BVerwG Beschluss v. - 4 BN 51.07

Leitsatz

Wendet sich ein Grundstückseigentümer im Wege der Normenkontrolle gegen die Festsetzungen eines Bebauungsplans, die unmittelbar sein im Plangebiet liegendes Grundstück betreffen, darf das Normenkontrollgericht ohne Einverständnis des Antragstellers nur dann von einer öffentlichen mündlichen Verhandlung absehen, wenn der Normenkontrollantrag offensichtlich unzulässig ist (im Anschluss an die stRspr seit BVerwGE 110, 203).

Von einer mündlichen Verhandlung kann auch dann nicht abgesehen werden, wenn als Vorfrage für die Prüfung der Zulässigkeit über das Bestehen und den Inhalt eines weiteren Rechtsverhältnisses zu entscheiden ist, das ein civil right im Sinne von Art. 6 EMRK betrifft.

Gesetze: EMRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1; VwGO § 47 Abs. 5 Satz 1

Instanzenzug: VGH München, VGH 2 N 07.361 vom Fachpresse: ja BVerwGE: nein

Gründe

1. Die Beschwerde ist begründet, soweit sie mit der Verfahrensrüge geltend macht, der Verwaltungsgerichtshof hätte über den Normenkontrollantrag nicht durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entscheiden dürfen. Der Beschluss des Normenkontrollgerichts verstößt gegen § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK -). Das Normenkontrollgericht hätte aufgrund öffentlicher mündlicher Verhandlung über den Normenkontrollantrag der Antragsteller entscheiden müssen. Das Absehen von einer mündlichen Verhandlung stellt einen absoluten Revisionsgrund (§ 138 Nr. 3 VwGO) dar. Zwecks Beschleunigung des Verfahrens macht der Senat von der Ermächtigung des § 133 Abs. 6 VwGO Gebrauch, den angefochtenen Beschluss durch Beschluss aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Normenkontrollgericht zurückzuverweisen.

Aus dem Zusammenwirken von § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO und Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK folgt der Grundsatz, dass über einen Normenkontrollantrag, mit dem sich der Eigentümer eines im Plangebiet gelegenen Grundstücks gegen eine Festsetzung in einem Bebauungsplan wendet, die unmittelbar sein Grundstück betrifft, aufgrund einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zu entscheiden ist (Senatsurteil vom - BVerwG 4 CN 9.98 - BVerwGE 110, 203).

Der Verwaltungsgerichtshof meint, an diesen Grundsatz nicht gebunden zu sein, da der Normenkontrollantrag unzulässig sei. Die Antragsteller hätten sich der Möglichkeit, einen Normenkontrollantrag zu stellen, durch das in einem zwischen ihnen und der Antragsgegnerin geschlossenen städtebaulichen Vertrag enthaltene Anerkenntnis begeben. Dem ist nicht zu folgen.

Die Antragsteller haben nicht - was zulässig wäre - in einer im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens abgegebenen Prozesserklärung auf die mündliche Verhandlung verzichtet und sich mit einer Entscheidung durch Beschluss einverstanden erklärt. Der Verwaltungsgerichtshof stützt sich vielmehr auf die in § 14 des zwischen den Beteiligten geschlossenen städtebaulichen Vertrags enthaltene Vereinbarung. Darin sieht er ein vorweggenommenes Anerkenntnis der Festsetzungen des Bebauungsplans. Damit entscheidet er als Vorfrage für die Zulässigkeit des Normenkontrollantrags über ein weiteres Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten, nämlich über ihre Rechte und Pflichten aus dem städtebaulichen Vertrag. Diese Entscheidung kann nicht ohne mündliche Verhandlung ergehen. Denn damit wird über eine Streitigkeit in Bezug auf die "zivilrechtlichen" Ansprüche und Verpflichtungen im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK befunden. Als "zivilrechtlich" im Sinne der EMRK sind auch Streitigkeiten anzusehen, die städtebauliche Verträge (§ 11 BauGB) betreffen.

Der Normenkontrollantrag ist auch nicht offensichtlich unzulässig ( BVerwG 4 CN 9.98 - a.a.O. S. 215). Der Verwaltungsgerichtshof hat aus § 14 des städtebaulichen Vertrages vom den Schluss gezogen, dass sich die Antragsteller des Rechts entäußert hätten, den später erlassenen Bebauungsplan im Wege der Normenkontrolle anzugreifen. Dass § 14 des Vertrages diese Wirkung hat, ist indessen nicht so eindeutig, dass jeder Zweifel schweigt. Nicht ohne Berechtigung verweisen die Antragsteller auf den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim vom - II 229/74 - (BRS 28 Nr. 17) und auf Reidt (in: Gelzer/Bracher/ Reidt, Bauplanungsrecht, 7. Aufl. 2004, Rn. 1928), wonach sich ein Anerkenntnis nur auf eine rechtmäßige Planung beziehe, der Antragsteller hingegen nicht verpflichtet sein könne, einen künftigen Bebauungsplan als verbindlich anzuerkennen, der mit geltendem Recht nicht im Einklang stehe; daraus folge, dass der Antragsteller im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens die Prüfung der Gültigkeit des Bebauungsplans beantragen könne. Außerdem liegt nicht klar auf der Hand, dass die Einwände, die die Antragsteller beim Verwaltungsgerichtshof gegen die Wirksamkeit des Vertrages vom ins Feld geführt haben, unberechtigt sind.

Das BVerwG 4 CN 8.01 - NVwZ 2003, 730 <732>, insoweit in BVerwGE 117, 313 nicht abgedruckt), rechtfertigt nicht die Schlüsse, die der Verwaltungsgerichtshof zieht. In dem Urteil hat das Bundesverwaltungsgericht einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK verneint, weil sich der Normenkontrollantrag gegen ein Ziel der Raumordnung richtete und das Normenkontrollgericht in jenem Fall den Antrag unter Hinweis darauf als unzulässig abgewiesen hat, im Rahmen des Normenkontrollverfahrens könne den Antragstellern noch kein Rechtsschutz gewährt werden, später stehe ihnen - durch Anfechtung der Planfeststellungsentscheidung - jedoch voller Rechtsschutz zur Verfügung. Mit Blick auf diese nur mittelbare Betroffenheit des Grundeigentums durch die angegriffene Norm hat der Senat das Absehen von einer mündlichen Verhandlung nicht beanstandet. Auf die Fallgestaltung der nur mittelbaren Betroffenheit beziehen sich auch die Ausführungen in dem ebenfalls vom Verwaltungsgerichtshof angeführten Senatsbeschluss vom - BVerwG 4 BN 9.04 - (vgl. auch BVerwG 4 BN 41.01 - NVwZ 2002, 87 zur nur mittelbaren Betroffenheit eines außerhalb des Plangebiets gelegenen Grundstücks). Hingegen sind die Antragsteller Eigentümer eines im Plangebiet liegenden Grundstücks. Dieses wird von den Regelungen des angegriffenen Bebauungsplans unmittelbar betroffen, seine Festsetzungen bestimmen Inhalt und Schranken ihres Eigentums gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG.

2. Die Rüge, das Gericht sei nicht vorschriftsgemäß besetzt gewesen, da der gegen den zuständigen Senat des Verwaltungsgerichtshofs gerichtete Befangenheitsantrag zu Unrecht abgelehnt worden sei, bleibt dagegen ohne Erfolg.

Die Ablehnung des Befangenheitsantrags durch den Verwaltungsgerichtshof stellt eine unanfechtbare Vorentscheidung (§ 146 Abs. 2 VwGO) dar, die gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 557 Abs. 2 ZPO nicht der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegt, so dass seine Zurückweisung grundsätzlich auch nicht als Verfahrensfehler im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geltend gemacht werden kann. Die Rüge der unrichtigen Ablehnung eines Befangenheitsantrags ist deshalb nur ausnahmsweise in dem Maße beachtlich, in dem mit ihr die vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, § 138 Nr. 1 VwGO) geltend gemacht wird (vgl. BVerwG 1 B 66.04 - Buchholz 310 § 54 VwGO Nr. 65). Das ist jedoch nur dann der Fall, wenn die Ablehnungsentscheidung auf Willkür oder einem vergleichbar schweren Mangel des Verfahrens beruht, der in der Sache die Rüge einer nicht vorschriftsgemäßen Besetzung des Gerichts rechtfertigt. Hierfür ist vorliegend nichts ersichtlich. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Beschluss vom eingehend begründet, dass sich aus den richterlichen Hinweisen auf die Möglichkeit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung keine Gründe für ein Misstrauen ergäben. Diese Erwägungen lassen keinen Rechtsfehler, umso weniger einen Ansatz für Willkür erkennen.

3. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Die Beschwerde wirft die Rechtsfrage auf, ob die Vertragsbestimmung in einem städtebaulichen Vertrag, in der der Planbetroffene die Festsetzungen des künftigen Plans anerkennt, in Verbindung mit einer salvatorischen Klausel den Planbetroffenen hindert, die Unwirksamkeit des Bebauungsplans mittels Normenkontrolle auch dann geltend zu machen, wenn der städtebauliche Vertrag, der die Abwägungsentscheidung für den Bebauungsplan vorwegnimmt, wegen eines Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot (hier: § 11 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 BauGB) nichtig ist. Dieses Vorbringen rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht, weil der Verwaltungsgerichtshof die Nichtigkeit des Vertrages vom nicht festgestellt hat. Rechtsfragen, die sich erst stellen, wenn das Oberverwaltungsgericht anders entschieden hätte, sind weder klärungsfähig noch klärungsbedürftig. Ansonsten formuliert die Beschwerde keine klärungsbedürftigen Rechtsfragen, sondern beschränkt sich auf eine einzelfallbezogene kritische Auseinandersetzung mit der vorinstanzlichen Rechtsauffassung. Das reicht für die Darlegung des Revisionszulassungsgrundes des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht aus.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Fundstelle(n):
KAAAC-75829