmittelbare Anwendung (vgl. BVerwG 1 C 21.06 - BVerwGE 128, 199 <210> Rn. 24).

Gleichwohl ist der Widerruf an den genannten Bestimmungen der Richtlinie zu messen. Denn der deutsche Gesetzgeber hat durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom (BGBl I S. 1970) - im Folgenden: Richtlinienumsetzungsgesetz -, das am in Kraft getreten ist, mit der Neufassung von § 73 AsylVfG auch Art. 14 und Art. 11 der Richtlinie umgesetzt, ohne die Anwendbarkeit der Bestimmungen in zeitlicher Hinsicht einzuschränken.

Der Gerichtshof bejaht auch in derartigen Fällen einer - gemeinschaftsrechtlich nicht gebotenen - überschießenden nationalen Umsetzung seine Zuständigkeit für eine Vorabentscheidung. Weder aus dem Wortlaut des Art. 234 EG noch aus dem Zweck des durch diesen Artikel errichteten Verfahrens ergibt sich, dass die Verfasser des Vertrages von der Zuständigkeit des Gerichtshofs solche Vorabentscheidungsverfahren ausnehmen wollten, die sich auf eine Gemeinschaftsvorschrift in dem besonderen Fall beziehen, dass das nationale Recht eines Mitgliedstaats zur Bestimmung der auf eine rein innerstaatliche Situation anwendbaren Vorschriften auf den Inhalt dieser Vorschrift verweist. Ist eine Vorschrift sowohl auf dem innerstaatlichen Recht unterliegende als auch auf dem Gemeinschaftsrecht unterliegende Sachverhalte anwendbar, besteht ein unbestreitbares Gemeinschaftsinteresse, zur Vermeidung künftiger Auslegungsdivergenzen die vom Gemeinschaftsrecht übernommenen Bestimmungen unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen sie anzuwenden sind, einheitlich auszulegen (vgl. , Poseidon Chartering - Slg. 2006, I-2505, Rn. 14 ff., m.w.N.).

Ein solcher Fall der überschießenden Richtlinienumsetzung durch den nationalen Gesetzgeber liegt nach Auffassung des Senats hier vor. Die neue Fassung der Bestimmung des § 73 AsylVfG über den Widerruf, die nach dem nationalen Prozessrecht für die Überprüfung des Widerrufs im vorliegenden Revisionsverfahren maßgeblich ist, lautet in ihrem Absatz 1 wie folgt:

Die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Anerkennung als Asylberechtigter oder zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, oder wenn er als Staatenloser in der Lage ist, in das Land zurückzukehren, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Satz 2 gilt nicht, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

Mit der Einfügung des neuen Satzes 2 in die Vorschrift hat der Gesetzgeber eine die Erlöschensgründe in Art. 11 Abs. 1 Buchst. e und f der Richtlinie erkennbar ausdrücklich aufgreifende Regelung aufgenommen. Auch wenn die Formulierung ihrerseits der Regelung in Art. 1 C Nr. 5 und 6 GFK entspricht und schon nach der bisherigen Rechtslage aufgrund ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG im Sinne dieser "Wegfall-der-Umstände-Klausel" auszulegen und anzuwenden war (vgl. BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 276), diente die jetzige Aufnahme dieser Klausel in § 73 AsylVfG durch das Richtlinienumsetzungsgesetz ersichtlich auch der endgültigen Anpassung der nationalen Widerrufsbestimmung an den Wortlaut der Richtlinie. Da das Gesetz insoweit keine Übergangsbestimmung - etwa in Anlehnung an Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie - enthält, sollte es offenbar bei allen, also auch bei vor dem gestellten Schutzanträgen gelten. Nach Auffassung des Senats hat der Gesetzgeber damit die gemeinschaftsrechtlichen Erlöschenstatbestände in Art. 11 Abs. 1 Buchst. e und f der Richtlinie - überschießend - auf von der Richtlinie selbst nicht erfasste Sachverhalte, nämlich vor dem gestellte Schutzanträge, ausgedehnt.

2. Die Vorlagefragen sind entscheidungserheblich. Der Widerruf verstößt nicht gegen sonstige Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts. Insbesondere ist er nicht schon wegen fehlender Ermessensausübung der Behörde rechtswidrig. Die für die Zulassung der Revision ausschlaggebende Frage, ob der Widerruf einer Ermessensentscheidung (bisher nach § 73 Abs. 2a Satz 3; nunmehr nach § 73 Abs. 2a Satz 4 AsylVfG) bedurfte, ist durch die klarstellende Neuregelung in § 73 Abs. 7 AsylVfG in der Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes geklärt. Danach hat in Fällen, in denen - wie vorliegend - die Entscheidung über die Flüchtlingsanerkennung vor dem unanfechtbar geworden ist, die Prüfung nach § 73 Abs. 2a Satz 1 AsylVfG spätestens bis zum zu erfolgen. Damit hat der Gesetzgeber eine Übergangsregelung für (vor dem unanfechtbar gewordene) Altanerkennungen getroffen und klargestellt, bis wann sie auf einen etwaigen Widerruf hin zu überprüfen sind. Daraus folgt, dass vor einer solchen Prüfung und Verneinung der Widerrufsvoraussetzungen (Negativentscheidung) eine Ermessensentscheidung grundsätzlich nicht in Betracht kommt (ebenso Urteil vom a.a.O. Rn. 12 f. zur bisherigen Rechtslage). Der angefochtene Widerruf leidet auch nicht an sonstigen formellen Mängeln.

Der Widerruf ist schließlich auch nicht bereits wegen Vorliegens der Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG ausgeschlossen. Danach findet der Beendigungstatbestand des § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG in Übereinstimmung mit Art. 1 C Nr. 5 Satz 2 und Nr. 6 Satz 2 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK) keine Anwendung, wenn der Ausländer sich auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in seinen Herkunftsstaat abzulehnen. Dieser Ausschlussgrund ist vorliegend nicht erfüllt, da der Kläger sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, die für das Revisionsgericht bindend sind (§ 137 Abs. 2 VwGO) nicht auf Nachwirkungen früherer Verfolgungsmaßnahmen berufen kann, um eine Rückkehr in den Irak abzulehnen. Damit kommt es für die Entscheidung des Falles darauf an, ob der Kläger die Voraussetzungen des durch § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG umgesetzten Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG erfüllt, er also nach Wegfall der Umstände, die zu seiner Flüchtlingsanerkennung geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.

a) Die für die Flüchtlingsanerkennung maßgeblichen tatsächlichen Umstände haben sich im Irak mit der Beseitigung des Regimes von Saddam Hussein erheblich und nicht nur vorübergehend geändert. Nach den im Revisionsverfahren nicht angegriffenen, den Senat bindenden tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hat dieses Regime seine politische und militärische Herrschaft über den Irak endgültig verloren und ist eine Rückkehr des Regimes nach den aktuellen Machtverhältnissen ebenso ausgeschlossen wie die Herausbildung einer Struktur, die vom früheren Regime als Gegner angesehene Personen erneut (wiederholend) verfolgt. Dem Kläger droht nach den Feststellungen des Berufungsgerichts auch nicht aus anderen Gründen eine - wie auch immer geartete - Verfolgung. Das Berufungsgericht hat in diesem Zusammenhang allerdings auf sich beruhen lassen, ob mit der neuen irakischen Regierung ein Machtgebilde entstanden ist, das eine gewisse Stabilität aufweist und die Fähigkeit zur Schaffung und Aufrechterhaltung einer übergreifenden Friedensordnung besitzt, und seine Zweifel vor allem mit der äußerst begrenzten Einsetzbarkeit der irakischen Streit- und Polizeikräfte begründet.

Damit ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Flüchtlingseigenschaft schon dann erlischt, wenn die begründete Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung, aufgrund derer die Anerkennung erfolgte, entfallen ist und er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor Verfolgung haben muss. Bei Bejahung der Frage 1 wäre das Berufungsurteil in diesem Punkt nicht zu beanstanden. Bei Verneinung käme es dagegen für die Entscheidung des Falles zunächst darauf an, von welchen weiteren Voraussetzungen das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft abhängt. Mögliche Anknüpfungspunkte liegen Frage 2 zugrunde. Soweit der Gerichtshof hier weitere - auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht abschließend zu beantwortende - Voraussetzungen für das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft aufstellen sollte, wäre das Berufungsurteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dies gilt insbesondere bei Bejahung der Frage 2 Buchst. a, da das Berufungsgericht ausdrücklich Zweifel bekundet hat, ob der irakische Staat eine gewisse Stabilität besitzt und die Fähigkeit zur Schaffung und Aufrechterhaltung einer übergreifenden Friedensordnung besitzt. Weiterer Aufklärung bedürfte es aber auch bei Bejahung der Frage 2 Buchst. b, da das Berufungsgericht davon ausgegangen ist, dass es im Irak weiterhin zu terroristischen Anschlägen und fortgesetzten offenen Kampfhandlungen zwischen militanter Opposition sowie regulären Sicherheitskräften und Koalitionsstreitkräften kommt. Da die Frist zur Umsetzung der Richtlinie bei Erlass des Berufungsurteils noch nicht abgelaufen war, hat das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang nicht geprüft, ob dem Kläger subsidiärer Schutz nach Art. 18 der Richtlinie zu gewähren ist, weil ihm ein ernsthafter Schaden i.S.d. Art. 15 Buchst. c der Richtlinie droht. Ebenso bedürfte es bei Bejahung der Frage 2 Buchst. c weiterer Aufklärung, nachdem das Berufungsgericht - im Rahmen seiner Ausführungen zum Nichtbestehen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG - zwar auf die weiterhin angespannte Sicherheitslage und das Bestehen von Versorgungsengpässen hingewiesen, diesbezüglich aber keine weiteren Feststellungen getroffen hat.

b) Das Berufungsgericht hat im Übrigen offen gelassen, ob der Kläger den Irak unter dem Druck erlittener oder unmittelbar drohender Verfolgung durch das Baath-Regime Saddam Husseins verlassen hat, da er vor einem Wiederaufleben einer gleichartigen Verfolgung hinreichend sicher sei und ihm auch nicht aus anderen Gründen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erneut Verfolgung drohe. Damit ist das Berufungsgericht - im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats - davon ausgegangen, dass nach Wegfall der Umstände, aufgrund derer der Kläger als Flüchtling anerkannt worden ist, neue andersartige verfolgungsbegründende Umstände an dem Wahrscheinlichkeitsmaßstab zu messen sind, der für die Anerkennung von Flüchtlingen gilt, in diesem Fall mithin zugunsten des Betreffenden kein anderer Maßstab Anwendung findet. Zudem stellt sich im Revisionsverfahren nach Ablauf der Umsetzungsfrist die Frage, ob in dieser Situation die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG hinsichtlich neuer andersartiger Umstände Anwendung findet.

Ist Frage 3 dahin zu beantworten, dass beim Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft hinsichtlich neuer andersartiger verfolgungsbegründender Umstände weder ein anderer Wahrscheinlichkeitsmaßstab noch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie gilt, wäre das Berufungsurteil auch in diesem Punkt nicht zu beanstanden. Ist dagegen davon auszugehen, dass zugunsten des Betreffenden ein anderer Wahrscheinlichkeitsmaßstab und/oder die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie Anwendung findet, wäre das Berufungsurteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur abschließenden Sachverhaltsaufklärung zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht müsste dann die erforderlichen Feststellungen treffen, ob der Kläger auch bei Anwendung eines günstigeren Wahrscheinlichkeitsmaßstabs und/oder der Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie bei einer Rückkehr keine Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie wegen neuer andersartiger verfolgungsbegründender Umstände haben muss.

3. Die vorgelegten Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2004/83/EG bedürfen einer Klärung durch den Gerichtshof.

a) Fragen 1 und 2 betreffen die in Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG geregelten Voraussetzungen des Erlöschens der Flüchtlingseigenschaft. Diese Vorschrift entspricht nach ihrem Wortlaut der "Wegfall-der-Umstände-Klausel" in Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK. Nachdem alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union Vertragsparteien der Genfer Flüchtlingskonvention sind, auch die Richtlinie 2004/83/EG von der uneingeschränkten und umfassenden Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention ausgeht (vgl. Erwägungsgrund 2), diese als wesentlichen Bestandteil des internationalen Rechtsrahmens für den Schutz von Flüchtlingen ansieht (vgl. Erwägungsgrund 3) und vor dem Hintergrund der Notwendigkeit gemeinsamer Kriterien für die Anerkennung von Asylbewerbern als Flüchtlinge i.S.v. Art. 1 GFK (vgl. Erwägungsgrund 17) Mindestnormen für die Bestimmung und die Merkmale der Flüchtlingseigenschaft festlegt, um die zuständigen innerstaatlichen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention zu leiten (vgl. Erwägungsgrund 16), ist davon auszugehen, dass Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie auch inhaltlich mit Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK übereinstimmt. Nach Auffassung des Senats ist Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie daher in Übereinstimmung mit Art. 1 C Nr. 5 GFK und damit unter Berücksichtigung der für die Auslegung dieses völkerrechtlichen Vertrags geltenden Grundsätze auszulegen. Namentlich sind die Auslegungsregeln der Art. 31 ff. des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom - WVK - zu berücksichtigen, die zwar nicht unmittelbar, aber als Ausdruck allgemeiner Regeln des Völkerrechts anzuwenden sind (vgl. Art. 4 WVK ). Nach Art. 31 Abs. 1 WVK ist ein Vertrag nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen.

aa) Zweifel bestehen jedoch, wann im Einzelnen in Anwendung dieser Grundsätze von einem Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft auszugehen ist. Hierzu werden unterschiedliche Auffassungen vertreten, die sowohl an das Tatbestandsmerkmal des Wegfalls der Umstände, aufgrund derer die Anerkennung erfolgte, als auch an das Tatbestandsmerkmal, dass der Flüchtling es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz seines Herkunftslandes in Anspruch zu nehmen, anknüpfen. Übereinstimmung besteht, dass in jedem Fall - wie bei Frage 1 zugrunde gelegt - erforderlich ist, dass sich die Verhältnisse im Herkunftsland grundlegend und dauerhaft geändert haben und hierdurch die begründete Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung, aufgrund derer die Anerkennung erfolgte, entfallen ist und er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor Verfolgung haben muss. Ob das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft darüber hinaus von weiteren Voraussetzungen abhängt, erscheint insbesondere im Hinblick auf die Ausführungen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften in der Begründung ihres Richtlinienvorschlags klärungsbedürftig. Gleiches gilt für die sich daran anschließende Frage, welche Bedeutung in diesem Zusammenhang den der Frage 2 zugrunde gelegten Anknüpfungspunkten zukommt.

Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass ein Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach der Genfer Flüchtlingskonvention wegen Wegfalls der Umstände nur in Betracht kommt, wenn sich die für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft maßgeblichen Verhältnisse im Herkunftsland nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend so geändert haben (vgl. auch Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie), dass bei einer Rückkehr des Ausländers eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist und ihm bei einer Rückkehr auch nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung droht. Beruft sich der Flüchtling darauf, dass ihm bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland nunmehr eine gänzlich neue und andersartige Verfolgung drohe, ist dabei der allgemeine Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (real risk) anzuwenden (vgl. hierzu die weiteren Darlegungen unter 3 b). Dabei entnimmt der Senat der Formulierung "Schutz des Landes" in Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK, dass nur die begründete Furcht vor erneuter Verfolgung, nicht dagegen die Furcht des Ausländers vor sonstigen Gefahren - etwa im Sinne von Frage 2 Buchst. b und c - beachtlich ist. Der Begriff "Schutz des Landes" in Art. 1 C Nr. 5 GFK hat nämlich keine andere Bedeutung als "Schutz dieses Landes" in Art. 1 A Nr. 2 GFK, der die Flüchtlingseigenschaft definiert. Schutz ist dabei bezogen auf die Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen der politischen Überzeugung. Da Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK die Beendigung des Flüchtlingsrechts im Anschluss an Art. 1 A Nr. 2 GFK regelt, kann mit "Schutz" nur der Schutz vor Verfolgung gemeint sein. Die "Wegfall-der-Umstände-Klausel" beruht nämlich auf der Überlegung, dass in Anbetracht von Veränderungen in dem Verfolgerland ein internationaler (Flüchtlings-)Schutz nicht mehr gerechtfertigt ist, da die Gründe, die dazu führten, dass eine Person zum Flüchtling wurde, nicht mehr bestehen (vgl. Nr. 115 des UNHCR-Handbuchs über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft vom September 1979, Neuauflage UNHCR Österreich, Dezember 2003) und damit die Gründe für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und für den internationalen Schutz nachträglich weggefallen sind (vgl. Urteil vom a.a.O.).

Dagegen werden allgemeine Gefahren (z.B. aufgrund von Kriegen, Naturkatastrophen oder einer schlechten Wirtschaftslage) von dem Schutz des Art. 1 A Nr. 2 GFK nach Wortlaut und Zweck dieser Bestimmung ebenso wenig erfasst wie von Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK. Ob dem Ausländer wegen allgemeiner Gefahren im Herkunftsstaat eine Rückkehr zumutbar ist, ist beim Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung mithin nach § 73 Abs. 1 AsylVfG nicht zu prüfen. Schutz kann insoweit nach den allgemeinen Bestimmungen des deutschen Ausländerrechts gewährt werden (vgl. namentlich § 60 Abs. 7 Satz 2 und § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Im Übrigen führt der Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung nicht ohne weiteres zum Verlust des Aufenthaltstitels. Ist der Flüchtling bereits im Besitz eines unbefristeten Aufenthaltstitels - was nach der Konzeption des seit 2005 geltenden Aufenthaltsrechts regelmäßig, sofern keine Widerrufsgründe vorliegen, nach Ablauf von drei Jahren nach der Zuerkennung des Flüchtlingsstatus vorgesehen ist (§ 26 Abs. 3 AufenthG) -, so kann dieser nach § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG von der Ausländerbehörde nur auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung widerrufen werden, bei der die öffentlichen Belange hinsichtlich einer etwaigen Beendigung des Aufenthalts im Einzelfall mit dem privaten Interesse des Ausländers an seinem Verbleib in Deutschland abzuwägen sind.

Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften vertritt die Auffassung, dass die Veränderung der Umstände im Herkunftsland im Einklang mit dem Handbuch des UNHCR und der staatlichen Praxis so tiefgreifend und dauerhaft sein muss, dass die begründete Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung gegenstandslos wird. Es müsse geprüft werden, ob es zu einem grundlegenden Wandel von entscheidender politischer oder sozialer Bedeutung gekommen sei, der zu stabilen Machtverhältnissen geführt habe, die sich von denen unterschieden, aufgrund deren der Flüchtling eine begründete Furcht vor Verfolgung gehabt habe. Ein umfassender politischer Wandel sei das offenkundigste Beispiel für eine tiefgreifende Veränderung der Umstände, allerdings könnten auch die Durchführung demokratischer Wahlen, die Verkündung einer Amnestie, die Aufhebung repressiver Gesetze oder die Zerschlagung früherer Strukturen auf eine solchen Übergang hindeuten (vgl. Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine Richtlinie des Rates über die Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen vom - KOM(2001) 510 endgültig - S. 26 f.). Das Erfordernis stabiler Machtverhältnisse dürfte dafür sprechen, dass nach Auffassung der Kommission in Bezug auf Frage 2 Buchst. a das Vorhandensein gewisser - staatlicher oder quasistaatlicher - Machtstrukturen erforderlich sein dürfte. Die Kommission weist allerdings weiter darauf hin, dass eine veränderte Lage, die immer noch durch eine gewisse Inkonstanz gekennzeichnet sei, definitionsgemäß nicht als dauerhaft gelte. In diesem Zusammenhang verlangt sie, objektive und nachprüfbare Beweise dafür, dass die Menschenrechte in dem Land generell geachtet werden und insbesondere die Faktoren, auf die sich die begründete Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung stützte, auf Dauer beseitigt wurden (vgl. Vorschlag der Kommission, S. 27). Dies könnte darauf hindeuten, dass das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach Auffassung der Kommission möglicherweise von weitergehenden Anforderungen abhängt, wobei allerdings unklar bleibt, ob dem Hinweis auf die generelle Achtung der Menschenrechte nur eine gewisse Indizwirkung hinsichtlich der Dauerhaftigkeit der Veränderung zukommen soll oder ob es sich hierbei um eine eigenständige Voraussetzung handelt, die einem Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft auch dann entgegensteht, wenn - wie im Fall des Klägers - feststeht, dass die Faktoren, auf die sich die begründete Furcht vor Verfolgung stützte, auf Dauer beseitigt worden sind und auch nicht aus anderen Gründen mit einer Verfolgung zu rechnen ist. Dem Richtlinienvorschlag kann auch nicht entnommen werden, anhand welcher Kriterien die generelle Achtung der Menschenrechte ggf. festzustellen wäre. Bei der Bewertung dieser Äußerung dürfte im Übrigen zu berücksichtigen sein, dass der Vorschlag der Kommission im Laufe der Beratungen in vielen wichtigen Punkten geändert worden ist, so dass die Kommissionsbegründung nur bedingt bei der Auslegung der Richtlinie herangezogen werden kann. So konnten sich beispielsweise die weiteren Vorstellungen der Kommission zum Schutz vor Menschenrechtsverletzungen im Bereich des subsidiären Schutzes nicht durchsetzen.

Auch die Äußerungen des UNHCR zur Auslegung der Beendigungsklauseln der Genfer Flüchtlingskonvention ergeben in diesem Zusammenhang kein einheitliches Bild. In seinem Handbuch weist der UNHCR darauf hin, dass die Beendigungsklauseln des Art. 1 C Nr. 5 und 6 GFK auf der Überlegung beruhen, dass in Anbetracht von Veränderungen in dem Land, im Verhältnis zu dem die Furcht vor Verfolgung bestanden hatte, ein internationaler Schutz nicht mehr gerechtfertigt ist, da die Gründe, die dazu führten, dass eine Person ein Flüchtling wurde, nicht mehr bestehen (vgl. UNHCR-Handbuch Nr. 115, a.a.O.). Dies deutet auf eine weitgehende Spiegelbildlichkeit der Voraussetzungen für die Entstehung und für die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft hin, von der der Senat - wie oben ausgeführt - in ständiger Rechtsprechung grundsätzlich ausgeht. Demgegenüber erwecken die Ausführungen des UNHCR in seinen Richtlinien vom den Eindruck, dass nach dortiger Auffassung das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft auch nach Wegfall der Verfolgungsfurcht von weiteren - verfolgungsunabhängigen - Voraussetzungen abhängt. Erforderlich sei über eine rein physische Sicherheit für Leib und Leben hinaus das Vorhandensein einer funktionierenden Regierung und grundlegender Verwaltungsstrukturen, wie sie z.B. in einem funktionierenden Rechtsstaat vorlägen, sowie das Vorhandensein einer angemessenen Infrastruktur, innerhalb derer die Einwohner ihre Rechte ausüben könnten, einschließlich ihres Rechtes auf eine Existenzgrundlage. Hierfür sei die allgemeine Menschenrechtslage ein wichtiges Indiz. Auch komme folgenden Kriterien bei der Beurteilung eine besondere Bedeutung zu: Stand der demokratischen Entwicklung im Land einschließlich der Durchführung freier und gerechter Wahlen, Beitritt zu Menschenrechtsabkommen und Zulassung unabhängiger nationaler oder internationaler Organisationen zur freien Überprüfung der Einhaltung der Menschenrechte. Eine vorbildliche Beachtung von Menschenrechten sei nicht erforderlich. Allerdings müssten bedeutende Verbesserungen vorliegen. Minimale Voraussetzungen seien dafür die Beachtung des Rechts auf Leben und Freiheit sowie das Verbot der Folter, merkliche Fortschritte beim Aufbau einer unabhängigen Justiz, faire Gerichtsverfahren und Zugang zu den Gerichten sowie unter anderem Schutz der fundamentalen Grundrechte der Meinungs-, Vereinigungs- und Religionsfreiheit. Wichtige und speziellere Indizien seien Amnestien, die Aufhebung freiheitsberaubender Gesetze und der Abbau ehemaliger Geheimdienste (vgl. Nr. 15 und 16 der UNHCR-Richtlinien zum internationalen Schutz: Beendigung der Flüchtlingseigenschaft i.S.d. Art. 1 C (5) und (6) des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ("Wegfall der Umstände"-Klauseln) vom , NVwZ-Beilage Nr. I 8/2003, 57).

bb) Für den Fall, dass Frage 1 zu verneinen ist, bedarf es zunächst der Klärung, ob das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft das Vorhandensein eines Schutz bietenden Akteurs im Sinne des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie voraussetzt (Frage 2 Buchst. a). Der Senat konnte bislang offen lassen, ob aus dem Schutz vor erneuter Verfolgung abzuleiten ist, dass zumindest überhaupt eine - staatliche oder staatsähnliche (quasistaatliche) - Herrschaftsgewalt im Sinne einer prinzipiell schutz- und verfolgungsmächtigen Ordnung existieren muss, wie sie nach der Rechtsprechung des Senats für eine politische Verfolgung im Sinne des Art. 16a Abs. 1 GG erforderlich ist (vgl. Urteil vom a.a.O. Rn. 22). Eine derartige Herrschaftsgewalt erfordert nach der Rechtsprechung des Senats die Existenz einer übergreifenden Friedensordnung mit einem prinzipiellen Gewaltmonopol, die von einer hinreichend organisierten, effektiven und stabilen Gebietsgewalt in einem abgrenzbaren (Kern-)Territorium getragen wird. Dies setzt vor allem eine gewisse Stetigkeit und Dauerhaftigkeit der Herrschaft voraus, verkörpert vorrangig in der Durchsetzungsfähigkeit und Dauerhaftigkeit des geschaffenen Machtapparates. Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Zeitspanne zu, während derer die Herrschaftsorganisation bereits Bestand hat. Je länger sich ein Machtgebilde hält, desto eher muss es als dauerhafte, schutz- und verfolgungsmächtige Gebietsgewalt angesehen werden. Neben dem Zeitfaktor können ferner Anzahl, Größe und machtpolitisches Gewicht autonomer oder nicht befriedeter, dem Zugriff der Herrschaftsorganisation entzogener Gebiete von Bedeutung sein. Nicht entscheidend sind demgegenüber die Legitimität der Machtausübung, deren Akzeptanz durch alle oder eine Mehrheit der Gewaltunterworfenen, die Willkürfreiheit der Herrschaft, die Beachtung eines menschenrechtlichen Mindeststandards und die völkerrechtliche Deliktsfähigkeit. Maßgeblich ist lediglich, ob eine De-facto-Gebietsgewalt vorhanden ist, die tatsächlich eine prinzipiell schutz- und verfolgungsmächtige Ordnung von gewisser Stabilität errichtet hat. Kennzeichnend dafür ist vor allem die Erringung eines weitgehenden - auch für Staaten typischen - tatsächlichen Schutz- und Gewaltmonopols im Innern, ohne das eine gemeinschaftsorientierte Friedensordnung nicht lebensfähig ist. Dagegen ist es weniger wichtig, in welchen organisatorischen und rechtlichen Formen, Einrichtungen oder Institutionen die Herrschaftsgewalt ausgeübt wird; erst recht ist es nicht unabdingbar, dass bestimmte Verwaltungsstrukturen oder zivilisatorische Errungenschaften der Daseinsvorsorge wie Bildungs- und Kultureinrichtungen oder etwa ein funktionierendes Gesundheitswesen existieren. Gibt es allerdings solche Strukturen, so spricht dies für eine verfestigte, auf Dauer angelegte übergreifende Ordnungsmacht ( BVerwG 9 C 20.00 - BVerwGE 114, 16 <22 ff.> im Anschluss an und 2 BvR 1353/98 - NVwZ 2000, 1165). In Anwendung dieser Grundsätze ist der Senat im Falle von Afghanistan davon ausgegangen, dass die im Oktober 2004 gewählte Übergangsregierung zumindest im Großraum Kabul de facto die Gebietsgewalt im Sinne einer übergreifenden prinzipiell schutz- und verfolgungsmächtigen Ordnung ausüben dürfte, auch wenn sich die Regierungsgewalt (auch) auf die von den Vereinten Nationen mandatierte International Security Assistance Force (ISAF) stützt, deren Aufgabe es ist, die Sicherheit in Kabul und Umgebung bzw. anderen ggf. zu bestimmenden Regionen zu gewährleisten (vgl. Urteil vom a.a.O. S. 286). Für den Irak ist der Senat unter Einbeziehung des vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit der Resolution 1723 vom bis Ende 2007 (und mit Resolution 1790 vom nochmals um ein weiteres Jahr) verlängerten Mandats der multinationalen Streitkräfte zu dem Ergebnis gelangt, dass die irakische Regierung jedenfalls mit deren Hilfe eine effektive staatliche oder staatsähnliche Gewalt in Teilen des Staatsgebietes innehat (vgl. BVerwG 1 C 34.06 - Rn. 19).

Was das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach der Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie inhaltlich entsprechenden "Wegfall-der-Umstände-Klausel" des Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK angeht, so spricht das Tatbestandsmerkmal "Schutz des Landes" dafür, dass grundsätzlich ein Staat vorhanden sein muss. Diese Auslegung wird auch am ehesten dem der Genfer Flüchtlingskonvention zugrunde liegenden Zumutbarkeitsgedanken gerecht. Ein Flüchtling bedarf nur solange des internationalen Schutzes vor Verfolgung, wie er den Schutz desjenigen Staates entbehrt, dem er angehört. Findet er dort wieder Schutz vor Verfolgung, kann er die Inanspruchnahme dieses Schutzes nicht mehr ablehnen. Dies entspricht auch dem Prinzip der Subsidiarität des internationalen Schutzes gegenüber dem Schutz durch den Staat der Staatsangehörigkeit, das sowohl in der Flüchtlingsdefinition des Art. 1 A Nr. 2 GFK als auch in der Beendigungsklausel des Art. 1 C Nr. 5 GFK zum Ausdruck kommt. So wie der internationale Schutz nach der Konvention bei fehlender Schutzgewährung des Staates vor politischer Verfolgung eingreift, entfällt - bei spiegelbildlicher Betrachtung - die Notwendigkeit internationalen Schutzes und damit die Flüchtlingseigenschaft, wenn im Herkunftsstaat aufgrund veränderter Umstände wieder Schutz vor Verfolgung gewährt wird. Dabei dürfte allerdings zu berücksichtigen sein, dass die Zeit des Entstehens der Genfer Flüchtlingskonvention durch Nationalstaaten geprägt war. Wer sich damals auf keinen staatlichen Schutz berufen konnte, war schutzlos. Inzwischen hat sich gezeigt und ist allgemein anerkannt, dass quasistaatlicher und auch internationaler Schutz gleichwertig sein können. Auch die Richtlinie 2004/83/EG unterstellt, dass Schutz nicht nur von einem Staat, sondern auch von Parteien oder Organisationen, einschließlich internationaler Organisationen, geboten werden kann, die die Voraussetzungen der Richtlinie erfüllen und eine Region oder ein größeres Gebiet innerhalb des Staatsgebiets beherrschen (vgl. Erwägungsgrund 19). Folgerichtig geht die Richtlinie in Art. 7 Abs. 1 davon aus, dass nicht nur Staaten als potentielle Schutzgaranten in Betracht kommen. Dies dürfte für die Bejahung der Frage 2 Buchst. a sprechen, wobei es aber grundsätzlich ausreichen dürfte, wenn eine staatliche oder staatsähnliche Herrschaftsgewalt - wie vom Senat hinsichtlich der irakischen Regierung bislang angenommen - jedenfalls mit Hilfe multinationaler Schutztruppen den erforderlichen Schutz gewähren kann.

Weitergehende Anforderungen, wie sie etwa vom UNHCR in seinen Richtlinien vom gefordert und in Frage 2 Buchst. b und c formuliert worden sind, dürften dagegen über die auf Schutz vor Verfolgung angelegte Konzeption der Genfer Konvention hinausgehen. Entsprechend dürften auch die Ausführungen der Kommission in ihrem Richtlinienvorschlag vom dahin zu verstehen sein, dass der Menschenrechtslage im Herkunftsland zwar eine gewisse Indizwirkung für die Dauerhaftigkeit der Veränderungen zukommen kann, es sich hierbei aber nicht um eine eigenständige Erlöschensvoraussetzung handelt. Ist die Furcht vor Verfolgung aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen aufgrund nachträglicher Veränderungen im Herkunftsland nicht mehr begründet, bedarf der Ausländer nicht länger des Flüchtlingsschutzes der Genfer Flüchtlingskonvention.

Mit dem Verlust der Flüchtlingseigenschaft nach Wegfall der Verfolgungsgefahr ist der Ausländer im Übrigen hinsichtlich sonstiger Gefahren nicht schutzlos gestellt. Läuft er Gefahr, nach Wegfall der begründeten Furcht vor Verfolgung bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland einen ernsthaften Schaden i.S.d. Art. 15 der Richtlinie zu erleiden, hat er nach dem Schutzkonzept der Richtlinie Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Art. 18. Hierbei handelt es sich um einen eigenständigen, vom Flüchtlingsstatus zu trennenden Schutzstatus. Die Richtlinie beruht insoweit auf dem Gedanken, Personen, die tatsächlich Schutz benötigen, ein Mindestmaß an Schutz zu gewähren (vgl. Erwägungsgrund 6). Aus diesem Grund wurden die Vorschriften zum Flüchtlingsschutz um Regelungen zum subsidiären Schutz ergänzt (Erwägungsgrund 24). Diese knüpfen an die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten im Bereich der Menschenrechte und bestehende Praktiken an (vgl. Erwägungsgrund 25) und greifen auch im Falle eines Erlöschens der Flüchtlingseigenschaft. Folglich verliert der Ausländer mit dem Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nur seine Stellung als Flüchtling. Erfüllt er stattdessen die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes nach Art. 18 der Richtlinie 2004/83/EG, ist ihm der damit verbundene Schutz in Deutschland durch Feststellung eines entsprechenden Abschiebungsverbots zu gewähren (vgl. § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG), verbunden mit einem Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 3 AufenthG. Ebenso wenig dürfte es für das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft darauf ankommen, ob im Herkunftsstaat generell und unabhängig von einer Verfolgungsgefahr die Sicherheitslage stabil ist und die allgemeinen Lebensbedingungen das Existenzminimum gewährleisten. Bei derart weit gefassten Voraussetzungen würden die Erlöschenstatbestände in der Praxis weitgehend leerlaufen (vgl. im Übrigen zur Gewährung von Schutz nach deutschem Ausländerrecht wegen allgemeiner Gefahren oben aa)).

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus Art. 31 Abs. 3 Buchst. b WVK. Danach ist bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrages zu berücksichtigen, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht. In diesem Sinne fehlen vorliegend jegliche Anhaltspunkte für eine einheitliche - der deutschen Rechtsprechung entgegenstehende - Staatenpraxis bei Anwendung der Beendigungsklauseln der Genfer Flüchtlingskonvention. Maßgeblich kann insoweit nur eine Praxis sein, die sich als Umsetzung gerade der völkerrechtlichen Vertragsverpflichtung versteht; eine spätere Übung muss also vertragsbezogen sein, um bei der Auslegung Berücksichtigung finden zu können. Außerdem muss sie die Übereinstimmung aller Vertragsparteien erkennen lassen. In diesem Sinne kann von einer die Auslegung beeinflussenden einheitlichen Übung der Vertragsstaaten bei Anwendung der "Wegfall-der-Umstände-Klauseln" des Art. 1 C GFK nicht ausgegangen werden. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Klauseln jedenfalls in Deutschland immer in dem oben dargelegten Sinne angewandt worden sind. Davon abgesehen gibt es aber auch keine Anhaltspunkte, dass sie in den übrigen Vertragstaaten einheitlich in einem anderen Sinne ausgelegt werden.

Der Genfer Flüchtlingskonvention sind nach dem Stand vom 144 Vertragstaaten beigetreten. In der internationalen Staatenpraxis existieren aber nur wenige Entscheidungen zu den Beendigungsklauseln. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass viele der Konvention beigetretene Staaten in der Praxis nicht den Flüchtlingsbegriff der Konvention, sondern einen weiteren - den subsidiären Schutz und sonstige Menschenrechtsverletzungen mit umfassenden - Flüchtlingsbegriff zugrunde legen. Ausgehend von einem erweiterten Flüchtlingsbegriff würden sich aber zwangsläufig die Beendigungsvoraussetzungen erhöhen, so dass in diesen Fällen aus der tatsächlichen Staatenpraxis keine Rückschlüsse auf die Auslegung der Genfer Flüchtlingskonvention gezogen werden könnten, da schon der für die Feststellung einer späteren Übung erforderliche Vertragsbezug fehlen würde. Anhaltspunkte für einen in der Praxis weiteren Flüchtlingsbegriff ergeben sich etwa aus Art. I Nr. 2 der 1974 in Kraft getretenen "Konvention der Organisation für Afrikanische Einheit zur Regelung der Probleme von Flüchtlingen in Afrika" - OAU-Konvention -; danach gilt als Flüchtling auch jede Person, "die aufgrund von äußerer Aggression, Okkupation, ausländischer Vorherrschaft oder Ereignissen, die ernsthaft die öffentliche Ordnung stören" gezwungen ist, an einem anderen Ort Zuflucht zu nehmen. Ein entsprechender Flüchtlingsbegriff findet sich auch in der "Cartagena Declaration on Refugees" aus dem Jahre 1984. Die "Arab Convention on Regulating Status of Refugees in the Arab Countries" der Liga Arabischer Staaten aus dem Jahre 1994 bezeichnet darüber hinaus als Flüchtling auch Personen, die vor Naturkatastrophen ("occurrence of natural disasters") geflohen sind (Art. 1 Nr. 2). Zudem schließen die Abkommen eine Rückführung von Flüchtlingen gegen ihren Willen grundsätzlich aus (vgl. etwa Art. V Nr. 1 des OAU-Abkommens), so dass in der Praxis wenig Veranlassung bestehen dürfte, den einmal gewährten Flüchtlingsstatus nachträglich abzuerkennen. Auch der UNHCR räumt ein, dass viele Staaten in der Vergangenheit keine regelmäßigen Überprüfungen von Einzelfällen im Hinblick auf grundlegende Änderungen in den Herkunftsländern durchgeführt haben (vgl. Nr. 18 der UNHCR-Richtlinien vom , a.a.O.). Vor diesem Hintergrund spricht viel dafür, dass sich in zahlreichen Vertragsstaaten der Genfer Flüchtlingskonvention bislang überhaupt keine vertragsbezogene Praxis zur Anwendung der "Wegfall-der-Umstände-Klauseln" gebildet hat.

Auch der Kläger hat für die Behauptung einer "einhelligen" - der deutschen Rechtsprechung entgegenstehenden - Staatenpraxis lediglich drei Entscheidungen zur Praxis in anderen - ausschließlich europäischen - Vertragsstaaten angeführt, die allerdings unterschiedliche Verfahrenskonstellationen zum Gegenstand haben und vor allem keinen einheitlichen Maßstab anwenden. So betrifft die Entscheidung des Unabhängigen Österreichischen Bundesasylsenats vom (224.674/0-VI/42/01) kein Widerrufs-, sondern ein Zuerkennungsverfahren. Hierbei hat das Gericht inzident festgestellt, dass die einmal erworbene Flüchtlingseigenschaft nicht verloren gehe, wenn sich die Umstände in der Heimatregion des Bewerbers nicht derart grundlegend und dauerhaft verändert hätten, dass davon ausgegangen werden könne, dass internationaler Schutz entbehrlich sei. Dies wurde im Fall eines afghanischen Flüchtlings verneint, wobei sich aus den Gründen der Entscheidung allerdings ergibt, dass es schon am Wegfall der zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führenden Verfolgungssituation fehlte. Auch in der Entscheidung des United Kingdom House of Lords vom (2005 UKHL 19) ging es nicht um ein Widerrufs-, sondern um ein Anerkennungsverfahren. Dabei wurde zwar hervorgehoben, dass die Prüfung des Flüchtlingsstatus nach Art. 1 A Nr. 2 GFK nicht genau die Prüfung widerspiegele, die bei einem Entzug nach Art. 1 C Nr. 5 GFK vorzunehmen sei. Dies wurde aber nicht weiter ausgeführt. Einzig die Entscheidung der Schweizerischen Asylrekurskommission vom (EMARK 2002/8 S. 53 <64>) betrifft ein Widerrufsverfahren. Soweit sie davon ausgeht, dass unabhängig von den zur Anerkennung führenden Verfolgungsgründen jedenfalls solange nicht von einer grundlegenden Verbesserung der Lage i.S.d. Art. 1 C Nr. 5 GFK ausgegangen werden könne, als es nach Meinung der Vereinten Nationen einer internationalen Schutzmacht bedürfe, und dies damit begründet, dass Asylgewährung und Widerruf einander nicht als spiegelbildliche Akte gegenübergestellt werden könnten, sondern an die den Widerruf rechtfertigenden Verhältnisse im Heimatland höhere Anforderungen zu stellen seien und die Stabilisierung einer neuen politischen Situation abgewartet werden müsse, wird letztlich nur die schweizerische Praxis wiedergegeben.

Den verschiedenen Verlautbarungen des UNHCR können ebenfalls keine Hinweise für das Bestehen einer einheitlichen Staatenpraxis entnommen werden. Insbesondere der Beschluss Nr. 69 (XLIII) des Exekutiv-Komitees enthält hierzu keine konkrete Aussage, sondern betont lediglich - allgemein und eher in Art eines Appells -, dass die Vertragsstaaten bei jeder Entscheidung über die Anwendung der Beendigungsklauseln sorgfältig den grundlegenden Charakter der Veränderungen im Heimat- und Herkunftsland einschließlich der generellen Menschenrechtssituation und der besonderen Ursache für die Verfolgungsfurcht beurteilen müssten, um auf objektive und nachprüfbare Weise sicherzustellen, dass die Situation, welche die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus rechtfertigte, nicht länger existiere. Zugleich wird in dem Beschluss ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Anwendung der Beendigungsklausel(n) ausschließlich in der Kompetenz der Vertragstaaten liege. Dass diese die Klauseln in der Praxis einheitlich anwenden, ist dem Beschluss nicht zu entnehmen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den UNHCR-Richtlinien vom (a.a.O.). Diese sind nach der Präambel als "Hilfsmittel zur Rechtsauslegung" gedacht. Soweit darauf hingewiesen wird, dass der Rahmen für die inhaltliche Analyse "die staatliche Praxis" berücksichtige (vgl. Nr. 5), finden sich auch hier keine Hinweise auf das tatsächliche Bestehen einer einheitlichen Staatenpraxis. Stattdessen wird hervorgehoben, dass das Exekutiv-Komitee in seinem Beschluss Nr. 69 "Leitlinien" entwickelt habe (vgl. Nr. 8). Auch die nachfolgenden, weit über den Beschluss Nr. 69 hinausgehenden Forderungen (vgl. Nr. 15) enthalten keinen Hinweis auf eine entsprechende Staatenpraxis. Stattdessen wird eingeräumt, dass in der Praxis bislang weitgehend überhaupt keine regelmäßigen Überprüfungen von Einzelfällen im Hinblick auf grundlegende Änderungen in den Herkunftsländern durchgeführt worden sind (vgl. Nr. 18). Bei dieser Sachlage kann sich eine einheitliche Staatenpraxis aber nur schwerlich bilden. Schließlich hilft auch die vom Kläger vorgelegte "Ergänzende Stellungnahme des UNHCR zu den Voraussetzungen der Beendigung der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 1 C (5) 1 des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention)" vom Oktober 2005 nicht weiter. Soweit darin ausgeführt wird, die Beschlüsse des Exekutiv-Komitees spiegelten die Staatenpraxis wider, findet sich hierfür kein Beleg. Der UNHCR weist in diesem Zusammenhang vielmehr selbst darauf hin, dass dem Exekutiv-Komitee nur 68 (und damit weniger als die Hälfte der) Mitgliedstaaten der Genfer Flüchtlingskonvention angehören. Dass der Beschluss Nr. 69 noch nicht einmal die Staatenpraxis der im Exekutiv-Komitee mitwirkenden Staaten wiedergibt, zeigt im Übrigen der Umstand, dass Deutschland diesem angehört, nach Auffassung des UNHCR dessen Forderungen in der Praxis aber nie nachgekommen ist.

b) Frage 3 dient der Klärung, welche Anforderungen beim Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie an den Ausschluss neuer andersartiger verfolgungsbegründender Umstände zu stellen sind. Nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Erlöschenstatbestände des Art. 11 Abs. 1 Buchst. e und f zu untersuchen, ob die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann. Damit wird unmittelbar an den Begriff der "begründeten Furcht" vor Verfolgung angeknüpft, der nach der Genfer Flüchtlingskonvention (Art. 1 A Nr. 2 GFK) und der Richtlinie 2004/83/EG (Art. 2 Buchst. c) zentraler Bestandteil des Flüchtlingsbegriffs ist. Wann eine Furcht vor Verfolgung begründet ist oder - hinsichtlich des Erlöschens der Flüchtlingseigenschaft - nicht länger als begründet angesehen werden kann, wird weder in der Genfer Flüchtlingskonvention noch in der Richtlinie 2004/83/EG näher konkretisiert. Insbesondere geben weder die Konvention noch die Richtlinie einen Maßstab dafür an, wie wahrscheinlich die Verfolgungsgefahr sein muss, damit die Furcht des Flüchtlings als begründet angesehen werden kann. In Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie findet sich lediglich eine Beweiserleichterung für die Anerkennung von Antragstellern, die bereits verfolgt wurden oder von Verfolgung unmittelbar bedroht waren.

aa) Der Senat ist bislang in Widerrufsfällen davon ausgegangen, dass die Furcht eines Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann, wenn sich in seinem Herkunftsland die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend so geändert haben, dass eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist und ihm bei einer Rückkehr auch nicht aus anderen Gründen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine gänzlich neue und andersartige Verfolgung droht (vgl. BVerwG 1 C 15.05 - BVerwGE 126, 243 Rn. 26 und vom a.a.O. Rn. 20). Dabei sind grundsätzlich alle im Anerkennungsverfahren geltend gemachten Verfolgungsgründe - gleichgültig, ob sie im Anerkennungsbescheid berücksichtigt worden sind - unter dem Gesichtspunkt eines etwaigen Zusammenhangs mit einer Rückkehrgefährdung zu untersuchen bevor die Anwendung des herabgestuften Maßstabs der hinreichenden Verfolgungssicherheit ausgeschlossen werden kann (vgl. BVerwG 10 C 24.07 - InfAuslR 2007, 401). Diese Vorgehensweise dürfte in der Praxis letztlich zu gleichen Ergebnissen führen wie die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie.

Der Senat knüpft mit dieser Rechtsprechung an die in Deutschland für die Asylanerkennung nach Art. 16a GG entwickelten und später auf die Flüchtlingsanerkennung nach der Genfer Flüchtlingskonvention übertragenen Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe an. Danach gelten im Anerkennungsverfahren unterschiedliche Maßstäbe je nachdem, ob der Asylsuchende sein Herkunftsland auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt ausgereist ist. Ist der Asylsuchende unverfolgt ausgereist, liegt eine Verfolgungsgefahr und damit eine begründete Furcht vor Verfolgung vor, wenn ihm bei verständiger, nämlich objektiver, Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Antragstellers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer "quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50 % Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden "zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts" die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr "beachtlich" ist. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 % für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die "reale Möglichkeit" (real risk) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert ( BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.> m.w.N.).

Dagegen wendet der Senat in ständiger Rechtsprechung den herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab der hinreichenden Verfolgungssicherheit an, wenn ein innerer Zusammenhang zwischen einer erlittenen Verfolgung und der mit dem Asylbegehren geltend gemachten Gefahr erneuter Verfolgung dergestalt besteht, dass bei Rückkehr mit einem Wiederaufleben der ursprünglichen Verfolgung zu rechnen ist oder das erhöhte Risiko einer gleichartigen Verfolgung besteht. In diesem Fall sind an die Wahrscheinlichkeit des Ausschlusses erneuter Verfolgung wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen der schon einmal erlittenen Verfolgung hohe Anforderungen zu stellen. Es muss mehr als nur überwiegend wahrscheinlich sein, dass der Asylsuchende im Heimatstaat vor Verfolgungsmaßnahmen sicher ist. Andererseits muss die Verfolgungsgefahr nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, so dass jeder auch nur geringe Zweifel an der Sicherheit des Asylsuchenden vor Verfolgung seinem Begehren zum Erfolg verhelfen müsste. Lassen sich aber ernsthafte Bedenken nicht ausräumen, so wirken sie sich nach diesem Maßstab zugunsten des Asylbewerbers aus und führen zu seiner Anerkennung ( BVerwG 9 C 9.96 - BVerwGE 104, 97 <99 ff.> m.w.N.).

Da die Richtlinie 2004/83/EG keine eigenen Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe festlegt und sich der Vorschlag Deutschlands auf Übernahme seiner Prognosemaßstäbe (vgl. das Protokoll über das Beratungsergebnis vom - Az. 12199/02 - S. 8) nicht durchgesetzt hat, dürfte beim Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft gemeinschaftsrechtlich zugunsten des Betreffenden kein anderer Maßstab (etwa der herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab der hinreichenden Verfolgungssicherheit) anzuwenden sein. Frage 3 Buchst. a Halbs. 2 dürfte daher zu verneinen sein, mit der Folge, dass bei der Untersuchung nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie, ob die Veränderung der Umstände erheblich und nicht nur vorübergehend ist, so dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet anzusehen ist, neue andersartige verfolgungsbegründende Umstände an dem gleichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab zu messen sind, der für die Anerkennung von Flüchtlingen gilt.

bb) Des Weiteren bedarf der Klärung, ob in einer solchen Situation - also in Fällen, in denen kein innerer Zusammenhang zwischen den Umständen, aufgrund derer der Betreffende als Flüchtling anerkannt worden ist, und der geltend gemachten Rückkehrgefährdung besteht - die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie Anwendung findet. Dies ist Gegenstand von Frage 3 Buchst. b. Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder von einem solchen Schaden bedroht ist.

Die einschränkende Formulierung "solcher Verfolgung", die sich auch in der englischen ("such persecution") und in der französischen ("cette persécution") Sprachfassung wiederfindet, deutet nach Auffassung des Senats darauf hin, dass die Beweiserleichterung nicht in allen Fällen einer erlittenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung gilt, sondern einen inneren Zusammenhang zwischen einer erlittenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung und dem Sachverhalt, der bei einer Rückkehr erneut zu einer Verfolgung führen könnte, voraussetzt. Hierfür spricht auch, dass die Vermutung einer weiterhin oder wiederum drohenden Verfolgung und die damit verbundene Umkehr der Beweislast ihre Rechtfertigung letztlich nicht darin findet, dass der Betreffende schon einmal verfolgt worden ist, sondern dass bei gleichbleibenden Umständen eine bereits erlittene oder unmittelbar drohende Verfolgung die Gefahr einer erneuten Verfolgung regelmäßig indiziert. Diese Vermutung entfällt, wenn die Umstände, aufgrund derer der Flüchtling anerkannt worden ist, weggefallen sind. In diesen Fällen zeitigt die frühere Verfolgung bezüglich neuer, andersartiger Verfolgungsgefahren, die an andere Gründe anknüpfen, möglicherweise auch von anderen Verfolgern ausgehen (etwa eine Verfolgung durch Private im Rahmen religiöser Auseinandersetzungen anstelle einer früheren staatlichen Verfolgung wegen eines regimekritischen Auftretens) und in keinem Zusammenhang mit der früheren Verfolgung stehen, auf tatsächlicher Ebene keinerlei Indizwirkung. Entsprechend fand sich in dem der Richtlinie vorangegangenen Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom betreffend die harmonisierte Anwendung der Definition des Begriffs "Flüchtling" in Art. 1 des Genfer Abkommens vom über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (ABl EG Nr. L 63 S. 2) der Hinweis, dass die Tatsache, dass eine Person bereits verfolgt wurde oder von Verfolgung unmittelbar bedroht worden ist, ein wichtiger Anhaltspunkt dafür ist, dass die Gefahr einer Verfolgung besteht, es sei denn, die Lage im Herkunftsland des Asylbewerbers oder seine Beziehungen zu seinem Herkunftsland hätten sich seither grundlegend geändert. Der spätere Entwurf der Kommission sah in Art. 7 Buchst. c zunächst nur vor, dass die Mitgliedstaaten bei der Bewertung der Furcht des Antragstellers davor, Verfolgung oder einen sonstigen ernsthaften nicht gerechtfertigten Schaden zu erleiden, mit berücksichtigen, ob der Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften nicht gerechtfertigten Schaden erlitt bzw. von Verfolgung oder Zufügung eines sonstigen ernsthaften Schadens unmittelbar bedroht wurde, da dies ein wichtiger Anhaltspunkt dafür ist, dass eine objektive Möglichkeit besteht, dass der Antragsteller in Zukunft weiter verfolgt werden oder einen solchen Schaden erleiden kann. Der Vorbehalt, dass dies nicht gilt, wenn sich die Lage im Herkunftsland des Antragstellers oder seine Beziehungen zum Herkunftsland seither grundlegend und in relevanter Weise geändert haben, fand allerdings in der Begründung der Kommission seinen Niederschlag (vgl. S. 16). Ausweislich des Protokolls über das Beratungsergebnis vom (Az. 12199/02, S. 9) wurde er nachträglich in Art. 7 Abs. 4 aufgenommen ("Die Tatsache, dass ..., ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften nicht gerechtfertigten Schaden zu erleiden, es sei denn, die Gegebenheiten im Herkunftsland des Antragstellers oder seine Beziehung zu diesem Land haben sich in der Zwischenzeit grundlegend geändert"), die Einschränkung wurde ausweislich des Protokolls vom (Az. 14083/02, S. 9) dann aber nochmals geändert und stattdessen die jetzige Formulierung aufgenommen. Warum dies geschah, kann den Materialien nicht entnommen werden. Nach dem Beratungsablauf darf aber wohl davon ausgegangen werden, dass das Wort "solcher" nicht zufällig, sondern ganz bewusst aufgenommen worden ist und hierdurch ein Zusammenhang mit einer bestimmten - erlittenen oder unmittelbar drohenden - Verfolgung hergestellt werden sollte.

Geht man davon aus, dass die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener oder unmittelbar drohender Verfolgung und dem Sachverhalt, der bei einer Rückkehr zur Verfolgung führen könnte, voraussetzt, dürfte davon auszugehen sein, dass die Vorschrift schon dann keine Anwendung findet, wenn die geltend gemachte Furcht vor Verfolgung keinerlei Verknüpfung zu einer früher erlittenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung aufweist, sondern auf neuen andersartigen verfolgungsbegründenden Umständen beruht. In diesem Fall wäre Frage 3 Buchst b zu verneinen. Gilt Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie dagegen auch in Fällen, in denen kein innerer Zusammenhang besteht, wäre weiter zu klären, ob die Vorschrift auch beim Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft Anwendung findet oder ob insoweit Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie eine die allgemeine Regelung in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie verdrängende Sonderregelung enthält. Denn nach Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie weist der Mitgliedstaat, der die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, unbeschadet der Pflicht des Flüchtlings, gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie alle maßgeblichen Tatsachen offen zu legen und alle maßgeblichen, ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen vorzulegen, in jedem Einzelfall nach, dass die betreffende Person gemäß Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie nicht länger Flüchtling ist oder es nie gewesen ist. Dies deutet darauf hin, dass die Beweislast für das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft beim Mitgliedstaat liegt (so die Auffassung der Kommission in ihrem Richtlinienvorschlag, vgl. S. 27), es hierbei aber unerheblich ist, ob der Betreffende sein Herkunftsland verfolgt oder unverfolgt verlassen hat, sondern in jedem Einzelfall im Wege einer neuen, die veränderten Umstände berücksichtigenden Prognoseentscheidung nachzuweisen ist, dass die Furcht vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann.

Fundstelle(n):
KAAAC-77462