Leitsatz
[1] Veranlasst das Kreditinstitut, das für den Schuldner ein überzogenes Konto führt, die einer Kontopfändung zugrunde liegende Forderung durch Überweisung an den Pfändungsgläubiger zu begleichen, und erteilt der Schuldner hierauf einen entsprechenden Überweisungsauftrag, kommt in Höhe des überwiesenen Betrages ein Darlehensvertrag zustande; durch die Überweisung werden die Insolvenzgläubiger benachteiligt.
Gesetze: InsO § 129
Instanzenzug: AG Wuppertal, 95 C 3/06 vom LG Wuppertal, 9 S 162/06 vom
Tatbestand
Die verklagte Berufsgenossenschaft pfändete wegen rückständiger Beitragsforderungen des Schuldners in Höhe von insgesamt 2.086,27 € dessen Ansprüche aus einer Kontobeziehung mit der Verbandssparkasse W. (im Folgenden: Sparkasse). Die Sparkasse hatte dem Schuldner auf dem Konto ein Kreditlimit von 10.000 DM (5.112,92 €) eingeräumt. Als die Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse vom der Sparkasse zugestellt wurden, war das Konto um 25.000 € überzogen. Der Schuldner war zahlungsunfähig. Die Sparkasse zahlte auf die Pfändungen nicht; vielmehr veranlasste sie den Schuldner, die den Pfändungen zugrunde liegenden Forderungen an die Beklagte durch Überweisung von dem überzogenen Konto zu begleichen, und führte die Überweisungen - mit Wertstellung am - aus.
Auf einen Antrag vom wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners am eröffnet. Der zum Insolvenzverwalter ernannte Kläger hat die Zahlung an die Beklagte angefochten und insofern die Zahlung von 2.086,27 € nebst Zinsen begehrt. Außerdem hat er Kapitalnutzungszinsen in Höhe von 221,25 € sowie Rechtsanwaltsgebühren von 221,25 € als Verzugsschaden verlangt. Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Gründe
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Berufungsurteils, zur teilweisen Verurteilung der Beklagten und im Übrigen zur Zurückverweisung.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Zahlungen an die Beklagte seien nicht anfechtbar, weil es an einer Benachteiligung der Insolvenzgläubiger fehle. Eine Zahlung des Schuldners, die dessen Aktivvermögen nicht schmälere, benachteilige die Insolvenzgläubiger nicht. Davon sei auszugehen, wenn - wie im vorliegenden Fall - im Wege einer von dem kontoführenden Kreditinstitut bloß geduldeten Überziehung von einem debitorischen Konto des Schuldners gezahlt werde. Es finde hier lediglich ein Austausch von Insolvenzgläubigern statt. Diese würden allenfalls dann benachteiligt, wenn der neue Kredit besichert sei. Dass die Sparkasse über Sicherheiten verfüge, sei indes nicht vorgetragen.
II.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Die Überweisungen haben die Insolvenzgläubiger benachteiligt, weil sie mit Hilfe eines Darlehens erfolgten, welches die Sparkasse dem Schuldner zur Erfüllung der den Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen zugrunde liegenden Forderungen zugesagt hatte. Es handelte sich mithin um keinen Überziehungskredit.
a) Allerdings kann die Befriedigung eines Gläubigers mit Mitteln, die der Schuldner aus einer lediglich geduldeten Kontoüberziehung schöpft, in der Insolvenz des Schuldners in der Regel mangels Gläubigerbenachteiligung nicht angefochten werden. Bei der ungenehmigten Kontoüberziehung besteht vor der im Belieben der Bank stehenden Durchführung der Zahlungsanweisung - die zugleich die konkludente Annahme des Kundenangebots auf Abschluss des Darlehensvertrages darstellt - kein Anspruch auf den Kredit, sondern nur die Aussicht, dass die Bank die Überziehung duldet. Die zusätzliche Liquidität, die der Schuldner durch eine geduldete Kontoüberziehung erhält, ist damit auch kein den Insolvenzgläubigern haftendes Vermögen, solange der fragliche Betrag nicht an ihn ausbezahlt oder auf ein im pfändbaren Bereich geführtes Konto übertragen wird (BGHZ 170, 276, 279 ff.; , ZIP 2007, 601, 602).
Der Senat hat jedoch bereits darauf hingewiesen, dass für eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung dann Raum ist, wenn der Anspruch der Bank auf Rückzahlung des Überziehungskredits für die Insolvenzmasse ungünstiger ist als der Anspruch des befriedigten Gläubigers, insbesondere weil die Bank für ihren Darlehensrückzahlungsanspruch über (bessere) Sicherheiten verfügt (BGHZ 170, 276, 279 f; aaO Rn. 13). Es kommt sogar eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung in Betracht, wenn sich die Bank und ihr Kunde konkludent über die Erweiterung der Kreditlinie geeinigt haben (BGHZ 170, 276, 282; vgl. hierzu auch Mock ZInsO 2007, 561, 563; ders. ZInsO 2007, 911 ff; Spliedt NZI 2007, 228, 229; ablehnend Galster ZInsO 2007, 908, 910).
b) Erledigt die Bank eine Kontopfändung in der Weise, dass sie dem Kunden auf dem bereits überzogenen Konto Kredit gewährt, mit dessen Hilfe der Kunde den pfändenden Gläubiger befriedigen soll, wird dadurch die Kreditlinie in der Regel nicht erweitert. Der neue Kredit ist zweckgebunden und wird typischerweise nur in der Höhe ausgereicht, die zur Erledigung der Pfändung erforderlich ist. Vereinbart die Bank mit dem Schuldner, ihn das Konto überziehen zu lassen, damit er einen bestimmten Gläubiger befriedigen kann, verschafft sie dem Kunden einen Anspruch auf Kreditgewährung, noch bevor das Darlehen gewährt wird. Dieser Anspruch ist grundsätzlich für die Gläubiger pfändbar. Er fällt nach Insolvenzeröffnung in die Masse (vgl. § 36 Abs. 1 InsO), und die Kontoüberziehung benachteiligt die Insolvenzgläubiger. Daran ändert sich auch nichts Wesentliches, wenn es sich um einen treuhänderisch gebundenen Kredit handelt. Dieser ist zwar möglicherweise unpfändbar. Jedoch hat der Senat einen derartigen Darlehensanspruch dem Insolvenzbeschlag unterworfen, weil die Zweckbindung nicht dem Schutz des Schuldners, sondern den Interessen des mit dem Darlehen befriedigten Gläubigers dient (BGHZ 170, 276, 282; , WM 2001, 1476, 1477).
c) Der Tatrichter hat die von ihm festgestellten Tatsachen - die Veranlassung des Schuldners, die der Pfändung zugrunde liegende Forderung durch Überweisung von dem überzogenen Konto zu begleichen, durch die Sparkasse und die von dieser anschließend besorgte Ausführung der Überweisung - nicht gewürdigt. Er hat die darin liegenden Willenserklärungen auch nicht ausgelegt. Deshalb kann der Senat dies selbst tun.
Indem die Sparkasse den Schuldner aufgefordert hat, die Überweisungen vorzunehmen, hat sie ihm in der entsprechenden Höhe eine Kreditgewährung angeboten. Denn die Überweisungen konnten mangels Deckung auf dem Konto nur mit entsprechenden Kreditmitteln durchgeführt werden. Dieses Angebot hat der Schuldner dadurch angenommen, dass er die Überweisungsaufträge bei der Sparkasse eingereicht hat.
Wann ein Kreditvertrag zustande kommt, wenn das Kreditinstitut ohne vorherige Absprache einen von dem Kunden, der auf seinem Konto keine genügende Deckung hat, hereingereichten Überweisungsauftrag ausführt, braucht der Senat im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden.
d) Die Beklagte hat eine Gläubigerbenachteiligung auch deshalb in Abrede gestellt, weil das Insolvenzverfahren massearm sei. Damit hat sich das Berufungsgericht nicht befasst, weil es nach seinem Standpunkt hierauf nicht ankam.
Durch Masseunzulänglichkeit wird eine Gläubigerbenachteiligung nicht ausgeschlossen. Andernfalls würde das Ziel des Insolvenzverfahrens, die Gläubiger - und dazu zählen auch die Massegläubiger - zu befriedigen, nicht erreicht und die Anfechtungsgegner erhielten einen nicht gerechtfertigten Vorteil (, NZI 2001, 585, 587; Beschl. v. - IX ZB 460/02, ZIP 2003, 2036; MünchKomm-InsO/Kirchhof, 2. Aufl. § 129 Rn. 105; Uhlenbruck/Hirte, InsO 12. Aufl. § 129 Rn. 10; HK-InsO/Kreft, 4. Aufl. § 129 Rn. 36).
e) Da die Gläubigerbenachteiligung bereits aus vorstehend mitgeteilten Erwägungen zu bejahen ist, kann offen bleiben, ob die Überweisungen obendrein deshalb gläubigerbenachteiligend waren, weil das Darlehen der Sparkasse, das die Überweisungen erst möglich gemacht hat, im Unterschied zu den mit Hilfe des Darlehens getilgten Verbindlichkeiten besichert war.
f) Auf die am in Kraft getretene Neuregelung des § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV brauchte der Senat nicht einzugehen, weil die von dem Schuldner mit Unterstützung der Sparkasse an die Beklagte entrichteten Beiträge keine Arbeitnehmeranteile enthielten. Das Beitragsverfahren der gesetzlichen Unfallversicherung kennt nur die alleinige Beitragspflicht des Unternehmers (§ 150 Abs. 1 SGB VII).
2. Die sonstigen Voraussetzungen der Gläubigeranfechtung gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO liegen ebenfalls vor.
a) Die Überweisungen haben der Beklagten im dritten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners Deckung verschafft. Diese Deckung war inkongruent.
Während der gesetzlichen Drei-Monats-Frist gebührt die im Wege der Zwangsvollstreckung erlangte Sicherung oder Befriedigung dem Gläubiger nicht in dieser Art (BGHZ 136, 309, 311 ff; 157, 350, 353; 162, 143, 149; , WM 2007, 227, 228). Das die Einzelzwangsvollstreckung beherrschende Prioritätsprinzip wird durch das System der insolvenzrechtlichen Anfechtungsregeln eingeschränkt, wenn für die Gesamtheit der Gläubiger nicht mehr die Aussicht besteht, aus dem Vermögen des Schuldners volle Deckung zu erhalten. Dann tritt die Befugnis des Gläubigers, sich mit Hilfe hoheitlicher Zwangsmittel eine rechtsbeständige Sicherung oder Befriedigung der eigenen fälligen Forderung zu verschaffen, hinter den Schutz der Gläubigergesamtheit zurück. Die Vorschrift des § 131 InsO verdrängt in den letzten drei Monaten vor dem Eröffnungsantrag den Prioritätsgrundsatz zugunsten der Gleichbehandlung der Gläubiger (BGH, aaO).
Die Beklagte hat die Befriedigung ihrer Beitragsforderungen zwar nicht im Wege der Zwangsvollstreckung erlangt. Die Sparkasse hat nicht gemäß §§ 836, 840 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die gepfändete Forderung gezahlt; sie hat vielmehr den Schuldner bewogen, die Forderung, derentwegen die Beklagte vollstreckt hat, zu erfüllen und so die Grundlage der Zwangsvollstreckung wegfallen zu lassen.
Auch diese Erfüllung gebührte der Beklagten jedoch nicht in dieser Art. Eine Befriedigung oder Sicherung ist inkongruent auch dann, wenn sie unter dem Druck unmittelbar bevorstehender Zwangsvollstreckung zu deren Abwendung gewährt wurde (BGHZ 136, 309, 311, 313; 157, 242, 248; , WM 2002, 1193, 1194; v. - IX ZR 194/02, WM 2003, 1278; v. aaO). Der vorliegende Fall steht dem wertungsmäßig gleich. Der Schuldner hat keine unmittelbar bevorstehende Zwangsvollstreckung abgewendet, sondern eine bereits in Gang befindliche Zwangsvollstreckung durch Leistung an den Vollstreckungsgläubiger erledigt.
In einem derartigen Fall ist der von diesem ausgeübte Vollstreckungsdruck eher noch ausgeprägter, als wenn die Zwangsvollstreckung erst bevorsteht.
b) Im Zeitpunkt der Überweisungen war der Schuldner zahlungsunfähig. Dies war zwischen den Parteien nie im Streit und wird auch von der Revisionserwiderung nicht bezweifelt.
III.
Das Berufungsurteil ist somit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist entscheidungsreif, soweit der Kläger die Insolvenzanfechtung geltend macht. Insofern ist die Klage aus § 131 Abs. 1 Nr. 2, § 143 InsO gerechtfertigt.
Im Übrigen ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Zu den von dem Kläger geltend gemachten Ansprüchen auf Kapitalnutzungszinsen in Höhe von 221,25 € sowie Rechtsanwaltsgebühren von ebenfalls 221,25 € als Verzugsschaden hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen. Dies wird nunmehr nachzuholen sein.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
DB 2008 S. 1264 Nr. 23
DStR 2008 S. 1292 Nr. 27
NJW-RR 2008 S. 919 Nr. 13
WM 2008 S. 704 Nr. 15
ZIP 2008 S. 701 Nr. 15
TAAAC-75891
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja