BVerfG Beschluss v. - 2 BvR 2077/05

Besteuerung von Einkünften aus Kapitalvermögen in den VZ 1994, 1995, 2000 und 2001 verfassungsgemäß

Leitsatz

Ein dem Gesetzgeber zuzurechnendes strukturelles Vollzugsdefizit für die Veranlagungszeiträume 1994, 1995, 2000 und 2001, das zur Verfassungswidrigkeit des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG führen könnte, liegt aufgrund der faktischen und normativen Veränderungen, die nach Ablauf der in dem „Zinsurteil” des Bundesverfassungsgerichts dem Gesetzgeber bis zum eingeräumten Übergangsfrist (BVerfGE 84, 239, 285) eingetreten sind, nicht vor.

(Leitsatz nicht amtlich)

Gesetze: EStG § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5EStG § 20 Abs. 1 Nr. 7EStG § 45dEStG § 24cStraBEGAO § 30aGG Art. 3 Abs. 1GG Art. 14 Abs. 1AO § 93 Abs. 7AO § 93b

Instanzenzug: , BStBl II 2006, 61 , BFHE 211, 183FG München Urteil vom – 12 K 1013/03, EFG 2005, 1541 (Verfahrensverlauf),

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Besteuerung von Einkünften aus Kapitalvermögen gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, § 20 Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der jeweils für die Streitjahre 1994, 1995, 2000 und 2001 geltenden Fassung.

A. - I.

1. Die Beschwerdeführer sind Eheleute, die in den Streitjahren zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Sie erzielten unter anderem positive Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EStG, insbesondere Kapitalerträge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG, die das Finanzamt erklärungsgemäß der Besteuerung nach dem Einkommensteuergesetz zugrunde legte.

2. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhoben die Beschwerdeführer Klage beim Finanzgericht München und machten geltend, die Besteuerung der Zinseinkünfte sei verfassungswidrig; auch in den Streitjahren leide die Zinsbesteuerung nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG an einem Vollzugsdefizit, das entsprechend den Urteilen des - (BVerfGE 84, 239) und vom - 2 BvL 17/02 - (BVerfGE 110, 94) eine Ungleichheit im Belastungserfolg bewirke.

Mit Urteil vom - 12 K 1013/03 - (EFG 2005, S. 1541) wies das Finanzgericht München die Klage als unbegründet ab; es sah die Besteuerung von Zinseinkünften im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG in den Jahren 1994, 1995, 2000 und 2001 als verfassungsgemäß an.

3. Mit Urteil vom - VIII R 90/04 - (BFH BStBl II 2006, S. 61 = BFHE 211, 183) wies der Bundesfinanzhof die Revision der Beschwerdeführer als unbegründet zurück, da er die Besteuerung von Einkünften aus Kapitalvermögen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG in den Veranlagungszeiträumen seit 1994 für verfassungsgemäß hielt. Das vom Bundesverfassungsgericht für frühere Veranlagungszeiträume festgestellte Erhebungsdefizit sei durch die Verzehnfachung des Sparerfreibetrags und die Einführung einer anrechenbaren Zinsabschlagsteuer erheblich reduziert worden.

Ein nennenswertes Erhebungsdefizit könne danach nur noch vorkommen einerseits bei von ausländischen Zahlstellen bezogenen Kapitalerträgen, bei denen eine Quellensteuer nicht erhoben werde, und andererseits bei von inländischen Zahlstellen bezogenen Kapitalerträgen, soweit sie bei einzelnen Steuerpflichtigen mit einem über dem Zinsabschlag liegenden Grenzsteuersatz belegt würden und ein Freistellungsauftrag nicht erteilt worden sei. Dies sei dem Gesetzgeber jedoch nicht zuzurechnen, da die wesentliche Ursache dafür nicht in der rechtlichen Gestaltung des Erhebungsverfahrens begründet liege. Dieser Beurteilung stehe - bei verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift - auch § 30a der Abgabenordnung (AO) nicht entgegen.

Im Übrigen sei der Gesetzgeber zumindest für die Veranlagungszeiträume bis einschließlich 1997 berechtigt gewesen, die tatsächliche Wirkung des durch das Zinsabschlaggesetz geänderten Erhebungsverfahrens und dessen Umsetzung durch Behörden und Gerichte bei den von inländischen Zahlstellen bezogenen Zinseinkünften abzuwarten und die weitere Entwicklung zu beobachten.

Soweit der Gesetzgeber gleichwohl Anlass zur Nachbesserung der Zinsbesteuerung gehabt habe, sei er dieser Verantwortung für die Veranlagungszeiträume seit 1998 gerecht geworden. In mehreren Schritten habe er zunächst mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 1998 das Mitteilungsverfahren gemäß § 45d EStG inhaltlich ergänzt und die Verwendungsmöglichkeiten der Mitteilungen erweitert. Ab dem Veranlagungszeitraum 2004 seien die Kreditinstitute gemäß § 24c EStG verpflichtet, ihren Kunden eine schriftliche Jahresbescheinigung über Kapitalerträge und Veräußerungsgewinne zu erteilen. Zwar bestehe keine gesetzliche Verpflichtung, die Jahresbescheinigung in der Einkommensteuererklärung vorzulegen. Die Nichtvorlage der Jahresbescheinigung auf berechtigtes Anfordern durch das Finanzamt könne jedoch zumindest einen hinreichenden Anlass für weitere Ermittlungen darstellen. Schließlich hätten die Finanzämter seit April 2005 die Möglichkeit, gemäß § 93 Abs. 7, § 93b AO die Stammdaten für alle legitimationsgeprüften inländischen Bankkonten und Depots eines Steuerpflichtigen im Wege der Datenabfrage zu ermitteln. Aus der Amnestieregelung des Gesetzes über die strafbefreiende Erklärung (StraBEG) vom 23. Dezember 2003 (BGBl I S. 2928) ergebe sich keine andere Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit.

II.

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Entscheidungen des Finanzgerichts und des Bundesfinanzhofs; § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG in der jeweiligen Fassung der Streitjahre 1994, 1995, 2000 und 2001 sei wegen eines strukturellen Erhebungsdefizits verfassungswidrig. Die Beschwerdeführer rügen die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Hierzu tragen sie im Wesentlichen vor:

Die Besteuerung von Kapitaleinkünften nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG verstoße auch nach der Neuregelung der Zinsbesteuerung durch das Zinsabschlaggesetz gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Der Vollzug der Besteuerung sei, da die Quellenbesteuerung keine abgeltende Wirkung habe, in so hohem Maße durch ein Zusammenspiel ermittlungsbeschränkender und fehlender ermittlungsfördernder Normen geprägt, dass von einer verfassungswidrigen, nicht auf gleichen Belastungserfolg angelegten Gesetzeslage auszugehen sei. Die nach dem Inkrafttreten des Zinsabschlaggesetzes durchgeführten gesetzgeberischen Maßnahmen, insbesondere das Kontenabrufverfahren nach § 93 Abs. 7, § 93b AO, seien nicht geeignet, das strukturelle Erhebungsdefizit im Bereich der Zinsbesteuerung zu beseitigen. Nach wie vor würden die Kontrollmöglichkeiten der Finanzverwaltung durch die Regelung des § 30a AO erheblich eingeschränkt. Allein strafrechtliche Ermittlungsmaßnahmen könnten ein effektives abgabenrechtliches Ermittlungsinstrumentarium nicht ersetzen. Die Erhöhung des Sparerfreibetrags befreie den Gesetzgeber nicht davon, für den weiterhin steuerpflichtigen Teil der Zinseinkünfte die Belastungsgleichheit herzustellen. Der durch den Zinsabschlag motivierten Kapitalflucht in das Ausland hätte der Gesetzgeber durch ein wirksames Kontrollverfahren entgegen treten müssen.

Zudem verletze das angegriffene Urteil des Bundesfinanzhofs das durch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verfassungsrechtlich gewährleistete Recht auf den gesetzlichen Richter; da der VII. Senat des Bundesfinanzhofs zur verfassungsgemäßen Auslegung des § 30a AO in seinem Beschluss vom - VII B 40/97 -, Finanz-Rundschau 1998, S. 112 eine andere Rechtsauffassung vertreten habe, hätte der vorliegend entscheidende VIII. Senat die Rechtsfrage zur verfassungskonformen Auslegung des § 30a AO gemäß § 11 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dem Großen Senat des Bundesfinanzhofs vorlegen müssen.

B.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Sie hat jedenfalls in der Sache keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>; 96, 245 <250>).

I.

Zutreffend ist der Bundesfinanzhof davon ausgegangen, dass ein strukturelles Vollzugsdefizit hinsichtlich der Besteuerung von Kapitaleinkünften gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG in den Streitjahren 1994, 1995, 2000 und 2001 nicht gegeben ist. Die hierzu angestellten Erwägungen stehen nicht im Widerspruch zu den mit den Urteilen des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 84, 239; 110, 94) und den Beschlüssen des Ersten Senats (BVerfGE 112, 284; 118, 168) entwickelten verfassungsrechtlichen Maßstäben.

1. a) Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verlangt für das Steuerrecht, dass die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden. Wird die Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung des Erhebungsverfahrens prinzipiell verfehlt, kann dies die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Besteuerungsgrundlage nach sich ziehen. Nach dem Gebot tatsächlich gleicher Steuerbelastung durch gleichen Gesetzesvollzug begründet die in den Verantwortungsbereich des Gesetzgebers fallende strukturell gegenläufige Erhebungsregel im Zusammenwirken mit der zu vollziehenden materiellen Steuernorm deren Verfassungswidrigkeit. Strukturell gegenläufig wirken sich Erhebungsregelungen gegenüber einem Besteuerungstatbestand aus, wenn sie dazu führen, dass der Besteuerungsanspruch weitgehend nicht durchgesetzt werden kann. Die Frage, ob der Gesetzgeber von ihm erstrebte Ziele - im Steuerrecht die Erzielung von Einnahmen oder auch Lenkungsziele - faktisch erreicht, ist rechtsstaatlich allein noch nicht entscheidend. Vollzugsmängel, wie sie immer wieder vorkommen können und sich tatsächlich ereignen, führen allein noch nicht zur Verfassungswidrigkeit der materiellen Steuernorm. Verfassungsrechtlich verboten ist jedoch der Widerspruch zwischen dem normativen Befehl der materiell pflichtbegründenden Steuernorm und der nicht auf Durchsetzung dieses Befehls angelegten Erhebungsregel. Zur Gleichheitswidrigkeit führt nicht ohne weiteres die empirische Ineffizienz von Rechtsnormen, wohl aber das normative Defizit des widersprüchlich auf Ineffektivität angelegten Rechts (vgl. BVerfGE 84, 239 <268 f.>; BVerfGE 110, 94 <112 ff.>; vgl. auch BVerfGE 96, 1 <6 ff.>).

b) Für die Beantwortung der Frage, ab welchem Kalenderjahr ein Verstoß gegen die tatsächliche Belastungsgleichheit vorliegt und dem Steuergesetzgeber zuzurechnen ist mit der Folge, dass die materiellrechtliche Grundlage für die Steuererhebung selbst verfassungswidrig wird, lassen sich keine allgemein gültigen verfassungsrechtlichen Maßstäbe entwickeln, da die für die Verfassungswidrigkeit maßgebliche veränderbare Relation zwischen realen und normativen Einflussfaktoren auf die Vollzugsrealität stets neu konkret zu würdigen ist. Die Entscheidung hängt maßgeblich auch von Tatsachen ab, die für jeden möglichen Fall einer gleichheitswidrig vollzogenen Steuernorm gesondert festzustellen und zu bewerten sind. In verschiedenen Veranlagungszeiträumen können unterschiedliche Tatsachen von Bedeutung sein oder die gleichen Tatsachen unterschiedlich zu gewichten sein (vgl. BVerfGE 110, 94 <140>; BVerfGK 8, 29 <34 f.> und 46 <47>; BVerfG, 3. Kammer des Zweiten Senats, Beschlüsse vom - 2 BvR 294/06 -, DStR 2008, S. 197 <199>, und vom - 2 BvL 14/05 -).

2. Bei der Beurteilung der Frage, ob in den streitigen Veranlagungszeiträumen 1994, 1995, 2000 und 2001 hinsichtlich der Besteuerung von Zinseinkünften ein strukturelles Vollzugsdefizit bestand, sind danach alle faktischen und normativen Veränderungen zu berücksichtigen, die nach Ablauf der in dem "Zinsurteil" des Bundesverfassungsgerichts dem Gesetzgeber bis zum eingeräumten Übergangsfrist (BVerfGE 84, 239 <285>) eingetreten sind. In zeitlicher Hinsicht sind dabei - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer - auch solche Veränderungen in die Betrachtung einzubeziehen, die zwar erst nach den Streitjahren in Kraft getreten sind, die sich aber typischerweise auf den Vollzug innerhalb der allgemeinen vierjährigen Festsetzungsfrist (vgl. § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO) auswirken konnten, denn regelmäßig müsste ein hinreichend effektiver Vollzug innerhalb dieser Frist gelingen (vgl. BVerfGE 110, 94 <139>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 294/06 -, DStR 2008, S. 197 ff.).

3. Danach liegt ein dem Gesetzgeber zuzurechnendes strukturelles Vollzugsdefizit für die Veranlagungszeiträume 1994, 1995, 2000 und 2001, das zur Verfassungswidrigkeit des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG führen könnte, nicht vor.

a) Für die Streitjahre 1994 und 1995 fehlte es jedenfalls deshalb an einem strukturellen, dem Gesetzgeber zuzurechnenden Vollzugsdefizit, weil der Gesetzgeber nach dem Erlass des Gesetzes zur Neuregelung der Zinsbesteuerung (Zinsabschlaggesetz) vom 9. November 1992 (BGBl I S. 1853) eine hinreichende Zeitspanne für die Beobachtung der Wirksamkeit dieser Neuregelung in Anspruch nehmen konnte.

aa) Mit dem Zinsabschlaggesetz vom , das zum in Kraft trat, hatte der Gesetzgeber in den Veranlagungszeiträumen ab 1994 nicht eine seit längerem bestehende Rechtslage, sondern eine Neuregelung auf ihre Geeignetheit zur Beseitigung des vom Bundesverfassungsgericht in seinem "Zinsurteil" (BVerfGE 84, 239) festgestellten strukturellen Vollzugsdefizits zu beobachten. Wie sich die neu eingeführte Erhebungsform der Zinsabschlagsteuer auf die tatsächliche Erfassung der Zinseinkünfte insgesamt auswirken würde, war für den Gesetzgeber ungewiss. Bei einer Zinsabschlagsteuer auf Kapitalerträge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG in Höhe von 30 % (bei Tafelgeschäften in Höhe von 35 %) durfte der Gesetzgeber vor dem Hintergrund des früheren Spitzensteuersatzes von 53 % - dem nicht alle Zinseinkünfte unterlagen - zunächst davon ausgehen, dass das Ziel einer effektiveren Durchsetzung des Steueranspruchs nicht prinzipiell verfehlt würde. Zutreffend räumt deshalb der Bundesfinanzhof in der angegriffenen Entscheidung dem Gesetzgeber eine längere Beobachtungsfrist ein (vgl. zum Erfordernis angemessener Beobachtungs- und Nachbesserungsfristen für den Gesetzgeber BVerfGE 95, 267 <314 f.> m.w.N.). Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass die kontinuierliche Senkung des Spitzensteuersatzes bis auf 42 % im Veranlagungszeitraum 2005 bei gleich bleibender Höhe des Zinsabschlagsatzes von 30 % dazu führte, dass sich eine möglicherweise bestehende Besteuerungslücke weiter verringerte.

Zudem bewirkte die Verzehnfachung des Sparerfreibetrags, die erst durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vom (BGBl I S. 402) wieder halbiert wurde, in den Streitjahren 1994 und 1995 eine massive Steuerfreistellung der Erträge aus kleineren Kapitalvermögen und folglich eine erhebliche Reduzierung des für frühere Veranlagungszeiträume festgestellten Erhebungsdefizits. Durch das neu eingeführte Mitteilungsverfahren gemäß § 45d EStG stellte der Gesetzgeber sicher, dass der Sparerfreibetrag nicht unberechtigt mehrfach in Anspruch genommen wurde. Den praktischen und technischen Anfangsschwierigkeiten bei der Einführung des Verfahrens hat der Bundesfinanzhof zu Recht keine Bedeutung zugemessen, da der Finanzverwaltung eine Anlaufphase einzuräumen ist, in der sie die Voraussetzungen für die technische Umsetzung des Verfahrens schafft.

Vor diesem Hintergrund kann allein der Umstand, dass § 30a AO unverändert geblieben ist, ein die Verfassungswidrigkeit der materiellen Steuernorm begründendes strukturelles Vollzugsdefizit als ganz außergewöhnliche Rechtsfolge mangelnder Effektivität des Rechts nicht herbeiführen - unbeschadet der Frage nach der Verfassungsmäßigkeit, oder einer verfassungskonformen Auslegung dieser Regelung (vgl. auch BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 294/06 -, DStR 2008, S. 197 ff., und vom 25. Februar 2008 - 2 BvL 14/05 -).

Im Übrigen bestand ein erhöhtes Risiko der Entdeckung nicht oder nicht vollständig erklärter Zinseinkünfte insbesondere für die Steuerpflichtigen, die auch gewerbliche oder freiberufliche Einkünfte erzielten, da auf diese die Außenprüfung voraussetzungslos Anwendung fand (§ 193 Abs. 1 AO). Aber auch verschiedene Mitteilungspflichten gegenüber dem Finanzamt ließen bei größeren Kapitalanlagen im Inland das Entdeckungsrisiko für in der Vergangenheit hinterzogene Zinseinkünfte weiter steigen. Dies betrifft insbesondere die Mitteilungspflicht der Notare nach § 18 des Grunderwerbsteuergesetzes bei beurkundungspflichtigen Rechtsvorgängen, die Grundstücke betreffen, sowie die seit 1995 bestehende Mitteilungspflicht der Notare gemäß § 54 der Einkommensteuer-Durchführungs-verordnung bei der Gründung von Kapitalgesellschaften und Verfügung über Kapitalanteile, sowie die Anzeigepflicht der Vermögensverwahrer, Vermögensverwalter und Versicherungsunternehmen im Todesfall gemäß § 33 Erbschaftsteuergesetz.

bb) Erhebungsdefizite in den Fällen, in denen steuerbare Kapitalerträge von ausländischen Zahlstellen bezogen wurden, sind dem Gesetzgeber nicht zurechenbar, da die wirksamste Erhebungsform, die Quellensteuer, im Ausland nicht greift (vgl. BVerfGE 110, 94 <133 f.>). Gerade die ab dem Jahr 1992 einsetzende "Kapitalflucht" in das Ausland (vgl. hierzu die Auskünfte der Deutschen Bundesbank und des Bundesrechnungshofs in dem Verfahren zu dem Urteil des Bundesfinanzhofs - VIII R 33/95 -, BStBl II 1997, S. 499 <501 f.> = BFHE 183, 45; Risto/Julius, Die Verfassungswidrigkeit der Zinsbesteuerung, DB, Beilage Nr. 4/2002 zu Heft Nr. 17, S. 5 m.w.N.; vgl. auch BVerfGE 110, 94 <133 f.>) verdeutlicht die Schwierigkeiten, auf die der Gesetzgeber bei der Verfolgung des Ziels, die Effektivität der Besteuerung von Kapitaleinkünften zu verbessern, praktisch zwangsläufig stößt. Soweit die Beschwerdeführer rügen, der Gesetzgeber habe es versäumt, Kontrollmöglichkeiten bezüglich der Kapitalverlagerung ins Ausland zu schaffen, lassen sie unberücksichtigt, dass die Einführung von Meldepflichten inländischer Kreditinstitute nicht hätte verhindern können, dass zumindest kapitalkräftigere Steuerpflichtige ihr Kapital unmittelbar im Ausland deponieren, ohne inländische Kreditinstitute einzuschalten. Zudem hätte die Erweiterung der Kontrollmaßnahmen nach Ansicht der Deutschen Bundesbank und der parlamentarischen Zinskommission wahrscheinlich sogar den gegenteiligen Effekt ausgelöst und die Kapitalabflüsse verstärkt (s. hierzu Auskunft der Deutschen Bundesbank in dem Verfahren des Bundesfinanzhofs - VIII R 33/95 -, BStBl II 1997, S. 499 <501> = BFHE 183, 45).

b) Auch für die Streitjahre 2000 und 2001 ist ein dem Gesetzgeber zuzurechnendes strukturelles Vollzugsdefizit, das zur Verfassungswidrigkeit der Zinsbesteuerung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 AO führt, zu verneinen. Der Gesetzgeber hat das im Regelfall der Besteuerung zur Anwendung kommende Ermittlungsinstrumentarium der Finanzbehörden für den Zeitraum ab 1999 kontinuierlich erweitert und so im Ergebnis nahezu lückenlose Kontrollmöglichkeiten geschaffen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 294/06 -, DStR 2008, S. 197 ff.).

Zunächst wurde durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vom , BGBl I S. 402 das Mitteilungsverfahren betreffend die Freistellungsaufträge gemäß § 45d Abs. 2 EStG inhaltlich ergänzt und die Verwendungsmöglichkeit der mitgeteilten Daten auf Zwecke der Durchführung des Besteuerungsverfahrens erweitert. Mit dem Steueränderungsgesetz 2003 vom , BGBl I S. 2645 führte der Gesetzgeber mit Wirkung nach dem die Jahresbescheinigung über Kapitalerträge und Veräußerungsgewinne gemäß § 24c EStG ein (zwischenzeitlich aufgehoben mit Einführung der Abgeltungssteuer durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 vom , BGBl I 2007, S. 1912). Mit dem durch Art. 2 des Gesetzes zur Förderung der Steuerehrlichkeit vom (BGBl I S. 2928) geschaffenen, im April 2005 in Kraft getretenen und vom Bundesverfassungsgericht hinsichtlich der Abfragemöglichkeiten durch die Finanzbehörden für verfassungsgemäß erklärten (vgl. BVerfGE 112, 284; 118, 168) Kontenabrufverfahren gemäß § 93 Abs. 7, § 93b AO, hat der Gesetzgeber die Ermittlungsmöglichkeiten der Finanzämter weiter effektiviert. Gerade auch vor diesem Hintergrund kann allein aus dem Umstand, dass § 30a AO unverändert geblieben ist, eine prinzipielle Verfehlung des Ziels tatsächlich gleichmäßiger Steuerbelastung nicht abgeleitet werden (vgl. oben, B. I. 3. a>aa>).

c) Aus der Amnestieregelung des Strafbefreiungserklärungsgesetzes ergibt sich nichts anderes. Insoweit ist den Ausführungen des Bundesfinanzhofs zu folgen, dass in der Annahme des Gesetzgebers, es liege ein tatsächliches Erhebungsdefizit vor, nicht zugleich das Eingeständnis eines strukturellen, das heißt eines im Erhebungsverfahren angelegten, Vollzugsdefizits zu sehen ist. Die sog. Brücke in die Steuerehrlichkeit zielte insbesondere auf die im Ausland bezogenen und verschwiegenen Kapitaleinkünfte (vgl. BTDrucks 15/1722, S. 8) und bezweckte insofern gerade eine Verbesserung der Erhebungssituation (BTDrucks 15/1521, S. 9). Dass sie ein tatsächliches Erhebungsdefizit noch vergrößert haben könnte und die Amnestie in nennenswertem Umfang zu einem Verzicht auch auf "sichere Einnahmen" geführt hat, ist nicht ersichtlich.

4. Auch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist nicht verletzt. Der VIII. Senat des Bundesfinanzhofs hat die Vorlage der zwischen ihm und dem VII. Senat des Bundesfinanzhofs möglicherweise streitigen Frage der verfassungskonformen Auslegung des § 30a AO an den Großen Senat des Bundesfinanzhofs nicht willkürlich unterlassen (vgl. BVerfGE 6, 45 <53>; 19, 38 <43>). Der VIII. Senats hat bereits in seinem Urteil vom (BStBl II 1999, S. 138 <140> = BFHE 187, 302) ausgeführt, dass die Bemerkungen des VII. Senats im Zusammenhang einer kursorischen Prüfung zum Eilrechtsschutz im Beschluss vom - VII B 40/97 - (Finanz-Rundschau 1998, S. 112) keinen hinreichenden Anlass für eine Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung lieferten. Das lässt Willkür nicht erkennen.

II.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Fundstelle(n):
BFH/NV-Beilage 2008 S. 246 Nr. 3
DStRE 2008 S. 1320 Nr. 21
HFR 2008 S. 852 Nr. 8
NJW 2008 S. 2637 Nr. 36
StBW 2008 S. 1 Nr. 9
WM 2008 S. 723 Nr. 16
JAAAC-75770