Verletzung des Anspruchs auf Gehör; bei fehlender Angabe des Verwendungszwecks auf beim Finanzamt eingereichten Scheck bestimmt der Gläubiger, auf welche fällig gewordenen Schulden er die Zahlung verrechnet
Gesetze: FGO § 76, FGO § 96, FGO § 115 Abs. 2, FGO § 119 Nr. 3, AO § 225
Instanzenzug: (L)
Gründe
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war Geschäftsführer einer GmbH, über deren Vermögen das Konkursverfahren eröffnet und wieder aufgehoben worden war. Wegen Nichtabführung fälliger Lohnsteuern nahm der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) den Kläger gemäß § 69 der Abgabenordnung (AO) in Haftung. Einspruch und Klage blieben im Wesentlichen erfolglos. Das Finanzgericht (FG) urteilte aufgrund mündlicher Verhandlung, dass die Haftung des Klägers nicht daran scheitere, dass im Zeitpunkt der Fälligkeit der Lohnsteuerforderungen (letzte Fälligkeit ) bereits Zahlungsunfähigkeit der GmbH vorgelegen habe. Gegen eine Zahlungsunfähigkeit im Sinne einer Unfähigkeit, den wesentlichen Teil der Verbindlichkeiten der GmbH zu erfüllen, spreche unter anderem, dass die GmbH im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner für Umsatzsteuern in den Jahren 1997/1998 Zahlungen in Höhe von ca. 100 000 DM an das FA geleistet habe, die Firma nach eigenen Angaben des Klägers vom einem „plötzlich unerwarteten Auftragszusammenbruch” ausgesetzt gewesen sei und Anfang des Monats November vom Geschäftskonto der GmbH trotz des bestehenden negativen Saldos von ca. 120 000 DM unter anderem das Geschäftsführergehalt des Klägers ausgezahlt worden sei. Abgesehen davon sei auf Seiten des FA jedenfalls nicht von einer Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit auszugehen, zumal in den Jahren 1997/ 1998 noch erhebliche Steuerzahlungen geleistet worden seien und abgesehen von den dem Haftungsbescheid unterliegenden Lohnsteuern keine weiteren Steuerrückstände bestanden hätten.
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das FG beruft sich der Kläger auf Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
Der Kläger rügt als mangelnde Sachaufklärung des FG i.S. des § 76 Abs. 1 FGO sinngemäß, dass es die Zahlungsunfähigkeit der GmbH aufgrund der vermeintlich auf die Umsatzsteuerschuld geleisteten Zahlungen in den Jahren 1997/1998 verneint habe, ohne zu prüfen, ob den eingereichten Schecks ein entsprechender Verwendungszweck zu entnehmen gewesen sei. Wenn auf den Schecks kein Verwendungszweck bezeichnet sei, hätte das FG aus Billigkeitsgründen im Interesse des Klägers davon ausgehen müssen, dass er zunächst auf die offene Lohnsteuerschuld habe leisten wollen, denn dann wäre „das Gros der Lohnsteuer-Primärschuld bereits erloschen” und für die Haftung des Klägers kein Raum mehr.
Außerdem stelle es eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß § 96 Abs. 2 FGO dar, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers „in der mündlichen Verhandlung, spätestens im Urteilstext erstmalig und damit überraschend mit dem Argument konfrontiert [worden sei], es habe keine Zahlungsunfähigkeit der Gemeinschuldnerin bestanden"; überraschend sei auch die Höhe der von der GmbH geleisteten Zahlungen, da das FG im Urteil eine Erklärung dazu schuldig bleibe, wie es den Zahlungsbetrag von 99 000 DM errechnet habe. Da die Möglichkeit bestehe, dass sich ein niedrigerer Betrag hinsichtlich der vom Kläger auf die Umsatzsteuer geleisteten Zahlungen ergebe, könnten die Steuerrückstände höher gewesen sein und folglich doch Zahlungsunfähigkeit der GmbH vorgelegen haben, so dass der Kläger in einem unauflöslichen Interessenkonflikt gestanden haben würde, entweder das FA überproportional zu bedienen oder sich in die Gefahr der Lohnsteuerhaftung zu begeben. Dieses sei eine unzumutbare Situation für den Geschäftsführer einer GmbH.
Das FA hält die Beschwerde für unbegründet.
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der Kläger kann sich auf die gerügten Verfahrensfehler nicht berufen; sie liegen auch nicht vor.
Die Verfahrensfehler mangelhafter Sachaufklärung und der Verletzung des rechtlichen Gehörs können nur dann zur Zulassung der Revision führen, wenn diese Mängel in der mündlichen Verhandlung gerügt wurden oder dargelegt wird, weshalb die Rügen nicht möglich waren (vgl. Senatsbeschluss vom VII B 10/03, BFH/NV 2004, 529, m.w.N.). Da der im finanzgerichtlichen Verfahren geltende Untersuchungsgrundsatz eine Verfahrensvorschrift ist, auf deren Einhaltung ein Beteiligter ausdrücklich oder durch Unterlassen einer Rüge verzichten kann (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung), hat die Unterlassung der rechtzeitigen Rüge den endgültigen Rügeverlust —z.B. auch zur Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde— zur Folge.
Wie der Kläger in der Beschwerdeschrift selbst ausführt, wurde sein Prozessbevollmächtigter bereits in der mündlichen Verhandlung „überraschend” mit dem Argument der noch nicht eingetretenen Zahlungsunfähigkeit und der Höhe der von der GmbH auf Umsatzsteuerforderungen des FA geleisteten Zahlungen konfrontiert. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der Kläger seine nunmehr in der Beschwerdeschrift vorgebrachten Einwände in der mündlichen Verhandlung substantiiert vorgetragen und gegebenenfalls geeigneten Nachweis angeboten hat.
Im Übrigen muss die Beschwerde schlüssig darlegen, inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhaltes auf der Grundlage der insoweit maßgebenden, gegebenenfalls auch unrichtigen materiell-rechtlichen Auffassung des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (vgl. z.B. , BFH/NV 2005, 1329). Die Annahme des Klägers, das FG würde im Falle der Feststellung, dass die Schecks keinen Verwendungszweck aufwiesen, zu dem Ergebnis gekommen sein, dass mit der Zahlung nicht die Umsatzsteuer-, sondern die Lohnsteuerschuld der GmbH getilgt worden und deshalb die Lohnsteuerhaftung des Klägers gegenstandlos sei, ist nicht nachvollziehbar. Wie der Kläger selbst ausführt, bestimmt bei fehlender Zuordnung einer Zahlung der Gläubiger, auf welche von mehreren gleichzeitig fällig gewordenen Schulden er diese verrechnet (§ 225 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz AO). Eine Begründung dafür, weshalb das FG hiervon abweichend die vom FA vorgenommene Zuordnung „aus Billigkeitserwägungen” hätte umdeuten müssen, lässt die Beschwerde vermissen.
Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs setzt die Darlegung voraus, zu welchem Sachverhalt, den das FG seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, der Kläger sich nicht hat äußern können. Allein die vom Kläger geäußerte Vermutung, dass die GmbH gar nicht die vom FG zugrunde gelegten Zahlungen geleistet und wegen der dann höheren Steuerrückstände doch Zahlungsunfähigkeit der GmbH vorgelegen haben könnte, lässt nicht erkennen, dass der Kläger daran gehindert war, zur Zahlungsunfähigkeit der GmbH im Zeitpunkt der Fälligkeit der Lohnsteuern und damit zu den Voraussetzungen der Haftungsinanspruchnahme vorzutragen.
Im Kern macht der Kläger mit seinem Vorbringen, das FG habe nicht oder jedenfalls nicht in der von ihm angenommenen Höhe von einer Tilgung der Umsatzsteuerrückstände der GmbH ausgehen dürfen, keinen der nach § 115 Abs. 2 FGO abschließend formulierten Zulassungsgründe geltend, sondern rügt in der Sache materielle Fehler des finanzgerichtlichen Urteils. Dies vermag die Zulassung der Revision nach ständiger Rechtsprechung nicht zu rechtfertigen. Der Kläger setzt lediglich seine Auffassung an Stelle derjenigen des FG. Zwar eröffnet § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO die Revision, wenn eine Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist. Das ist nach der Rechtsprechung des BFH unter anderem der Fall, wenn das Urteil des FG an einem derart schwerwiegenden Fehler leidet, dass es willkürlich und unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar erscheint (vgl. , BFH/NV 2004, 166; vom III B 28/02, BFH/NV 2002, 1474). Dafür bietet weder die Beschwerde Anhaltspunkte, noch sind solche sonst ersichtlich.
Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 803 Nr. 5
KÖSDI 2008 S. 15924 Nr. 3
KÖSDI 2008 S. 15928 Nr. 3
KÖSDI 2008 S. 15934 Nr. 3
AAAAC-73404