BFH Beschluss v. - II S 10/07

Aussetzung der Vollziehung bei Zurückverweisung der Hauptsache durch Gerichtsbescheid an das FG; ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts

Gesetze: FGO § 69, FGO § 90a, FGO § 121

Instanzenzug:

Gründe

I. Die Antragstellerin erwarb eine Gesamtgrundschuld an 72 Sondereigentumseinheiten (64 Eigentumswohnungen und 8 im Teileigentum stehende Tiefgaragenstellplätze) in Höhe von . DM nebst den damit gesicherten Forderungen, nachdem das zuständige Amtsgericht (AG) die Zwangsversteigerung der Sondereigentumseinheiten angeordnet hatte.

Das AG verband die Zwangsversteigerungsverfahren über die Sondereigentumseinheiten auf Antrag der Antragstellerin gemäß § 18 des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (ZVG) und addierte in der Terminsbestimmung vom die bereits früher nach § 74a Abs. 5 ZVG festgesetzten Grundstückswerte der Einzelobjekte auf . €. Die Antragstellerin gab im Zwangsversteigerungstermin vom mit . € das Meistgebot ab und erhielt durch Beschluss vom den Zuschlag. Rechte Dritter blieben nicht bestehen.

Mit Bescheid vom setzte der Antragsgegner (das Finanzamt —FA—) Grunderwerbsteuer in Höhe von . € fest. Das FA rechnete zur Gegenleistung nicht nur das Meistgebot, sondern auch den Teil der Forderung, in deren Höhe die Antragstellerin nach seiner Auffassung gemäß § 114a ZVG als befriedigt galt, und gelangte somit zu einer Gesamtgegenleistung von . €. Die Grunderwerbsteuer wurde für alle Sondereigentumseinheiten in einem einzigen Steuerbescheid festgesetzt. Der Einspruch blieb erfolglos.

Mit ihrer Klage wandte sich die Antragstellerin gegen die Zusammenfassung aller Erwerbe in einem einzigen Grunderwerbsteuerbescheid; zudem sei im Rahmen des § 114a ZVG zu berücksichtigen, dass ihre Forderungen wegen Überschuldung des früheren Eigentümers nicht mehr vollwertig gewesen seien und der Grundstückswert der Sondereigentumseinheiten im Verlauf des Zwangsversteigerungsverfahrens infolge von Leerstand und Verwahrlosung der Gebäude, Verfall der Attraktivität der Wohngegend und allgemein rückläufiger Mieten wesentlich nachgegeben habe.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab, da der Grunderwerbsteuerbescheid nicht an einem Bestimmtheitsmangel leide und in die Bemessung der Grunderwerbsteuer nicht nur das Meistgebot, sondern auch die gemäß § 114a ZVG (fiktiv) getilgte Forderung einzubeziehen sei, deren Höhe sich aus den nach § 74a Abs. 5 ZVG festgesetzten Grundstückswerten errechne. Das FA widerrief daraufhin die Aussetzung der Vollziehung.

Die Antragstellerin beantragte zugleich mit der Einlegung der Revision erneut die Aussetzung der Vollziehung. Das FA lehnte diese mit Bescheid vom ab und forderte die Bezahlung der noch ausstehenden Grunderwerbsteuer in Höhe von . €.

Mit der Revision verfolgte die Antragstellerin ihr ursprüngliches Klageziel weiter. Mit Gerichtsbescheid vom heutigen Tage hob der Bundesfinanzhof (BFH) das Urteil des FG auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.

Die Antragstellerin beantragt, die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheids bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Revision in Höhe von . € ohne Sicherheitsleistung anzuordnen.

Das FA beantragt, den Antrag abzulehnen.

II. Der Antrag ist teilweise begründet.

1. Der Antrag ist gemäß § 69 Abs. 4 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässig. Das FA hat dem Antrag der Antragstellerin, die Vollziehung des Grunderwerbsteuerbescheids vom erneut auszusetzen, nicht entsprochen.

Der BFH ist trotz des zeitgleich erlassenen Gerichtsbescheids im Hauptsacheverfahren für die Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung zuständig. Zwar wird mit der Zurückverweisung der Hauptsache an das FG dieses erneut Gericht der Hauptsache i.S. von § 69 Abs. 3 FGO, so dass auch die Zuständigkeit für die Entscheidung über den ursprünglich beim BFH als Gericht der Hauptsache gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung auf das FG übergeht, ohne dass es hierzu eines Antrags der Antragstellerin bedürfte (vgl. BFH-Beschlüsse vom VII S 12/97, BFH/NV 1998, 335; vom IX S 9/05, BFH/NV 2006, 95). Wird die Zurückverweisung an das FG jedoch in einem Gerichtsbescheid ausgesprochen, bleibt die Zuständigkeit des BFH für die Entscheidung über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bis zum Ablauf der Frist des § 90a Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 121 Satz 1 FGO erhalten, da erst dann Gewissheit besteht, ob der Gerichtsbescheid gemäß § 90a Abs. 3 FGO als Urteil wirkt oder als nicht ergangen gilt (vgl. , BFHE 123, 127, BStBl II 1977, 798; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 69 Rz 140).

2. Der Antrag ist zum Teil begründet.

a) Gemäß § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts wegen ernstlicher Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit aussetzen. Ob derartige Zweifel bestehen, ist bei einem in der Revisionsinstanz anhängigen Rechtsstreit nach revisionsrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen. Dabei kommt es darauf an, ob unter Berücksichtigung der eingeschränkten Prüfungsmöglichkeiten des Revisionsgerichts ernstlich mit der Aufhebung oder Änderung des Verwaltungsakts zu rechnen ist; bei vermutlicher Zurückverweisung ist auf die Erfolgsaussichten des dann vor dem FG fortgesetzten Klageverfahrens abzustellen (vgl. BFH-Beschlüsse vom VII S 21/95, BFH/NV 1996, 420; vom VII S 29/96, BFH/NV 1997, 588). Im Rahmen der Beurteilung der Aussichten des weiteren Klageverfahrens ist der BFH auch zu einer Würdigung solcher Tatsachen befugt, die das FG als nicht entscheidungserheblich angesehen und dementsprechend auch nicht festgestellt hatte.

Der in dem Verfahren II R 28/07 das Urteil des FG aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen. Zwar gilt der Gerichtsbescheid als nicht ergangen, sofern gemäß § 90a Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 FGO rechtzeitig Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt wird, doch begründen die dem Gerichtsbescheid zugrunde liegenden Erwägungen ausreichende Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheids.

b) Die Aussetzung der Vollziehung wird in Höhe eines Teilbetrages von . € gewährt.

Aufgrund der unwidersprochen gebliebenen Schilderungen der Antragstellerin zu Leerstand und Verwahrlosung der Gebäude, Verfall der Attraktivität der Wohngegend und allgemein rückläufigen Mieten liegt es nahe, dass das FG Grundstückswerte ermittelt, die die vom AG festgesetzten Beträge in Höhe von insgesamt . € deutlich unterschreiten. Der Senat vermag sich jedoch insoweit nicht den Ausführungen der Antragstellerin anzuschließen, als diese den Grundstückswert der Sondereigentumseinheiten nur noch mit . € beziffert.

Da nähere Anhaltspunkte fehlen, gewährt der Senat Aussetzung der Vollziehung in Höhe der bei Antragstellung noch nicht bezahlten Grunderwerbsteuer in Höhe von . €. Dieser Betrag entspricht näherungsweise der Hälfte der beantragten Summe und vermeidet einstweilen weitere Geldbewegungen zwischen den Verfahrensbeteiligten.

c) Von der Auferlegung einer Sicherheitsleistung wird abgesehen.

Im Rahmen der Entscheidung über die Verknüpfung der Aussetzung der Vollziehung mit einer Sicherheitsleistung muss das FA die für eine Gefährdung des Steueranspruchs sprechenden Gesichtspunkte vortragen; im Gegenzug obliegt es dem Antragsteller, Umstände darzulegen, die ein vom FA dargelegtes Sicherungsbedürfnis entfallen oder unangemessen erscheinen lassen (vgl. BFH-Beschlüsse vom IX S 27/00, BFH/NV 2002, 809; vom VII S 28/01, BFH/NV 2003, 12; Gräber/ Koch, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 69 Rz 153).

Das FA hat im Streitfall nichts zu einer Gefährdung des staatlichen Steueranspruchs vorgetragen. Zudem ist bereits mehr als die Hälfte der festgesetzten Grunderwerbsteuer bezahlt worden, so dass das Ausfallrisiko und dementsprechend auch das Sicherungsbedürfnis des FA begrenzt erscheinen. Aufgrund des Vortrags der Antragstellerin zur Wertentwicklung, dem das FA nicht widersprochen hat, ist ohnehin mit einer deutlichen Herabsetzung der Steuer zu rechnen.

d) Die hiernach gebotene Aussetzung wird im Interesse effektiven Rechtsschutzes auf die Zeit bis sechs Wochen nach Zustellung des Revisionsurteils im Verfahren II R 28/07 erstreckt (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 1997, 588; Gräber/Koch, a.a.O., § 69 Rz 151).

Fundstelle(n):
EAAAC-75925