Reihenfolge der Steuervergünstigungen der §§ 34f Abs. 3 und 35a EStG
Leitsatz
Die Steuerermäßigung des § 34f Abs. 3 EStG (Baukindergeld) ist vor der Steuerermäßigung bei Aufwendungen für haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnisse des § 35a EStG zu berücksichtigen.
Gesetze: EStG § 34f Abs. 3EStG § 35a
Instanzenzug: (EFG 2007, 933) (Verfahrensverlauf),
Gründe
I.
Die miteinander verheirateten Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) machten in ihrer Einkommensteuererklärung 2003 Aufwendungen von insgesamt 3 255,53 € für ein haushaltsnahes Beschäftigungsverhältnis i. S. des § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend. Sie beantragten außerdem für ihre beiden Kinder die Steuerermäßigung nach § 34f Abs. 3 EStG in Höhe von je 512 €. Dabei beantragten sie, bei der Berechnung der Einkommensteuer zunächst die Ermäßigung nach § 35a EStG und erst dann diejenige nach § 34f Abs. 3 EStG anzuwenden. In dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid vom folgte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) dieser Reihenfolge nicht, sondern zog zunächst von der mit 676 € ermittelten tariflichen Einkommensteuer der Kläger 676 € als Kinderermäßigung nach § 34f EStG ab. Ein Abzug einer Steuerermäßigung nach § 35a EStG erfolgte sodann nicht mehr. Zur Begründung verwies das FA darauf, die Steuerermäßigung nach § 34f Abs. 3 EStG sei gemäß R 4 Nr. 8 bzw. 9 der Einkommensteuer-Richtlinien 2003 (EStR) vor derjenigen nach § 35a EStG abzuziehen.
Mit ihrer vor dem Finanzgericht (FG) erhobenen Klage verfolgten die Kläger ihr Begehren weiter, die Steuerermäßigung nach § 35a EStG vor derjenigen nach § 34f Abs. 3 EStG abzuziehen. Zur Begründung verwiesen sie darauf, nur durch diese Verfahrensweise bleibe ihnen die Verrechnungsmöglichkeit erhalten, die § 34f Abs. 3 Sätze 3 und 4 EStG für den Fall vorsehe, dass —wie im vorliegenden Fall— die dortigen Abzugsbeträge höher seien als die ansonsten noch verbleibende tarifliche Einkommensteuer. Wenn stattdessen zunächst der Abzugsbetrag nach § 34f EStG angesetzt werde, verfalle ein noch größerer Teil der Beträge nach § 34f Abs. 3 EStG. Demgegenüber sei der Gesetzeszweck dieser Vorschrift gewesen, die volle Ausnutzung des Baukindergeldes sicherzustellen. Dies werde durch das vom FA gewählte Verfahren vereitelt.
Das FG gab der Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2007, 933 veröffentlichten Urteil statt.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es ist der Auffassung, dass sich weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck des § 34f Abs. 3 EStG ein „Nachrang-Befehl” entnehmen lasse. Es sei weiterhin zu berücksichtigen, dass § 35a EStG zeitlich nach § 34f EStG in das Gesetz eingefügt worden sei. Hätte der Gesetzgeber den „Nachrang-Befehl” des § 34f Abs. 3 EStG auch auf § 35a EStG anwenden wollen, hätte er dies durch eine zu § 34g EStG analoge Regelung in § 35a EStG ausdrücken können, was aber nicht geschehen sei.
Das FA stellt keinen ausdrücklichen und bezifferbaren Antrag.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision des FA ist zulässig und begründet. Die Vorentscheidung wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
1. Die Revision des FA ist zulässig, obwohl kein ausdrücklicher Revisionsantrag gestellt wurde. Zwar muss nach § 120 Abs. 3 Nr. 1 FGO die Revisionsbegründung die Erklärung enthalten, inwieweit das Urteil angefochten und dessen Aufhebung beantragt wird. Ein förmlicher Revisionsantrag in der Revisionsbegründung ist aber entbehrlich, wenn sich aus dem Vorbringen des Revisionsklägers eindeutig ergibt, inwieweit er sich durch das angefochtene Urteil beschwert fühlt und inwieweit er dessen Aufhebung oder Änderung erstrebt (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 120 Rz 53, m.w.N. aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs —BFH—). Das von dem FA mit der Revision verfolgte Ziel ist eindeutig der Revisionsbegründungsschrift zu entnehmen, in der sich das FA ausdrücklich gegen die dem Urteil zugrunde liegende Rechtsauffassung des FG wendet und damit inzidenter die Aufhebung des darauf beruhenden Urteils erreichen will.
2. Die Revision ist auch begründet. Zu Recht hat das FA von der tariflichen Einkommensteuer zunächst den Steuerermäßigungsbetrag des § 34f Abs. 3 EStG (in der im Streitjahr gültigen Fassung) abgezogen, bevor es den Steuerermäßigungsbetrag des § 35a EStG berücksichtigen konnte.
a) Nach § 34f Abs. 3 EStG ermäßigt sich bei Steuerpflichtigen, die die Steuerbegünstigung nach § 10e Abs. 1, 2, 4 und 5 EStG in Anspruch nehmen, die tarifliche Einkommensteuer, vermindert um die sonstigen Steuerermäßigungen, auf Antrag um 512 € für jedes Kind des Steuerpflichtigen und seines Ehegatten, das zu seinem Haushalt gehört. Als Besonderheit lässt § 34f Abs. 3 EStG zu, dass in den Fällen, in denen sich die Steuerermäßigung aufgrund einer zu geringen Steuerschuld nicht oder nicht vollständig steuerentlastend auswirkt, die (verbleibende) Ermäßigung sowohl zunächst zurückgetragen als auch danach vorgetragen werden kann (vgl. § 34f Abs. 3 Sätze 3 bis 5 EStG). Diese Regelung wurde durch das Gesetz zur Entlastung der Familien und zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investitionen und Arbeitsplätze vom (Steueränderungsgesetz 1992 —StÄndG 1992—, BGBl I 1992, 297) in das EStG eingefügt. Die gesetzgeberische Begründung war, dass „hierdurch…i.d.R. die volle Auszahlung des Baukindergeldes für alle Einkommensbezieher bewirkt (werde) – soziale Komponente” (Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zum Entwurf des StÄndG 1992, BTDrucks 12/1506, 172). Gleichzeitig wurde § 34g EStG geändert und die Reihenfolge der beiden Steuerermäßigungen so geregelt, dass die Ermäßigung des § 34f EStG erst nach der Ermäßigung des § 34g EStG anzuwenden ist.
Zwischenzeitlich eingetretene Änderungen des Wortlauts des § 34f Abs. 3 EStG betrafen nur redaktionelle Anpassungen aufgrund der Einführung des Euro und der Aufhebung des § 35 EStG a.F. Der Zielsetzung, dem Baukindergeld eine möglichst breite Berücksichtigung zukommen zu lassen, wurde auch in den Folgejahren Rechnung getragen. So regelt § 35 EStG n.F. bei der seit 2001 gewährten Steuerermäßigung bei Einkünften aus Gewerbebetrieb die Reihenfolge ausdrücklich so, dass die Ermäßigung des § 34f Abs. 3 EStG erst an letzter Stelle zu berücksichtigen ist und damit die größte Wirkung erzielen kann.
b) Demgegenüber fehlt es insoweit an einer entsprechenden gesetzlichen Regelung im Zweiten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom (BGBl I 2002, 4621), als durch § 35a EStG die Steuerermäßigung bei Aufwendungen für haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnisse eingeführt wurde. § 35a EStG normiert vielmehr, dass sich für haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnisse, die in einem inländischen Haushalt des Steuerpflichtigen ausgeübt werden, die tarifliche Einkommensteuer, vermindert um die sonstigen Steuerermäßigungen, auf Antrag in der näher ausgeführten Art und Weise ermäßigt. Im Gegensatz zu der Steuermäßigung des § 34f Abs. 3 EStG ist jedoch weder ein Rück- noch ein Vortrag für den Fall vorgesehen, dass die Steuerschuld geringer ist als die beantragte Ermäßigung.
c) Bei den beiden Steuerermäßigungen der §§ 34f Abs. 3 und 35a EStG handelt es sich um zwei spezielle Steuervergünstigungen, die prinzipiell nebeneinander stehen und kumulativ angewandt werden können. Beide regeln für ihren Bereich abschließend die Steuerfolgen. Sie unterscheiden sich zwar insofern durch die Reichweite ihrer Steuerfolgen, da die Steuerermäßigung gemäß § 34f Abs. 3 EStG eine zusätzliche Vor- und Rücktragsmöglichkeit vorsieht. Dies ändert jedoch nichts an ihrer systematischen Einordnung. In Bezug auf den Rang ihrer Berücksichtigung ist der Wortlaut bei beiden Vorschriften insoweit identisch; beide Vorschriften beanspruchen, als letzte Steuervergünstigung in Ansatz gebracht zu werden.
d) Im Gegensatz zur Auffassung des FG enthält das Gesetz jedoch eine Anwendungsreihenfolge.
Widersprechen sich —wie hier— Normen der gleichen Rangstufe, so ist die Normenkollision nach den hergebrachten und in der Rechtslehre anerkannten Grundsätzen zu lösen. Dabei ist anerkannt, dass Rechtssätze außer durch förmliche Aufhebung oder durch Zeitablauf auch durch Kollision mit einer nachträglich entstandenen Norm gleichen oder höheren Ranges ihre Geltung verlieren können (, BFHE 169, 564, m.w.N.; Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl., S. 572; Birk in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 4 AO Rz 365). Wird eine neue Vorschrift erlassen, deren gleichzeitige Anwendung mit der älteren logisch unmöglich ist, bringt der Gesetzgeber damit grundsätzlich zum Ausdruck, dass die spätere Regelung gelten soll. Die damit zwangsläufig verbundene Nichtanwendbarkeit der älteren Norm muss vom Gesetzgeber dagegen nicht ausdrücklich ausgesprochen werden.
Bei der hier vorliegenden Normenkonkurrenz ist ein Nebeneinander nicht denkbar: Nur eine der beiden Steuerermäßigungen kann als Letzte in Ansatz gebracht werden. Nach dem gerade beschriebenen Grundsatz „lex posterior derogat legi priori” geht die spätere Norm (hier: § 35a EStG) der früheren Norm (hier: § 34f EStG) vor. Das zeitlich spätere Gesetz entscheidet damit, dass die neu eingeführte Steuervergünstigung für haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnisse erst gewährt wird, nachdem alle anderen Steuervergünstigungen berücksichtigt worden sind. Auf eine korrespondierende Berichtigung der anderen Steuertatbestände konnte verzichtet werden, da das spätere gesetzgeberische Diktum den Vorrang hat.
e) Durch dieses Auslegungsergebnis wird der gesetzgeberische Auftrag, die volle Auszahlung des sog. Baukindergeldes für alle Einkommensbezieher zu bewirken, nicht eingeschränkt. Das sog. Baukindergeld wird in derselben Höhe steuerlich berücksichtigt, in der es auch ohne die Steuervergünstigung der haushaltsnahen Beschäftigungen gewährt worden wäre. Es wird nur keine weitere Konservierung der Baukindergeld-Steuerermäßigung durch die neue Steuerermäßigung ermöglicht. Diese zusätzliche Privilegierung des Baukindergeldes sieht das Gesetz in § 35a EStG ausdrücklich nicht vor, es gewährt die Steuerermäßigung wegen der haushaltsnahen Beschäftigungen vielmehr erst und nur dann, wenn alle anderen Steuervergünstigungen ihre Berücksichtigung gefunden haben.
f) Diese Auslegung führt auch nicht zu einem Verstoß gegen den Gleichheitssatz. Bei der Prüfung einer Norm am Maßstab des Gleichheitssatzes ist zunächst davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber eine weitgehende Gestaltungsfreiheit zukommt (, BVerfGE 29, 327, 335). Ob und ggf. in welcher Form und welchem Umfang steuerliche Erleichterungen gewährt werden sollen, steht in seinem Ermessen (, BVerfGE 23, 74, BStBl II 1968, 133). Der Gesetzgeber ist ebenso grundsätzlich frei, Steuervergünstigungen entsprechend auszugestalten. Er ist vor allem nicht verpflichtet, eine aus bestimmten wirtschaftspolitischen Gründen gewährte Steuervergünstigung so auszugestalten, dass eine andere, aus davon unabhängigen sozialpolitischen Gründen gewährte Steuervergünstigung noch besser genutzt werden kann (vgl. auch , BFHE 150, 22, BStBl II 1987, 530, in Bezug auf den Abbau von Steuervergünstigungen). Deshalb ist den diesbezüglichen Erörterungen des FG nicht zu folgen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2008 II Seite 520
BFH/NV 2008 S. 861 Nr. 5
BStBl II 2008 S. 520 Nr. 12
DB 2008 S. 848 Nr. 16
DStRE 2008 S. 684 Nr. 11
EStB 2008 S. 164 Nr. 5
FR 2008 S. 837 Nr. 17
HFR 2008 S. 452 Nr. 5
KÖSDI 2008 S. 16008 Nr. 5
NWB-Eilnachricht Nr. 15/2008 S. 1298
StB 2008 S. 150 Nr. 5
StBW 2008 S. 2 Nr. 8
StuB-Bilanzreport Nr. 8/2008 S. 316
RAAAC-75293