Haushaltsaufnahme auch bei volljährigen Kindern möglich; Begriff der Haushaltsaufnahme i.S. des § 64 Abs. 2 EStG
Gesetze: EStG § 64
Instanzenzug:
Gründe
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wurde 1990 von seiner Ehefrau geschieden. Der im Mai 1982 geborene gemeinsame Sohn M lebte seit der Trennung der Eltern bei der Mutter. Im Streitjahr 2003 hielt er sich bis zum im Ausland auf. Vom bis lebte er wieder im Haushalt der Mutter. Am zog er zur Aufnahme eines Studiums an einen auswärtigen Studienort.
Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) lehnte den Antrag des Klägers auf Festsetzung von Kindergeld für die Zeit vom bis mit der Begründung ab, die Mutter des Kindes sei nach § 64 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vorrangig anspruchsberechtigt, da der Sohn in ihren Haushalt aufgenommen gewesen sei.
Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte im Wesentlichen aus, im Streitfall sei nach § 64 Abs. 2 EStG das Kindergeld für die Monate März 2003 bis Oktober 2003 an die Kindesmutter zu zahlen, da sie M in ihren Haushalt aufgenommen habe. Bei volljährigen Kindern träten die von der Rechtsprechung aufgestellten Merkmale für eine Haushaltsaufnahme —Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsverhältnis— in den Hintergrund. Für die Annahme einer Haushaltsaufnahme sei es ausreichend, wenn sich die Zuwendungen immaterieller Art des Berechtigten als Ausdruck des familiären Bandes darstellten. Ein solches familiäres Band könne im Streitfall angenommen werden, da M seit der Trennung der Eltern bei seiner Mutter gelebt habe. Auf welche Art die Unterhaltspflicht erfüllt werde —Natural- oder Barunterhalt— sei nach § 32 EStG nur für die Übertragung des Kinderfreibetrags und im Zusammenhang mit § 74 Abs. 1 Sätze 1 und 3 EStG (Kindergeldzahlung in Sonderfällen) bedeutsam. Zur Regelung der Anspruchskonkurrenz bei mehreren Kindergeldberechtigten habe sich der Gesetzgeber für das Obhutsprinzip entschieden, sodass derjenige Berechtigte, der das Kind in seinen Haushalt aufnehme, alle anderen Berechtigten ausschließe, auch wenn diese materiell zum Unterhalt des Kindes beitrügen.
Mit seiner Beschwerde macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie das Erfordernis einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts geltend. Die bisherigen Entscheidungen des BFH zur Haushaltsaufnahme beträfen minderjährige Kinder. Die dort aufgestellten Rechtsgrundsätze seien auf eine Haushaltsaufnahme volljähriger Kinder nicht übertragbar, da volljährige Kinder zu ihren Eltern nicht in einem Obhutsverhältnis stehen könnten. Die FG verwendeten die Begriffe „Haushaltsaufnahme” und „Haushaltszugehörigkeit” teilweise unterschiedslos, obwohl die Rechtsprechung des BFH zur Haushaltszugehörigkeit im Zusammenhang mit dem sog. Baukindergeld (§ 34f EStG) auf die Frage der Anspruchskonkurrenz bei mehreren Kindergeldberechtigten nicht anwendbar sei. Die Entscheidungen der FG, die im Rahmen der Übertragung des Kinderfreibetrags den Vorrang des Zivilrechts —die Erfüllung der Unterhaltspflicht gegenüber volljährigen Kindern durch Zahlung einer Geldrente— bei der steuerlichen Würdigung der Erfüllung der Unterhaltspflicht berücksichtigten, verdeutlichten, dass bei Volljährigen das Obhutsprinzip nicht anwendbar sei.
II. Die Beschwerde ist unbegründet und wird durch Beschluss zurückgewiesen (§ 132 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) noch ist die Zulassung der Revision zur Rechtsfortbildung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt. FGO) geboten.
a) Der Zulassungsgrund der Rechtsfortbildung stellt einen Unterfall der grundsätzlichen Bedeutung dar. In beiden Fällen muss es sich um eine klärungsbedürftige und klärbare Rechtsfrage handeln (z.B. Senatsbeschluss vom III B 202/05, BFH/NV 2006, 1653, m.w.N.). Die Klärungsbedürftigkeit ist nicht gegeben, wenn bereits eine gesicherte Rechtsprechung besteht und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute höchstrichterliche Prüfung und Entscheidung der Frage geboten erscheinen lassen (Senatsbeschluss vom III B 95/06, BFH/NV 2007, 2125).
b) Die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage, ob ein volljähriges, gesundes Kind in den Haushalt eines Kindergeldberechtigten aufgenommen werden kann, sodass der aufnehmende Berechtigte andere —auch barunterhaltspflichtige— Berechtigte nach § 64 Abs. 2, 3 i.V.m. Abs. 1 EStG von der Kindergeldzahlung ausschließt, ist nicht klärungsbedürftig. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist eine Haushaltsaufnahme i.S. des § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG dann gegeben, wenn das Kind in die Familiengemeinschaft mit einem dort begründeten Betreuungs- und Erziehungsverhältnis aufgenommen worden ist; neben dem örtlich gebundenen Zusammenleben müssen Voraussetzungen materieller Art (Versorgung, Unterhaltsgewährung) und immaterieller Art (Fürsorge, Betreuung) erfüllt sein (, BFH/NV 2004, 324, und vom VIII R 67/00, BFH/NV 2004, 934). Danach gehört ein Kind dann zum Haushalt eines Elternteils, wenn es dort wohnt, betreut und versorgt wird, d.h. sich in der Obhut eines Elternteils befindet (, BFHE 195, 564, BStBl II 2001, 713). Die Vorschrift, dass das Kindergeld an nur einen Berechtigten gezahlt und nicht aufgeteilt wird, und der gesetzliche Grundgedanke, dass bei mehreren Berechtigten das Kindergeld an denjenigen gezahlt werden soll, der die größte Belastung trägt, führen in ihrem Zusammenspiel dazu, dass der Begriff der Haushaltsaufnahme i.S. des § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG nicht für alle Sachverhalte gleichermaßen, sondern nur fallgruppenspezifisch konkretisiert werden kann (, BFHE 208, 220, BFH/NV 2005, 616).
Entgegen der Ansicht des Klägers ist der Begriff der Haushaltsaufnahme i.S. des § 64 Abs. 2 EStG im Wesentlichen deckungsgleich mit dem Begriff der Haushaltszugehörigkeit, wie er beispielsweise in § 34f Abs. 3 Satz 2 EStG oder in
§ 9 Abs. 5 des Eigenheimzulagengesetzes vorkommt, sodass für die Auslegung des Begriffs der Haushaltsaufnahme auch auf die Rechtsprechung zur Haushaltszugehörigkeit zurückgegriffen werden kann (Senatsbeschluss vom III B 162/03, BFH/NV 2005, 672). Dabei setzt sich der Begriff der Haushaltsaufnahme aus örtlichen, immateriellen und materiellen Merkmalen zusammen, welche je nach Fallgruppe unterschiedlich ausgeprägt sein können.
aa) Das örtliche Merkmal bestimmt, dass der Berechtigte mit dem Kind in seinem Haushalt örtlich gebunden zusammenleben muss. Es ist aber nicht erforderlich, dass das Kind ständig im Haushalt des Berechtigten anwesend ist; eine gewisse räumliche Trennung schadet einer bestehenden Haushaltsaufnahme nicht. Insbesondere kann bei einem volljährigen Studenten, auch wenn er zum Zweck des Studiums auswärtig untergebracht ist, nicht ohne Weiteres eine bestehende Haushaltsaufnahme als beendet angesehen werden. Es müssen vielmehr besondere Umstände hinzukommen, die auf eine dauerhafte Trennung vom elterlichen Haushalt schließen lassen (, Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 1998, 1473).
Nach den Feststellungen des FG, an die der Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, wohnte M vom bis zum bei seiner Mutter. Ein örtlich gebundenes Zusammenleben war daher gegeben. Auf das Alter des Kindes kommt es hierfür nach ständiger Rechtsprechung nicht an.
bb) In immaterieller Hinsicht muss für die Bejahung einer Haushaltsaufnahme zu der örtlichen Verbundenheit hinzukommen, dass der Berechtigte für das Kind sorgt und es betreut (Senatsbeschluss in BFH/NV 2005, 672). Allerdings ist diesen immateriellen Merkmalen keine übersteigerte Bedeutung beizumessen. Sie treten vielmehr bei älteren Kindern, insbesondere bei Volljährigen, in den Hintergrund. Ausreichend ist es dann, wenn sich die Zuwendungen immaterieller Art als Ausdruck des familiären Bandes darstellen.
Da im Streitfall der Sohn bereits seit seinem achten Lebensjahr im Haushalt der Mutter wohnt, hat das FG zutreffend in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung das Bestehen eines familiären Bandes und somit das Vorliegen des immateriellen Elements der Haushaltsaufnahme bejaht, ohne dass es das Alter des Kindes berücksichtigen musste.
cc) Schließlich ist nach der Rechtsprechung das materielle Element —beispielsweise die Erbringung von Natural- und Barunterhalt— unzweifelhaft Voraussetzung der Haushaltsaufnahme (vgl. BFH-Urteil in BFHE 195, 564, BStBl II 2001, 713). Da aber § 64 EStG in seinen Absätzen 2 und 3 für die Bestimmung des vorrangig Berechtigten zwischen der Haushaltsaufnahme und der Gewährung von Barunterhalt unterscheidet, ist es —wie vom FG richtig angenommen— für die Bejahung der Haushaltsaufnahme i.S. des Abs. 2 unerheblich, ob —wie im Streitfall— der vorrangig Berechtigte nur Naturalunterhalt erbringt und andere Berechtigte z.B. durch Geldzahlungen zum Kindesunterhalt beitragen.
c) Der Kläger trägt keine Gesichtspunkte vor, die eine erneute Entscheidung des BFH im Interesse der Rechtsfortbildung erforderlich machen.
aa) Die zur Übertragung des Kinderfreibetrags ergangene finanzgerichtliche Rechtsprechung (vgl. beispielsweise , EFG 1995, 886), die —wie der Kläger vorträgt— für volljährige Kinder von einer grundsätzlichen zivilrechtlichen Barunterhaltspflicht beider Elternteile ausgehe und dadurch zeige, dass bei volljährigen Kindern eine Obhut nicht möglich sei, kann —entgegen der Auffassung des Klägers— für die Auslegung des Begriffs der Haushaltsaufnahme i.S. des § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG nicht herangezogen werden. Denn für die Bestimmung des vorrangig Kindergeldberechtigten nach § 64 Abs. 2 und Abs. 3 EStG hat die Haushaltsaufnahme Vorrang vor der Gewährung von Barunterhalt. Im Zivilrecht wird dieser steuerlichen Bestimmung im Übrigen dadurch Rechnung getragen, dass nach § 1612b Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches das Kindergeld auf die Höhe des Unterhalts des Barunterhaltspflichtigen anzurechnen ist, wenn es an den vorrangig Berechtigten ausgezahlt wird, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat.
bb) Ebenfalls nicht durchgreifend ist der klägerische Hinweis, die Nichtanwendung des Obhutsprinzips vereinfache bei volljährigen Kindern die Festsetzung des Kindergelds. Der Kläger trägt keine überzeugenden Gesichtspunkte vor, warum die Haushaltsaufnahme bei volljährigen Kindern schwerer festzustellen sei als die Höhe der gezahlten Unterhaltsrente.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 948 Nr. 6
YAAAC-75927