BFH Urteil v. - VII R 52/06

Feststellungsinteresse für eine Fortsetzungsfeststellungsklage wegen Versagens des Vollstreckungsaufschubs; Auslegung des Antrags eines anwaltlich nicht vertretenen Vollstreckungsschuldners

Gesetze: FGO § 100 Abs. 1 Satz 4, FGO § 115 Abs. 2, AO § 251, AO § 258

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Mit Bescheid vom setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) Grunderwerbsteuer in Höhe von 1 750 € gegen den Kläger und Revisionskläger (Kläger) fest. Der Bescheid wurde bestandskräftig. Am beantragte der Kläger Stundung der Grunderwerbsteuer bei monatlicher Ratenzahlung von 250 €, wobei die erste Rate bereits angewiesen und die Schlussrate dann am zu zahlen sei. Das FA lehnte den Antrag mit Bescheid vom ab. Mit Schreiben vom erläuterte der Kläger nochmals, dass die unerwartete Nichteinhaltung einer von einer Bausparkasse gegebenen Finanzierungszusage für den Grunderwerb die Ratenzahlung erforderlich mache und beantragte die Überprüfung des Falles und „Aussetzung der Vollziehung” (AdV). Daraufhin übersandte das FA einen Vordruck zum Nachweis der wirtschaftlichen Situation des Klägers, den dieser jedoch unter Hinweis auf die besonderen Umstände seiner Tilgungsschwierigkeiten und seine Tilgungsleistungen nicht ausfüllte. Mit Schreiben vom lehnte das FA daraufhin die Stundung erneut ab.

Nachdem der Kläger wegen der noch ausstehenden Beträge (zu diesem Zeitpunkt noch 1 250 €) eine Mahnung erhalten hatte, legte er am gegen alle in den bisherigen Schreiben etwa enthaltenen Entscheidungen und gegen die Nichtbearbeitung des Antrags auf AdV „das zulässige Rechtsmittel” ein und bat darum, diese Eingabe ggf. als Antrag auf einstweilige Einstellung der Vollstreckung an das zuständige Finanzgericht (FG) weiterzuleiten.

Am erging an den Kläger eine Vollstreckungsankündigung über offene Grunderwerbsteuer in Höhe von 1 000 € nebst Säumniszuschlägen und am eine Kontenpfändungs- und Einziehungsverfügung an das Kreditinstitut des Klägers wegen eines Betrages von 823,10 € (rückständige Grunderwerbsteuer 750 €). Zeitgleich wandte er sich ausdrücklich gegen die Vollstreckungsankündigung mit den „zulässigen Rechtsmitteln”.

Laut Drittschuldnererklärung vom wiesen die gepfändeten Konten im Zeitpunkt der Pfändung kein Guthaben auf.

Am beantragte der Kläger beim FG die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, AdV und Vollstreckungsschutz. Die Anträge wurden mit Beschluss vom 2 V 143/04 als unbegründet bzw. unzulässig zurückgewiesen.

Am hatte der Kläger mit Schreiben an das Finanzministerium (FinMin) die Vorgehensweise des FA gerügt und mit weiterem Schreiben vom an das FA klargestellt, dass es sich dabei um einen Rechtsbehelf gegen die Kontenpfändung des FA handele. Dabei wies er darauf hin, dass die Kontenpfändung die Tilgung der Reststeuerschuld von 750 € blockiere die ansonsten zum Zeitpunkt dieses Schreibens bereits abgeschlossen gewesen wäre.

Am teilte das FA dem Kreditinstitut mit, dass die Pfändungs- und Einziehungsverfügung erledigt sei. Dem Kläger wurde die Vollstreckung wegen der verbleibenden Säumniszuschläge und Vollstreckungskosten in Höhe von 88,50 € angekündigt.

Auf Anweisung des FinMin erließ das FA am 4. und Einspruchsentscheidungen. Zwar sei anzuerkennen, dass der Kläger mit der aufgetretenen Finanzierungslücke nicht habe rechnen müssen, gleichwohl sei die Ablehnung der Stundung gerechtfertigt, weil der Kläger dem FA nicht ermöglicht habe, seine wirtschaftlichen Verhältnisse zu überprüfen. Die Pfändungs- und Einziehungsverfügung sei rechtmäßig, weil die Steuer fällig gewesen und Vollstreckungsaufschub nicht gewährt worden sei. Die freiwilligen Ratenzahlungen rechtfertigten „entsprechend der AO keinen Vollstreckungsschutz”.

Das FG wies sowohl die auf Verpflichtung des FA zur Stundung der Grunderwerbsteuer als auch die auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Pfändungs- und Einziehungsverfügung gerichtete Klage ab. Ermessensfehler hinsichtlich der Stundungsablehnung sah es schon deshalb nicht, weil der Kläger bis zum Abschluss des außergerichtlichen Verfahrens keine Auskünfte zu seiner wirtschaftlichen Situation erteilt habe, so dass das FA nicht habe feststellen können, dass die Einziehung der Steuer für den Kläger eine erhebliche Härte bedeuten würde. Die als Fortsetzungsfeststellungsklage statthafte Klage gegen die Pfändungsverfügung sah das FG als unbegründet an, weil weder der im Streitfall relativ geringe Steuerrückstand noch der Zeitpunkt der Pfändung die Maßnahme als unbillig erscheinen ließen noch die freiwillig erbrachten Ratenzahlungen die Rechtswidrigkeit der Pfändung begründen könnten, da die Restsumme im Zeitpunkt der Pfändung fällig gewesen sei. Ob dem Kläger wegen der angebotenen Ratenzahlungen möglicherweise Vollstreckungsschutz zu gewähren gewesen wäre, sei nicht Gegenstand dieses Verfahrens und wirke sich auf die Rechtmäßigkeit der bereits erlassenen Pfändungs- und Einziehungsverfügung nicht aus.

Mit der Revision rügt der Kläger hinsichtlich der Ablehnung der Stundung im Wesentlichen als Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten und als Verletzung rechtlichen Gehörs, dass das FG zu Unrecht angenommen habe, er habe bis zum Abschluss des außergerichtlichen Vorverfahrens keine Auskünfte zu seiner wirtschaftlichen Situation erteilt. Bei der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Pfändungs- und Einziehungsverfügung habe das FG verkannt, dass trotz Fälligkeit einer Forderung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Gebot der Billigkeit einer Vollstreckung entgegenstehen könnten. Es habe weder den geringen Restrückstand noch den Zeitpunkt der Pfändung kurz vor der letzten Rate als Kriterien angesehen, die die Pfändungsverfügung unberechtigt erscheinen ließen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und festzustellen, dass der Bescheid des FA vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom und die Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom rechtswidrig waren.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Soweit das FG die Klage gegen die Ablehnung der Stundung abgewiesen hat, ist die Revision unbegründet (1.). Die Revision ist jedoch begründet, soweit das FG die Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Pfändungs- und Einziehungsverfügung abgewiesen hat (2.).

1. Soweit sich die Revision gegen die Abweisung der Klage wegen des Stundungsbegehrens wendet, scheitert sie daran, dass die gegen die Entscheidung des FG erhobenen Verfahrensrügen unzulässig sind. Denn nach der —bei der Prüfung der ordnungsgemäßen Verfahrensführung allein maßgeblichen— Rechtsauffassung des FG (vgl. dazu z.B. , BFH/NV 2007, 958; Senatsbeschluss vom VII B 53/03, BFH/NV 2004, 978) hat das FA den Stundungsantrag deshalb ermessensfehlerfrei abgelehnt, weil der Kläger den ihm übersandten Vordruck zur Offenlegung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse nicht ausgefüllt hat. Für das FG kam es auf die vom Kläger für maßgeblich erachteten und von ihm im gerichtlichen Eilverfahren vorgelegten Unterlagen nicht an.

Da die Revision ausdrücklich auf die Verfahrensmängel des Verstoßes gegen den klaren Akteninhalt (§ 76 Abs. 1 Satz 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—) und der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO, Art. 103 des GrundgesetzesGG—) gestützt ist und nicht zugleich eine der Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO vorliegt, war insoweit gemäß § 118 Abs. 3 Satz 1 FGO nur über die geltend gemachten Verfahrensmängel zu entscheiden.

2. Die Revision gegen die Abweisung der Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Pfändungs- und Einziehungsverfügung ist begründet. Das Urteil verstößt insoweit gegen Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO). Das FG hat verkannt, dass die Pfändungs- und Einziehungsverfügung zu unterbleiben hatte, weil dem Kläger Vollstreckungsschutz gemäß § 258 der Abgabenordnung (AO) zu gewähren war.

a) Hinsichtlich des für die Zulässigkeit der Klage gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO erforderlichen Feststellungsinteresses verweist der Senat auf die Ausführungen des FG. Dieses sieht das berechtigte Interesse im Wesentlichen darin, dass die Folgen der Pfändung noch nicht beseitigt sind und die Feststellung geeignet ist, zur Beseitigung der Folgen beizutragen. Der Senat ergänzt diese Ausführungen dahingehend, dass in Fällen, in denen sich eine hoheitliche Maßnahme, die nicht unwesentlich in den Grundrechtsbereich des Betroffenen eingreift, aber sich typischerweise kurzfristig erledigt, eine gerichtliche Überprüfung der Maßnahme und eine Beseitigung ihrer Folgen —wie hier die Gewährung von Vollstreckungsschutz— sonst in der von der Prozessordnung gegebenen Instanz kaum möglich wäre, was einen mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht zu vereinbarenden Ausschluss jeglichen Rechtsschutzes zur folge hätte (vgl. Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 15. Aufl., § 113 Rz 145, m.w.N.).

b) Das FG ist rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass die Frage, ob dem Kläger Vollstreckungsschutz nach § 258 AO zu gewähren gewesen wäre, nicht Gegenstand dieses Verfahrens sei. Der Senat legt das Klagebegehren hinsichtlich des Vollstreckungsverfahrens dahin aus, dass der Kläger jedenfalls auch die Feststellung erreichen wollte, dass ihm Vollstreckungsschutz nach § 258 AO zu gewähren war.

Zwar hat der Kläger ausdrücklich nur beantragt festzustellen, dass die Pfändungs- und Einziehungsverfügung rechtswidrig gewesen sei. Daran muss sich der vor dem FG anwaltlich nicht vertretene Kläger aber nicht festhalten lassen, weil das Gericht nach § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO an die Fassung der Anträge nicht gebunden ist, sondern über das erkennbare Klagebegehren zu entscheiden hat.

Das FG hätte berücksichtigen müssen, dass Gegenstand des Vorverfahrens nicht allein die Pfändungs- und Einziehungsverfügung, sondern die Vollstreckung als solche war. Der Kläger hatte, beginnend mit dem Stundungsantrag, mit allen Mitteln, ausdrücklich auch mit allen „zulässigen Rechtsmitteln” versucht, die Vollstreckung durch Ratenzahlungen abzuwenden. Das FA hat zwar den darin sinngemäß enthaltenen Antrag auf einstweilige Aussetzung der Vollstreckung nicht förmlich beschieden, jedoch liegt in der Pfändungs- und Einziehungsverfügung die konkludente Ablehnung des Vollstreckungsaufschubs. Das hat das FA auch erkannt und in der Entscheidung über den Einspruch gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung ausgeführt, dass die Ratenzahlungen keinen Vollstreckungsschutz rechtfertigten. Mit dem Klageantrag „festzustellen, dass die Pfändungs- und Einziehungsverfügung in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom rechtswidrig war” ist folglich auch das Begehren, die Versagung des Vollstreckungsschutzes zu überprüfen, rechtshängig geworden.

c) Entgegen der Auffassung des FG kommt es im Streitfall nicht entscheidend darauf an, dass die Vollstreckungsvoraussetzungen nach §§ 251, 281, 309 und 314 AO vorgelegen haben und grundsätzlich weder der im Zeitpunkt der Pfändung relativ geringe Steuerrückstand noch die bis dahin bereits freiwillig gezahlten Raten die Rechtmäßigkeit der Kontenpfändung infrage stellen. Liegen die Voraussetzungen des § 258 AO vor, sind Vollstreckungsmaßnahmen insoweit einstweilen auszusetzen bzw. gar nicht erst einzuleiten, als sie im Einzelfall unbillig sind. Nach der Rechtsprechung des Senats ist eine Unbilligkeit i.S. von § 258 AO dann anzunehmen, wenn die Vollstreckung oder eine einzelne Vollstreckungsmaßnahme dem Vollstreckungsschuldner einen unangemessenen Nachteil brächte, der durch kurzfristiges Zuwarten oder durch eine andere Vollstreckungsmaßnahme vermieden werden könnte (, BFH/NV 2006, 900). Im Rahmen des § 258 AO können Besonderheiten des Einzelfalles wie ein im Zeitpunkt der Pfändung relativ geringer Steuerrückstand und bis dahin bereits freiwillig gezahlte Raten zu beachten sein. Der Senat hat wiederholt entschieden, dass sich die Vollstreckung im Falle des Anerbietens von Ratenzahlungen durch den Vollstreckungsschuldner als unbillig erweisen kann, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann, dass er seine Zusage einhalten wird, und wenn nach der Höhe der angebotenen Raten mit einer zügigen und kurzfristigen Tilgung der Steuerschuld gerechnet werden kann (so schon Senatsbeschluss vom VII B 107/91, BFH/NV 1992, 503; Senatsurteil vom VII R 62/04, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2005, 935, und Senatsbeschluss vom VII B 92/92, BFH/NV 1993, 513, in dem ein Tilgungszeitraum von sieben Jahren nicht mehr als kurzfristige Tilgung angesehen wurde).

d) Die Sache ist spruchreif.

Der Kläger hatte im Zeitpunkt des Erlasses der Pfändungs- und Einziehungsverfügung einen Anspruch auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 258 AO. Die Vollstreckung war zu diesem Zeitpunkt unbillig.

Nach den von der Revision nicht angegriffenen und daher für den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) hatte der Kläger für die verhältnismäßig geringe Grunderwerbsteuer von 1 750 € Ratenzahlungen in Höhe von monatlich 250 € angeboten und auch abgeführt, so dass bei Einleitung der Vollstreckung noch 1 000 €, bei Erlass der Pfändungs- und Einziehungsverfügung nur noch 750 € offen waren und die Schuld wie angekündigt im Dezember 2004, lange vor Ergehen der Einspruchsentscheidung, getilgt war. Bei dieser Sachlage waren die unvermeidlichen, im Regelfall vom Vollstreckungsschuldner als Konsequenz seiner steuerlichen Säumnis hinzunehmenden Nachteile und Schwierigkeiten, die ihm durch die Kontopfändung erwachsen, weder unter dem Gesichtspunkt eines unüberschaubaren Zeitraums bis zur vollständigen Tilgung der Steuerschuld noch wegen Nichteinhaltung der zugesagten Ratenzahlungen (vgl. BFH-Entscheidung vom VII B 15/01, BFH/NV 2002, 160) gerechtfertigt.

Der Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Antrag auf einstweilige Einstellung der Vollstreckung hatte sich auf einen Anspruch des Klägers auf Gewährung des Vollstreckungsaufschubs und damit darauf verdichtet, die Pfändungs- und Einziehungsverfügung zu unterlassen. Die sinngemäß begehrte entsprechende Feststellung kann das Revisionsgericht selbst treffen, ohne die Entscheidungszuständigkeit der Behörde bei Ermessensentscheidungen zu verletzen (ständige Rechtsprechung, vgl. , BFH/NV 2007, 2075; , BFHE 185, 94, BStBl II 1998, 550).

3. Die Kostenverteilung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Der Senat hält es für sachgerecht, die Kosten den Beteiligten je zur Hälfte aufzuerlegen, da sich die finanziellen Auswirkungen der Feststellungsanträge nicht unterscheiden.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 749 Nr. 5
HFR 2008 S. 788 Nr. 8
GAAAC-74478